gms | German Medical Science

GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

Seminare mit Klinischem Bezug und Integrierte Seminare: Bestandsaufnahme zur Umsetzung der (neuen) ÄAppO

"Integrated Seminars" versus "Seminars with Clinical Context" - Analysis of the Effects of the Medical Licensure Act (ÄAppO)

Forschungsarbeit/research article Humanmedizin

Search Medline for

  • corresponding author Sabine Ball - Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Köln, Deutschland
  • author Christoph Stosch - Universität zu Köln, Medizinische Fakultät, Studiendekanat, Köln, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2008;25(3):Doc93

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2008-25/zma000577.shtml

Received: November 17, 2007
Revised: February 8, 2008
Accepted: March 3, 2008
Published: August 15, 2008

© 2008 Ball et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution License (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.en). You are free: to Share – to copy, distribute and transmit the work, provided the original author and source are credited.


Zusammenfassung

Die neue Approbationsordnung für Ärzte vom 27.06.2002 brachte auch für den vorklinischen Bereich einige Neuerungen mit sich. So sind insbesondere die nun eingeführten „Seminare mit Klinischem Bezug“ bzw. „Integrierten Seminare“ nach § 2 Abs. 2 zu nennen.

Da bisher nur wenige Publikationen zu diesem zentralen Thema des Einbezugs von Klinischem in die Vorklinik existieren, ist das Ziel dieser Arbeit diese „neuen“ Seminare zu beschreiben und ihre Umsetzung zu kommentieren.

Hierzu wurden alle 36 Medizinischen Fakultäten Deutschlands angeschrieben (verwertbarer Rücklauf 50%) und mittels eines semistandardisierten Fragebogens nach Ihrer Umsetzung bzw. Wertschätzung jener Seminare befragt.

39% der Befragten bieten die beiden Seminare als gemeinsame Veranstaltung an. Auch bei den übrigen Veranstaltern scheint es eine enge konzeptionelle Verknüpfung zu geben. Die inhaltliche Differenzierung zwischen den „Seminaren mit Klinischem Bezug“ und den „Integrierten Seminaren“ bleibt offen.

Die neuen Veranstaltungen werden häufig in bereits nach Anlage 1 ÄAppO bestehende Seminare und/oder Praktika integriert. Zwei Drittel der Fakultäten gaben an, curriculare Vorgaben für die Umsetzung der Seminare zu haben, jedoch nur zwei konnten oder wollten diese auch ausweisen.

Bezüglich der Wertschätzung durch die Studierenden und Lehrenden ergab sich, dass das Einbringen von klinischen Inhalten in die Vorklinik von beiden Seiten her überwiegend begrüßt wird. Die konkreten Anforderungen durch § 2 Abs. 2 der neuen ÄAppO, werden vereinzelt kritisiert, hauptsächlich aus dem Grunde, dass sie die Studierenden zeitlich und/oder inhaltlich überfordern bzw. die Lehrkapazität sprengen würden. Insgesamt kann aber trotzdem resümiert werden, dass die Umsetzung dieser vorklinischen Anforderungen der ÄAppO zwar sehr unterschiedlich aber dennoch vollzogen wurde.

Schlüsselwörter: Approbationsordnung, Evaluation

Abstract

The new Medical Licensure Act (Approbationsordnung für Ärzte 2002, ÄAppO) involves several changes to preclinical education: In particular, the new “seminars with clinical context” and “integrated seminars” stipulated by the ÄAppO are points of discussion. Since there are only a few publications on this topic, it is the target of this article to describe the “new” seminars and to comment on their implementation.

We contacted all 36 German medical faculties and, using a semistandardized questionnaire (rate of return: 50%), surveyed them about their implementation and appreciation of these seminars.

Thirty-nine percent of medical faculties combine both seminars into one course. In the remaining faculties, there seems to be a close conceptual connection between these seminars, so that the actual difference between the two remains blurred. In many cases, the new seminars are integrated into preexisting seminars and practical training courses. Only two out of three medical faculties seem to have concrete instructions in the curriculum regarding the implementation of these seminars.

