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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Prävalenz der CMV-Infektion bei bilateraler kindlicher Schwerhörigkeit

Vortrag

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV41

doi: 10.3205/11dgpp55, urn:nbn:de:0183-11dgpp553

Published: August 18, 2011

© 2011 Blaschek et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Inzidenz einer beidseitigen Schwerhörigkeit beim Kleinkind liegt bei ca. 1/1.000, ihre Ätiologie bleibt in vielen Fällen unklar, insbesondere bei Kindern ohne bekannte Grunderkrankung. Seit der Einführung der Röteln-Impfung wird die kongenitale Infektion mit Cytomegalievirus (CMV) in entwickelten Ländern mit einem Anteil von bis zu 15–40% [1], [2], [3] als häufigste Ursache einer erworbenen Schwerhörigkeit angegeben. Ziel dieser Studie war es, retrospektiv die Prävalenz der kongenitalen CMV-Infektion bei Kindern mit bilateraler Schwerhörigkeit im Kanton Zürich zu bestimmen.

Methode: Retrospektive CMV-Bestimmung mittels PCR aus der Guthriekarte (Fersenblutstropfen) bei im Kanton Zürich wohnhaften Kindern mit den Jahrgängen 1995–2009, bei welchen von den ORL-Abteilungen der Universitätskinderklinik und des Universitätspitals Zürich eine permanente bilaterale Schwerhörigkeit diagnostiziert wurde, welche zu einer Hörgeräteversorgung führte.

Ergebnisse: Im Kanton Zürich wurden 201 in den Jahren 1995 bis 2009 geborene Kinder mit einer permanenten bilateralen Schwerhörigkeit diagnostiziert und mit Hörgeräten versorgt. Von 118 Patienten erhielten wir 2010 die Studieneinwilligung. Die CMV PCR konnte bei 21 Kindern nicht durchgeführt werden, weil die Guthriekarte nicht auffindbar war und in 24 Fällen, weil nicht mehr genügend Materialvorhanden war. Mittels PCR konnte in der Guthriekarte bei 5 Kindern CMV DNA nachgewiesen und bei 68 Kindern keine CMV DNA nachgewiesen werden.

Diskussion: Bei 5 von 73 getesteten Kindern (7%) war die CMV-PCR aus der Guthriekarte positiv. Die meist unklare Ätiologie der permanenten bilateralen Schwerhörigkeit konnte somit in wenigstens weiteren 7% dieser Kinder geklärt werden. Die Tatsache, dass die CMV PCR aus der Guthriekarte nur bei 36% dieser Kinder durchgeführt werden konnte, limitiert die Aussagekraft. Leider liegen bisher in 41% der Fälle kein Einverständnis vor und in 23% ist kein Material vorhanden. Somit bleibt offen, ob eher CMV positive oder CMV negative Kinder nicht identifiziert wurden und ob die Häufigkeit der vertikalen CMV Infektion bei bilateraler sensorineuraler Schwerhörigkeit mit 7% aufgrund der bei Geburt asymptomatischen CMV-Infektion 2–5 x tiefer ist als in anderen Untersuchungen [4], [2], [3].


Text

Einleitung/Hintergrund

In der Schweiz wurde das Hörscreening bei Neugeborenen im Mai 1999 eingeführt. Dies erlaubt die Diagnose einer kongenitalen bilateralen Schwerhörigkeit bereits im ersten Lebensjahr zu stellen. Die Inzidenz der beidseitigen Schwerhörigkeit beim Neugeborenen beträgt ca. 1/1.000 und ist somit die häufigste kongenitale Erkrankung. Da die Hörstörung bei kongenitaler CMV Infektion häufig erst postnatal auftritt, wird ca. die Hälfte dieser Patienten mit dem in den ersten Lebenstagen durchgeführten OAE-Screening nicht erfasst [1]. In diesen Fällen erfolgt die Diagnosestellung oft erst im Rahmen der kinderärztlichen Vorsorgeuntersuchungen. Aufgrund der unbekannten CMV Infektion finden keine engmaschigen Kontrollen statt, welche eine frühzeitige Erfassung einer erst nach dem Neugeborenenalter auftretenden Hörstörung erlaubten. Die rechtzeitige Erfassung der kongenitalen Schwerhörigkeiten ist jedoch entscheidend, weil gezeigt werden konnte, dass eine Hörgeräteversorgung, welche vor dem zweiten Lebensjahr- und somit vor der entscheidenden Phase der Ausreifung der Hörbahn einsetzt- eindeutig bessere Resultate zeigt als ein späterer Therapiebeginn.

