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Vergleich der Grundfrequenz, des Schalldruckpegels und der Phonationszeit zwischen einem Stimmbelastungstest und einer realen Unterrichtssituation bei Lehramtsreferendaren
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Published: | September 5, 2013 |
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Zusammenfassung
Einleitung: Die stimmliche Belastungsfähigkeit stellt eine Grundvoraussetzung für die berufliche Tätigkeit im Lehramt dar. Zur klinischen Testung der Belastungsfähigkeit haben sich Stimmbelastungstest etabliert. Inwieweit diese Tests jedoch die Realität der stimmlichen Herausforderungen im Unterricht reflektieren, ist bislang nicht vollständig geklärt.
Material und Methoden: Bislang wurden Sprechstimmen von 17 anhand des ELS-Protokolls stimmgesunde Lehramtsreferendarinnen mit dem Accelerometer „VoxLog“ der Firma Sonvox in verschiedenen Konditionen (1. Stimmbelastungstest mit Text sprechen (Tapferes Schneiderlein) lauter 80 dB über 10 Minuten und 2. Messung einer realen 45 Minuten dauernden Unterrichtssituation) aufgenommen. Zusätzlich erfolgte die Aufnahme eines Textes (Nordwind und Sonne) in angenehmer Phonationslage mit dem Laryngographsystem. Die Parameter Schalldruckpegel (SPL), Grundfrequenz (F0) und Phonationszeit sowie verschiedene stimmliche Dosisberechnungen wurden ausgewertet.
Ergebnisse: Die vorläufigen Daten zeigen, dass F0 und SPL bei der klinischen Belastung über denen der Unterrichtssituation lagen und beide Situationen sich deutlich von der Grundmessung unterscheiden. Obwohl die effektive Sprechzeit (Time Dose) in einem durchschnittlich 45 Minuten dauernden Unterricht etwas höher lag als in der klinischen Belastungssituation, zeigten Maße der kumulativen Dosis (Vocal Loading Index und Distance Dose) aufgrund der höheren F0 und SPL in der klinischen Belastung keinen Unterschied zwischen den Konditionen.
Diskussion: Die Ergebnisse weisen darauf hin, dass hinsichtlich Phonationszeit, F0 und SPL die Unterrichtssituation von der klinischen Stimmbelastungssituation abweicht, in der gesamten Dosis der Stimmbelastung beide Konditionen allerdings vergleichbar sind.
Text
Einleitung
Die stimmliche Leistungsfähigkeit stellt eine Grundvoraussetzung für die berufliche Tätigkeit als Lehrer dar. Bislang ist die stimmliche Schulung nur sehr unzureichend Bestandteil der universitären Ausbildung oder Ausbildung an pädagogischen Hochschulen. Als Folge treten gehäuft Stimmprobleme bei Lehrern in Erscheinung, die nicht nur die stimmliche Gesundheit dieser Berufsgruppe mindern, sondern auch ökonomische Folgen haben. Modellrechnungen, die sich an die Angaben von Verdolini und Ramig [7] anlehnen, ergeben, dass allein dem Land Baden-Württemberg bei einer Zahl von ca. 100.000 Lehrern durch Stimmerkrankungen bei Lehrern pro Jahr Kosten von ca. 30 Millionen Euro. Zudem konnte in Studien gezeigt werden, dass auch die Lehrinhalte bei stimmgestörten Lehrern nicht in gleicher Weise gut den Schülern vermittelt werden können [4].
Die stimmliche Leistungsfähigkeit im Beruf hängt von vielen individuellen Komponenten ab. Hierzu zählen die morphologischen und funktionellen Eigenschaften der Stimmgebungsorgane, das Lebensalter, hormonelle Faktoren sowie die psychische Verfassung. Daneben ist die berufliche Leistungsfähigkeit aber auch an die Umgebung gebunden. Hierzu zählen raumakustische Komponenten, Klassengrößen, Alter der Schüler, Auswahl der Unterrichtfächer, Schulform etc.
