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28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
2. Dreiländertagung D-A-CH

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie e. V.
Schweizerische Gesellschaft für Phoniatrie; Sektion Phoniatrie der Österreichischen Gesellschaft für HNO-Heilkunde, Kopf- und Halschirurgie

09.09. - 11.09.2011, Zürich, Schweiz

EEG-Korrelate des Satzverstehens im Deutschen bei Kindergartenkindern

Poster

Deutsche Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie. 28. Wissenschaftliche Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Phoniatrie und Pädaudiologie (DGPP), 2. Dreiländertagung D-A-CH. Zürich, 09.-11.09.2011. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2011. Doc11dgppP01

doi: 10.3205/11dgpp06, urn:nbn:de:0183-11dgpp063

Published: August 18, 2011

© 2011 Auberlen et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Ein EEG-Korrelat des Erkennens morpho-syntaktischer Fehler ist die ELAN-Komponente, eine frühe linksfrontale Negativierung. Fragestellung: Ist die Ausprägung der ELAN bei Kindergartenkindern mit dem Satzverstehen korreliert?

Material und Methoden: Studienkollektiv: 69 Kinder, mittl. Alter: 55,6 (SD 10,2) Mon., 75% mehrsprachig. Methode: Korrekte und inkorrekte Sätze, unter standardisierten Bedingungen per Raumlautsprecher präsentiert; 32-Kanal-EEG-Ableitung. Satzverstehen erfasst per SETK 3-5 (Subtest SV), sowie auditive Gedächtnisspanne (GS) als Kontrollvariable per WET-Subtest „Zahlen Merken“.

Ergebnisse: Inkorrekte Sätze lösten frühe (270–390 ms, ELAN1; Elektrode F7) und späte (500–1.000 ms, ELAN2; AFz) ELAN-Teilkomponenten aus. Eine negative Korrelation von SV und ELAN (deutlichere Negativität bei besserem SV) war nicht nachweisbar (ELAN1: r=–.15; p=.22; ELAN2: r=–.12; p=.32). Für GS bestand ein positiver Zusammenhang zur ELAN1 (r=.24; p=.053), nicht aber zur ELAN2 (r=.18; p=.14). Nach Auspartialisierung des relativ sprachunspezifischen GS-Parameters verstärkten sich die Zusammenhänge von SV und ELAN1 (r=–.22; p=.07) sowie von SV und ELAN2 (r=–.19; p=.13). Da das Alter signifikant mit GS korrelierte (r=.31; p=.012), wurden Korrelationen zwischen ELAN und SV getrennt für jüngere Kinder (n=35; ≤55 Mon.) und ältere Kinder (n=34; >55 Mon.) berechnet. Nur für ältere Kinder zeigten sich signifikante GS-korrigierte Zusammenhänge von SV und ELAN1 (r=–.34; p=.05) sowie ELAN2 (r=–.37; p=.03). Monolingual-deutschsprachige Kinder erzielten signifikant höhere SV-Werte als mehrsprachige Kinder (11,9 vs 7,3; t[66]=3,6; p=.001); in der GS bestand kein Unterschied (p=.66). Dieser sprachspezifische Leistungsvorteil (grammatikalische Kompetenz) ging mit signifikant höheren ELAN1- (t[66]=2,1; p=.04) und ELAN2-Komponenten (t[66]=2,2; p=.03) einher.

Diskussion: Für Kinder ab ca. 4;8 Jahren liefert die ELAN-Komponente einen spezifischen neurophysiologischen Index der rezeptiven Sprachentwicklung.


