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GMS Journal for Medical Education

Gesellschaft für Medizinische Ausbildung (GMA)

ISSN 2366-5017

"ARZT IM GANZEN SPEKTRUM": Die INTEGRIERTEN CURRICULA der Medizinerausbildung an der Universität Witten/Herdecke - Rückblick auf sechs Jahre Lehre im Hinblick auf Praxisorientierung und theoretische Vorgaben

"PHYSICIAN IN THE FULL SPEKTRUM": The iNTEGRATED CURRICULA as a part of medical education at the University Witten/Herdecke - looking back on six years of teaching in view of practical and theoretical requirements

Projekt Humanmedizin

  • author Anika Mitzkat - Private Universität Witten/Herdecke eGmbH, Fakultät für Medizin, Integrierte Curricula, Witten, Deutschland
  • author Christian Schulz - Private Universität Witten/Herdecke eGmbH, Fakultät für Medizin, Integrierte Curricula, Witten, Deutschland
  • author Benjamin Kasenda - Private Universität Witten/Herdecke eGmbH, Fakultät für Medizin, Integrierte Curricula, Witten, Deutschland
  • author Thorsten Langer - Private Universität Witten/Herdecke eGmbH, Fakultät für Medizin, Integrierte Curricula, Witten, Deutschland
  • corresponding author Martin W. Schnell - Private Universität Witten/Herdecke eGmbH, Fakultät für Medizin, Integrierte Curricula, Witten, Deutschland

GMS Z Med Ausbild 2006;23(4):Doc66

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/zma/2006-23/zma000285.shtml

Received: July 11, 2006
Published: November 15, 2006

© 2006 Mitzkat et al.
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Zusammenfassung

Die Lehre im Studiengang Humanmedizin an der Privaten Universität Witten/Herdecke (UWH) verfolgt seit mehr als 20 Jahren das Ziel, Studierende praxisnah an die Realität der Patientenversorgung heranzuführen. Das Ausbildungsziel des Medizinstudiums ist dabei die ”lernfähige Arztpersönlichkeit”, die sich möglichst „im ganzen Spektrum” ärztlicher Kernkompetenzen zu orientieren vermag. Im Hinblick auf das Ziel der „lernfähigen Arztpersönlichkeit“ wurden mit der Einführung des Modellstudiengangs Medizin im Jahr 2000 vier Integrierte Curricula (Kommunikation, Wissenschaft, Ethik und Gesundheitsökonomie) aufgebaut. Die Lehre an der Universität Witten/Herdecke geht damit einerseits auf die Anforderungen, die mit Einführung der neuen Approbationsordnung für Ärzte vom 27.06.2002 an die medizinische Ausbildung gestellt wurden, ein und verfolgt andererseits das Ziel, Studierende auf die Realität der Patientenversorgung mit multidimensionalen Anforderungen vorzubereiten.

Die Integrierten Curricula werden in diesem Beitrag exemplarisch an dem Bereich „Kommunikation“, der als wichtiger Bestandteil der medizinischen Ausbildung in Deutschland ein relativ junges und hinsichtlich den Möglichkeiten einer effizienten und effektiven Lehre noch weitgehend unerforschtes Gebiet ist, vorgestellt und diskutiert.

Schlüsselwörter: Medizinstudium, Kompetenzerwerb, Arzt-Patient-Kommunikation, Approbationsordnung für Ärzte

Abstract

For more than 20 years teaching in the medical program at Witten/Herdecke Private University has followed the goal of introducing students to the reality of patient care by a practical approach. The “adaptive physician personality” describes the educational objective of a physician who is able to orient towards “the full spectrum” of his professional core competencies. In regard to the “adaptive physician personality” four Integrated Curricula (Communication, Science, Ethics, and Health Economy) had been developed along with the introduction of a model medical program in 2000. Witten/Herdecke University thereby today addresses the requirements defined by the New Medical Licensure Act of 27.06.2002 and brings forward at the same time a program which prepares the medical student for the multi-dimensional responsibilities in the reality of modern health care.

This article describes the Integrated Curricula exemplified by the Communication curriculum. This relatively young area of medical teaching in Germany is still extensively unexplored concerning evidence-based research about its effectiveness and efficiency of teaching.