The integration of clinical content in preclinical education enjoys a high acceptance among students and teaching staff alike. However, there has been criticism that, by fulfilling the concrete legal requirements of the new ÄAppO, students are overburdened in terms of time and content and the faculties’ teaching capacity is overstretched. Nevertheless, we can conclude that the requirements of the ÄAppO concerning implementation of the new seminars are being fulfilled.

Keywords: Medical Licensure Act, evaluation


Einleitung

Am 27.06.2002 wurde die neunte Novelle der Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) beschlossen [1], welche zum WS 2003/2004 in Kraft trat und einige Veränderungen für die Fakultäten mit sich brachte. Zusätzlich zu den Neuerungen im klinischen Bereich (Wegfall von Staatsprüfungen, Querschnittsbereiche, Wahlfach etc.), sind im vorklinischen Bereich Änderungen bezüglich der Unterrichtsveranstaltungen und des Prüfungsstoffs realisiert worden. Im Vergleich zur siebten und achten Novelle ist die Einteilung der Unterrichtsstunden der Veranstaltungen nach Anlage 1 (Praktische Übungen, Kurse und Seminare, deren Besuch bei der Meldung zum Ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung nachzuweisen sind) freier gestaltet, welche nun nur noch die Gesamtstundenzahl von 630 Stunden, aber nicht mehr die Verteilung der Stunden auf einzelne Fächer vorgibt. Zudem wurde nach § 2 Abs. 8 bis zum ersten Abschnitt der Ärztlichen Prüfung ebenfalls ein (inhaltlich und organisatorisch völlig unbestimmtes) Wahlfach eingeführt.

Mit dem in der siebten Novelle der ÄAppO von 1989 [2] erstmals in der Anlage 1 eingeführten „Praktikum zur Einführung in die Klinische Medizin“ als so genannter Brückenkurs, wurde gesetzlich die Verknüpfung vorklinischer und klinischer Inhalte strukturell vorgeschrieben. Diese inhaltliche Richtung wird nun auch in der neunten Novelle durch § 2 Abs. 2 verfolgt: „…Die Vermittlung des theoretischen und klinischen Wissens soll während der gesamten Ausbildung so weitgehend wie möglich miteinander verknüpft werden“ [1]. Die Konsequenz nunmehr lässt sich in zwei Anteilen finden: „Neben den Veranstaltungen nach Anlage 1 zu dieser Verordnung sind Seminare im Umfang von mindestens 98 Stunden als integrierte Veranstaltungen, in die geeignete klinische Fächer einbezogen werden, vorzusehen; darüber hinaus sind weitere Seminare mit klinischem Bezug im Umfang von mindestens 56 Stunden vorzusehen.“ [2] Zweitens wird die Relevanz des Einbezugs klinischer Inhalte in den vorklinischen Abschnitt durch die Aufnahme in den Prüfungsstoff nochmals unterstrichen: Methodik, Durchführung und Ergebnisse der körperlichen Untersuchung und weiterer diagnostischer Verfahren, therapeutische einschließlich pharmakotherapeutische Interventionen, das Verständnis von Krankheitsentstehung, -bewältigung und -prävention, sowie die Gestaltung der Arzt-Patient-Beziehung sind nunmehr Bestandteil des 1. Abschnitts der Ärztlichen Prüfung.

In den letzten Jahren ist im deutschen Sprachraum einiges über die Einführung der neuen ÄAppO publiziert worden. Neben einigen Übersichten zu spezifischen Bereichen der neuen ÄAppO (von Konsequenzen auf das Zulassungsrecht [3] oder das Prüfungswesen [4], [5], [6] bis hin zur Meldung zum Ende des AIP [7]) sind insbesondere Fallbeispiele publiziert worden, in denen die unterschiedlichen Umsetzungsmöglichkeiten einzelner Fakultäten dargestellt wurden [8], [9], [10], [11]. Leider existieren bis heute kaum vergleichende Arbeiten über die Auswirkung der ÄAppO in der Breite (wie beispielsweise zum Thema des Querschnittsbereich 1: Geschichte, Ethik und Theorie der Medizin [12]).

