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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

Untersuchung zur Häufigkeit von Beschwerden professioneller Sängern vor stimmlichen Belastungsphasen

Vortrag

  • author presenting/speaker Philipp Mathmann - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum, Münster, Deutschland
  • corresponding author Dirk Deuster - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum, Münster, Deutschland
  • author Peter Matulat - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum, Münster, Deutschland
  • author Antoinette am Zehnhoff-Dinnesen - Klinik für Phoniatrie und Pädaudiologie, Universitätsklinikum, Münster, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppV18

doi: 10.3205/11dgpp27, urn:nbn:de:0183-11dgpp273

Published: August 18, 2011

© 2011 Mathmann et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Professionelle Sänger stellen sich häufig erst bei akuten Beschwerden vor Auftritten bzw. stimmlichen Belastungsphasen ärztlich vor. Um zu verhindern, dass diese Beschwerden überhaupt erst entstehen, wäre ein vorsorgliches Betreuungsregime notwendig. Diese Untersuchung hatte das Ziel, die häufigsten Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen deskriptiv zu erfassen.

Material und Methoden: Auf der Grundlage einer Pilotstudie, bei der 20 Sänger einen aus eigenen klinischen Erfahrungen und denen anderer Studien erstellten Fragenkatalog beantworteten und bewerteten, wurde ein Online-Fragebogen auf Basis der open source Software LimeSurvey entwickelt. Neben allgemeinen Angaben zu Alter und Geschlecht beinhaltet er Fragen zum Stimmfach, zur beruflichen Situation sowie zu bestimmten Krankheitsbildern und Beschwerden.

Ergebnisse: Bisher nahmen 157 Sängerinnen und 91 Sänger an der Umfrage teil. 64,5% gaben an, regelmäßig Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen zu haben. Am häufigsten betrafen sie Baritone (50% mit Beschwerden) und am seltensten Sopranistinnen (28,3%), bezogen auf den beruflichen Schwerpunkt am häufigsten Chorsänger (45,1%), gefolgt von solistisch (37,4%) und lehrend (27,3) tätigen Sängern. Die fünf häufigsten Beschwerden waren: 32,3% muskuläre Verspannungen, 23,8% Rücken-/Nackenschmerzen, 21,4% Magen-Darm-Beschwerden, 11,2% psychische/vegetative Beschwerden und 8,1% Heiserkeit (Mehrfachnennungen möglich).

Diskussion: Fast 2/3 der teilnehmenden Sänger gaben an, regelmäßig Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen zu haben. Stimmliche Probleme im engeren Sinne waren deutlich unterrepräsentiert, es dominierten muskuläre und psychovegetative Symptome. Es wäre daher sinnvoll, Sängern sowohl in der Ausbildung als auch unter der späteren Berufstätigkeit Programme anzubieten, die entsprechenden Beschwerden vorbeugen können.


Text

Hintergrund

Durch steigende Anforderungen und einen hohen beruflichen Druck kann bei Sprechberuflern, professionellen Sängerinnen und Sängern immer häufiger ein dysfunktionaler Einsatz der Stimme und dadurch ein Überschreiten der individuellen Belastbarkeitsgrenzen beobachtet werden. Dies kann zu Einschränkungen in den Möglichkeiten der Berufsausübung führen. Im Rahmen der Sprechstunden für künstlerische Stimmberufe zeigt sich, dass sich professionelle Sängerinnen und Sänger häufig erst bei akuten Beschwerden kurz vor Auftritten bzw. stimmlichen Belastungsphasen ärztlich vorstellen. Dabei fällt auf, dass die dominierenden Probleme dieses Patientenklientels ausgesprochen heterogen sind.

Ziele dieser Untersuchungen sind, die allgemeinen und beruflichen Lebensumstände, Informationen zum Stimmfach und zu stimmfunktionellen Defiziten, psychische und physische Aspekte, Noxen, Gesundheits- und Krankheitsverhalten einschließlich der Selbstmedikation quantitativ und qualitativ zu beschreiben und in Korrelation zu setzen. Hierfür wurden zunächst als Bestanderhebung die häufigsten Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen und Beschwerden, die dem künstlerischen Werdegang der Sängerinnen und Sänger immer wieder Probleme bereiten, deskriptiv erfasst.

