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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Psychosoziale Ressourcen und Risikomuster für Burnout bei Medizinstudenten: Querschnittstudie und Bedürfnisanalyse Präventiver Curricularer Angebote

Psychosocial resources and burnout risk factors in medical school: A cross-sectional study and analysis of needs for preventive curricular interventions

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

  • corresponding author Ingrid-Ursula Aster-Schenck - Universitätsklinikum Würzburg, Medizinische Klinik, Würzburg, Deutschland
  • author Michael Schuler - Universität Würzburg, Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie, Würzburg, Deutschland
  • author Martin R. Fischer - Private Universität Witten/Herdecke, Institut für Didaktik und Bildungsforschung im Gesundheitswesen, Witten, Deutschland
  • author Silke Neuderth - Universität Würzburg, Institut für Psychotherapie und Medizinische Psychologie, Würzburg, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2010;27(4):Doc61

doi: 10.3205/zma000698, urn:nbn:de:0183-zma0006986

Received: October 7, 2009
Revised: February 4, 2010
Accepted: May 3, 2010
Published: August 16, 2010

© 2010 Aster-Schenck et al.
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Zusammenfassung

Hintergrund: Epidemiologische Daten zur Gesundheit von Ärzten und Medizinstudenten zeigen im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine erhöhte psychische Morbidität. Es gibt wenige Daten dazu, wie der Bedarf an präventiven Maßnahmen von den Medizinstudenten selber eingeschätzt wird.

Zielsetzung: Analyse der psychosozialen Ressourcen und der studienbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster bei Medizinstudenten zu unterschiedlichen Zeitpunkten während des Studiums.

Bedürfnisanalyse hinsichtlich der von den Studenten selbst gewünschten präventiven Angebote im Ausbildungscurriculum.

Studiendesign: Querschnittuntersuchung an drei unterschiedlichen Kohorten von Medizinstudenten am Anfang, in der Mitte und am Ende des Studiums mit einer studentenadaptierten Version des Fragebogens „Arbeitsbezogene Verhaltens- und Erlebnismuster“ (AVEM).

Teilnehmer: Studenten am Anfang, in der Mitte und am Ende des Medizinstudiums (entspricht im Wesentlichen Studenten des 2., 5., 10. Semesters) an der Würzburger Universität (n=360).

Ergebnisse: Zu Beginn des Studiums zeigen 39,1% ein gesundes Verhaltensmuster (Muster G), im mittleren Studienabschnitt liegt der Anteil bei 30,5%, am Studienende bei 18,3%. Entsprechend finden sich resignative Verhaltensmuster mit Burnout-Tendenzen und Schonungsmuster (Risikomuster B und S) zu Beginn des Studiums bei 44,0%, in der Mitte des Studiums bei 55,9% und am Studienende bei 65,2%.

Es zeigen sich signifikante Geschlechtsunterschiede: Männliche Studenten zeigen höhere Werte für „Beruflichen Ehrgeiz“ und „Bedeutsamkeit der Arbeit“, eine geringere „Resignationstendenz bei Misserfolg“ und mehr „Innere Ruhe und Ausgeglichenheit“. Frauen erleben mehr „Soziale Unterstützung“.

Es gibt in der Selbsteinschätzung der Studenten einen hohen Bedarf an präventiven Maßnahmen: So wünschten sich 85% der Studenten Angebote zur Stressbewältigung, 79% zum Thema Zeitmanagement, 77% zur Burnout-Prophylaxe, 75% zum Thema Umgang mit Prüfungsangst und 63% zu Entspannungstechniken.

Einschränkungen: Die Rücklaufquote der Fragebögen betrug 90,8% Im Vergleich zu ähnlichen Studien ist die Rücklaufquote hoch, dennoch ist eine Verfälschung der Werte durch den Anteil an Studenten, die nicht geantwortet haben, nicht auszuschließen. Die Daten dieser Arbeit beschreiben nur die Situation an einer Medizinischen Fakultät in Deutschland. Es handelt sich nicht um longitudinale Daten. Eine Verlaufsstudie wurde begonnen.

Schlussfolgerungen: Die Daten zeigen ein deutliches resignatives Verhaltensmuster und Burnout-Risikoverhalten bei Medizinstudenten, dass umso ausgeprägter ist, je weiter die Studenten im Studium fortgeschritten sind.

Es gibt signifikante Geschlechtsunterschiede in den studienbezogenen Verhaltens- und Erlebensmustern.

Studenten wünschen in hohem Maße Angebote zur Prävention.

Die Prävention psychosozialer Störungen und Maßnahmen, die die berufliche Motivation der Studenten fördern, sind wichtige Themen und sollten Berücksichtigung bei der Gestaltung des Curriculums der ärztlichen Ausbildung finden. Hierbei sollten geschlechtsspezifische Unterschiede berücksichtigt werden.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, Medizinstudenten, Psychosoziale Ressourecen, Burnout, Curriculare Angebote

Abstract

Background: Epidemiologic health data show an increased incidence of psychosomatic disorders in medical doctors and undergraduate medical students as compared with the general public. There is little knowledge about students’ self-assessment of needs with respect to preventive health-promoting interventions.

Objectives: Analysis of the psychosocial health resources and risk patterns of medical students at different times throughout their studies.

Analysis of students’ self-assessment of psychosocial health-promoting interventional needs.

Design: Cross-sectional study of three student cohorts at the beginning, middle, and end of their studies with a student-adapted “Pattern of work-related coping behavior” (AVEM) questionnaire.

Participants: Students at the beginning, middle, and near the end of their studies (corresponding mainly to the second, fifth, and tenth semester) at Wurzburg Medical School (N = 360) in Germany.