Zum vorklinisch zentralen Thema der ÄAppO des Einbezugs von klinischen Inhalten in die Vorklinik sind bislang nur zwei Fallstudien aus Hamburg [13], [14] und Witten [15] publiziert. Ziel dieser Arbeit ist es demnach, die Durchführung der mit der ÄAppO eingeführten, zusätzlichen klinisch orientierten Seminare bundesweit überblickend zu beschreiben und deren Umsetzung zu kommentieren.


Material und Methoden

Alle 36 Medizinischen Fakultäten Deutschlands wurden im Juni 2007 angeschrieben und anhand eines semistandardisierten Fragebogens mit offenen und geschlossenen Fragen nach ihrer Umsetzung der „Seminare mit Klinischen Bezug“ bzw. der „Integrierten Seminare“ nach § 2 Abs. 2 befragt. Es gab bis Ende August drei telefonische Nacherfassungsrunden, um Fakultäten die nicht fristgerecht geantwortet haben zu erinnern und b.B. Unklarheiten auszuräumen. Im Einzelnen wurden die folgenden Themenfelder in die Umfrage einbezogen (Fragebogen siehe Abbildung 1 [Abb. 1]):

  • Form der Veranstaltungen
  • Stundenplantechnische Einbindung der Seminare
  • Leistungskontrollen und Evaluation
  • Curriculare Vorgaben für die Veranstaltungen
  • Persönliche Wertschätzung der Seminare durch die Lehrenden

Es wurden alle vollständig ausgefüllten Fragebogen in die Auswertung einbezogen (n=18). Fakultäten, bei denen nicht die gesamten Veranstaltungen beschrieben wurden, sind exkludiert worden (n=2 – in einem Fall wurde eine Absage zurückgesendet und in einem weiteren Fall hat nur ein Teil der Veranstalter aus einer Fakultät seinen Anteil dargestellt). Die Auswertung der geschlossenen Items erfolgte mit MS Excel 2002. Offene Fragen wurden, wenn nötig, qualitativ inhaltsanalytisch verdichtet.


Ergebnisse

Von den angeschriebenen 36 Fakultäten haben 18 Fakultäten auswertbar geantwortet (Rücklaufquote auswertbarer Bögen 50 %). Eine regionale Häufung ist bei den Rückläufen nicht zu verzeichnen. Die meisten Bögen wurden durch die (Studien-) Dekanate oder Studiendekane ausgefüllt (n=13) und nur 4 Bögen von Lehrenden aus vorklinischen Instituten (in einem Fall ist eine eindeutige Zuordnung in die eine oder andere Kategorie nicht möglich).

Im Einzelnen sind die Ergebnisse wie folgt:

1. Form der Veranstaltungen

„Seminare mit Klinischem Bezug“ und „Integrierte Seminare“ werden von 39 % der einbezogenen Fakultäten als gemeinsame Veranstaltung angeboten.

Befragt nach der Integration der Seminare in bereits bestehende Unterrichtsveranstaltungen, gibt ca. ein Drittel der antwortenden Fakultäten an, diese als neue, allein stehende Veranstaltung anzubieten, ein weiteres Drittel gibt an diese in Veranstaltungen nach Anlage 1 ÄAppO einzubinden (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]): Diese Integration findet insbesondere in die Seminare „Physiologie“, „Biochemie“, „Anatomie“ und „Medizinische Psychologie und Medizinische Soziologie“ statt (in geringem Maße auch in die Praktika dieser Fächer sowie „Einführung in die Klinische Medizin“ und „Berufsfelderkundung“). Das restliche Drittel veranstaltet Mischformen beider Konzepte bzw. erwähnt andere Unterrichtskonzepte: Seminare der Allgemeinmedizin und Inneren Medizin, Einbindung in Untersuchungskurse, Veranstaltung von so genannten „Kompetenzfeldern“, POL-Tutorien oder als Veranstaltungen im Rahmen „themenbezogener Module“ (die nicht weiter ausgeführt werden).

