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56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

15. - 17.09.2022, Greifswald

Induktives Streifen: vom Sinn des Zuhörens

Meeting Abstract

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  • presenting/speaker Jule Sophia Pavlik - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Marburg, Deutschland
  • Norbert Donner-Banzhoff - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Allgemeinmedizin, Marburg, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Greifswald, 15.-17.09.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocP-04-06

doi: 10.3205/22degam172, urn:nbn:de:0183-22degam1725

Published: September 15, 2022

© 2022 Pavlik et al.
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Hintergrund: Allgemeinmedizinische Konsultationen beginnen in der Regel mit einer Phase des Induktiven Streifens. Der oder die Patient:in wird eingeladen bestehende Symptome zu schildern, deren Art, Verlauf sowie funktionelle und emotionale Konsequenzen. Untersucht wurden die Äußerungen in dieser Phase des Induktiven Streifens.

Fragestellung: Wird während dieser Phase eine diagnostische Vorstellung in Form einer Selbstdiagnose geäußert kann es zu vorzeitiger Beendigung des induktiven Streifens kommen. Dies kann einem Verlust an Informationen nach sich ziehen.

Methoden: In zwölf allgemeinmedizinischen Praxen wurden Konsultationen auf Video aufgezeichnet und anschließend transkribiert. In 134 Konsultationen waren diagnostische Episoden im Sinne des Induktiven Streifens enthalten, welche mit quantitativer und qualitativer Methoden analysiert werden. Dazu werden mittels Codierung Textstellen erfasst und ausgewertet.

Ergebnisse: In etwa einem Drittel der Konsultationen äußerten Patient:innen diagnostische Vermutungen. Dabei fiel auf, dass diese weit weniger detailliert über ihre Symptome berichten, als diejenigen ohne Selbstdiagnose. In einigen Fällen führt dabei die erwähnte Selbstdiagnose zum vorzeitigen Abbruch des Induktiven Streifens mit Übergang in die getriggerte Routine durch den oder die ÄrztIn.

Diskussion: Eine Selbstdiagnose kann somit das Induktive Streifen reduzieren und damit die Reichhaltigkeit der diagnostischen Datenerhebung. Darauf reagieren manche Ärztinnen durch Nachfragen mit einer erneuten Einladung zum Induktiven Streifen, was jedoch eine Abwertung der diagnostischen Vorstellung des oder der Patient:in bedeuten kann.

Die Selbstdiagnose lässt sich im Konzept des ICE (Ideas, Concerns und Expectations) wiederfinden. Die ICE’s werden während des Induktiven Streifens überwiegend spontan erfasst, wodurch sich eine Nachfrage erübrigt.

Take Home Message für die Praxis: Die Phase des Induktiven Streifens bietet reichhaltige Eindrücke als Voraussetzung einer diagnostischen Einschätzung. Selbstdiagnose sollten sensibel berücksichtigt werden. Jedoch sollte die Gefahr des Informationsverlustes durch fehlende detaillierte Beschreibung der Symptome bedacht werden und gegebenenfalls nachgefragt werden. Digitale Erfassungsinstrumente, wie sie bereits eingesetzt werden können den Informationsverlust begünstigen.