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55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin (DEGAM)

Lübeck, 16. - 18.09.2021

Härtefallregelung bei überschuldeten Bürger*innen – liegen Defizite vor? – Querschnittstudie an 699 KlientInnen von anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in NRW

Meeting Abstract

  • presenting/speaker Eva Münster - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) Lehrstuhl für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Witten, Deutschland
  • Jacqueline Verena Warth - Universitätsklinikum Düsseldorf, Institut für Allgemeinmedizin, Düsseldorf, Deutschland
  • Judith Tillmann - Universität Witten Herdecke, Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) Lehrstuhl für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Witten, Deutschland
  • Oxana Klassen - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) Lehrstuhl für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Witten, Deutschland
  • Klaus Weckbecker - Universität Witten/Herdecke, Fakultät für Gesundheit (Department für Humanmedizin) Lehrstuhl für Allgemeinmedizin und Interprofessionelle Versorgung, Witten, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. 55. Kongress für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Lübeck, 16.-18.09.2021. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2021. DocP-08-05

doi: 10.3205/21degam224, urn:nbn:de:0183-21degam2242

Published: September 17, 2021

© 2021 Münster et al.
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Hintergrund: In Deutschland sind schätzungsweise 6,85 Millionen Bürgerinnen und Bürger (Schuldnerquote: 9,87%) überschuldet. Sie sind von nachhaltigen Zahlungsschwierigkeiten betroffen, die in Zahlungsunfähigkeit münden können. Ein Zusammenhang zwischen erhöhtem Risiko von Krankheiten sowie der Nicht-Inanspruchnahme von medizinischen Leistungen und der Überschuldung konnten aufgezeigt werden. Das Zuzahlungssystem im GKV-Versicherungssystem kann eine Barriere für diese Personengruppe darstellen. Um jedoch eine finanzielle Überlastung durch Zahlungen Einzelner zu verhindern, wurde eine Zuzahlungsbefreiung ab einer gewissen Belastungsgrenze festgeschrieben (Härtefallregelungen).

Fragestellung: Greift die Härtefallregelung in der medizinischen Versorgung von überschuldeten BürgerInnen?

Methoden: Eine Querschnittsstudie an 699 KlientInnen von 70 anerkannten Schuldner- und Insolvenzberatungsstellen in Nordrhein-Westfalen wurde 2017 durchgeführt (Teilnahmerate von 50,2%).

Ergebnisse: Das Studienkollektiv setzt sich wie folgt zusammen: 54,8% Frauen, 53,3% im Alter 18-44 Jahre, 29,0% verheiratet, 31,8% geschieden oder verwitwet, 35,4% mit Migrationshintergrund, 55,0% mit Berufsausbildung, 53,5% erwerbstätig, 95,1% gesetzlich krankenversichert. Etwa zwei Drittel (69,0%) des Kollektivs gaben an, finanzielle Probleme bei der Arzneimittelversorgung in den letzten 12 Monaten gehabt zu haben. Jeder Fünfte (20,5%) nannte, dass er die Regelung zur Befreiung von Zuzahlungen ab einer Belastungsgrenze gar nicht kannte, 6,4% wussten nicht genau, was dafür zu tun ist. 15,2% aller ProbandInnen gaben an, die Belastungsgrenze nicht erreicht zu haben.

Diskussion: Zahlungen im medizinischen Versorgungssystem können bei Überschuldung zur finanziellen Überlastung beitragen. Das Hilfesystem der Härtefallregelung ist nicht ausreichend bekannt und aufgrund der Berechnung der Belastungsgrenze anhand des Bruttoeinkommens des Haushalts wird der finanziellen Notlage der Überschuldeten nicht adäquat entsprochen.

Take Home Message für die Praxis: Die Härtefallregelung zur Befreiung von Zuzahlungen ist nicht ausreichend bekannt und sollte für die Überschuldeten nicht nur am Bruttoeinkommen des Haushalts bemessen werden, sondern die Schuldensituation mitberücksichtigen.