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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Die (neue) Lernumgebung der Medizinbibliothek Göttingen: Optimierung des Raums in einer hybriden Universität

The (new) learning environment of the Göttingen Medical Library: Optimizing space in a hybrid university

Case Report AGMB Jahrestagung in Würzburg 2022

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  • corresponding author Dagmar Härter - SUB Göttingen, Bereichsbibliothek Medizin, Göttingen, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2022;22(2):Doc29

doi: 10.3205/mbi000547, urn:nbn:de:0183-mbi0005476

Published: December 20, 2022

© 2022 Härter.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Wie in fast allen Bereichen des öffentlichen Lebens hat uns auch in der SUB Göttingen die Coronazeit sehr schnell deutlich gemacht, dass wir wohl nicht wieder zum Zustand „davor“ zurückkehren werden. Nach der ersten Schockstarre, zwei Lockdowns und Wochen der eingeschränkten Benutzbarkeit – dabei aber gleichzeitig einem signifikant gestiegenen Bedarf an Lern- und Arbeitsplätzen seitens der Studierenden – wurde klar, dass der Lernraum ein weiteres Mal den geänderten Bedingungen und Bedarfen angepasst werden muss. Der Beitrag zeigt, wie das Team der Medizinbibliothek Göttingen in Zusammenarbeit mit der Fachschaft Humanmedizin ein neues Konzept entwickeln und dieses in geradezu rasanter Geschwindigkeit umsetzen konnte.

Schlüsselwörter: AGMB, Lernraum, Lernraumentwicklung, Dritter Ort, Medizinbibliothek

Abstract

As in almost all areas of public life, the corona period quickly made it clear to us at the SUB Göttingen that we would probably not return to the state “before”. After the initial shock, two lockdowns and weeks of limited usability – but at the same time a significantly increased demand for learning spaces and workstations on the part of the students – it became clear that the learning space had to be adapted once again to the changed conditions and needs. The article shows how the Göttingen Medical Library team was able to develop a new concept in cooperation with the medical student council and how it could be implemented in a very fast pace.

Keywords: AGMB, learning space, learning space development, third place, medical library


Anpassung des Raums „Bibliothek“ während und nach der Coronazeit

Wir alle kennen es: Man will und möchte ganz viel erledigen, umsetzen und machen, aber im Alltagsstress des Tagesgeschäfts rutscht vieles nach hinten und andere Dinge haben sehr oft höhere Priorität. So ging es auch uns, dem Bibliotheksteam der Medizinbibliothek Göttingen, bestehend aus der Teamleitung sowie zwei Kollegen mit Fachausbildung, die zusammen das Stammpersonal bilden.

Überlegungen und Planungen, den Lernraum zu verändern und anzupassen, existierten schon lange vor der Coronazeit, es wurde aber immer wieder auf das berühmte „bei Gelegenheit“ verschoben. Chronische personelle Unterbesetzung, wenig Automatisierung (Selbstverbuchungsgeräte, Selbstbedienungskassen) und meistens auch Geldmangel tun ein Übriges, um Großprojekte immer wieder zu vertagen. Die folgenden Projekte sollen zeigen, wie es möglich war, eine neue Lernumgebung zu schaffen, die den Nutzenden in einem Raum verschiedenste Arbeits- und Lernmöglichkeiten bietet – analog, hybrid und digital – und so zu den Veränderungen in der Medizinischen Fakultät und der Universität Göttingen passt, die sich in den vergangenen zweieinhalb Jahren auch anders aufstellen mussten. Die Lehre wurde quasi über Nacht digital, andere Angebote wie Seminare oder Kleingruppenveranstaltungen sollten gleichzeitig in Präsenz und online für Teilnehmende offenstehen. Parallel wurde von den Studierenden aber auch immer wieder der physische Lernraum und die Möglichkeit zum Arbeiten vor Ort eingefordert. Diese drei Dinge zusammenzubringen war letztlich der Motor für die Lernraumumgestaltung, die sonst wohl nicht so schnell und konsequent möglich gewesen wäre.


