Article
Kongenitale Cytomegalovirus (cCMV)-Infektionen und assoziierte Hör- und weitere Störungen erfordern ein universelles cCMV-Screening und ein Follow-up-Programm
Search Medline for
Authors
Published: | September 8, 2016 |
---|
Outline
Zusammenfassung
Hintergrund: Kongenitale Infektionen mit dem humanen Cytomegalovirus (CMV) sind die führende Ursache kongenitaler Infektionen weltweit. In entwickelten Ländern sind sie der häufigste nichtgenetische Grund sensorineuraler kindlicher Hörstörungen und eine wichtige Ursache für Mikrozephalie, neurogene Entwicklungsverzögerungen, Sehstörungen und Zerebralparesen mit nachfolgenden Beeinträchtigungen der kognitiven und sozialen Entwicklung der betroffenen Kinder und ihrer Familien [6]. Nur 10% kongenitaler CMV(cCMV)-Infektionen werden direkt nach der Geburt symptomatisch, jedoch verlaufen 50% der cCMV-verursachten Hörstörungen progredient und setzen häufig erst später ein. Prävalenzangaben für cCMV-Infections für Mitteleuropa liegen bei 0.2–0.7 pro 1.000 Neugeborene und für Entwicklungsländer bei bis zu 1–5% [6]. Neugeborenen-Screeningprogramme für ccCMV-Infektionen sind unter Diskussion. Antivirale Therapien symptomatischer Kinder können effektiv das Risiko dauerhafter Störungen verringern. Da eine effektive präkonzeptionelle Impfung gegen CMV potenziell cCMV-Infektionen verhindern könnte und eine postkonzeptionelle Primärinfektionen in der Schwangerschaft, befinden sich einige aktive und passive Immunisierungsstrategien in klinischen Studien.
Material und Methoden: In einem internationalen Projekt* erhalten 12.000 Neugeborene in Deutschland und Qatar ein CMV-Screening durch einen real-time PCR-basierten Test von Flüssigspeichelproben. Wird eine kongenitale CMV-Infektion bestätigt, wurden die Babys in ein 6-Jahres-Follow-up-Programm aufgenommen.
Ergebnisse: Die bis Ende April 2016 durchgeführten CMV-Screenings von etwa 1.200 deutschen und 270 katarischen Neugeborenen ergaben kongenitale CMV-Infektionen in 3 deutschen und 2 katarischen Babys, die in ein Behandlungs- und Follow-up-Programm aufgenommen wurden.
Diskussion: Die hohe Prävalenz kongenitaler CMV-Infektionen und ihre lebenslangen Folgen rufen nach einer Aktion für die Einführung eines universellen neonatalen CMV-Screening-, Follow-up-, Präventions- und Interventionsprogramms. Das vorgeschlagene Follow-up-Programm wird diskutiert.
Fazit: Ein Screening auf cCMV-Infektionen erscheint sinnvoll, machbar und effektiv.
Text
Hintergrund
Kongenitale Infektionen mit dem humanen Cytomegalovirus (CMV) sind die führende Ursache kongenitaler Infektionen weltweit. In entwickelten Ländern sind sie der häufigste nichtgenetische Grund für sensorineurale kindliche Hörstörungen und eine wichtige Ursache für Mikrozephalie, neurogene Entwicklungsverzögerungen, Sehstörungen, Zerebralparesen und weitere Organmanifestationen mit nachfolgenden Beeinträchtigungen der kognitiven, körperlichen und sozialen Entwicklung der betroffenen Kinder und ihrer Familien. Sie gelten als eines der noch ungelösten Probleme in der Kinderheilkunde. Prävalenzangaben für kongenitale CMV-Infektionen für Mitteleuropa liegen bei 0,5 bis 0,7 pro 1.000 Neugeborene und für Entwicklungsländer bei bis zu 1–5%. Nur etwa 10% kongenitaler CMV(cCMV)-Infektionen werden direkt nach der Geburt symptomatisch, jedoch verlaufen 50% der durch sie verursachten Hörstörungen – ihre häufigste Folge – progredient [1], [4], [5] und setzen häufig erst später ein. Ein Late onset oder ein progredienter Verlauf sind auch für andere Symptome von cCMV-Infektionen beschrieben worden [2]. Daher wäre ein Screening auf kongenitale CMV-Infektionen sinnvoll und wird anderorts auch bereits erprobt bzw. durchgeführt (z.B. regional in den USA und in Belgien).
Ziel der hier vorgestellten Studie ist Untersuchung von (1) Prävalenzrate primär asymptomatischer und symptomatischer cCMV-Infektionen in Deutschland und Qatar, (2) kumulative Inzidenzrate klinischer Manifestationen von cCMV-Infektionen wie Hör-, Sehstörungen und neuropädiatrischer Symptome über einen Beobachtungszeitraum von 6 Jahren sowie Koinzidenzrate kongenitaler CMV-Infektionen mit kindlichen Hörstörungen, (3) zeitlicher Verlauf der Spätmanifestationen klinischer Symptome initial asymptomatischer cCMV-Infektionen und (4) Praktikabilität und Kosteneffizienz einer Real-time-PCR-basierten Untersuchung von Flüssigspeichel-Proben auf CMV-DNA als ein Routinescreening auf konnatale CMV-Infektionen in den Teilnehmerländern.