Im Gegensatz zu einigen Berufen, die eine stimmliche Höchstleistung in kurzen Zeitintervallen vollführen müssen, wie z.B. Opernsänger, ist die Lehrerstimme in ihrer Belastung vor allem durch einen Stimmeinsatz über längere Zeit gekennzeichnet. Da eine Messung dieser Langzeitbelastung bislang nur begrenzt möglich war, wurden Stimmbelastungstests entwickelt, die in einem zeitlich definierten Rahmen eine äquivalente Belastung erzeugen sollen, wie sie auch in Unterrichtssituationen vorkommen können. Im deutschsprachigen Raum haben sich vor allem der Wechseltest mit wechselnder Laustärkeanforderung und der Stimmbelastungstest mit kontinuierlicher Lautstärkeanforderung nach Hacki etabliert [5], [3]. In einer aktuellen Studie wurden diese Testanforderungen verglichen [1]. Hier konnte gezeigt werden, dass sich der Dysphonia Severity Index (DSI) [8] bei gesunden Probanden in beiden Tests ähnlich verhält. Gleichwohl zeigte sich, dass die Testanforderung des Tests mit kontinuierlicher Lautstärkeanforderung leichter zu realisieren war.
Vor einigen Jahren wurden zur Bestimmung der Langzeitstimmnutzung so genannte „Accelerometer“ in die Stimmwissenschaft bzw. -medizin eingeführt [6]. Durch diese Geräte können die Grundfrequenz und der Schalldruckpegel über eine längere Zeit bestimmt werden. Unter Nutzung solcher Geräte konnte dargestellt werden, dass sich die stimmliche Anforderung der Unterrichtssituation deutlich von der Ruhe-, oder Freizeitsituation unterscheidet [2]. Neuste Geräte können neben der Bestimmung des Schalldruckpegels auch die Außenlautstärke aufzeichnen.
Ziel der vorgestellten Studie ist die Klärung der Frage, in wie weit eine Testung der Stimmbelastung unter Laborbedingungen mit einer realen Stimmbelastung im Unterricht vergleichbar ist.
Material und Methoden
Es wurden Sprechstimmen von 49 stimmgesunde Lehramtsreferendaren (durchschnittliches Alter 26.9 Jahre (SD 3.2), 36 weiblich, 13 männlich) anhand des ELS-Protokolls mit dem Accelerometer „VoxLog“ der Firma Sonvox (s. Abbildung 1 [Abb. 1]) in zwei verschiedenen Konditionen aufgenommen.
In der ersten Testbedingung wurden die Probanden unter Stimmlaborbedingungen gebeten, den Text „Das tapfere Schneiderlein“ über 10 Minuten lauter als 80 dB zu lesen. Die Bestimmung der Sollautstärke wurde im Abstand von 30 cm mit einem Schalldruckpegelmessgerät (Typ 322, Fa. Voltkraft) und der Lingwave-Software (Fa. Wevosys, Forchheim) bei gleichzeitiger Messung mit dem Accelerometer durchgeführt.
In der zweiten Kondition wurde eine Messung mit dem Accelerometer in einer realen Unterrichtsstunde durchgeführt. Im Durchschnitt war diese 43.8 Minuten (SD 6.8) lang. Es wurden Schulklassen von der 2. bis 10. Klasse unterrichtet. Die durchschnittliche Klassengröße lag bei 15 Kindern (SD 7.3). Tabelle 1 [Tab. 1] zeigt die Aufteilung der Unterrichtsbesuche nach Schulfächern.
Die Messungen mit dem Accelerometer erfolgten in 5 Sek. Abständen. Aus den Messungen wurden die Phonationsdauer, die Grundfrequenz, der Schalldruckpegel und die Umgebungslaustärke berechnet. Aus diesen Parametern erfolgte die Berechnung von stimmlichen Belastungsfaktoren nach Titze et al. [6]. Dieses sind a) die Sprechzeit-Dosis (time dose), welche die Dauer des Sprechens beschreibt, b) die Cycle-Dosis, welche die Anzahl oszillierender Perioden der Stimmlippen quantifiziert, c) die Distance-Dosis, die zusätzlich zur Cycle-Dosis noch die erwartete Schwingungsamplitude der Stimmlippen berücksichtigt und die Wegstrecke, die die Stimmlippen in dem Belastungszeitraum zurücklegen, beschreibt, d) die Energy-Dissipation-Dosis, welche ebenfalls noch die thermische Aufwärmung der Stimmlippen durch die Bewegung berücksichtigt und e) die Radiated-Energy-Dosis, die unabhängig von den anderen Parametern die potenzielle Geräuschexposition beschreiben soll und die abgestrahlte Gesamtenergie vom Mund berechnet [6].