Results: In the beginning 39.1% of the medical school students show a healthy behavioral pattern. The rate decreases to 30.5% in the middle cohort, down to 18.3% at the end of medical school, while burnout patterns marked by lack of ambition and resignation rise from 44.0% at the beginning of studies, to 55.9% at the middle, and up to 65.2% at the end of medical school.

There are significant gender differences: Male students rate higher in “career ambition” and “significance of work”, have less “tendency toward resignation”, and score higher in “balance and mental stability”. Female students experience significantly more “social support”.

There is a high self-estimated need for supportive interventions: When asked “What preventive interventions should the university offer?”, 85% of the students requested stress management, 79% time management, 77% burnout preventive training, 75% coping techniques for exam nerves, and 63% relaxation techniques.

Limitations: The response rate was 90.8%. Although the response rate is comparably high, non-response by part of the students may alter the estimated figures. The study only includes students from one German medical school. Longitudinal data are absent. A longitudinal study has been initiated.

Conclusions: There is a high rate of resignation and burnout behavioral patterns among medical students, while healthy patterns decrease the further the students progress in their professional training.

There are significant gender differences in the psychosocial patterns.

Students express a high need for preventive techniques and interventions.

Thus prevention of psychosocial morbidity and motivational interventions are important issues in the training of future physicians. Such interventions should become a mandatory part of the medical curriculum and should take gender aspects into consideration.

Keywords: medical education, medical students, psychosocial resources, burnout, curricular interventions


Einleitung

Ärzte haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine erhöhte Morbidität, Mortalität und Suizidalität [1]. Eine aktuelle Arbeit aus den USA konstatiert einen alarmierenden Anstieg von Ärztesuiziden und fordert eindringlich rasche und durchgreifende Präventivmaßnahmen, die bereits im Medizinstudium einsetzen sollen [2]. Auch Depressive Störungen, Alkoholabusus und Substanzmissbrauch sind bei Ärzten häufiger, als bei vergleichbaren Berufsgruppen [3], [4] und nicht selten verknüpft mit den Symptomen der emotionalen Erschöpfung und des Burnout [5]. Sätze wie: „I’ve done too much for too many for too long with too little regard for myself” charakterisieren das Empfinden zahlreicher Ärzte.

Verschiedene Studien haben Medizinstudenten auf deren psychosoziale Gesundheit und Verhaltensmuster hin untersucht [6], [7], [8]. Studenten der Medizin geben im Vergleich zu Studenten anderer Fachrichtungen die höchsten psychosozialen Belastungen an. Voltmer et. al. haben das Belastungsverhalten von Medizinstudenten in Deutschland mit dem approbierter Ärzte, Lehrer, Existenzgründer und Pflegepersonal verglichen [8]. Wie in Abbildung 1 [Abb. 1] dargestellt, zeigen die vier verschiedenen Berufsgruppen deutliche Unterschiede in den Verhaltensmustern. Mit 17% haben Ärzte und Lehrer den geringsten Anteil an gesunden Verhaltensmustern, Existenzgründer mit 45% den höchsten. 71% der Ärzte zeigen Schonhaltungs- oder Burnout Risikomuster im Vergleich zu 17% der Existenzgründer, 52% der Lehrer und 54% der Pflegenden. Bei den Medizinstudenten zeigten in der Querschnittuntersuchung von Voltmer et al. [8] 35,1% der Studienanfänger, aber nur 26% der im Studium fortgeschritteneren Studenten (5. Semester) ein gesundes Verhaltensmuster (Muster G) gemessen mit dem Fragebogen zu „Arbeitsbezogenen Verhaltens- und Erlebnismustern“.

Am Beginn der Sozialisation zum Arzt, im Studium steht nicht selten ein besonderer Leistungswille, um der Berufung zum Arzt gerecht zu werden. Dazu kommt oft Altruismus gepaart mit einem Hang zum Perfektionismus und dem Glauben, sich Anerkennung und Liebe durch außergewöhnliche Leistung verdienen zu müssen. Der Beruf kann so zur alleinigen Lebensaufgabe werden. Die eigenen Bedürfnisse werden zurückgestellt oder unterdrückt [9]). Die Folgen sind häufig Ermüdung, Frustration und Zynismus. Dazu kommt oft eine nicht bewältigte Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit: Die individuelle Lebenssituation, die eigenen Werte oder die intrinsische Motivation stimmen nicht mit der täglich erlebten Arbeitswirklichkeit überein. Ärzte mit hohem Leistungs- und Arbeitsdruck, aber mit durch ökonomische und bürokratische Rahmenbedingungen eingeengten Gestaltungs- und Entscheidungsspielräumen, sind hierbei besonders gefährdet [1].

Das rechtzeitige Erkennen einer persönlichen Risikokonstellation in Bezug auf Burnout schon im Studium ist entscheidend, um einen erfolgreichen Umgang mit Belastungen frühzeitig zu trainieren. Dafür ist es wichtig, zu wissen, wann im Laufe der ärztlichen Ausbildung sich welche Erlebens- und Verhaltensmuster bei welchen Personen ausbilden. Ob beispielsweise das Geschlecht, die Nationalität, der selbst eingeschätzte Gesundheitszustand oder das Studentenauswahlkriterium Abiturnote mit bestimmten Verhaltensmustern korreliert sind. Darüber hinaus sollte der subjektive Bedarf an Präventionsmaßnahmen für Studierende erfasst und in einer bedürfnisorientierten Curriculumsgestaltung beachtet werden.

