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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Validierung des Singing Voice Handicap Index (SVHI) in der deutschen Fassung

Vortrag

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  • author presenting/speaker Anne Lorenz - Eberhard-Karls-Universität Tübingen, Medizinische Fakultät, Tübingen, Deutschland
  • corresponding author Tadeus Nawka - Klinik für Audiologie und Phoniatrie, Charité – Universitätsmedizin Berlin, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV34

doi: 10.3205/11dgpp46, urn:nbn:de:0183-11dgpp466

Published: August 18, 2011

© 2011 Lorenz et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Die Selbsteinschätzung durch den Patienten ist ein wichtiger Bestandteil der Diagnostik von Stimmstörungen. Sie zeigt die physischen, psychischen und sozialen Auswirkungen einer Stimmstörung. Der Singing Voice Handicap Index (SVHI) wurde zur Selbstbeurteilung einer Stimmstörung für Sänger in den USA entwickelt. Weiterhin existiert eine valide spanische Fassung des SVHI. Eine deutsche Übersetzung wurde erstellt und einer Reliabilitäts- und Validitätsprüfung unterzogen.

Material und Methoden: Eine siebenköpfige Expertengruppe erstellte die deutsche Übersetzung des SVHI. Es wurden 54 Sänger (35 weiblich, 19 männlich), Patienten einer phoniatrischen Klinik, befragt. Außerdem wurde eine Kontrollgruppe gesunder Sänger, 130 Opern- und Rundfunkchorsänger (74 weiblich, 56 männlich), befragt. Die Befragung fand im Test-Retest-Verfahren statt.

Ergebnisse: Die Reliabilität ergibt sich aus einer hochsignifikanten Test-Retest-Reliabilität (r=0,885, p≤0,001, Pearson-Korrelation) und einem hohen Cronbachs Alpha (α=0,975). Eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation und die Ergebnisse des Screeplots legen die Interpretation des SVHI als einfaktorielle Skala nahe. Die Validität zeigt sich in einem hochsignifikanten Zusammenhang zwischen dem vom Patienten selbst eingeschätzten Schweregrad der Stimmstörung und dem SVHI-Gesamtscore. Weiterhin ergibt ein t-Test für unabhängige Stichproben, dass die Patienten einen signifikant höheren SVHI-Gesamtscore als die Kontrollgruppe gesunder Sänger haben.

Diskussion: Die Überprüfung der psychometrischen Eigenschaften der deutschen Fassung des SVHI bestätigen die Eigenschaften der amerikanischen Originalversion des SVHI. Der SVHI ist als diagnostisches Instrument für den deutschsprachigen Raum geeignet.


Text

Hintergrund

Im Basisprotokoll der European Laryngological Society (ELS) sind die Dimensionen der Stimmdiagnostik die auditive Fremdbeurteilung des Stimmklanges, Videolaryngoskopie, aerodynamische Messungen, akustische Analysen und die Selbstbeurteilung des Patienten [1]. In der Selbstbeurteilung zeigen sich die physischen, psychischen und sozialen Auswirkungen einer Stimmstörung. Für die hochspezialisierte Gruppe von Sängern hat sich der Voice Handicap Index (VHI) als nicht hinreichend geeignetes Selbstbeurteilungsinstrument erwiesen [2]. Daher haben Cohen et al. (2007) für die Selbstbeurteilung von Stimmstörungen bei Sängern den Singing Voice Handicap Index (SVHI) für den angloamerikanischen Sprachraum entwickelt [2]. Da bislang für den deutschen Sprachraum keine deutsche Fassung des SVHI existierte wurde eine deutsche Übersetzung des SVHI erstellt und diese einer Reliabilitäts- und Validitätsprüfung unterzogen.

Material und Methoden

Die Übersetzung des amerikanischen Originals des SVHI ins Deutsche erfolgte durch sieben unabhängig voneinander urteilende Experten. Eine vorläufige deutsche Konsensfassung wurde von einem Muttersprachler ins Englische rückübersetzt. Inhaltliche und stilistische Unterschiede zwischen der englischen Rückübersetzung und der amerikanischen Originalversion wurden korrigiert und von der Expertengruppe als Konsensfassung akzeptiert (Tabelle 1 [Tab. 1]).

Zusätzlich zu den 36 Items wurden Geschlecht, Alter, Diagnose, Einkommen durch das Singen, Gesangsstil, Gesangsausbildung, Stimmgattung und Sängerstatus erfragt. Die Selbsteinschätzung der Störung der Singstimme, die ebenfalls mit dem Fragebogen erfasst wurde, erfolgte auf einer vierstufigen Skala, von 0 – ‚keine Störung’, über 1 – ‚leicht gestört’, 2 – ‚mittelgradig gestört’ bis 3 – ‚hochgradig gestört’.