Keywords: Medical education, Acquirement of competence, Patient-physician-communication, Medical Lincensure Act


Einleitung

Die integrierten Curricula im Kontext medizinischer Lehre

Die Lehre im Studiengang Humanmedizin an der Privaten Universität Witten/Herdecke (UWH) verfolgt seit mehr als 20 Jahren das Ziel, Studierende praxisnah an die Realität der Patientenversorgung heranzuführen. Das Ausbildungsziel des Medizinstudiums ist dabei die ”lernfähige Arztpersönlichkeit”, die sich möglichst „im ganzen Spektrum” ärztlicher Kernkompetenzen zu orientieren vermag. Zum „ganzen Spektrum“ zählen insbesondere soziale, ethische und kommunikative Kompetenzen. Die Universität Witten /Herdecke zählt in Deutschland zu den ersten Universitäten, die eine nachhaltige Modellalternative zu den klassischen Medizinstudiengängen entwickelt haben, um diese Kompetenzen zu vermitteln.

Im Hinblick auf das Ziel der „lernfähigen Arztpersönlichkeit“ wurden mit der Einführung des Modellstudiengangs Medizin im Jahr 2000 vier Integrierten Curricula aufgebaut. Die Ausbildung im Zeichen des Wittener Modells soll naturwissenschaftliche Grundlagen für das Verständnis der Morphologie, Physiologie und Pathophysiologie des menschlichen Körpers ebenso vermitteln, wie soziale, ethische und kommunikative Kompetenzen, um den Patienten mit dessen Sorgen und Ansprüchen verstehen zu können (vgl. [16]). Dazu ist es unverzichtbar, dass die Ausbildungsziele nicht nebeneinander gelehrt, sondern problemorientiert miteinander verknüpft werden. An der Verknüpfung dieser Ziele arbeiten die Lehrveranstaltungen der Integrierten Curricula (IC) mit den Fächern und Themen der Kommunikation, Wissenschaft, Ethik und Gesundheitsökonomie.

Einen ähnlichen integrativen Ansatz mit Betonung der Interaktion zwischen Arzt und Patient verfolgt der Reformstudiengang Medizin der Charité Berlin (vgl. [3]).

Insgesamt spiegelt die bundesweite Entwicklung in dem Bereich der synergetischen Kompetenz des Mediziners die Notwendigkeit einer umfassenden Kompetenzvermittlung wieder ( vgl. u. a.: [1], [3]) (siehe Abbildung 1 [Abb. 1]).

Die IC sind fester Bestandteil des Medizinstudiums an der UWH. Sie sind inhaltlich und organisatorisch mit dem Studium Fundamentale abgestimmt.

Mit Einführung der neuen Approbationsordnung für Ärzte (ÄAppO) [2] vom 27.06.2002, die zum Wintersemester 2003/04 in Kraft trat, wurden die IC angesichts ihres Beitrags zur neuen Prüfungsordnung vollständig überarbeitet. Das Konzept der Integrierten Curricula wird im Folgenden anhand des IC-I „Kommunikation“ vorgestellt und das Spannungsfeld zwischen freier Lehre und den Vorgaben der ÄAppO diskutiert.

Das Konzept der Integrierten Curricula

Die Integrierten Curricula (IC) setzten sich aus den vier Teilbereichen Kommunikation, Wissenschaft, Ethik und Gesundheitsökonomie zusammen. In allen vier Bereichen wurde eine longitudinal über neun Semester gehende Ausbildung mit verschiedenen aufeinander aufbauenden Lehrformen etabliert (vgl. [11]). Die Ausbildung in den IC versucht, die Studierenden in lebenslanges Lernen einzuführen, damit sie sich immer wieder neu und situationsgerecht mit zentralen Fragen der ärztliche Tätigkeit und des Berufs auseinander setzen können. Das Ziel, die Studierenden somit auf die Realität der Patientenversorgung mit multidimensionalen Anforderungen vorzubereiten, vertieft die Zielsetzung des problemorientierten Lernens (POL), welches zentraler Bestandteil der Lehre im Basiscurriculum innerhalb der ersten vier Semester ist.

Die Neukonzeption der IC und die Weiterentwicklung der Lehre an der UWH ist Folge des Anliegens, die Kompetenzvermittlung der IC so zu integrieren, dass eine optimale Vernetzung der Inhalte mit den theoretischen und praktischen Inhalten des Grundcurrciculums sicher gestellt ist. In Abbildung 2 [Abb. 2] wird dies anhand des IC I „Kommunikation“ veranschaulicht.

Jedem Studierenden wird in jedem Semester jeweils mindestens eine Veranstaltung in den vier Bereichen angeboten.