Um unsere Studienergebnisse mit den vorhandenen Daten deutscher Studenten vergleichen zu können, wurde wie in den Arbeiten von Voltmer et al. [6], [10], [8] ein studentenadaptierter AVEM-Fragebogen eingesetzt [11] und um Fragen zur Abiturnote, zur Selbsteinschätzung des Gesundheitszustandes und der psychischen Belastung durch das Studium ergänzt. Darüber hinaus wurde der subjektive Bedarf der Studierenden im Hinblick auf präventive Angebote erfragt. Der AVEM-Fragebogen ist in Deutschland als Forschungs- und Diagnostikinstrument in verschiedenen Kontexten etabliert. So wurde er in den letzten Jahren häufig bei Lehrern eingesetzt, aber auch in der medizinisch-beruflichen Rehabilitation [11].

Vor dem Hintergrund der Annahme, dass eine Curriculumsentwicklung in der Medizin auch die Situation der Studierenden berücksichtigen sollte, wurden in der vorliegenden Studie folgende Fragestellungen untersucht:

1.
Wie stellen sich studienbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster Würzburger Medizinstudenten in niedrigen, mittleren und höheren Studiensemestern dar?
2.
Lassen sich Prädiktoren für bestimmte Verhaltens- und Erlebensmuster identifizieren?
3.
Welche präventiven Angebote wünschen sich die Studenten?

Methoden

Zu Beginn des Sommersemesters 2009 wurden in Pflichtveranstaltungen des 2., 5. und 10. Semesters Medizinstudierende der Würzburger Universität mittels Fragebögen bzgl. ihrer studiumsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster befragt.

Instrumente

Zur Erfassung der studienbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster wurde der Fragebogen „Arbeitsbezogenes Verhaltens- und Erlebensmuster“ (AVEM; [11]) in einer für Studierende adaptierten Fassung eingesetzt. Die Adaptation auf Studierende besteht darin, dass das Wort „Arbeit“ in einzelnen Fragen durch „Studium“ ersetzt wurde (z.B. „Berufliche Fehlschläge können mich leicht entmutigen“ → „Fehlschläge im Studium können mich leicht entmutigen“) bzw. dass „berufliche Entwicklung“ durch „bisherige Entwicklung in Schule und Studium“ ersetzt wurde. Die für Studierende adaptierte Version wurde bereits von Voltmer et al. [6] erfolgreich bei Medizinstudenten eingesetzt. Das Konzept des AVEM basiert auf Antonovskys Modell der Salutogenese von 1997, nach dem personenspezifische Ressourcen für die Verarbeitung belastender Situationen eine zentrale Rolle spielen [12], [13], sowie auf dem Stressbewältigungs- und Copingkonzept von Lazarus [14].

Mithilfe des AVEM ist es möglich, anhand von 11 Dimensionen auf vier verschiedene Grundverhaltens- und Erlebensmuster zu schließen, die Aufschluss über gesundheitsförderliche oder -gefährdende berufsbezogene Verhaltensweisen geben. Der AVEM ist damit ein mehrdimensionales persönlichkeitsdiagnostisches Verfahren, das eine differenzierte Einschätzung von Verhalten und Erleben im Beruf erlaubt.

Der AVEM weist gute bis befriedigende Reliabilitäts- und Validitätswerte auf [11].

Die 11 Dimensionen arbeitsbezogenen Verhaltens und Erlebens sind:

1.
Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit
2.
Beruflicher Ehrgeiz
3.
Verausgabungsbereitschaft
4.
Perfektionsstreben
5.
Distanzierungsfähigkeit
6.
Resignationstendenz bei Misserfolg
7.
Offensive Problembewältigung
8.
Innere Ruhe und Ausgeglichenheit
9.
Erfolgserleben im Beruf
10.
Lebenszufriedenheit
11.
Erleben sozialer Unterstützung

Der Fragebogen umfasst 66 Items, sechs pro Dimension. Aus dem individuellen Profil der elf Dimensionen lassen sich folgende vier charakteristische Verhaltensmuster differenzieren. Die Muster können als charakteristische „Referenzprofile“ für eine bestimmte Art des arbeitsbezogenen Erlebens- und Verhaltens bezeichnet werden. Die Zuordnung einer Person zu einem bestimmten Muster erfolgt über einen Algorithmus, welcher in der AVEM-Auswertungssoftware implementiert ist; hiermit wird eine automatischer Normwertevergleich durchführt, der das Ausmaß der Ähnlichkeit der Werte einer Person mit den vier Referenzmustern ausweist [11]. Die vier Muster werden im Folgenden beschrieben:

  • Muster A: Gesundheitsgefährdendes Verhaltens- und Erlebensmuster: Exzessive Anstrengungen und überdurchschnittliches Engagement bei geringer Distanzierungsfähigkeit bezüglich der Arbeitsproblematik, reduzierte Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen, dadurch Selbstüberforderung, klassisches „Typ-A-Verhalten“. Therapeutische Interventionen sind empfehlenswert.
  • Muster B: Gesundheitsgefährdendes Verhaltens- und Erlebensmuster: Dauerhaftes Gefühl der Überforderung bei reduziertem Engagement und eingeschränkter Distanzierungsfähigkeit gegenüber den Arbeitsbelastungen, Tendenz zur Resignation, verminderte psychische Widerstandfähigkeit, stark ausgeprägte negative Emotionen und deutlich eingeschränktes Lebensgefühl. Burnout-Symptomatik. Therapeutische Interventionen sind angezeigt.
  • Muster G: Gesundheitsförderliches Verhaltens- und Erlebensmuster durch den Ausdruck von Gesundheit bei durchaus hohem, aber nicht exzessiv ausgeprägtem Arbeitsengagement und genügender Distanzierungsfähigkeit hinsichtlich Arbeitsanforderungen, hohe Widerstandfähigkeit und positives Lebensgefühl durch offensives Coping. Therapeutische Interventionen sind nicht erforderlich.
  • Muster S: In Bezug auf Arbeit bzw. Studium steht Schonung im Vordergrund. Lebenszufriedenheit wird außerhalb des Berufes/Studiums gesucht. Erfolgserleben im Beruf bzw. Studium wird entsprechend niedrig eingeschätzt. Charakteristisch ist geringes Arbeitsengagement und starke Distanzierung gegenüber beruflichen Belastungen. Interventionen auf Motivationsebene sind empfehlenswert [11].