Statistik
Alle statistischen Verfahren wurden mit dem Programm SPSS 21 (Chicago, Inc.) durchgeführt. Für die Vergleiche der Belastungssituationen wurden t-Tests mit verbundener Stichprobe verwendet. Der Vergleich zwischen den Geschlechtern wurde mit t-Tests für unabhängige Stichprobe durchgeführt. Das Signifikanzniveau wurde auf 5% festgelegt.
Ergebnisse
Durch die Unterschiede in der Grundfrequenz war es sinnvoll das Datenmaterial geschlechtsabhängig zu analysieren. Insgesamt zeigten sich bei beiden Geschlechtern deutliche Unterschiede zwischen der Stimmbelastungstestung und der Unterrichtssituation (Tabelle 2 [Tab. 2]). Die Grundfrequenz sowie der Schalldruckpegel lagen in der Stimmbelastungstestung deutlich über den Werten der realen Unterrichtssituation.
Bei der Analyse der stimmlichen Belastungen erreichte die Time-Dosis keine statistisch signifikanten Unterschiede. Dies bedeutet, dass sich die effektive Phonationszeit zwischen den Konditionen nicht unterschied. Auch die Circle-Dosis zeigte keine signifikanten Unterschiede zwischen der Belastungs- und Unterrichtssituation. Im Gegensatz zur Time-Dosis berücksichtigt die Cycle-Dosis auch die Grundfrequenz. Im Vergleich der Geschlechter weisen daher weibliche Stimmen in beiden Versuchskonditionen eine deutlich höhere Dosis auf als männliche Stimmen.
Bezieht man die Schwingungsamplitude und die thermische Erwärmung der Stimmlippen in die Berechnungen ein, so zeigt sich ein erstaunlicher Effekt: Lediglich die weiblichen Stimmen erreichen hier bei der Dosisberechnung einen höheren Wert für die Belastung gegenüber der realen Unterrichtsstunde. Während die Distance-Dosis keinen signifikanten Unterschied bei den Geschlechtern zeigt, ist die Energy-Dissipation-Dosis bei den männlichen Probanden um mehr als das 4-fache höher, was sich mit den Vorgaben dieser Dosisberechnungen deckt [6].
Eine Schulklasse ist in der realen Situation als nicht konstant hinsichtlich der Lautstärkeentwicklung zu betrachten. Daher erscheint es sinnvoll die Dosisberechnungen in Bezug zur Klassenlautstärke zu setzten (Tabelle 3 [Tab. 3]).
Die Korrelationen zeigen grundsätzlich höhere Werte zwischen Grundfrequenz, Sprechlautstärke und Umgebungslautstärke bei Männern als bei Frauen. Auch zeigt sich hier ein Lombard Effekt, in dem Sprecher lauter werden, wenn die Klasse lauter wird, was sich automatisch auch auf die Radiated-Energy-Dosis auswirkt und zu höheren Korrelationen führt.
Diskussion
Die stimmliche Leistungsfähigkeit ist wesentlicher Bestandteil der Berufsfähigkeit eines Lehrers. Jedoch ist die Messung der Realsituation im Unterricht nach wie vor messmethodisch nicht einfach, weswegen nach wie vor in der klinischen Testung Stimmbelastungstests zum Einsatz kommen. Dabei ist ungeklärt, welche Belastung am ehesten der realen Stimmbelastungssituation entspricht.