Text

Einleitung und Hintergrund

Ein EEG-Korrelat des Erkennens morphologischer oder syntaktischer Fehler ist die ELAN-Komponente (Early Left Anterior Negativity), eine frühe linksfrontale Negativierung, die bei Erwachsenen im Falle von Phrasenstrukturverletzungen typischerweise in einem Zeitfenster von 150–250 ms auftritt [1]. Oberecker et al. [2] konnten bei Kindern bereits im Alter von zwei Jahren eine „Left Anterior Negativity“ als Reaktion auf Syntaxfehler in Aktivsätzen der Muttersprache (L1) feststellen, welche sie als Vorläufer der ELAN interpretierten. Ca. ab sieben Jahren kann bei Kindern eine ELAN auch bei Syntaxfehlern in Passivsätzen beobachtet werden [3], was darauf hinweist, dass Fortschritte in der Sprachentwicklung einen Einfluss auf diese EEG-Komponente haben. Fragestellung: (1) Findet sich bei Kindergartenkindern (mehrheitlich L1- u. L2-Lerner im natürlichen Lebenskontext), die bezüglich ihrer Deutschkenntnisse variieren, eine ELAN als Reaktion auf syntaktische Inkongruenzen in Aktivsätzen? (2) Ist die Ausprägung der ELAN mit dem testpsychologisch gemessenen Satzverstehen korreliert?

Studienkollektiv

Das Studienkollektiv bestand aus 69 Kindern, 36 Jungen und 33 Mädchen zwischen drei und sechs Jahren. Das mittlere Alter betrug 55,6 Monate (SD 10,2). 75% der Kinder wuchsen mehrsprachig auf. Alle Kinder besuchten eine deutsche Kindertagesstätte in Frankfurt/M, wo die Erhebungen auch durchgeführt wurden.

Material und Methode

EEG-Experiment

Die Stimuli waren 160 Aktivsätze: 64 syntaktisch korrekte, 64 syntaktisch inkorrekte, 32 Füllsätze. Die inkorrekte Syntax wurde durch eine Verletzung der Phrasenstruktur (auf Prädikat folgt ein Verb; z.B. Das Kind im spielt.) hervorgerufen. Die Sätze entsprachen dem von Oberecker et al. [2] eingesetzten Material. Sie waren unter standardisierten Bedingungen aufgezeichnet worden und wurden in randomisierter Reihenfolge präsentiert. Das Interstimulusintervall zwischen den Sätzen variierte zufällig zwischen 2,5 und 4 Sekunden. Unter EEG-Ableitung wurden den Kindern die Sätze per Raumlautsprecher mit einer Lautstärke von 65 dB präsentiert, während sie auf einem Fernseher einen Film ohne Ton sahen. Das EEG wurde von 32 Standard-Kanälen abgeleitet, zzgl. horizontalem und vertikalem Elektro-Okulogramm. Referenz war der linken Mastoid, zur Erdung diente PO9. Die Sampling Rate betrug 500 Hz, der Verstärkungsfaktor 750.000. Es wurde ein Bandpass- (0,1–70 Hz) sowie ein 50 Hz-Filter eingesetzt. Die Offline-Segmentierung erfolgte in (–100, 1.000 ms) Zeitfenstern relativ zum Verb-Onset. Anschließend wurden die Daten erneut Bandpass-gefiltert (0,1–20 Hz). Nach Korrektur der Baseline (–100, 0 ms) und der Augenartefakte erfolgt eine Artefakt-Kontrolle (±150 µV). Die verbleibenden Segmente (mind. 60% pro Kind und Bedingung) wurden dann getrennt für korrekte und inkorrekte Sätze gemittelt und re-referenziert (gemittelte rechte/linke Mastoide). Anhand visueller Inspektion wurden die Zeitfenster 270–390 ms und 500–1.000 ms ausgewählt und hierfür die mittlere Aktivität berechnet. Frühe und späte ELAN wurden als Differenz der mittleren Aktivität für inkorrekte minus korrekte Sätze in den gewählten Zeitfenstern bestimmt.

Entwicklungstests

Satzverstehen (SV) wurde mit dem gleichnamigen SETK 3-5-Subtest erfasst. Die auditive Gedächtnisspanne (GS) mit dem WET-Subtest „Zahlen Merken“ als Kontrollvariable). Die Rohwerte aus SV und GS wurden mit der Ausprägung der ELAN korreliert.

