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Durchführbarkeit eines niedrigschwelligen Massen-Hörscreenings bei Menschen mit geistiger Behinderung*
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Published: | March 1, 2023 |
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Hintergrund: Menschen mit geistiger Behinderung (gB) leiden vermehrt an Hörstörungen; diese werden zudem seltener erkannt und versorgt als in der Allgemeinbevölkerung [1]. Im Rahmen des vom Gemeinsamen Bundesausschusses geförderten Projekts HörGeist* erhalten 1.050 Menschen mit gB in ihrem unmittelbaren Lebensumfeld (z.B. Werkstätten, Wohneinrichtungen, Kitas, Schulen) ein Hörscreening und bei vorliegender Hörstörung eine anschließende Bestätigungsdiagnostik und nötigenfalls eine Therapieeinleitung bzw. -kontrolle einer bereits laufenden Therapie. Ein Jahr später folgt eine wiederholte Hörtestung mit Prüfung des bisherigen Therapieoutcomes [2]. Im Projekt wird mit einem Portfolio audiometrischer Methoden gescreent, von denen bei einer deutschlandweiten Implementierung nur die individuell benötigten eingesetzt werden sollen. Dieser Beitrag untersucht methodenabhängig den Anteil der Teilnehmer*innen, bei denen eine Messung jeweils mit verwertbarem Ergebnis durchführbar war.
Material und Methoden: Das Screening-Portfolio beinhaltet (1) eine (ggf. ärztlich beurteilte) Videootoskopie, (2) die Messung transitorisch evozierter otoakustischer Emissionen (TEOAE) und von Distorsionsprodukten otoakustischer Emissionen (DPOAE), (3) eine tympanometrische Impedanzmessung und (4) eine Luftleitungs-Reintonaudiometrie (konventionell oder adaptiv mittels Multiple-Choice Auditory Graphic Interactive Check – MAGIC), (2)-(4) durchgeführt mit dem Handheld-Audiometer Sentiero Advanced® (PATH MEDICAL).
Ergebnisse: Grundlage bilden die Daten des Screenings aus dem ersten Jahr von HörGeist, bei denen im Handheld-Audiometer eine Messung hinterlegt wurde. Unter den Teilnehmer*innen waren ohne Messabbruch in 97,8% der Fälle DPOAE in mindestens 3 von 5 Frequenzen durchführbar, bei 92,5% ließen sich TEOAE ableiten, bei 91,6% der Fälle war eine Tonaudiometrie in mindestens 4 von 7 Frequenzen pro Ohr realisierbar, bei den meisten zudem eine Impedanzmessung.
Diskussion: Waren TEOAE-Messungen durchführbar, d.h. wurde einmal eine Ohrsonde akzeptiert, so waren in 82% der Fälle auch DPOAE durchführbar (TEOAE- und DPOAE-Messungen wurden dabei wohl als nur eine Messung wahrgenommen). Dies bestätigt eine frühere Studie, bei der Schüler*innen mit gB OAE in 76% der Fälle vollständig abgeleitet werden konnten [3]. Die Tonaudiometrie erfordert eine aktive Mitarbeit, die nur in 8,4% der Fälle nicht ausreichend realisiert werden konnte.
Fazit: Bei einem Großteil der Menschen mit gB waren alle audiometrischen Messungen (2)-(4) vollständig durchführbar. Am häufigsten waren es die Messung der DPOAE, gefolgt von TEOAE und Tonaudiometrie. Ein Massen-Hörscreening im Lebensumfeld von Menschen mit gB erscheint damit bei guten Umgebungsbedingungen durchführbar. *Förderung durch den G-BA Innovationsfonds Neue Versorgungsformen; Förderkennzeichen 01NVF18038.
Literatur
- 1.
- Hild U, Hey C, Baumann U, Montgomery J, Euler HA, Neumann K. High prevalence of hearing disorders at the Special Olympics indicate need to screen persons with intellectual disability. J Intellect Disabil Res. 2008 Jun;52(Pt 6):520-8. doi: 10.1111/j.1365-2788.2008.01059.x
- 2.
- Schwarze K, Mathmann P, Schäfer K, Brannath W, Höhne PH, Altin S, Prein L, Naghipour A, Zielonkowski S, Wasmuth S, Kanaan O, Scharpenberg M, Schlierenkamp S, Stuhrmann N, Lang-Roth R, Demir M, Diekmann S, Neumann A, Gietmann C, Neumann K. Feasibility and benefits of a low-threshold hearing screening programme (HörGeist) for individuals with intellectual disabilities: study protocol for a screening study [Manuscript submitted to BMJ open].
- 3.
- Hey C, Fessler S, Hafner N, Lange BP, Euler HA, Neumann K. High prevalence of hearing loss at the special olympics: is this representative of people with intellectual disability? J Appl Res Intellect Disabil. 2014 Mar;27(2):125–33. DOI: 10.1111/jar.12057