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56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

15. - 17.09.2022, Greifswald

Prävention in der Hausarztpraxis: welche Ansatzpunkte bieten sich aus Sicht von Praxispersonal und Menschen mit chronischen Erkrankungen?

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Michael Grimm - Stiftung Gesundheitswissen, Deutschland
  • Michael Wurm - Stiftung Gesundheitswissen, Deutschland
  • Meike Gerber - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Marjan van den Akker - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Allgemeinmedizin, Frankfurt am Main, Deutschland
  • Günther Egidi - Hausarztpraxis Mittelshuchting, Deutschland
  • Markus Seelig - Stiftung Gesundheitswissen, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Greifswald, 15.-17.09.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocSYM-03-01

doi: 10.3205/22degam255, urn:nbn:de:0183-22degam2552

Published: September 15, 2022

© 2022 Grimm et al.
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Outline

Text

Namen der Moderierenden sowie der Vortragenden:

Moderation

Günther Egidi, Markus Seelig

Vortragende

Michael Wurm, Meike Gerber, Michael Grimm, Marjan van den Akker

Einzelbeiträge

Perspektive 1: Ansatzpunkte aus Sicht von Praxispersonal

Erfahrungen und Unterstützungsbedarfe beim Einsatz von Informationsmaterialien als Mittel für Prävention: Erkenntnisse aus einer qualitativen und quantitativen Befragung von Hausärzt:innen

Michael Wurm

Gesundheitsinformationen können einen wichtigen Beitrag zur patientenzentrierten Prävention leisten. Für einen souveränen Umgang mit Gesundheitsinformationen sind bei Patient:innen und Hausärzt:innen Gesundheits- und Vermittlungskompetenzen auf unterschiedlichen Ebenen wichtig. Wir untersuchen daher, welche Themen, Materialien und Orte in der Praxis aus Sicht von Hausärzt:innen besonders geeignet sind, um Patient:innen zu informieren. Aufbauend auf eine qualitative Vorstudie (N=15) schließt sich aktuell eine Repräsentativbefragung (N=400) mit Hausärzt:innen zu Themen, Formaten, Gestaltung und Verlässlichkeit von Informationsmaterialien sowie Veränderungen der Informationsbedarfe in der SARS-CoV-19-Pandemie an. Die Erhebung wird bis Ende Juli abgeschlossen, die Ergebnisse können auf dem Kongress präsentiert werden.

Die Vorstudie zeigt, dass Patient:innen Hausarztpraxen u.a. mit Fragen zu Modethemen als auch fehlerhaften Selbstdiagnosen aufsuchen. Aufklärende, korrigierende Gespräche sind wichtig, aber zeitaufwändig. Informationen über Flyer, Broschüren, Filme oder Verweise auf Webseiten werden als hilfreich eingeschätzt. Als besonders sinnvoll werden schnell erfassbare Plakate mit Schaubildern im Empfangsbereich beurteilt.

Patient:innen haben einerseits einen hohen Bedarf an Gesundheitswissen. Andererseits ist es aufwändig, sie im Praxisalltag mit den entsprechenden Informationen zu versorgen. Insbesondere die Auswahl und Überprüfung von Informationsmaterialien nehmen viel Zeit in Anspruch und sollten durch geeignete Maßnahmen unterstützt werden.

Ansatzpunkte für Prävention und Gesundheitsförderung in der Hausarztpraxis aus Sicht des Praxispersonals – Erkenntnisse aus qualitativen Interviews im Rahmen der GeHa-Studie

Meike Gerber

Die Hausarztpraxis ist ein wichtiger Ort für Gesundheitsförderung und Prävention, weil dort verschiedene Bevölkerungsgruppen erreicht werden können. Um Ansatzpunkte für Präventionsmaßnahmen in der Hausarztpraxis abzuleiten, haben wir untersucht, wie Gesundheitsförderung und Prävention derzeit in Praxen umgesetzt werden und welche Bedarfe Praxisteams sehen. Dafür führten wir telefonische Leitfadeninterviews mit 14 Hausärzt:innen (HÄ) und 7 Medizinischen Fachangestellten (MFA), die mithilfe thematischer Analyse ausgewertet wurden.