2. Stundenplantechnische Einbindung der Seminare

In nahezu allen Fällen werden die Unterrichtsstunden der „Seminare mit Klinischem Bezug“ eher gleichmäßig auf alle vier vorklinischen Semester verteilt, während die „Integrierten Seminare“ eher im Semester 3 und 4 liegen (13 von 18 Fakultäten verwirklichen diese Seminare im 4. Fachsemester). Dieser Trend zu eher späterer Einbindung klinischer Inhalte zeigt sich auch in der Analyse der mittleren Stundenanzahl je Semester: Diese steigt mit dem Semester (siehe Abbildung 3 [Abb. 3]).

3. Leistungskontrollen und Evaluation

Fast jede Fakultät führt Anwesenheits- und Leistungskontrollen für die „neuen“ Seminare durch (siehe Tabelle 1 [Tab. 1]). Leistungskontrollen werden zumeist schriftlich (als Multiple-Choice-Klausuren oder Referate), seltener mündlich (Testate) und in einem Fall durch „aktive Beteiligung“ verwirklicht.

Zwei Drittel der Befragten lassen die „Integrierten Seminare“ bzw. die „Seminare mit Klinischem Bezug“ von den Studierenden evaluieren. Für die beiden Seminare ergibt sich, der überblickenden Einschätzung der Antwortenden zufolge (hauptsächlich Mitarbeiter des Studiendekanats, seltener Lehrende der Vorklinik s.o.), für die Zufriedenheit der Studierenden mit der konkreten Veranstaltung ein Median von 3 (Likert-Skala, 1=vollkommen zufrieden, 7=unzufrieden). Die studentische Akzeptanz der Einbeziehung von „Klinik in die Vorklinik“ insgesamt (Likert-Skala, 1=vollkommen akzeptiert, 7=nicht akzeptiert) wird im Median durch die Bewerter um einen Punkt besser, mit einer 2, eingeschätzt. Auch wenn teilweise die Ergebnisse der heimischen Evaluationen als Grundlage der Einschätzung gedient haben mag, so wird diesen nur ein geringer Stellenwert durch die Antwortenden beigemessen, da die Ergebnisse sehr dozierenden- und themenabhängig seien. Gleichwohl erhärtet sich auch durch Analyse der dazugehörigen Freitextstellen, dass der Einbezug klinischen Wissens für die Studierenden interesse- und motivationsfördernd sei, sowie auf die Klinik vorbereiten könne.

4. Curriculare Vorgaben für die Veranstaltungen

Zwei Drittel aller an der Befragung beteiligten Fakultäten haben curriculare Vorgaben für die „neuen“ Seminare. Drei Fakultäten gaben an, dass diesbezüglich kein Curriculum vorliegt. Lediglich zwei Fakultäten konnten oder wollten dieses auch ausweisen.

5. Persönliche Wertschätzung der Seminare in den Fakultäten

Abbildung 4 [Abb. 4] zeigt, dass die Integration von klinischen Inhalten in die Vorklinik in über zwei Dritteln der Nennungen volle Zustimmung findet.

Anders sieht es aus, wenn man die Fakultäten nach der Angemessenheit der konkreten Anforderungen der neuen ÄAppO zur Integration klinischen Wissens in die vorklinische Ausbildung fragt: Die meisten Antworten liegen im mittleren Wertebereich der Likert-Skala (1=vollkommen angemessen, 7=völlig unangemessen), jedoch fällt auf, dass nun im Gegensatz zur Frage nach dem generellen Einbringen von Klinik in die Vorklinik, einige der Befragten angeben, die genauen Anforderungen für völlig unangemessen zu halten (siehe Abbildung 4 [Abb. 4]).