Es wurden 54 Sänger (35 weiblich, 19 männlich), Patienten einer phoniatrischen Klinik, befragt. Außerdem wurde eine Kontrollgruppe gesunder Sänger, 130 Opern- und Rundfunkchorsänger (74 weiblich, 56 männlich), befragt. Die Befragung fand im Test-Retest-Verfahren statt.

Ergebnisse

Das Alter der Patientengruppe betrug 35,1±13,8 Jahre. Bezüglich der gesangsspezifischen Merkmale Einkommen durch das Singen, Gesangsstil, Gesangsausbildung, Stimmgattung und Sängerstatus war die Patientengruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe heterogen. In der befragten Patientengruppe wurden die für stimmintensive Berufe typischen Erkrankungen der Lamina propria am häufigsten diagnostiziert, gefolgt von funktionellen Dysphonien und hiernach entzündlichen Erkrankungen des Kehlkopfes. Patienten mit dysplastischen Dysphonien, Ansatzrohrveränderungen und Stimmlippenlähmungen waren am geringsten vertreten.

Das Alter der Kontrollgruppe betrug 44,8±8,0 Jahre. Hinsichtlich der gesangsspezifischen Merkmale war für die gesamte Kontrollgruppe Singen die Haupteinkommensquelle, der Gesangsstil war mehrheitlich klassisch und bis auf wenige Ausnahmen hatten die Sänger ein Gesangsstudium absolviert.

Die Überprüfung der psychometrischen Eigenschaften der deutschen Fassung des SVHI bestätigte die Eigenschaften der amerikanischen Originalversion. Die Reliabilität ergibt sich aus einer hochsignifikanten Test-Retest-Reliabilität (r=0,885, p≤0,001, Pearson-Korrelation) und einer hohen internen Konsistenz (Cronbachs Alpha=0,975). Eine Hauptkomponentenanalyse mit Varimaxrotation und die Ergebnisse des Screeplots legen die Interpretation des SVHI als einfaktorielle Skala nahe.

Die Validität zeigt sich in einem hochsignifikanten Zusammenhang zwischen dem vom Patienten selbst eingeschätzten Schweregrad der Stimmstörung und dem SVHI-Gesamtscore. Weiterhin ergibt ein t-Test für unabhängige Stichproben, dass die Patienten einen signifikant höheren SVHI-Gesamtscore als die Kontrollgruppe gesunder Sänger haben.

Diskussion

Die Selbstbeurteilung des Patienten ist neben apparativen Verfahren und der auditiven Fremdeinschätzung durch den Untersucher ein wichtiger Teil der phoniatrischen Diagnostik [1]. Im Sinne des biopsychosozialen Krankheitsverständnisses leistet der SVHI als Selbstbeurteilungsinstrument einen Beitrag zur Erfassung der physischen, psychischen und sozialen Auswirkungen einer Stimmstörung bei Sängern. Die vorliegende Untersuchung hat gezeigt, dass die deutsche Fassung des SVHI ein valides Selbstbeurteilungsinstrument für Sänger mit unterschiedlichen Erkrankungen der Stimme, Gesangsstilen und Professionalitäten darstellt. Demnach empfiehlt sich die Anwendung der deutschen Fassung des SVHI als diagnostisches Selbstbeurteilungsinstrument bei Sängern mit Stimmstörungen.

Gegenstand weiterführender Untersuchungen könnte die Frage sein, ob sich der SVHI in der deutschen Fassung als Instrument zur Verlaufsdiagnostik unterschiedlicher stimmtherapeutischer Methoden eignet. Weiterhin könnte bei Patienten unterschiedlicher Gesangsstile, Sängerstatus und stimmpathologischer Diagnosen untersucht werden, ob und in welchem Maße Faktoren, wie Alter (z.B. höheres Alter), Art der Stimmstörung (z.B. Stimmlippenpolypen) und Sängerstatus (z.B. Gesangslehrer) die Ergebnisse des SVHI beeinflussen.


Literatur

1.
Dejonckere PH, Bradley P, Clemente P, Cornut G, Crevier-Buchman L, Friedrich G, Van De Heyning P, Remacle M, Woisard V. A basic protocol for functional assessment of voice pathology, especially for investigating the efficacy of (phonosurgical) treatments and evaluating new assessment techniques. Eur Arch Otorhinolaryngol. 2001;258(2):77-82. DOI: 10.1007/s004050000299 External link
2.
Cohen SM, Jacobson BH, Garrett CG, Noordzij JP, Stewart MG, Attia A, Ossoff RH, Cleveland TF. Creation and validation of the Singing Voice Handicap Index. Ann Otol Rhinol Laryngol. 2007;116(6):402-6.