Ergebnisse

Inkorrekte Sätze lösten frühe (270–390 ms, ELAN1; Elektrode F7) und späte (500–1.000 ms, ELAN2; AFz) ELAN-Teilkomponenten aus (s. Abbildung 1 [Abb. 1]). Entgegen den Annahmen bestand keine negative Korrelation von SV und ELAN (ELAN1: r=–.15; p=.22; ELAN2: r=–.12; p=.32), d.h. eine deutlichere Negativität bei höheren Werten im SV war nicht nachweisbar. Für die GS bestand ein positiver Zusammenhang zur ELAN1 (r=.24; p=.053), nicht aber zur ELAN2 (r=–.18; p=.14), höhere Werte gingen mit einer geringeren ELAN einher. Nach Auspartialisierung des relativ sprachunspezifischen GS-Parameters verstärkten sich die Zusammenhänge von SV mit ELAN1 (r=–.22; p=.07) sowie mit ELAN2 (r=–.19; p=.13). Da das Alter signifikant mit der GS korrelierte (r=.31; p=.012), wurden Korrelationen zwischen ELAN und SV getrennt für jüngere (n=35; ≤55 Mon.) und ältere Kinder (n=34; >55 Mon.) berechnet. Dabei unterschied sich der Anteil mehrsprachig aufwachsender Kinder zwischen den Altersgruppen nicht (Χ²[2]=.99; p=.61). Nur für ältere Kinder zeigten sich signifikante GS-korrigierte Zusammenhänge von SV und ELAN1 (r=–.34; p=.05) sowie ELAN2 (r=–.37; p=.03). Monolingual-deutschsprachige Kinder erzielten signifikant höhere Testleistungen im SV als mehrsprachige Kinder (11,9 vs 7,3; t[66]=3,6; p=.001); in der GS bestand kein Unterschied (p=.66). Dieser sprachspezifische Leistungsvorteil (grammatikalische Kompetenz) ging mit signifikant höheren ELAN1- (t[66]=2,1; p=.04) und ELAN2-Komponenten (t[66]=2,2; p=.03) einher.

Diskussion

Dieser Beitrag legt einen Baustein zur neurobiologischen Basierung der Sprache auf Entwicklungshintergrund vor. Es konnte gezeigt werden, dass für Kinder ab einem Alter von ca. 4;8 Jahren die ELAN-Komponente einen spezifischen neurophysiologischen Index der rezeptiven Sprachentwicklung liefert – und zwar auch für mehrsprachig aufwachsende Kinder. Ojima et al. [4] untersuchten in einer Langzeitstudie an Grundschulkindern die Verarbeitung semantischer Inkongruenzen in der Zweitsprache (L2) und stellten fest, dass sich Lernfortschritte im EEG durch das sukzessive Auftreten bestimmter sprachbezogener EEG-Komponenten widerspiegelten. Nichtsdestotrotz gilt es zu berücksichtigen, dass die Verarbeitung der Syntax eines funktionierenden Arbeitsgedächtnisses bedarf.


Literatur

1.
Friederici AD, Kotz SA. The brain basis of syntactic processes: functional imaging and lesion studies. Neuroimage. 2003;20 Suppl 1:S8-17. DOI: doi:10.1016/j.neuroimage.2003.09.003 External link
2.
Oberecker R, Friedrich M, Friederici AD. Neural correlates of syntactic processing in two-year-olds. J Cogn Neurosci. 2005;17(10):1667-78. DOI: 10.1162/089892905774597236 External link
3.
Hahne A, Eckstein K, Friederici AD. Brain signatures of syntactic and semantic processes during children's language development. J Cogn Neurosci. 2004;16(7):1302-18. DOI: 10.1162/0898929041920504 External link
4.
Ojima S, Nakamura N, Matsuba-Kurita H, Hoshino T, Hagiwara H. Neural correlates of foreign-language learning in childhood: a 3-year longitudinal ERP study. J Cogn Neurosci. 2011;23(1):183-99. DOI: 10.1162/jocn.2010.21425 External link