Material und Methoden

Retrospektive Studie in Zusammenarbeit der ORL-Abteilungen der Universitätskinderklinik und des Universitätspitals Zürich sowie des Stoffwechsellabors und Infektionslabors der Universitätskinderklinik Zürich mit dem Ziel, die Häufigkeit der kongenitalen CMV-Infektion bei Kindern mit bilateraler Schwerhörigkeit mittels PCR aus der Guthriekarte (Fersenblutstropfen) zu bestimmen. Aus der ORL Patientendatenbank wurden die Familien aller Kinder der Jahrgänge 1995–2009, welche eine Hörgeräteversorgung erhalten haben, selektiert und angeschrieben. Da die ORL-Abteilungen der Universitätskinderklinik und Universitätsspitals Zürich die einzigen Stellen für pädiatrische Hörgeräte-Begutachtungen im Kanton Zürich sind, kann von einer für den Kanton Zürich repräsentativen Zahl an betroffenen Kindern ausgegangen werden. Die Studie wurde durch die Ethik Kommission bewilligt. Einschlusskriterien waren eine durch die Eltern und/oder Kinder (je nach Alter) unterschriebene Einverständniserklärung. Nach Erhalt der Einverständniserklärung wurden die entsprechenden Guthriekarten im Stoffwechsellabor der Universitätskinderklinik Zürich, wo sie zentral über Jahre aufbewahrt werden, herausgesucht. Die DNA Extraktion aus der Guthriekarte und real-time CMV PCR wurden im Infektionslabor der Universitätskinderklinik Zürich wie früher beschrieben [5], [6] durchgeführt.

Resultate

Bei insgesamt 201 angeschriebenen Patienten erhielten wir von 118 Patienten die Einverständniserklärung zur Untersuchung der Guthriekarte. 68 Patienten erteilten kein Einverständnis oder reagierten nicht auf das Schreiben, in 15 Fällen waren die Patienten aufgrund der vorhandenen Daten nicht mehr kontaktierbar.

Im Stoffwechsellabor konnten insgesamt 97 Guthriekarten dieser 118 Kinder ausfindig gemacht werden, davon war in 24 Fällen nur ungenügend Material vorhanden. Von den abschliessend 73 untersuchten Guthriekarten dieser 201 Kinder (36%) konnte CMV DNA in 5 Guthriekarten nachgewiesen werden, in 68 Guthriekarten war keine CMV DNA nachweisbar.

Diskussion

In unserer retrospektiven Analyse konnten bisher bei 5 Kindern mit permanenter bilateraler Schwerhörigkeit Cytomegalievirus-DNA in der Guthriekarte und somit eine kongenitale CMV Infektion nachgewiesen werden. Dies klärt in bisher 3% der Kinder oder in 7% der Kinder, bei welchen die Guthriekarte untersucht werden konnte,

die Ätiologie der Schwerhörigkeit. Aufgrund der Akten ist eine kongenitale CMV Infektion bei 2 dieser 201 schwerhörigen Kinder bekannt. Bei diesen wurde die Guthriekarte aufgrund des fehlenden Einverständnisses nicht untersucht. Auch unter Mitberücksichtigung dieser beiden Fälle liegt die Inzidenz der kongenitalen CMV Infektion mit 9% unter den in der Literatur beschriebenen 15–40% [4], [2], [3].