Die vorgestellten Ergebnisse zeigen, dass sich die Unterrichtssituation von ca. 45 Minuten von einer Stimmbelastungstestung von 10 Minuten Lesen eines Textes mit mind. 80 dB hinsichtlich der Grundfrequenz und der Sprechlautstärke deutlich unterscheidet.
Einige stimmliche Belastungsdosen weisen allerdings auch Ähnlichkeiten auf. Unsere Daten weisen darauf hin, dass die von uns durchgeführte Belastung von 10 Minuten hinsichtlich verschiedener Dosisbestimmungen leicht über der Belastung einer 45 Minuten dauernden Unterrichtsstunde liegt. Geht man davon aus, dass der Lehreralltag mit ca. 6 Schulstunden weit größere stimmliche Belastungen erzeugt, scheinen die Dosen eines Belastungstests weit unter der realen Anforderungssituation zu liegen. In einer vorherigen Studie unserer Arbeitsgruppe konnte gezeigt werden, dass sich die stimmliche Leistungsfähigkeit anhand des DSI des auch hier verwendeten Tests nicht von der Belastung mit einem Wechseltest nach Seidner und Nawka unterschied [1]. Es ist daher davon auszugehen, dass auch durch einen Wechseltest von 10 Minuten im Vergleich zur Realität eine deutlich geringere stimmliche Dosis erreicht wird.
Die Untersuchungen unterstreichen daher, dass sich die Durchführung einer Dosimetrie mit einem Accelerometer zur Beurteilung der realen Dosis besser eignet. Der Vorteil des VoxLog-Gerätes gegenüber bislang anderen eingeführten Geräten liegt in der Aufzeichnung auch des äußeren Geräuschpegels. Nur hierdurch kann beurteilt werden, wie stark die angewandte Lautstärke und die verschiedenen Dosisberechnungen des Sprechers in Zusammenhang mit dem Geräuschpegel zu sehen sind. Unsere Ergebnisse weisen hierbei darauf hin, dass die stimmliche Anforderung mit der Umgebungslaustärke steigt. Dieser Zusammenhang war bei weiblichen Stimmen deutlich ausgeprägter als bei männlichen. Für die Zukunft scheinen Untersuchungen sinnvoll, die versuchen, diesen Zyklus mittels Biofeedback zu durchbrechen.
Literatur
- 1.
- Echternach M, Richter B, Traser L, Nusseck M. Vernderung der stimmlichen Leistungsfhigkeit durch verschiedene Stimmbelastungstests. Laryngorhinootologie. 2013;92:34-40.
- 2.
- Franca MC. A comparison of vocal demands with vocal performance among classroom student teachers. J Com Disord. 2013;46:111-23. DOI: 10.1016/j.jcomdis.2012.11.001
- 3.
- Pabst F, Seiler R, Hacki T. Zur Beurteilung der Sprechstimmleistungen nach Stimmbelastungstests mittels Stimmfeldmessung. In: Gross M, Hrsg. Aktuelle phoniatrisch-pädaudiologische Aspekte. 1998. S.73-5.
- 4.
- Rogerson J, Dodd B. Is there an effect of dysphonic teachers voices on childrens processing of spoken language? J Voice. 2005;19:47-60. DOI: 10.1016/j.jvoice.2004.02.007
- 5.
- Seidner W. Messung der stimmlichen Belastbarkeit. In: Seidner W, Nawka T, Hrsg. Handreichungen zur Stimmdiagnostik: Aus der Praxis für die Praxis. Berlin: Xion; 2012. S. 91-105.
- 6.
- Titze IR, Svec JG, Popolo PS. Vocal dose measures: Quantifying accumulated vibration exposure in vocal fold tissues. J Speech Lang Hear Res. 2003;46:922-35. DOI: 10.1044/1092-4388(2003/072)
- 7.
- Verdolini K, Ramig LO. Occupational risks for voice problems. Logop Phoniat Vocol. 2001;26:37-46. DOI: 10.1080/14015430119969
- 8.
- Wuyts FL, De Bodt MS, Molenberghs G. The dysphonia severity index: an objective measure of vocal quality based on a multiparameter approach. J Speech Lang Hear Res. 2000;43:796-809.