Die Veranstaltungen der IC sind mit festen Zeitfenstern in den Wochenstundenplan der Studierenden verankert, um zeitliche Überschneidungen mit Veranstaltungen des (vor-/klinischen) Grundcurriculum zu vermeiden. Generell ist es somit den Studierenden möglich, mit einem Zeitaufwand von ca. 120 Minuten pro Unterrichtswoche sämtliche Angebote der IC zu besuchen und frei zu entscheiden, an welchen Veranstaltungen der IC sie teilnehmen möchten.

Der integrative Charakter der Curricula besteht einerseits darin, dass die Veranstaltungen der IC zu den Themen der Kommunikation, Wissenschaft, Ethik und der Gesundheitsökonomie aufeinander verweisen, sich gegenseitig ergänzen und vertiefen, er besteht andererseits darin, dass alle vier IC thematisch an die vor-/klinische Ausbildung angebunden sind und die Erfahrungen der Studierenden im realen Versorgungskontext themenspezifisch reflektieren.


Das IC I: Kommunikation

Der Bereich der "Kommunikation" wurde mit Einführung des Modellstudiengangs an der Universität Witten/Herdecke und den Integrierten Curricula im bundesweiten Raum erstmals erschlossen und als wichtiger Bestandteil der Lehre identifiziert.

Dass Kommunikation als Medium der ärztlichen Tätigkeit in verschiedener Hinsicht wichtig ist, ist unstrittig [1], [9]. Neben der Charité in Berlin und dem Wittener Modell haben in Deutschland inzwischen zahlreiche Medizinstudiengänge, etwa jene in Heidelberg, Tübingen, Leipzig oder Dresden den Ausbildungsbereich "Kommunikation in der Medizin" aufgebaut. Die Frage, die sich angesichts des Gesamtkonzeptes der medizinischen Ausbildung stellt, ist, wie und wann diese Kompetenz vermittelt werden kann. Die IC sind auf dem Weg, Antworten zu dieser komplexen Frage zu generieren.

Kursbeschreibung

Die UWH verfolgt einen kontinuierlichen, auf den Wissensstand der Studierenden abgestimmten Ansatz und bietet Veranstaltungen zu diesem Thema vom ersten bis zum neunten Semester an. (vergleiche Abbildung 3 [Abb. 3])

Das IC I Kommunikation hat anhand der Erfahrungen und der bestehenden internationalen Lehrformate (vgl. [20], [14], [6], [12]) vier Unterrichtsarten etabliert und aufeinander abgestimmt.

Teil der Unterrichtsmethodik ist, das die einzelnen Veranstaltungen der IC aufeinander verweisen:

Den Studierenden wird zunächst ein Seminar angeboten, in dem Theorien der Kommunikation, sowie Tonband- und Videomaterial zur Arzt-Patient-Kommunikation analysiert werden. Ab dem dritten Semester werden diese theoretischen Grundlagen in mehreren Übungen vertieft und um eine umfassende Einführung in die Anamnese, die den Zusammenhang zwischen patientenrelevanter Informationserhebung und dialogischer Orientierung berücksichtigt, erweitert. Im Simulationspatientenkontakt spielen geschulte Laien Patienten mit einer bestimmten Krankheit und einem speziellen Sozialverhalten. Studierende sollen in ihrer Rolle des Studierenden in der Ausbildung mit diesem ‚Patienten' ein Gespräch führen. Die Videoaufzeichnung dieses Gesprächs wird nach curricularen Kriterien mit dem Studierenden, Kommilitonen und einem Dozenten ausgewertet. Das Video wird danach archiviert und, nach entsprechender Zustimmung der beteiligten Personen, zu wissenschaftlichen Zwecken und ggf. als Lehrbeispiel für spätere Seminare verwendet.

Im Realpatientenkontakt führen Studierende höherer Semester mit einem realen Patienten unter Anwesenheit eines als Dozenten und in der Praxis tätigen Arztes, sowie drei Kommilitonen ein Gespräch, das, unter Einbeziehung des Patienten, nachbesprochen wird.

Die Reflexion komplexer Kommunikationsstrukturen im Krankenhaus und anderer Bereiche der Gesundheitsversorgung, Entwicklung und Einübung einer eigenen professionellen Haltung erfolgt in einer jeweils zweitägigen Blockveranstaltung.