Folgende Probleme werden von den beteiligten Fakultäten konkret durch die Einführung der „neuen“ Seminare gesehen (inhaltsanalytische Auswertung der freien Kommentare zu Klinik in der Vorklinik und den Anforderungen der ÄAppO): In knapp einem Viertel der ausgewerteten Fragebögen wird angegeben, dass die Neuerungen der ÄAppO die Studierenden zeitlich und/oder inhaltlich überfordern. Ebenso viele sehen ihre Rechtssicherheit bezüglich der Berechnungen der Lehrkapazität und der daran gekoppelten Studienanfängerzahl bedroht oder sind der Auffassung, dass die konkreten Anforderungen die Lehrkapazität sprengen. Darüber hinaus wird von einer Fakultät auch die Förderung „passiven Lernverhaltens“ kritisiert.

Positiv hingegen wurde von zwei der Befragten bemerkt, dass die Vorgaben der ÄAppO helfen, klinische Erfahrung in die Vorklinik zu integrieren. Einer weiteren Ansicht nach wirken die „Seminare mit Klinischem Bezug“ und die „Integrierten Seminare“ motivationsfördernd auf die Studierenden. Einer über die Anforderungen der ÄAppO hinausgehenden Auffassung ist eine Fakultät, welche es für sinnvoller hält den „wirklichen Schritt“ in Richtung Klinik zu wagen, und vorschlägt dies zum Beispiel durch Anatomie im OP, Anamnese-Kurse, U-Kurse bzw. Allgemeinarztpraktika zu verwirklichen.


Diskussion

Betrachtet man den Wortlaut des § 2 Abs. 2 der neunten Novelle der ÄAppO [1] näher, bleibt offen, was die konkreten, inhaltlichen Unterschiede zwischen den „Integrierten Seminaren“ und den „Seminaren mit Klinischem Bezug“ sein sollen. Dieses Problem der inhaltlichen Differenzierung der beiden Seminare mag einer der Gründe sein warum 39% der Fakultäten angeben, beide Seminare als gemeinsame Veranstaltung anzubieten. Bei den übrigen Veranstaltern scheint es, auch wenn die Seminare nominell einzeln ausgewiesen werden, konzeptionelle Verknüpfungen zu geben, vergleicht man die Strukturmerkmale beider Veranstaltungen.

Diese in der begrifflichen Unbestimmtheit liegende Gestaltungsfreiheit wird dann auch von einigen Fakultäten als Freiraum für curriculare Änderungen genutzt (z.B. in Form von „themenbezogenen Modulen“ oder „Kompetenzfeldern“).

Öfter jedoch werden diese „neuen“ Seminare in bereits nach Anlage 1 ÄAppO bestehende Seminare und/oder Praktika integriert (insbesondere „Praktikum der Einführung in die Klinische Medizin“ oder auch den Seminaren Anatomie, Biochemie und Physiologie jeweils mit klinischem Bezug sowie der Seminare der Psychologie und Soziologie). Die sich hieran anschließende Frage, ob die Integration zu Absenkungen der Deputatstunden dieser Unterrichtseinheiten geführt hat, kann hier nicht beantwortet werden.

In zwei Dritteln der ausgewerteten Fragebögen geben die Fakultäten an, eigene curriculare Vorgaben für die Umsetzung der Seminare zu haben, konnten oder wollten diese jedoch nicht (mit Ausnahme eines Standortes, und auch dort nur partiell) ausweisen. Aus unserer Sicht ist verwunderlich, warum diese nicht öffentlich gemacht werden (immerhin drei Fakultäten gaben an, kein (!) festes Curriculum für diese Unterrichte zu besitzen). Auch wenn das Kölner Beispiel nicht repräsentativ sein kann (da die rechtliche Grundlage des „Modellstudiengangs“ hier wichtig ist) so kann aber die Themenauswahl durchaus hilfreich sein: Die interdisziplinären sog. „Kompetenzfelder“ (jedes davon 5-10 Unterrichtsstunden unterschiedlicher Kliniken und klinischer Institute beinhaltend [16], [17]) werden inhaltlich an die jeweiligen Fachblöcke der entsprechenden Semester angeknüpft. Über die vier Semester verteilt, gelingt die Integration vorklinischen und klinischen Wissens wie in Tabelle 2 [Tab. 2] dargestellt. Entscheidender Punkt für die Realisation ist neben der Auswahl der Themen der Einsatz von sog. „Kompetenzfeldmanagern“ die die neuen Unterrichtsformen koordinieren und die durch das Studiendekanat bei der Aufgabe der inhaltlichen Verknüpfung unterstützt werden.

