gms | German Medical Science

56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

15. - 17.09.2022, Greifswald

Beziehungsgestaltung als essenzielle Kompetenz für die Langzeitversorgung nach Schlaganfällen – eine qualitative Interviewstudie

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Sofia Banzhoff - Charité – Universitätsmedizin Berlin, , Institut für Allgemeinmedizin, Berlin, Deutschland
  • Christoph Heintze - Charité – Universitätsmedizin Berlin, , Institut für Allgemeinmedizin, Berlin, Deutschland
  • Susanne Döpfmer - Charité – Universitätsmedizin Berlin, , Institut für Allgemeinmedizin, Berlin, Deutschland
  • Christine Holmberg - Medizinische Hochschule Brandenburg, Institut für Sozialmedizin und Epidemiologie, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 56. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Greifswald, 15.-17.09.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. DocV-09-06

doi: 10.3205/22degam052, urn:nbn:de:0183-22degam0524

Published: September 15, 2022

© 2022 Banzhoff et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Outline

Text

Hintergrund: Im Rahmen des BMBF-geförderten Verbundprojektes NAVICARE wird u.a. die Versorgung von Schlaganfall-Betroffenen untersucht. Bekannt ist, dass die Behandlung durch mehrere Akteur:innen und die Komplexität der Bedarfe Ärzt:innen und Betroffene vor große Herausforderungen stellen. Von Interesse war nun die Perspektive derjenigen, bei denen der Schlaganfall schon länger zurück liegt, da sie die gesamte Versorgungskette überblicken und vermutet wird, dass die Langzeitversorgung im Vergleich zur Akutversorgung weniger strukturiert verläuft.

Fragestellung: Welchen ungedeckten Bedarf haben Betroffene, die in privatem Haushalt leben, nach länger zurückliegendem Schlaganfall? Welche Unterstützung wünschen sie sich?

Methoden: Es wurden semi-strukturierte Leitfadeninterviews mit Betroffenen, deren Schlaganfall mindestens 2 Jahre zurückliegt, durchgeführt und mittels Grounded Theory ausgewertet.

Ergebnisse: Zunächst zeigte sich, dass eine andere Fragestellung nötig ist, um die Langzeitversorgung nach Schlaganfällen zu verstehen: Welche Verhaltensweisen setzen Betroffene ein, um für sich angemessene Versorgung (FSAV) zu erhalten? In den Interviews zeigt sich Versorgung v.a. innerhalb von Beziehungen: Wenn sie versorgt werden, gehen Betroffene eine Beziehung ein. Deshalb müssen Betroffene diese Versorgungsbeziehungen aktiv gestalten. Je besser sie darin sind, desto mehr nähert ihre Versorgung sich an FSAV an.

Folgende Faktoren tragen zu erfolgreicher Beziehungsgestaltung bei: aktives Bemühen um die Beziehung, gegenseitiges Interesse, gute soziale und kommunikative Fähigkeiten und eine vor dem Schlaganfall vorhandene Beziehung. Bei ungenügender Beziehungsgestaltung können Versorgungspfade sich nicht etablieren, was die gesamte Versorgungssituation negativ beeinflusst.

Diskussion: Die Fähigkeit, Beziehungen zu gestalten, ist eine essenzielle Kompetenz, die Betroffene haben müssen, um FSAV zu erhalten. Anders als Modelle zur patientenzentrierten Versorgung, die i.d.R. aus Provider-Perspektive formuliert sind, nimmt diese Arbeit Betroffene in den Blick. Zwar kann erfolgreich umgesetzte patientenzentrierte Versorgung Beziehungsgestaltung erleichtern, doch gehen diese Modelle implizit davon aus, dass Betroffene diese Kompetenz haben.

Take Home Message für die Praxis: Es müssen Versorgungsstrukturen geschaffen werden, die auch ohne erfolgreiche Beziehungsgestaltung zu FSAV führen. So können auch Betroffenen mit gering ausgeprägter Beziehungsgestaltungskompetenz angemessene Versorgung erhalten.