Im Rahmen der Lehrevaluation wurde das IC I bereits mehrmals überarbeitet und hinsichtlich seiner Kompatibilität mit den Vorgaben der ÄAppO zuletzt zum Sommersemester 2005 komplett neu in die Lehre an der UWH integriert (siehe Abbildung 2 [Abb. 2]).

Leistungsnachweis

Da die umfassende Ausbildung im Bereich der Kommunikation keinen Leistungsnachweis im Sinne der ÄAppO erfordert, werden von den Studierenden lediglich vier unbenotete Teilnahmescheine gefordert, die in vier Etappen zwischen dem 1. und 9. Semester zu erwerben sind.

Die bescheinigte Teilnahme sagt aus, dass der Studierende:

  • in Seminaren in der Auseinandersetzung mit selbstproduzierten Lehrfilmen an der Entwicklung von Kriterien zur Beurteilung von Kommunikation mitgearbeitet hat,
  • im SPK an einer kriterienorientieren Nachbesprechung (Reflexion) des eigenen, videoaufgezeichneten Kommunikationsverhaltens teilgenommen hat,
  • sich im RPK unter der Leitung eines Dozenten mit dem Feedback des realen Patienten und einer Studentengruppe bezüglich seines eigenen Kommunikationsverhalten auseinandergesetzt hat.

Abbildung 4: [Abb. 4]

Verknüpfungen

Die Verknüpfung des IC I mit den korrespondierenden IC-Bereichen wird folgend anhand von zwei Beispielen dargestellt:

Beispiel 1:

Ein Student im 2. Semester absolviert das zweiwöchige Hausarztpraktikum. Im selben Semester lernt er im IC-I die Problematik "Der Arzt im Alltag" ("Gespräche mit Patienten unter realen Bedingungen") und im IC-III den Bereich "Ethik/Recht des Arztes" ("Aufklärungspflichten") kennen. Systemische Veranstaltungen im IC-IV ergänzen diesen Ausbildungsbereich. Dazu zählen Themen wie "Patientenzufriedenheit" oder "Sektoren der Gesundheitsversorgung zwischen Staat und Markt".

Beispiel 2:

Ein Student im 6. Semester besucht den klinischen Block "Psychiatrie". Im selben Semester lernt er im IC-I die Problematik "Kommunikation in der Psychiatrie" ("Gespräche mit nicht einwilligungsfähige Patienten") und im IC-III die "Ethik der Psychiatrie" ("Legitimation von Zwang") kennen. Systemische Veranstaltungen im IC-IV ergänzen diesen Ausbildungsbereich wiederum. Dazu zählen auch Themen wie "Gesellschaftliche Veränderungen der Psychiatrie und der Forensik als Institutionen".


Evaluation der Lehre

Ein unverzichtbarer Baustein der Überprüfung und Verbesserung der IC ist die studentische Evaluation. Nach Beendigung einer Veranstaltung erhalten die Teilnehmer einen Link zu einem elektronischen Evaluationsbogen automatisch via Email zugesandt. Der Evaluationsbogen fragt mit 20 teils offenen, teils geschlossenen Items nach fünf Bereichen der Lehre:

  • Regelung der Formalia (Teilnahmebedingungen, Vergabe des Leistungsnachweises, etc.)
  • Inhalte (Relevanz, Aktualität des Themas, Verbindung zu anderen Inhalten des Studiums, etc.)
  • Leistung des Dozenten
  • Selbsteinschätzung der Studierenden hinsichtlich ihres (individuellen und/oder gruppenförmigen) Beitrags zum Gelingen der Veranstaltung
  • Verbesserungsvorschläge.

Die Auswertung der Evaluationsbögen erfolgt mittels statistischer Methoden. Am Ende des Semesters stellt das Studiendekanat die Gesamtergebnisse der Evaluation zusammen, so dass die Leitung der IC nach Einsicht Konsequenzen aus den Evaluationsergebnissen vorbereiten kann.

Zu jedem IC existiert eine Arbeitsgruppe, in der die Fragen der Effizienz, Effektivität und Weiterentwicklung der Lehre diskutiert werden. Die Arbeitsgruppen setzten sich zusammen aus Leitung und Mitarbeitern der IC, Ärzten, klinischen Lehrstuhlinhabern und Vertretern anderer Bereiche (Pflegewissenschaft, Studium Fundamentale, Musiktherapie) sowie Studierenden.