Die Aussage und der Vergleich unserer Daten mit der Literatur sind limitiert durch die Tatsache, dass bisher nur 36% der Guthriekarten von 201 Patienten mit bilateraler Schwerhörigkeit analysiert werden konnten. Mögliche Erklärungen für die hier beobachtete geringe Inzidenz der kongenitalen CMV Infektion von 7–9% bei bilateraler sensorineuraler Schwerhörigkeit könnte sein, dass es sich um bei Geburt bezüglich kongenitaler CMV Infektion asymptomatische Kinder handelte. In der Tat zeigt die Literaturreview prospektiver Studien bilaterale sensorineurale Schwerhörigkeit in 8–11% der Kinder mit bei Geburt asymptomatischer kongenitaler CMV Infektion, während sie bei symptomatischen Infektion bei 35–40% liegt [7], [8]. Weiter könnte die limitierte Sensitivität der CMV PCR aus der Guthriekarte teilweise über falsch negative PCR Resultate zur falsch tiefen Rate von CMV Infektionen beitragen [9]. Mit erneuten Anstrengungen soll versucht werden, weitere Kinder und ihre Familien zu erreichen und eine Studieneinwilligung zu erhalten, um weitere Guthriekarten zu analysieren und damit die oben genannten Fragen besser beantworten zu können.

Die Studie wurde ermöglicht dank finanzieller Unterstützung durch die Zürcher Stiftung für das Hören.


Literatur

1.
Fowler KB, Dahle AJ, Boppana SB, Pass R. Newborn Hearing screening: will children with hearing loss caused by congenital cytomegalovirus infection be missed? J Pediatr. 1999;135(1):60-4. DOI: 10.1016/S0022-3476(99)70328-8 External link
2.
Morton CC, Nance WE. Newborn hearing screening – a silent revolution. N Engl J Med. 2006;354:2151-64. DOI: 10.1056/NEJMra050700 External link
3.
Grosse SD, Ross DS, Dollard SC. Congenital cytomegalovirus (CMV) infection as a cause of permanent bilateral hearing loss: a quantitive assessment. J Clin Virol. 2008;41(2):57-62. DOI: 10.1016/j.jcv.2007.09.004 External link
4.
Barbi M, Binda S, Caroppo S, Primache V. Neonatal Screening for congenital cytomegalovirus infection and hearing loss. J Clin Virol. 2006;35(2):206-9. DOI: 10.1016/j.jcv.2005.08.010 External link
5.
Berger C, Hug M, Gysin C, Molinari L, Frei M, Bossart W, Nadal D. Distribution patterns of beta- and gamma-herpesviruses within Waldeyer’s ring organs. J Med Virol. 2007;79(8):1147–52. DOI: 10.1002/jmv.20899 External link
6.
Fischer C, Meylan P, Bickle Graz M, Gudinchet F, Vaudaux B, Berger C, Roth-Kleiner M. Severe postnatally acquired cytomegalovirus infection presenting with colitis, pneumonitis and sepsis-like syndrome in an extremely low birthweight infant. Neonatology. 2010;97(4):339-45. DOI: 10.1159/000260137 External link
7.
Dollard SC, Grosse SD, Ross DS. New estimates of the prevalence of neurological and sensory sequelae and mortality associated with congenital cytomegalovirus infection. Rev Med Virol. 2007;17(5):355-63. DOI: 10.1002/rmv.544 External link
8.
Fowler KB, Boppana SB. Congenital cytomegalovirus (CMV) infection and hearing deficit. J Clin Virol. 2006;35(2):226-31. DOI: 10.1016/j.jcv.2005.09.016 External link
9.
Boppana SB, Ross SA, Novak Z, Shimamura M, Tolan RW Jr, Palmer AL, Ahmed A, Michaels MG, Sanches PJ, Bernstein DI, Britt WJ, Fowler KB. Dried Blood Spot Real-time Polymerase Chain Reaction Assays to Screen Newborns for Congenital Cytomegalovirus Infection. JAMA. 2010;303(14):1375-82. DOI: 10.1001/jama.2010.423 External link