Methode

Für die prospektive Studie wurde zunächst ein den Zielsetzungen der Arbeit unter statistischen Gesichtspunkten angemessenes Instrument (Fragebogen) entwickelt und etabliert. Dies erfolgte auf der Basis verschiedener bereits veröffentlichter Fragebögen (z.B. Fragebogen zur Selbstmedikation von James DH & French DP [1]) sowie selbst entwickelter sängerspezifischer Fragen. Nach einer interdisziplinären Evaluation wurde der Fragebogen in einer ersten Pilotstudie getestet. Im Rahmen eines semi-strukturierten Interviews mit den teilnehmenden Sängerinnen und Sängern (n=20) wurde der Fragebogen mehrfach überarbeitet, um ihn den spezifischen Bedürfnissen und gesundheitlichen Problemen des Probandenkollektivs optimal anzupassen. Der Fragebogen umfasst 385 Fragen und wurde in seiner Endversion als Online-Tool auf Basis der open source Software LimeSurvey etabliert.

Probanden-Einschlusskriterium war, dass es sich bei den Probanden um professionelle Sängerinnen und Sänger handelt. Ein professioneller Sänger ist im Sinne der Untersuchung definiert als eine Person, die ein Studium mit dem Hauptfach Gesang abgeschlossen hat oder sich darin befindet und hauptberuflich als Sängerin/Sänger bzw. Gesangspädagogin/Gesangspädagoge tätig ist. Ausschlusskriterium war dabei aber das Hauptfach Gesang im Rahmen eines Lehramtsstudiums.

Der Fragebogen wurde online beantwortet. Im Vergleich zu einer Papierfassung bot diese EDV-basierte Lösung den Vorteil, dass zwischen einzelnen Fragen logische Verknüpfungen möglich waren. Durch einen individuellen 15-stelligen Zugangscode konnte die absolute Anonymität des Teilnehmers gewährleistet werden, welche in dieser Studie aufgrund der teilweise sehr persönlichen Fragen (z.B. zum Alkoholkonsum) notwendig war.

Ergebnisse

Bisher nahmen 157 Sängerinnen und 91 Sänger (gesamt n=248) an der Umfrage teil. 64,5% gaben an, regelmäßig Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen zu haben. Am häufigsten betrafen sie Baritone (50% mit Beschwerden) und am seltensten Sopranistinnen (28,3%), bezogen auf den beruflichen Schwerpunkt waren am häufigsten Chorsänger (45,1%) von gesundheitlichen Problemen mit Bezug zu einer sängerischen Einschränkung betroffen. Diese wurden gefolgt von solistisch (37,4%) und lehrend (27,3) tätigen Sängern. Die fünf häufigsten Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen waren: 32,3% muskuläre Verspannungen, 23,8% Rücken-/Nackenschmerzen, 21,4% Magen-Darm-Beschwerden, 11,2% psychische/ vegetative Beschwerden und 8,1% Heiserkeit (Mehrfachnennungen möglich).

56,5% der Sängerinnen und Sänger gaben an, Beschwerden zu haben, die im künstlerischen Werdegang immer wieder Probleme bereiten. Die fünf häufigsten waren 19,4% muskuläre Verspannungen, 19,0% Rücken-/Nackenschmerzen, 14,9% Schnupfen, 14,5% Heiserkeit und 8,9% Magen-Darm-Beschwerden (Mehrfachnennungen möglich).

Diskussion

Fast 2/3 der teilnehmenden Sänger gaben an, regelmäßig Beschwerden vor stimmlichen Belastungsphasen zu haben. Stimmliche Probleme im engeren Sinne waren deutlich unterrepräsentiert, es dominierten muskuläre und psychovegetative Symptome. Ebenso dominierten die muskulären Symptome bei den wiederkehrenden, den künstlerischen Werdegang begleitenden Beschwerden, wobei hier die psychovegetative Symptome eine geringere und Rhinitiden eine größere Rolle spielen.

Diese bisherigen Ergebnisse zeigen, dass es sinnvoll sein könnte, Sängern sowohl in der Ausbildung als auch unter der späteren Berufstätigkeit präventive Programme anzubieten, die entsprechenden Beschwerden vorbeugen.


Literatur

1.
James DH, French DP. The development of the Self-Medicating Scale (SMS): a scale to measure people's beliefs about self-medication. Pharm World Sci. 2008;30(6):794-800. DOI: 10.1007/s11096-008-9227-2 External link