Leider können mangels Rücklauf weitergehende Analysen über den inhaltlichen Aufbau der Veranstaltungen hier nicht erfolgen. Die anknüpfenden Fragen nach den eingebundenen klinischen Inhalten bzw. Fächern oder der Überschneidung zu bereits bestehenden Angeboten (wie dem „Praktikum der Einführung in die Klinische Medizin“ oder auch den Seminaren Anatomie, Biochemie und Physiologie jeweils mit klinischem Bezug) lassen sich so leider nicht beantworten. Zusammengenommen mit der Tatsache, dass sich trotz dreier telefonischer Nacherfassungsrunden nur die Hälfte der Studienstandorte überhaupt beteiligt haben, ergibt sich die (zugegeben spekulative) Frage: Sind die Fakultäten (vielleicht in Hinsicht auf die weiter unten erwähnte Kapazitätswirksamkeit der Veranstaltungen) nicht eher übervorsichtig in der Preisgabe von Informationen zu den neuen Seminaren?

Als Konsequenz traditioneller Curricula (gestufte Wissensvermittlung [18], [19]), kann die Platzierung der „neuen“ Seminare eher im 3. und 4. Fachsemester verstanden werden. Dies vernachlässigt den Aspekt der Motivation der Studierenden durch das frühe Einbringen von Klinik in die Vorklinik (Nutzung der klinischen Aspekte als Lernanlass für die Grundlagenfächer).

Bei der inhaltsanalytischen Auswertung der freien Kommentare zu Klinik in der Vorklinik und den Anforderungen der ÄAppO, ergibt sich für ein Viertel der Befragten der Kritikpunkt, dass die Neuerungen die Studierenden zeitlich und/oder inhaltlich überfordern und die Fakultäten belasten. Hier wäre es im Weiteren wichtig, Daten über die in der Vorklinik Studierenden standortnah zu eruieren, denn die Daten des IMPP (http://www.impp.de/index.php?id=7) lesen sich anders: Analysiert man den durchschnittlichen prozentualen Anteile der Referenzteilnehmenden an allen Prüfungsteilnehmenden im Vergleich zwischen den Examina nach 7. bzw. 8. ÄAppO-Novelle (Examina Frühjahr 1999 bis einschließlich Herbst 2003) und der neuen ÄAppO (Examina Frühjahr 2006 – Herbst 2007) so fällt auf, dass in den Examina nach altem Recht der Anteil der Referenzkohorte mit 54 % zu bemessen ist, während dieser sich in den Durchgängen des neuen Examens auf 60 % verbessert hat. Diese Beobachtung lässt unterschiedliche Interpretationen zu: Erstens könnten die nunmehr häufiger bestehenden Studienbeiträge Studienzeit verkürzend wirken. Zweitens zeigt sich aber auch, dass insbesondere die leistungsstärkeren Studierenden (Referenzkohorte) offensichtlich nicht in Ihrer Studienplanung beeinträchtigt sind. Gemessen am Examenseintritt kann folglich eine für die Studierenden erkennbare Mehrbelastung nicht konstatiert werden. Dies ist umso erstaunlicher, als dass durch die neue ÄAppO faktisch für die Studierenden anwesenheitspflichtige Unterrichtsmehrbelastungen in Höhe von 11 SWS durch die neuen Seminare entstanden sind.