Einige der Teilnehmenden gaben an, alltagspraktische, niedrigschwellige Gesundheitsinformationen für Patient:innen als sinnvolle Unterstützung zu empfinden. Einige HÄ und MFA wünschten sich zudem einen zugänglichen Überblick über bestehende Angebote. Hinsichtlich der Kommunikationsebene betonten HÄ und MFA die Bedeutung einer vertrauensvollen Grundatmosphäre und wertschätzenden Kommunikation. Auch Programme, die Struktur und Verbindlichkeit für Patient:innen schaffen, wurden von einigen Interviewten als effektive Ansatzpunkte empfunden.

Um HÄ bei der Vermittlung von Fragen der Lebensstilanpassung zu unterstützen, könnten Informationsmaterialien gemeinsam mit Patient:innen und Praxisteams weiterentwickelt werden. Entsprechend ihrer Rolle am Empfang könnte mit MFA erarbeitet werden, wie Gesundheitsförderung bereits beim Erstkontakt mit den Patient:innen vertrauensvoll adressiert werden kann. Zudem würde eine Informationsübersicht zur Navigation durch bestehende Angebote es Praxisteams ermöglichen, bedarfsgerecht zielgruppenspezifische Angebote und Informationsmaterialien für Patient:innen zu finden. Die Schaffung strukturierter Programme steht vor allem vor der Hürde begrenzter Kapazitäten seitens der Hausarztpraxen.

Perspektive 2: Ansatzpunkte aus Sicht von Menschen mit chronischen Erkrankungen

Ansatzpunkte für Prävention in der Hausarztpraxis aus dem Gesundheitsinformationsverhalten von chronisch Erkrankten: Erkenntnisse aus der repräsentativen Befragung HINTS Germany zur Informationssuche, Versorger-Kommunikation und Nutzung digitaler Angebote

Michael Grimm

Für chronisch Erkrankte sind Gesundheitsinformationen wichtig, um Kompetenzen zu entwickeln, die ihnen helfen einem Voranschreiten der Erkrankung und Folgeerkrankungen vorzubeugen. Aus ihrem Gesundheitsinformationsverhalten lassen sich Ansatzpunkte ableiten, welche Kommunikations- und Informationsmöglichkeiten Hausarztpraxis-Teams entwickeln bzw. nutzen können, um die Gesundheitskompetenz ihrer Patient:innen zu unterstützen. Auf Grundlage einer Repräsentativbefragung (N=2.602) untersuchten wir daher die Informationssuche, die Erfahrungen bei der Versorger:innen-Kommunikation sowie die Nutzung digitaler Gesundheitsangebote zwischen Personen ohne und mit chronischer Erkrankung.

Ärzt:innen sind deutlich vor dem Internet die wichtigste Informationsquelle und erfahren das höchste Vertrauen. Chronisch Erkrankte suchen online verstärkt zu den Themen „gesunde Lebensweise“ und „Krankheitsbewältigung“. Die Befragten berichten von wenigen Problemen bei ihrer letzten Informationssuche, chronisch Erkrankte haben tendenziell mehr Probleme. Den Umgang mit ärztlichen Informationen bewerten sie herausfordernder als mit Online-Informationen. Die Befragten zeigen sich generell zufrieden mit der Versorger:innen-Kommunikation, jedoch gibt es Unterschiede zwischen verschiedenen chronischen Erkrankungen. Videobasierte Angebote und Anwendungen zum Selfmonitoring werden häufig genutzt.

Die Rolle von Ärzt:innen als bevorzugte und vertrauensvolle Informationsquelle macht die Hausarztpraxis zum zentralen Anlaufpunkt für Prävention. Um dieses Potenzial zu nutzen, kann an Strukturen und Abläufen in der Praxis angesetzt werden (z.B. Aufgreifen verstärkt gesuchter Themen, Einsatz videobasierter Angebote). Daneben können kommunikative und digitale Kompetenzen zur Vermittlung von Präventionsthemen beim Praxispersonal gestärkt werden, das dann als Multiplikator wirken kann.