Von einer vollen Musterzuordnung kann gesprochen werden, wenn die Zuordnungswahrscheinlichkeit eines individuellen Profils gegenüber einem der Referenzprofile > 95% beträgt. Dies tritt jedoch nur bei wenigen Fällen auf. Häufiger kommt der Fall vor, dass zwar ein Muster vorherrscht, aber nicht in dem Maße, dass von einer vollen Ausprägung gesprochen werden kann. Von einer tendenziellen Musterzuordnung spricht man, wenn die Charakteristika eines bestimmten Musters vorherrschen, aber daneben auch andere Muster (wenngleich in geringerer Ausprägung) nachweisbar sind. Konkret bedeutet dies eine Zuordnungswahrscheinlichkeit von 50-80% für ein Muster und zugleich für kein zweites Muster eine Zuordnungswahrscheinlichkeit > 30% [11].

Neben den Verhaltens- und Erlebensmustern und den soziodemografischen Basisdaten wurden folgende Konstrukte erfasst: Abiturnote, subjektive Einschätzung der eigenen Studienleistung, subjektive Einschätzung des allgemeinen Gesundheitszustandes, subjektive Einschätzung der psychischen Belastung und Präferenzen bezüglich präventiver Studienangebote. Die subjektive Einschätzung der eigenen Studienleistung, des allgemeinen Gesundheitszustands sowie der psychischen Belastung durch das Studium, erfolgte jeweils über ein Item.

Die subjektive Einschätzung der eigenen Studienleistung wurde über folgendes Item erfasst: „Wie würden Sie Ihre Studienleistung im Vergleich zu den anderen Studierenden Ihres Studiengangs bewerten?“. Die Beantwortung erfolgte auf einer 5-stufigen Skala mit den Antwortkategorien „weit unterdurchschnittlich“, „unterdurchschnittlich“, „durchschnittlich“, „überdurchschnittlich“ und weit überdurchschnittlich“.

Die Erfassung des subjektiven Gesundheitszustandes erfolgte über folgendes Item (angelehnt an SF36 [15] „Wie würden Sie Ihren Gesundheitszustand im Allgemeinen beschreiben?“. Es standen folgende fünf Antwortkategorien zur Verfügung: „ausgezeichnet“, „sehr gut“, „gut“, „weniger gut“ und „schlecht“.

Die subjektive psychische Belastung durch das Studium wurde über folgendes Item erfragt: „Wie stark fühlen Sie sich durch das Studium psychisch belastet?“ Folgende Antwortkategorien standen zur Verfügung: „überhaupt nicht“, eher nicht“ eher stark“ und „stark“.

Die Präferenzen der Studierenden wurden mit der folgenden Frage erfasst: „Welche der folgenden Themen / Inhalte sollte die Universität Würzburg anbieten?“ Die Beantwortung erfolgte in Form einer vierstufigen Ratingskala (nein – eher nein – eher ja – ja).

Statistische Analyse

Die statistische Analyse der Daten erfolgte mit SPSS 15. Für die Darstellung der Muster wurde die „tendenzielle Musterzuordnung“ gewählt, da nur 21% der Studenten in der Stichprobe einem „reinen Typus“ zugeordnet werden konnten. Um Prädiktoren für die Zuordnung zu den einzelnen Mustern zu identifizieren, wurden multinomiale logistische Regressionsanalysen durchgeführt. Das Muster G wurde hierbei als Referenzkategorie definiert. Als mögliche Prädiktoren wurden Alter, Geschlecht, Familienstand, Semestergruppe, Abiturnote, selbst eingeschätzte Studienleistung, subjektive Gesundheit, psychische Belastung durch das Studium, Nationalität und die Teilnahme an einem Angebot zur effizienten Prüfungsvorbereitung aufgenommen. Zur Überprüfung des Einflusses der Variablen Geschlecht und Semestergruppe auf die einzelnen Dimensionen des AVEM, wurden zweifaktorielle Varianzanalysen durchgeführt. Der Einfluss der tendenziellen Musterzuordnung auf die Präferenzen bezüglich präventiver Studienangebote wurde mittels Chi²-Test überprüft. Das Signifikanzniveau wurde jeweils auf Alpha=0,05 festgelegt.


Ergebnisse

Stichprobenbeschreibung

Im Sommersemester 2009 wurden in Pflichtveranstaltungen des 2., 5. und 10. Semesters Medizinstudierende mittels Fragebögen bzgl. ihrer studiumsbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster befragt. Es liegen 361 Fragebögen vor, der Rücklauf lag bei 90,8% (5.-8. Semester 100%, 2.-4. Semester 91,0%, >10. Semester 81,3%). Ein Fragebogen musste aufgrund des hohen Anteils an Missing Data (28,5%) ausgeschlossen werden. Bei den übrigen Fragebögen konnten die Missings mittels MCMC-Methode („Monte Carlo Markov Chain“) [16] ersetzt werden (Missing-Anteil 0-3%). Die Stichprobenbeschreibung bezieht sich damit auf 360 vollständige Datensätze.

