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Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2020

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.

26.09.2020, digital

Quantifizierung der zeitveränderlichen Stimmlippenmorphologie mittels Laryngovibrogrammen

Meeting Abstract

  • corresponding author presenting/speaker Mona Kirstin Fehling - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, Deutschland
  • Maria Elke Schuster - Klinikum der Universität München, München, Deutschland
  • Maximilian Linxweiler - Universitätsklinikum des Saarlandes, Homburg/Saar, Deutschland
  • Jörg Lohscheller - Hochschule Trier, Trier, Deutschland

Phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte 2020. sine loco [digital], 26.-26.09.2020. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2020. Doc11

doi: 10.3205/20dgpp11, urn:nbn:de:0183-20dgpp112

Published: November 2, 2020

© 2020 Fehling et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die endoskopische Hochgeschwindigkeits-(HG-)Videolaryngoskopie erlaubt eine präzise Erfassung der Stimmlippen-(SL-)Dynamik in Echtzeit. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Ansätze zur Quantifizierung des SL-Schwingungsverhaltens aus HG-Aufnahmen vorgestellt, welche zum überwiegenden Teil auf der Analyse der zeitveränderlichen glottalen Fläche basieren. Das neu vorgestellte Laryngovibrogramm (LVG) erlaubt erstmalig auch eine Analyse der zeitveränderlichen Morphologie des SL-Gewebes.

Material und Methoden: Zur Erzeugung eines LVGs werden die Flächen der SL und der Glottis mittels eines Neuronalen Netzes segmentiert. Anschließend erfolgt für jede SL eine Bestimmung der individuellen Schwingungsachse zwischen Processus vocalis und der vorderen Kommissur. Hierdurch lässt sich die Lage der Glottis und die SL-Amplitude ins Verhältnis zur SL-Länge und SL-Breite setzen. Die Ergebnisse dieser LVG-basierten Schwingungsanalyse werden exemplarisch an klinischen HG-Aufnahmen von gesunden sowie pathologischen Probanden (stat./n.stat. Phonation) vorgestellt.

Ergebnisse: Bei stationärer Phonation eines gesunden Probanden (26J) zeigen sich rel. SL-Amplituden von 6,9% (r.) und 7,6% (l.) bei einem Längen- und Breitenverhältnis der SL von 1,0 bzw. 1,1. Im Gegensatz dazu zeigt eine linksseitige Parese (m, 29J) rel. SL-Amplituden von 2,5% (r.) und 0,7% (l.) bei einem Längen- und Breitenverhältnis der SL von jeweils 1,0. Nichtstationäre Prozesse wie ein Stimmeinsatz lassen sich mittels LVG durch die zeitliche Änderungsrate des Winkels zwischen den SL-Schwingungsachsen beschreiben. So zeigt sich bei einer gesunden Probandin (23J) eine Änderungsrate von 112°/s bei gleichzeitiger 30%iger Zunahme der initialen SL-Länge. Nach dem Einschwingvorgang weisen beide SL medial eine rel. Amplitude von rund 7% auf.

Diskussion: Basierend auf den extrahierten SL-Flächen ermöglicht das LVG für stationäre als auch nichtstationäre Phonationen eine erweiterte Analyse des Schwingungsverhaltens und erlaubt eine quantitative Beschreibung der Morphologie des SL-Gewebes hinsichtlich SL-Länge und Breite sowie eine Quantifizierung des Öffnungswinkels. Durch Kenntnis der SL-Länge lassen sich rel. SL-Auslenkungen ermitteln, wodurch ein intra-individueller Vergleich von SL-Schwingungen ermöglicht wird.

Fazit: Die präzisierte LVG-basierte Beschreibung der SL-Dynamik kann als methodische Basis eingesetzt werden, um in weiterführenden Studien zu neuen datengetriebenen Erkenntnissen über physiologische und pathophysiologische Phonationsmechanismen zu gelangen.


Text

Einleitung

Die endoskopische Hochgeschwindigkeits-(HG-)Videolaryngoskopie erlaubt eine präzise Erfassung der Stimmlippen-(SL-)Dynamik in Echtzeit. In den vergangenen Jahren wurden zahlreiche Ansätze zur Quantifizierung des SL-Schwingungsverhaltens aus HG-Aufnahmen vorgestellt, welche zum überwiegenden Teil auf der Analyse der zeitveränderlichen glottalen Fläche basieren. Das neu vorgestellte Laryngovibrogramm (LVG) erlaubt erstmalig auch eine Analyse der zeitveränderlichen Morphologie des SL-Gewebes.