Material und Methoden
In einem internationalen Projekt* erhalten 12.000 Neugeborene in Deutschland und Qatar ein CMV-Screening durch einen real-time PCR-basierten Test von Flüssigspeichelproben. Wird eine cCMV-Infektion bestätigt, werden die Babys in ein 6-jähriges pädaudiologisches, (neuro)pädiatrisches, radiologisches und ophthalmologische Follow-up-Programm aufgenommen.
Ergebnisse
Die bis Ende Juni 2016 durchgeführten CMV-Screenings von etwa 1.600 deutschen und knapp 1.000 katarischen Neugeborenen ergaben cCMV-Infektionen in 7 deutschen und 4 katarischen Babys, die in ein Behandlungs- und Follow-up-Programm aufgenommen wurden. Dies entspricht einer Prävalenz neonataler, zumeist primär asymptomatischer cCMV-Infektionen an beiden Studienorten von >4 pro 1.000 Neugeborenen.
Diskussion
Die hohe Prävalenz kongenitaler CMV-Infektionen und ihre lebenslangen Folgen rufen nach einer Aktion für die Einführung eines universellen neonatalen CMV-Screening-, Follow-up-, Präventions- und Interventionsprogramms. Entsprechend WHO-Kriterien sind universelle Screenings dann sinnvoll, wenn die Prävalenz ihrer Zielkrankheit ausreichend hoch ist, um ein solches zu rechtfertigen. Dies wäre hier gegeben. CMV-Infektionen verursachen mehr kongenitale Krankheitsfälle als die Gesamtheit von 29 Krankheiten, auf die derzeit in den meisten US-amerikanischen Staaten gescreent wird und sind häufiger als verschiedene Erkrankungen, für die innerhalb der EU Neugeborenenscreenings durchgeführt werden [6]. Zudem müssen Therapien für die Krankheit vorhanden und Frühtherapien effektiver als späte sein. Weiterhin soll ein Screening ausreichend trennscharf Gesunde von Erkrankten unterscheiden, einfach durchführbar und kosteneffizient sein. All dies ist für kongenitale CMV-Infektionen gegeben. Dass ein solches Screening mit hoher Validität (Sensitivität, Spezifität, positiver Vorhersagewert) durchgeführt werden kann, z.B. mittels PCR aus Flüssig- oder Trockenspeichelproben, wurde in großen Studien nachgewiesen. Auch seine Kosteneffizienz wurde belegt.
Fazit
Antivirale Therapien symptomatischer Kinder und/oder frühzeitig einsetzende symptomatische Therapien können effektiv das Risiko dauerhafter Störungen verringern. Deshalb erscheint die Einführung eines universellen (flächendeckenden) Screenings auf neonatale CMV-Infektionen und eines standardisierten, langzeitigen Follow-up-Programms für infizierte Kinder ein Gebot der Zeit. Ein solches erscheint sinnvoll, machbar und effektiv. Sicher wird an der Verbesserung antiviraler Therapien gearbeitet und bedarf ihre langfristige Effektivität noch des Nachweises. Auch befinden sich aktive und passive Immunisierungsstrategien für Frauen mit Kinderwunsch oder Schwangere mit CMV-Neuinfektionen in klinischen Studien. Dennoch kann nicht abgewartet werden, bis eine optimale Studienlage erreicht ist, sondern sollte im Sinne des Wohls der betroffenen Kinder und ihrer Familien ein Maßnahmenpaket aus Prävention, Screening, Therapie und Follow-up möglichst bald auf den Weg gebracht werden.
*Gefördert durch den Qatar National Research Fund, NPRP 7 – 1845 – 3 – 480
Literatur
- 1.
- Dahle AJ, Fowler KB, Wright JD, Boppana SB, Britt WJ, Pass RF. Longitudinal investigation of hearing disorders in children with congenital cytomegalovirus. J Am Acad Audiol. 2000 May;11(5):283-90.
- 2.
- Demmler Harrison GJ. Growing up with congenital CMV. In: European Congenital Cytomegalovirus Initiative; 2016 Apr 24-26; Venice, Italy. [accessed 2016 Jul 18]. Available from: https://www.eiseverywhere.com/file_uploads/c77c22aa77e0d6ee236a571917bdd151_DEMMLER.pdf
- 3.
- Dollard SC, Grosse SD, Ross DS. New estimates of the prevalence of neurological and sensory sequelae and mortality associated with congenital cytomegalovirus infection. Rev Med Virol. 2007 Sep-Oct;17(5):355-63. DOI: 10.1002/rmv.544
- 4.
- Fowler KB, Dahle AJ, Boppana SB, Pass RF. Newborn hearing screening: will children with hearing loss caused by congenital cytomegalovirus infection be missed? J Pediatr. 1999 Jul;135(1):60-4. DOI: 10.1016/S0022-3476(99)70328-8
- 5.
- Grosse SD, Ross DS, Dollard SC. Congenital cytomegalovirus (CMV) infection as a cause of permanent bilateral hearing loss: a quantitative assessment. J Clin Virol. 2008 Feb;41(2):57-62. DOI: 10.1016/j.jcv.2007.09.004
- 6.
- Manicklal S, Emery VC, Lazzarotto T, Boppana SB, Gupta RK. The "silent" global burden of congenital cytomegalovirus. Clin Microbiol Rev. 2013 Jan;26(1):86-102. DOI: 10.1128/CMR.00062-12