Die Studenten sind im Mittel 23 Jahre alt, 58% sind weiblich, die Hälfte (51%) lebt allein. Der Anteil ausländischer Studenten liegt bei 5,6%. Der Tabelle 1 [Tab. 1] können die soziodemografischen Werte getrennt nach Semestergruppen entnommen werden.

Studienbezogene Verhaltens- und Erlebensmuster in der Gesamtstichprobe

Betrachtet man die Musterverteilung im AVEM in der Gesamtstichprobe (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]), so wird deutlich, dass die Mehrzahl der Studierenden (34,4%) auf das Muster S (Schonhaltung) entfallen. 30,0% lassen sich dem Gesundheitsmuster G zuordnen, 19,7% entfallen auf das Risikomuster B, 15,8% auf das Risikomuster A.

Der Vergleich der Verhaltensmuster zu verschiedenen Zeitpunkten im Studium ist in Abbildung 3 [Abb. 3] dargestellt und verdeutlicht, dass sich die Verhaltens- und Erlebensmuster zwischen den Semestergruppen deutlich unterscheiden (Chi²=16,92; df=6; p=0,010). In der Kohorte zu Studienbeginn ist der Anteil mit Muster G am höchsten (39,1%), im mittleren Studienabschnitt liegt der Prozentsatz von Studierenden mit Zuordnung zum gesundheitsförderlichen Typus bei 30,5%, bei Studiumsende nur noch bei 18,3%. Das Schonhaltungsmuster „S“ ist zu Studienbeginn bei 25,6% der Studenten vorzufinden, in der Mitte des Studiums bei ca. einem Drittel (33,9%), gegen Ende des Studiums bei nahezu der Hälfte der Studierenden (45,9%). Die Gruppen mit den Risikomustern A und B sind in den drei Kohorten im Wesentlichen vergleichbar, die Häufigkeiten liegen bei Risikomuster A zwischen 13,6% und 17,3%, bei Risikomuster B zwischen 18,0 und 22,0%.

Prädiktorenanalyse

Um Prädiktoren für die Zuordnung zu den einzelnen Mustern zu identifizieren, wurden zwei multinomiale logistische Regressionsanalysen durchgeführt [17]. In die erste Analyse wurden alle genannten potentiellen Prädiktoren einbezogen. Der Tabelle 2 [Tab. 2] können die Ergebnisse des Likelihood-Quotientest entnommen werden, der den Einfluss der Prädiktoren auf die Musterzugehörigkeit überprüft. Demnach können die Faktoren „Semestergruppe“, „selbst eingeschätzte Studienleistung“, „subjektive Gesundheit“ und „psychische Belastung“ als unabhängige, statistisch signifikante Prädiktoren angesehen werden. Den Variablen Alter, Geschlecht, Familienstand, Abiturnote, Nationalität und Teilnahme an einem bislang schon von einigen Studenten genutzten Angebot zur effizienten Prüfungsvorbereitung, zeigten keinen unabhängigen Einfluss auf die Musterzuordnung.

In die zweite multinomiale Regressionsanalyse wurden lediglich die in der ersten Analyse als signifikant ausgewiesen Faktoren aufgenommen. Das so getestete Modell zeigt eine sehr gute Anpassung an die Daten (Abweichung Chi²=201,17; df=234; p=0,941), das Pseudo-R² nach Nagelkerke liegt bei Nagelkerke-R²=0,292. Der Tabelle 3 [Tab. 3] können die Schätzungen der Odds Ratios der Prädiktoren auf die Musterzugehörigkeit entnommen werden. Als Referenzgruppe wurde das Verhaltensmuster G definiert. Die folgenden Aussagen beziehen sich also jeweils auf den Vergleich mit den Personen, die ein gesundes Verhaltensmuster aufzeigen. Es zeigt sich, dass sich die Wahrscheinlichkeit für das Schonungsmuster S durch die Zugehörigkeit zu einer höheren Semestergruppe deutlich erhöht (OR=2,07, Wald=17,50; df=1; p<0,001) und mit ansteigender selbsteingeschätzter Leistung deutlich verringert (OR=0,39; Wald=14,00; df=1; p<0,001). Die Zugehörigkeit zum Risikomuster A wird vor allem durch eine hohe selbst eingeschätzte psychische Belastung (OR=4,12; Wald=21,60; df=1; p<0,001) vorhergesagt. Als statistisch signifikante Prädiktoren für das Risikomuster B zeigen sich die Zugehörigkeit zu einer höheren Semestergruppe (OR=1,83; Wald=8,05; df=1; p=0,005), eine geringe selbsteingeschätzte Leistung (OR=0,32;Wald=13,93; df=1; p<0,001), eine geringere subjektive Gesundheit OR=1,70; Wald=5,88; df=1; p=0,015) und eine höhere psychische Belastung (OR=2,91; Wald=13,45; df=1; p<0,001). Der Nagelkerke-Wert von 0,292 weist darauf hin, das die in der Studie einbezogenen Prädiktoren lediglich einen Teil der Variabilität in den tendenziellen AVEM-Mustern aufklären konnten, das weist darauf hin, dass es noch weitere Faktoren z.B. Persönlichkeitseigenschaften gibt, die in dieser Studie nicht gemessen wurden.

Geschlechts- und Kohortenunterschiede hinsichtlich studienbezogener Verhaltens- und Erlebensmuster

In Ergänzung zur Analyse der studienbezogenen Verhaltens- und Erlebensmuster, wurde der Einfluss des Geschlechts und der Semestergruppe auf die einzelnen Dimensionen des AVEM untersucht. Dafür wurden für jede Dimension zweifaktorielle Varianzanalysen durchgeführt, jeweils mit dem Geschlecht und der Semestergruppe als unabhängige Variable. Der Tabelle 4 [Tab. 4] und der Tabelle 5 [Tab. 5] können die deskriptiven und interferenzstatistischen Ergebnisse getrennt für die beiden Einflussfaktoren entnommen werden. Da in keiner der durchgeführten Analysen ein statistisch signifikanter Interaktionseffekt ausgemacht werden konnte, beschränkt sich die Darstellung auf die Analyse der Haupteffekte.