Beispiel 1:

Aus der Evaluation ging hervor, dass Studierende des 3. Semesters an dem SPK-Fall "Vorgespräch mit einem Patienten in der Allgemeinarztpraxis", in dem es um Diarrhöe, Magenbeschwerden und Schlafstörungen ging, in der Rolle des Praktikanten nicht angemessen teilnehmen konnten, da von ihnen Kenntnisse der Mikrobiologie verlangt wurden, die erst ein halbes Jahr später im Bereich naturwissenschaftlicher Grundlagen des POL gelehrt werden. Als Konsequenz wird der SKP-Fall nun ein Semester später durchgeführt.

Beispiel 2:

Aus der Evaluation ging hervor, dass ein Dozent den Studierenden im 7. Semester eine umfangreiche Hausarbeit zum Thema "Communication Skills in Medicine" über die Semesterferien aufgegeben hat, ohne dieses zu Beginn der Veranstaltung mitgeteilt zu haben. Als Konsequenz wurde geprüft, ob die Hausarbeit mit der Anforderung des Prüfungshandbuches in Verbindung steht, oder ob sie eine Eigeninitiative des Dozenten gewesen ist. Zudem wurde der Dozent um eine Einschätzung zu der Frage gebeten, wie seiner Ansicht nach im 7. Semester das Verhältnis zwischen Textarbeiten und praktischem Kommunikationstraining mit anschließender Reflexion aussehen solle.

Beispiel 3:

Aus der Evaluation ging hervor, dass sich Studierende des 8. und des 9. Semesters auf den "Realpatientenkontakt" schlecht vorbereitet fühlen. Obwohl sie kurz vor dem Eintritt in das PJ stünden, käme der Gesprächskontakt mit Sterbenden zu Lehrzwecken möglicherweise zu früh und zu unvermittelt. Als Konsequenz wird derzeit geprüft, ob eine psychologische Vorbereitung im Rahmen begleitender Seminare zum Bereich "Palliative Care" geeignet ist, um Studierende besser auf deren Praxis vorzubereiten.


Diskussion

Die Teilnahme an den Veranstaltungen der IC ist in der Regel freiwillig, verpflichtend sind innerhalb des gesamten Studiums lediglich zwei ausgewählte Seminare.

Aus den Wahlveranstaltungen werden in jedem Semester Veranstaltungen als "zur Teilnahme empfohlen" ausgewählt, wenn in Ihnen Kernkompetenzen vermittelt werden (Arzt-Patient-Kommunikation, Präsentationstechniken, Einführung in wissenschaftliches Arbeiten, etc.), oder wenn ihre Inhalte zur Vorbereitung auf Prüfungen gem. ÄAppO dienen.

Im Rahmen der IC erwerben die Studierenden folgende nach § 27 der Approbationsordnung für Ärzte geforderte Leistungsnachweise (siehe Abbildung 5 [Abb. 5]):

Mit Inkrafttreten der ÄAppO wurde explizit die Ausrichtung des Studiums an fachübergreifendes Denken und Ausrichtung der Lehre am Gegenstand (Problemorientiertes Lernen) gesetzt. Der Stellenwert der Kommunikation erschließt sich eher implizit aus den in der ÄAppO benannten Ziele und der Beschreibung der Prüfungsinhalte. Zu betonen ist hier, dass die Umsetzung der Vorgaben dem Spielraum der freien Lehre obliegt. Prüfungsleistung und Qualität der Lehre sind hier keineswegs gleichzusetzen (vgl. [18]).

Die Einführung der neuen Approbationsordnung für Ärzte im Jahre 2002 bewirkte, dass die geistes- und sozialwissenschaftlich akzentuierten Fächer der vier Integrierten Curricula mit der Anforderung, Prüfungen für Querschnitte gem. § 27 abzuhalten, verbunden werden mussten. Bei der Umsetzung der neuen AO zeigte sich, dass viele Inhalte, die nun vom Gesetzgeber gefordert sind, schon in der Vergangenheit im Rahmen der Integrierten Curricula erfüllt wurden. Insofern mussten nur in Teilbereichen "neue" Lehrveranstaltungen konzipiert werden. Andererseits erforderte die im Rahmen der neuen Approbationsordnung vorgeschriebene hohe Zahl neuer Leistungsnachweise erhebliche Umstrukturierungen in der Prüfungsentwicklung und -planung des Curriculums. Die individuelle Gestaltung des Studiums für Studierende wird dadurch erschwert.