Im Hinblick auf die Belastung der Fakultäten wiegt vielleicht am schwersten, dass mit der Einführung dieser Seminare eine zusätzliche Unsicherheit im Rahmen der kapazitätsrechtlich relevanten Berechnungen (siehe hierzu [3], [20]]) entstanden ist, deren gerichtsnotarische Folgen -ähnlich denen durch die Einstellung von Lehrkräften aus Studienbeiträgen- noch nicht abschließend bewertet werden können.

Hat Kirchner noch zu Beginn der Umsetzung der ÄAppO im Ärzteblatt von den „Schularbeiten“ der Fakultäten gesprochen und gefordert, „der zeitaufwendige, fächerübergreifende Unterricht [muss] umgesetzt werden“ [21], kann nunmehr zumindest für die Hälfte der Medizinischen Fakultäten in Deutschland für die neuen Seminare im vorklinischen Abschnitt berichtet werden, dass -unterschiedliche- Wege und Mittel gefunden wurden, dieses umzusetzen. Sowohl die Studierenden als auch die Lehrenden empfinden das Einbeziehen klinischer Inhalte in die Vorklinik als überwiegend vorteilhaft. Der aus den Reihen der Fakultäten stammenden, vereinzelten Kritik zu den konkreten Forderungen der ÄAppO, ist entgegenzuhalten, dass

1.
die Fakultäten einen gewissen Veränderungsdruck benötigen um sich den international gewachsenen Anforderungen anzupassen,
2.
in den vorklinischen Fächern selten noch genügend ärztliches Personal vorhanden ist, um die Brücke hin zu den klinischen Inhalten authentisch vermitteln zu können,
3.
die (nach KapVO berechneten) Überkapazitäten in den klinischen Fächern ausreichen sollten um diese Anforderungen zu erfüllen, und schließlich
4.
diese ÄAppO-Reform, gemessen an dem was durch die Fakultäten voraussichtlich im Rahmen des Bologna-Prozesses zu leisten sein wird (siehe hierzu [22]), nur eine Marginalie darstellt.

Welche Auswirkungen die mit der ÄAppO verstärkte Einbeziehung des Klinischen in das Vorklinische auf die Kenntnisse und Fertigkeiten der Studienabgänger haben wird, ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht evaluierbar. Der erste Jahrgang dieser neuen Ausbildung wird erst nach dem Sommer 2009 im Examen den Nachweis erbringen müssen. Voraussichtlich aber wird die Politik es, anders als von Pabst gefordert [20], nicht aushalten neue Reformen zu unterbinden, bis verlässliche Evaluationsdaten zu den Folgen der jetzigen Reform der ÄAppO (auch zu anderen Bereichen, wie etwa der Einführung der fakultätseigenen Prüfungen im 2. Studienabschnitt) vorliegen. Einer medizindidaktisch versierten Beforschung der Reformen sollte dies nicht im Wege stehen.