Statistisch signifikante Geschlechtsunterschiede finden sich in den Skalen „Beruflicher Ehrgeiz“ (F=5,85; df=1; p=0,015), „Resignationstendenz“(F=14,02; df=1; p<0,001), „Innere Ruhe/Ausgeglichenheit“ (F=9,83; df=1; p=0,002) und „erlebte soziale Unterstützung“ (F=13,648; df=1; p<0,001). Studentinnen zeigen demnach im Vergleich zu ihren männlichen Kommilitonen einen geringeren beruflichen Ehrgeiz, höhere Resignationstendenzen bei Misserfolgen, weniger innere Ruhe/Ausgeglichenheit und eine höhere subjektiv wahrgenommene soziale Unterstützung.

Ein statistisch signifikanter Einfluss des Semesters konnte in den Dimensionen „Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit“ (F=8,80; df=2; p<0,001) und „Distanzierungseffekt“ (F=5,14; df=2; p=0,007) festgestellt werden. Während in der Skala „Subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit“ Studenten der Semester 2-4 die höchsten Mittelwerte aufweisen und Studenten der Semester 10-12 die niedrigsten, kann in der Skala „Distanzierungsfähigkeit“ das umgekehrte Muster entdeckt werden.

Gewünschte Angebote

In Abbildung 4 [Abb. 4] wird dargestellt, welche Angebote von den Studierenden (Gesamtstichprobe, N=360) in welcher Häufigkeit gewünscht werden. Für die Darstellung wurde die Skala dichotomisiert. Die Stufen „eher ja“ und „ja“ wurden als Zustimmung zum jeweiligen Angebot gewertet, die Stufen „eher nein“ und „nein“ als Ablehnung. Danach wünscht die Mehrzahl der befragten Studenten präventive Angebote an der Universität. Am Wichtigsten ist den Studenten Stressbewältigung (84,7%), es folgen Zeitmanagement (78,6%), Burnout-Prophylaxe (77,2%), Lernstrategien (76,1%), Umgang mit Prüfungsangst (75,0%) und Entspannungsverfahren (62,8%). Es bestand die Möglichkeit der freien Nennung von anderen Angeboten. Diese Möglichkeit wurde jedoch kaum von den Studenten genutzt.

Die tendenzielle Musterzuordnung der Studenten zu einem bestimmten Verhaltens- und Erlebensmuster hat keinen Einfluss auf die Angebotspräferenz (Stressbewältigung: Chi²=0,230, df=3, p=0,973; Zeitmanagement: Chi²=0,771, df=3, p=0,856; Burnout-Prophylaxe: Chi²=2,450, df=3, p=0,484; Lernstrategien: Chi²=6,027, df=3, p=0,110; Umgang mit Prüfungsangst: Chi²=1,177, df=3, p=0,759; Entspannungsverfahren: Chi²=1,716, df=3, p=0,633).


Diskussion

Ärzte stehen unter Druck: Die stetige Konfrontation mit Leid und Tod, die hohe Arbeitsbelastung, die Überstunden, die Pflicht hohe Leistung zu erbringen, der stetige Zwang ökonomisch zu handeln, die zeitfressende Bürokratie, die Verantwortung für Leben und Tod, die eigenen Wünsche und die Anforderungen der Familie. Die meisten Ärzte fühlen sich mit dem Druck alleine gelassen [9]. In der Ausbildung zum Arzt ist ihnen Hilfe zur Selbsthilfe und Achtsamkeit hinsichtlich ihrer eigenen Bedürfnisse meist nicht vermittelt worden. Ärzte werden seltener krankgeschrieben und nehmen medizinische Versorgungsleistungen seltener in Anspruch als andere Berufsgruppen [18]. Häufig scheuen sie die Konsultation eines ärztlichen Kollegen in eigener Sache und behandeln selber. Die eigenständige Behandlung psychischer Störungen ist jedoch schwierig [16]. Depressionen, Suchterkrankungen, Burnout und Suizid sind bei Ärzten gegenüber der Allgemeinbevölkerung erhöht [19].

Die vorliegende Arbeit zeigt, dass auch schon die Medizinstudenten den hohen Zeitdruck und die psychische Belastung als Problem sehen und entsprechende Präventivprogramme wünschen: 85% der Studenten wollen Programme zur Stressbewältigung, 79% bzw. 77% zum Zeitmanagement bzw. zur Burnout-Prophylaxe haben. Die Würzburger Universität bietet seit dem Wintersemester 2007/2008 Vorlesungen und Kleingruppen zum Umgang mit Prüfungsangst für Studierende im vorklinischen Studienabschnitt. Das Thema „Burnout - die Warnzeichen bei sich selbst erkennen“, wurde im Sommersemester 2009 erstmals in Form einer Vorlesungseinheit in das Curriculum des 10. Semesters aufgenommen. Die in der vorliegenden Arbeit erhobenen Daten machen deutlich, dass in der Curriculumsentwicklung der Ausbildung zum Arzt, Angebote zum Schutz vor Störungen der seelischen Gesundheit noch stärker als bisher berücksichtigt werden sollten. Bei der Gestaltung der Angebote zur Stärkung der individuellen Bewältigungskompetenzen im Sinne eines ressourcenorientierten Ansatzes sollte die unterschiedliche Selbstwahrnehmung von Männern und Frauen beachtet werden. Frauen zeigen in der vorliegenden Studie weniger beruflichen Ehrgeiz, höhere Resignationstendenz und eine geringere innere Ruhe; nehmen aber auch mehr soziale Unterstützung wahr als Männer.