Präventive Maßnahmen zur Vermeidung negativer Folgen für Menschen mit Multimorbidität im mittleren Alter

Marjan van den Akker

Menschen mit Multimorbidität erfahren eine komplexe, ressourcenintensive Versorgung, die in weite Teile ihres Familien-, Freizeit- und Arbeitslebens einwirkt. Dabei ist die Altersgruppe unter 65 Jahren in absoluten Zahlen besonders betroffen. Um deren Patientensicherheit zu steigern, ist es wichtig, Über-, Unter- und Fehlversorgung zu vermeiden und frühzeitig ein nachhaltiges individuelles Versorgungsgefüge zu etablieren. Dafür sind präventive Ansätze wichtig. Wir untersuchten daher, 1) welche Lebenswelten von Patient:innen im mittleren Alter von Multimorbidität betroffen sind und 2) wie diese Patient:innen ihre Versorgung erleben und welche Herausforderungen und Verbesserungspotenziale sie sehen. Dafür führten wir eine leitfadengestützte qualitative Befragung von 15 Menschen mit Multimorbidität im Alter 30 bis 60 Jahren durch. Die Interviews wurden aufgezeichnet, transkribiert und inhaltsanalytisch ausgewertet.

Es zeigt sich, dass Multimorbidität nicht nur mit gesundheitlichen Folgen verbunden ist, sondern die körperlichen und psychischen Einschränkungen auch einen großen Einfluss auf den privaten und beruflichen Alltag von Patient:innen haben. Diese wünschen sich eine patientenzentrierte Versorgung, Versorgungskontinuität und Unterstützung bei der Krankheitsbewältigung und eine Ausweitung von für sie relevanten und insbesondere individuellen Angeboten.

Maßnahmen zur Unterstützung von Patient:innen sollten die individuellen Lebenssituationen von Patient:innen berücksichtigen, zeitlich umsetzbar und im Alltag integrierbar sein. Hierbei gilt es, einen bestmöglichen Kompromiss zwischen idealer Therapie und Lebensrealität zu erreichen.

Ziele: Die Hausarztpraxis ist ein aussichtsreicher Ort, um die Gesundheit von Menschen über verschiedene soziale Hintergründe hinweg zu stärken. Durch die langfristige Beziehung zwischen Praxis und Patient:innen können individuelle Ressourcen und Barrieren identifiziert und gesundheitsförderliches Verhalten unterstützt werden. Dieses Symposium soll aufzeigen, wo konkrete Ansatzpunkte für die Prävention in der Hausarztpraxis liegen und wie diese im Praxisalltag genutzt bzw. wo zusätzliche Maßnahmen entwickelt werden können. Dafür führt es Ergebnisse aus vier Projekten zusammen, die zum einen die Perspektive von hausärztlichem Praxispersonal und zum anderen von Menschen mit chronischen Erkrankungen aufzeigen. In jedem Vortrag wird reflektiert, welche Handlungsfelder bestehen und welche Ansatzpunkte sich aus den Daten ergeben.

Diskussion: Ausgehend von den Handlungsfeldern und Ansatzpunkten aus den Einzelvorträgen bietet das Symposium die Möglichkeit zum Austausch zwischen Wissenschaft und Praxis. In einer übergreifenden Abschlussdiskussion wollen wir dafür besprechen, wie die Umsetzung von Prävention in den Praxen erleichtert werden kann und auf welche Angebote dafür zurückgegriffen werden kann bzw. wo aus Sicht von Praxispersonal noch unterstützende Maßnahmen aussichtsreich wären.

Die Leitfragen für die Diskussion sind: 1) Bei welchen Themen und Patientengruppen besteht ein besonderes Potenzial für Prävention? 2) An welchen Stellen lassen sich die Rahmenbedingungen für eine patientenzentrierte Prävention in den Praxen stärken? 3) Welche Angebote und Materialien können die Praxisteam-Mitglieder dabei unterstützen, Prävention umzusetzen?

Take Home Message für die Praxis: Damit Prävention in der Hausarztpraxis erfolgreich umgesetzt werden kann, können die Patient:innen und die Praxisteam-Mitglieder mit geeigneten Maßnahmen unterstützt und in den Praxen eine präventionsfördernde Umgebung gestärkt werden. Relevante Handlungsfelder zeigen sich u.a. im Bereich der Gesundheitskompetenz und -information, der Kommunikation zwischen Praxisteams und Patient:innen und den Strukturen und Abläufen in den Praxen.