Literatur

1.
Bundesministerium für Gesundheit. Approbationsordnung für Ärzte vom 27. Juni 2002. Bonn: Bundesgesetzbl. 2002;Teil I:Nr. 44.
2.
Brauer HP, Stobrawa FF. Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) Bundesärzteordnung (BÄO) Mit Erläuterungen und praktischen Hinweisen. Köln: Deutscher Ärzteverlag; 1998 (Nachdruck).
3.
Handwerker HO. Im Korsett des Zulassungsrechts. Dtsch Arztebl. 2004;101(46):A 3082-3087.
4.
Schulze J, Drolshagen S, Nürnberger F, Siegers CP, Syed Ali S. Prüfen und Prüfungen nach der neuen Approbationsordnung - Grundsätze und Rahmenbedingungen. Med.Ausbild. 2004;21(1):30-34.
5.
Hibbeler B. Hammerexamen in der Kritik. Dtsch Arztebl. 2007;104(7):A 390-392.
6.
Hibbeler B. Alte Missstände aufgedeckt. Dtsch Arztebl. 2007;104(24):A 1701.
7.
Clade H. Arzt im Praktikum - Notbehelf gekippt. Dtsch Arztebl. 2003;100(47):A 3053.
8.
Porsche M. Mehr lernen im Praktischen Jahr. Dtsch Arztebl. 2006;103(10):A597.
9.
Brauer R, Mornau M, Ring J. Die Lehre verbessern. Dtsch Arztebl. 2007;104(33):A2303-2304.
10.
Fischer T, Chenot J-F, Kleiber C, Kochen MM, Simmenroth-Nayda A, Staats H, Herrmann-Lingen C. Kurs "ärztliche Basisfähigkeiten" - Evaluation eines primärärztlich orientierten Unterrichtskonzepts im Rahmen der neuen Approbationsordnung. GMS Z Med.Ausbild. 2005;22(3):Doc.59.
11.
Müller K, Strom PC, Südkamp NP. Die neue Approbationsordnung (AO)- Schwerpunktbildung in der Lehre. GMS Z Med.Ausbild. 2005;22(2):Doc19.
12.
Möller M, Neitzke G, Stöckel S, Lohff B, Frewer A. Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin - Ergebnisse einer Umfrage zur Lehre an deutschen Hochschulen. GMS Z Med.Ausbild. 2006;23(2):Doc38.
13.
Kuhnigk O, Weidtmann K, Dietsche S, Guse AH, Mihalache I, Schulz JH, Middendorff R, Kadula H, Harendza S. Vom "vorklinischen Studienabschnitt" zu "Medizin I" - Umstellung auf die neue ÄAppO an der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg. GMS Z Med.Ausbild. 2006;23(2):Doc36.
14.
Weidmann K, Harendza S, Dietsche S, Guse AH, Middendorff R, Schulz JH, Mihalache I, Frost M, Kuhnigk O. Konzept und studentische Evaluation der integrierten Seminare im Studienabschnitt "Medizin I" der Medizinischen Fakultät der Universität Hamburg. GMS Z Med.Ausbild. 2007;24(2):Doc105.
15.
Mitzkat A, Schulz C, Kasenda B, Langer T, Schnell MW. "Arzt im ganzen Spektrum" - Die integrierten Curricula der Medizinerausbildung an der Universität Wissen/Herdecke - Rückblick auf 6 Jahre Lehre und Hinblick auf Praxisorientierung und theoretische Vorgaben. GMS Z Med.Ausbild. 2006;23(4):Doc66.
16.
Herzig S, Stosch C, Kruse S, Eikermann M, Mosges R. The Competence-based Curriculum Concept of Cologne (4C) - a curriculum mapping procedure to integrate discipline, problem, and outcome-based learning. Edinburg/UK: Annual Conference of the Association for Medical Education in Europe; 2003. AMEE Abstract Book;4.71; Zugänglich unter: http://www.amee.org/documents/AMEE%202003%20Programme%20and%20Abstracts.pdf. External link
17.
Stosch C, Novak DC, Herzig S. Competence-based Contextualised Curriculum Cologne (4C®): The evolution of the new first year students in Cologne. Edinburgh/UK: Annual Conference of the Association for Medical Education: 2004. AMEE Abstract Book 2004;4.25-26.
18.
Westermann J. Anatomie als Wissensbasis. Dtsch Arztebl. 2007;104(18):A1221-1224.
19.
Boeck G. Chemie unverzichtbar. Dtsch Arztebl. 2004;01(44):A2929.
20.
Pabst R. Kritische Bewertung der Reform braucht Zeit. Dtsch Arztebl. 2005;102(51-52):A3572-3574.
21.
Clade H. Medizinische Fakultäten jetzt am Zug. Dtsch Arztebl. 2002;99(47):A3150-3152.
22.
von Troschke J. Auswirkungen der Neustrukturierung der Hochschulbildung im Kontext des so genannten Bologna-Prozesses auf das Medizinstudium in Deutschland. GMS Z Med.Ausbild. 2006;23(1):Doc23.