Die in der Studie vorgestellten Verhaltensmuster sind im Hinblick auf psychische Belastungen der Studenten eindrucksvoll. So weist insgesamt fast ein Fünftel der Studenten ein „Burnout-Muster“ (Muster B) auf mit den Merkmalen: Negative Einschätzung der persönlichen Leistungskompetenz, hohe Resignationstendenz, geringe Bedeutsamkeit der Arbeit bzw. des Studiums, wenig Ehrgeiz, verknüpft mit mangelndem Erfolgserleben und genereller Lebensunzufriedenheit. Je weiter die Studenten im Studium fortgeschritten waren, desto geringer wurde die subjektive Bedeutsamkeit der Arbeit und umso größer die Distanz zum Beruf. Die Verhaltensmuster sind unabhängig von Alter, Geschlecht, Familienstand, der Abiturnote oder der Nationalität der Studierenden.

Eine solche Tendenz lässt sich für Medizin- bzw. Pharmaziestudenten in Großbritannien und USA bei ähnlichen Querschnittsuntersuchungen, die allerdings mit anderen Assessmentinstrumenten erhoben wurden, nicht abbilden. Hier treten bei den Studenten die psychischen Belastungen eher punktuell zum Beispiel in Übergangsphasen, von der Schule zur Universität, von der Vorklinik zur Klinik [20] oder in der Mitte des Studiums auf, in Phasen, wo große, als schwierig empfundene Stoffgebiete gelernt werden müssen [21].

Betrachtet man das resignative Verhaltens- und Erlebensmuster B mit Burnout-Symptomen und das Schonverhaltensmuster S mit reduziertem Arbeitsengagement gemeinsam, so beträgt der Anteil an betroffenen Studenten in der vorliegenden Studie in den ersten Semestern 44%, in der Mitte des Studiums 56% und zum Ende des Studiums 65%. Während bei der Kohorte der niedrigen Semester das gesunde Verhaltensmuster G mit 39% der Studenten überwiegt und bei dieser Gruppe von hoher Widerstandskraft gegenüber Belastungen, offensiver Problembewältigung, innerer Ruhe und Ausgeglichenheit auszugehen ist, so findet man am Ende des Studiums nur noch bei 18% der Studenten dieses gesunde Verhaltensmuster. Studenten, die ihre Leistung im Vergleich zu anderen Studenten höher einschätzen, wiesen auch eine geringere Wahrscheinlichkeit für ein Schonhaltungsmuster S auf. Studenten, die ihre psychische Belastung als hoch einschätzen, hatten eine hohe Korrelation mit dem Risikomuster A mit exzessiver Anstrengung und reduzierter Widerstandsfähigkeit gegenüber Belastungen. Studenten höherer Semester mit einer geringen selbsteingeschätzten Leistung, schlechterer Gesundheit und höherer psychischer Belastung, wiesen erwartungsgemäß häufiger Burnout-Verhaltensmuster auf.

Wenn die Studenten das Studium der Humanmedizin fast absolviert haben, hätte man erwartet, dass sie nun voll Elan für den gewählten Beruf sind. Stattdessen zeigt der größte Anteil der Studenten zum Ende hin entweder einen Zustand der Resignation mit Burnout-Tendenzen (19%), oder ein Schonverhalten mit reduziertem Arbeitsengagement (46%), also einem Muster, das mit einer geringen Bedeutung der Arbeit, niedrigem Ehrgeiz, niedriger Verausgabungsbereitschaft, niedrigem Perfektionsstreben und hoher Distanzierungsfähigkeit zum erlernten Beruf einhergeht. Im Vergleich der verschiedenen Berufsgruppen Ärzte, Lehrer, Existenzgründer und Pflegepersonal (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]), ähnelt das Verhaltensmuster der Würzburger Medizinstudenten zum Ende des Studiums am ehesten dem der Assistenzärzte. Die deutlichsten Unterschiede zeigen sich zur Gruppe der Existenzgründer mit überwiegend gesundem Verhaltenmuster (45%) [10].

Statt dass die Medizinstudenten am Ende des Studiums darauf „brennen“, den erwünschten Beruf mit Begeisterung, Ehrgeiz und Freude auszuüben, distanzieren sie sich innerlich von ihm, das gilt gleichermaßen für Medizinstudenten ob in Würzburg, Freiburg oder Lübeck [6]. Trotz guter Lehre und hohem Engagement der Lehrenden, schaffen wir es im Laufe des Studiums nicht, alle unsere Studenten mit unserer Begeisterung für den Beruf des Arztes anzustecken, wir verlieren einen nicht geringen Teil von ihnen durch „Rückzug ins Private“ mit Distanz vom Arztberuf.

Dieses Ergebnis passt gut zu der Erkenntnis, dass sich heute jeder fünfte Absolvent des Medizinstudiums in Deutschland gegen den Arztberuf entscheidet [22]. Über die Ursachen hierfür lässt sich nur spekulieren.