Material und Methoden

Zur Erzeugung eines LVGs werden die Flächen der SL und der Glottis mittels eines Neuronalen Netzes segmentiert. Anhand dieses Segmentierungsergebnisses können die Länge und Breite für jede SL ermittelt, sowie die SL-individuellen Schwingungsachsen zwischen Processus vocalis und der vorderen Kommissur bestimmt werden. Beim LVG lassen sich die SL-Auslenkungen relativ zur individuellen Schwingungsachse einer jeden SL ermitteln und ins Verhältnis zu ihrer Länge setzen, was intra- sowie interindividuelle Vergleiche des Schwingungsverhaltens ermöglicht. Die SL-individuellen Schwingungsachsen erlauben weiterhin die quantitative Erfassung des zeitveränderlichen Öffnungswinkels der SL im Rahmen nicht-stationärer Prozesse. Die Ergebnisse dieser LVG-basierten Schwingungsanalyse werden exemplarisch an klinischen HG-Aufnahmen stationärer Phonationen eines gesunden Probanden (m, 26J) sowie eines Patienten mit einer linksseitigen SL-Parese (m, 29J) und einem Stimmeinsatz (w, 23J) vorgestellt.

Ergebnisse

Bei stationärer Phonation (100 Frames, 25ms) eines gesunden Probanden (Abbildung 1a [Abb. 1]) mit einem Längen- und Breitenverhältnis der SL von 1,00±0,00 bzw. 1,05±0,05 zeigt sich im LVG ein reguläres und symmetrisches Schwingungsverhalten mit rel. SL-Amplituden von 7,0±0,6 % (r.) und 8,2±0,1 % (l.). Aus dem Kontakt beider SL am posterioren Ende resultiert eine gemeinsame Schwingungsachse und damit ein Öffnungswinkel von 0°. Bei komplettem SL-Schluss zeigt sich ein gemeinsames Überschwingen der SL nach rechts über die Schwingungsachse hinaus, was zu einer verminderten rel. SL-Amplitude rechts führt. Im Gegensatz dazu weist die linksseitige Parese (Abbildung 1b [Abb. 1], 100 Frames, 25ms) bei einem Längen- und Breitenverhältnis der SL von 1,01±0,00 bzw. 0,96±0,06 und einem Öffnungswinkel von 3,8° im LVG ein asymmetrisches Schwingungsverhalten auf. Die rel. SL-Amplitude der betroffenen SL ist mit 0,7±0,1 % (l.) gegenüber 2,7±0,1 % (r.) deutlich reduziert. Jedoch ist auch die rel. SL-Amplitude der nicht betroffenen rechten SL gegenüber der rel. SL-Amplituden des gesunden Probanden ebenfalls erheblich vermindert.

Nichtstationäre Prozesse wie beispielsweise ein Stimmeinsatz lassen sich mittels LVG u.a. durch die zeitliche Änderungsrate des Winkels zwischen den SL-Schwingungsachsen beschreiben. In Abbildung 2 [Abb. 2] ist beispielhaft der Stimmeinsatz einer gesunden Probandin gezeigt. Im Rahmen des Stimmeinsatzes zeigt sich mit einer Winkeländerungsrate von 114.2°/s eine Reduzierung des Öffnungswinkels von präphonatorisch 29.3° auf 8.4° bei gleichzeitig 30%iger Zunahme der initialen SL-Länge. Nach dem Einschwingvorgang weisen beide SL ein symmetrisches Schwingungsverhalten mit vergleichbaren rel. SL-Amplituden auf, welche bei einem Längen- und Breitenverhältnis der SL von 0.98±0.00 bzw. 1.06±0.04 an medialer SL-Position 7.7±0.4% (l.) bzw. 7.9±0.6 % (r.) betragen.

Diskussion

Basierend auf den extrahierten SL-Flächen ermöglicht das LVG für stationäre als auch nichtstationäre Phonationen eine erweiterte Analyse des Schwingungsverhaltens und erlaubt eine quantitative Beschreibung der Morphologie des SL-Gewebes hinsichtlich SL-Länge und Breite sowie eine Quantifizierung des Öffnungswinkels. Durch Kenntnis der SL-Länge lassen sich rel. SL-Auslenkungen ermitteln, wodurch ein inter- sowie intraindividueller Vergleich von SL-Schwingungen ermöglicht wird. Die Analyse des zeitveränderlichen Öffnungswinkels mittels einer Regressionsanalyse erlaubt eine neuartige quantitative Beschreibung des Stimmeinsatzes. Die Glottis als Flächenmaß eignet sich hierfür aufgrund des nichtlinearen Verlaufes nur bedingt. Die hier präsentierten ersten Ergebnisse zeigen die Umsetzbarkeit dieses Ansatzes, der insbesondere auf die intra- und interindividuelle Vergleichbarkeit von HG-Aufnahmen abzielt.

Fazit

Die präzisierte LVG-basierte Beschreibung der SL-Dynamik kann als methodische Basis eingesetzt werden, um in weiterführenden Studien zu neuen datengetriebenen Erkenntnissen über physiologische und pathophysiologische Phonationsmechanismen zu gelangen.