Die ÄAppO geht von einem idealtypischen Patienten aus, dessen Erkrankung der ausgebildete Spezialist therapieren kann. Demgegenüber werden Studierende der Medizin und Ärzte mir einer komplexen Realität der Patientenversorgung konfrontiert, die von ihnen das Arztsein im ganzen Spektrum abverlangt (vgl. [10]). Es gilt weiterhin daran zu arbeiten, die Veranstaltungen so zu organisieren, dass eine Balance zwischen freiem Lernen und einer Erfüllung der aus der AO erwachsenen Pflichten entsteht (vgl. [7]).

Kommunikation als integraler Bestandteil der Lehre

Der "guten Ausbildung", die durch die Vorgaben der ÄAppO erfüllt werden soll, steht eine Realität gegenüber, in der sich junge Ärzte häufig nicht angemessen auf den Berufsalltag vorbereitet und sich angesichts des realen Patientenkontaktes überfordert fühlen. Dies ist der Hintergrund für die Konsequenz, das IC-I "Kommunikation" als elementaren Bestandteil der Ausbildung im Wittener Modell zu verankern.

Kommunikation gehört insofern zum "Arztsein im ganzen Spektrum", als das sie das Medium ist, durch das hindurch ein Arzt anamnestische, diagnostische, ethische und naturwissenschaftliche Sachverhalte an die Adresse von Patienten, Angehörigen und Vertretern anderer Heilberufe richtet.

Entscheidend ist hierbei, dass sich Studierende mit der in der Lehre dargebotenen Kommunikationssituation identifizieren können.

Angesichts der Realität der Patientenversorgung etablieren die IC kontinuierlich neue Projekte. Hierzu zählen derzeit:

  • ein Kommunikationsprogramm in der Ausbildung zum Querschnitt der Notfallmedizin
  • ein Unterrichtsprogramm für die Lehre im Fach Pharmakologie über die Bedeutung der Compliance des Patienten bei der Medikamentenversorgung (erstmalige Verknüpfung des Faches "Pharmakologie" mit kommunikativen Kompetenzen).
  • die Palliativmedizin.

Ausbildungsziel

Die Evaluation der Frage, in wie weit die Studierenden das Ausbildungsziel der "lernfähigen Arztpersönlichkeit", die lebenslang problemorientiert auf Situationen zu antworten und ihre Antworten zu entwickeln und zu reflektieren vermag, ist komplex und nicht zuletzt methodisch schwer zu erforschen. Die Universität Witten/Herdecke befragt ihre Alumnis hinsichtlich der Qualität der Lehre und den Anforderungen in der beruflichen Praxis. Diese Form der Evaluation ist für die Lehrenden eine wichtige Rückmeldung, wie die in Aussicht gestellte "gute Ausbildung" des Wittener Modells von den ehemaligen Studierenden im Nachhinein bewertet wird. Die äußerst positive Bewertung der Lehre findet ein neutrales Korrelat in dem unabhängigen Hochschulranking der CHE: In der Gesamtwertung der deutschsprachigen Medizinstudiengänge zählt die UWH zu der Spitzengruppe (vgl. [8]).


Fazit und Ausblick

Die IC werden kontinuierlich unter Berücksichtigung der Evaluationsergebnisse weiterentwickelt. Ein Schwerpunkt wird dabei der Ausbau interdisziplinärer Veranstaltungen sein, durch die Studierende die Möglichkeit erhalten, Positionen anderer Professionen in den Prozess der Entscheidungsfindung zu integrieren.

Im Rahmen der Weiterentwicklung der Lehre an der Universität Witten/Herdecke plant das Team der Integrierten Curricula zudem eine Studie im Bereich der Lehrforschung zum Thema "Kommunikation in der Palliativmedizin". Lehr- und Lernmodelle eines neu entwickelten Curriculums zur studentischen Ausbildung in der Palliativmedizin werden damit erstmals im bundesdeutschen Raum überprüft. Durch quantitative und qualitative Erhebungsmethoden sollen die Effektivität des Programms, sowie die Veränderung der individuellen Kompetenzbeurteilung erfasst werden.

Als Thema der Versorgungsforschung ergibt sich zudem die Notwendigkeit, das Programm der IC hinsichtlich ihrer Zielsetzung empirisch in realen Versorgungssituationen zu überprüfen.


Danksagung

Für ihre Unterstützung danken wir den Mitarbeitern des Teams der Integrierten Curricula: Julian Kricheldorff, Nicola Tomas.


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