Ein Grund dafür könnte in der Architektur des deutschen Ausbildungscurriculums liegen: Führt der hohe Anteil an Faktenlernen, der kaum Freiräume für Kreativität, für eigene Wege und für Selbstentfaltung bietet, zum „Rückzug“ unserer Studierenden? Bedingt unsere Approbationsordnungs-diktierte Prüfungskultur mit ihrer repetitiven „Lern-Abfrage-Konditionierung“ über 6 Jahre hinweg die Schonhaltungsmentalität? Oder ist unser „Hidden Curriculum“, das was nirgendwo geschrieben steht, aber das Verhalten der Studenten nachhaltig beeinflusst ein Grund? Studierende passen sich wie alle Menschen ihrer Umgebung an: Das klinische Umfeld, die Art der Prüfungen, die Wahrnehmung der Lehrenden haben Einfluss auf das Lernen und die Einstellung unserer Studierenden [23]. Sie suchen nach Rollenmodellen, sie nehmen wahr und sie interpretieren. Spiegelt das Verhalten der Studierenden Unzufriedenheit mit dem klinischen Arbeitsumfeld wieder? Hinweise darauf geben Umfragen bei Assistenzärzten und Medizinstudenten. Hier wird der klinische Arbeitsalltag als deutlich verbesserungswürdig empfunden und u.a. eine Prozessoptimierung der Stationsabläufe, geregelte Arbeitszeiten, Feedback und Wertschätzung der Vorgesetzten und eine stärkere Strukturierung der Weiterbildung angemahnt [24]. In diesem Sinne könnte das Schonverhalten und die Distanzierung zum Beruf am Ende des Studiums auch Ausdruck einer Unzufriedenheit mit dem aktuellen Arbeitsumfeld des Arztes in Deutschland sein, welches die Studenten während ihrer Ausbildung wahrnehmen.

Ganz anders stellt sich in diesem Zusammenhang die Situation der Ärzte in der Schweiz dar. In einer Longitudinalstudie an Schweizer Assistenzärzten im zweiten und vierten Ausbildungsjahr zeigten Dreiviertel der Teilnehmer keine oder abnehmende Grade psychischer Belastungen [25]. Das Medizinstudium stellt nicht nur intellektuelle, sondern auch hohe emotionale Anforderungen an die Studierenden. Studien zeigen als Folge eine Zunahme von Angst und Zynismus im Verlauf des Medizinstudiums [23], [26]. Vielleicht stellt die Schonhaltungstendenz einen „protektiven Rückzug“ als Selbstschutz vor nicht bewältigten emotionalen Anforderungen dar. Die durchgeführte Prädiktorenanalyse zeigt eine hohe psychische Belastung besonders bei den Verhaltensmustern A und B.

Als mögliche Gründe für die beobachteten Verhaltensmuster kommt aber auch eine selektionsbedingte Häufung spezifischer Persönlichkeitseigenschaften durch die bei der Auswahl der Studienbewerber angewandten Auswahlverfahren zum Medizinstudium in Frage. Es wäre zu diskutieren, ob in den Auswahlverfahren psychische Belastbarkeit als ein Kriterium erfasst werden sollte.

Methodisch muss problematisiert werden, dass es sich bei der vorgelegten Studie um ein Querschnittsdesign handelt und vor diesem Hintergrund keine Aussagen zu Verläufen gemacht werden können. Wenngleich es Hinweise darauf gibt, dass Schonhaltungs- und Burnout-Muster im Studienverlauf zunehmen, und sich eine solche Entwicklung auch gut erklären ließe (s.o.), so muss diese Hypothese durch Längsschnittdaten geprüft werden. Über longitudinale Daten könnten auch weitere Erkenntnisse über mögliche Ursachen einer solchen Entwicklung aufgezeigt werden.

Desweiteren wurde in der vorliegenden Studie mit der „tendenziellen Musterzuordnung“ gearbeitet. Dies geschah vor dem Hintergrund, dass sich nur wenige Studierende einem „reinen Typus“ zuordnen ließen. Lt. Schaarschmidt & Fischer [11] ist mit dieser weniger eindeutigen Musterzuordnung allerdings nicht zwangsläufig eine Einschränkung der diagnostischen Verwertbarkeit der Ergebnisse verbunden, da gerade mit dem Aufzeigen von Tendenzen in Richtung des einen oder anderen Musters frühe Hinweise für erfolgsversprechende präventive Maßnahmen gewonnen werden können.

Darüber hinaus ist anzumerken, dass die Daten lediglich an der Universität Würzburg – also monozentrisch – erhoben wurden und vor diesem Hintergrund auch nur für diese Studierendenpopulation Gültigkeit besitzen. Das Ergebnis der vorliegenden Studie stimmt allerdings sehr gut mit den Ergebnissen überein, die Voltmer et al. in ihrer Studie an Medizinstudenten in Freiburg und Lübeck [6] gefunden haben. Fast identisch in beiden Studien ist der relativ gleichbleibende Anteil von ca. 20% der Studenten, die das Burnout-Muster B aufweisen und der deutliche Anstieg von Schonhaltungsmuster S bei gleichzeitiger Abnahme von gesunden Verhaltens- und Erlebensmustern. Die Würzburger Studenten weisen in allen Kohorten einen geringfügig höheren Anteil an Studenten mit gesunden Verhaltensmustern auf.

Ein Vergleich der Daten mit ausländischen Fakultäten könnte weiterhin darüber Aufschluss geben, ob es sich alleine um ein deutsches Phänomen handelt, oder ob sich nicht eventuell zum Beispiel auch die Arbeitseinstellung einer ganzen Generation grundlegend geändert hat: Lebte der Arzt früher um zu arbeiten, so will der heutige Arzt arbeiten um zu leben bzw. leben beim Arbeiten.

Klärung sollte hier angestrebt werden, denn wenn sich in Deutschland eine hochqualifizierte Generation junger Ärzte schon am Ende der Ausbildung in Resignation bzw. in Schonhaltung begibt bzw. zu einem beträchtlichen Teil in andere Tätigkeitsbereiche oder ins Ausland abwandert, so ist das nicht nur ein rein universitäres Problem, sondern hat weit reichende gesellschaftliche und ökonomische Konsequenzen.


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