Projekt 1: Ausbau der Online-Angebote

Wie viele andere Bibliotheken auch nutzten wir die Zeit der monatelangen Lockdowns mit eingeschränkter Benutzbarkeit, um alle unsere Angebote, die sonst als Präsenztermine oder -kurse stattfanden, umzuarbeiten und online zu stellen. Die als Präsenzkurse konzipierten Schulungen zu den Literaturverwaltungsprogrammen Endnote und Zotero wurden als Tutorials aufgezeichnet. Wir entwickelten Selbstlerndokumente zu unseren Kursen zur Literaturrecherche und ließen sie ins E-Learning-System der Universität einbinden. Es sind niedrigschwellige Kurse im PDF-Format mit medizinischen Fragestellungen und Beispielen zum Nachklicken, angereichert mit kleinen Quizzes zur unkomplizierten Selbstprüfung. Diese Dokumente stehen darüber hinaus auch zum Download über die SUB-Website zur Verfügung: https://www.sub.uni-goettingen.de/lernen-lehren/selbstlernangebote/. Irgendwelche Credits o.ä. bekommt man dafür nicht und es ist und bleibt ein Angebot zur freiwilligen Nutzung. Außerdem produzierten wir Erklärvideos zur Literaturrecherche in PubMed (und anderen Datenbanken). Alle Tutorials, aufgezeichneten Vorträge und Erklärvideos stehen nun auf dem SUB-eigenen Youtube-Kanal zur Verfügung und werden regelmäßig aktualisiert: https://www.youtube.com/playlist?list=PLgoiCMgV-zrfLp3DkVorGGU_MGXR5lsfY

Speziell für unsere Kund:innen der Medizinischen Fakultät kumulierten wir unsere Angebote auf einem digitalen „Infopad“ zur internen Kommunikation. So ist es Angehörigen der Fakultät möglich, die gesamten Bibliotheksservices auf einen Blick aufzurufen, statt sich über die SUB-Website alles zusammensuchen zu müssen. Das zeit- und ortsunabhängige Lernen hat natürlich immense Vorteile und wird fantastisch angenommen, vor allem die Videos, was durch regelmäßiges Ablesen der Klick- und Downloadzahlen immer wieder bestätigt wird.

Dieses Projekt hat tatsächlich durch die Lockdowns und den dadurch erzeugten „Druck“, weiterhin für Nutzende sichtbar zu bleiben und von überall erreichbare Angebote zu entwickeln, einen entscheidenden Schub bekommen. Für die Initialarbeiten mussten die Arbeitsprioritäten eine ganze Weile erheblich verlagert werden, weil die Umstellung der Angebote auf Online-Erreichbarkeit schlicht und einfach wichtiger war als alles andere.


Projekt 2: Bewegungsfördernde Geräte

Eigentlich wollten wir sog. „bewegungsfördernde Geräte“ schon lange vor der Coronazeit für die Nutzenden anbieten. Erst scheiterte es an den finanziellen Mitteln, dann an personellen Ressourcen, dies anzugehen. Die Initialidee hierzu gab das Buch „Smart Libraries“ [1] und speziell der Beitrag von Janet Wagner [2]. So etwas musste bei uns unbedingt auch her! Schließlich haben wir es dann mitten im Winter-Lockdown 2021 einfach gemacht: trotz Maskenpflicht und vielen Beschränkungen – wir bekamen für mehrere Wochen ein Laufband zum Testen zu uns in die Bibliothek. Die Resonanz war derartig positiv, wie wir es uns überhaupt nicht vorgestellt hatten, das Gerät war und ist quasi von morgens bis abends im Einsatz. Besonders gut: Wir bestellten gleich einen höhenverstellbaren Arbeitstisch mit Buchständer dazu, so dass „Profis“ zugleich gehen und arbeiten können. Viele Nutzende schauen sich beim Gehen Vorlesungen oder Videos an, einige haben sogar Routinen entwickelt, um beim Gehen gleichzeitig Schreiben oder Lesen zu können.

Die Auswahl des Testgeräts (Abbildung 1A [Abb. 1]) erfolgte nach einer Kontaktaufnahme mit Janet Wagner und Erkundigungen über das in ihrer Bibliothek im Einsatz befindliche Schreibtischfahrrad. Außerdem recherchierten wir selbst im Internet nach Anbietern und Geräten, kontaktierten drei Firmen mit der Frage nach Testgeräten, von denen ein Anbieter (NEVIO, https://www.mein-gesundes-buero.de/) nach unkomplizierter Kommunikation und zu einem vertretbaren Preis (finanziert wurde der Testlauf mit Bibliotheksmitteln) einen vierwöchigen Test mit einem Laufband ermöglichte.

Zuvor holten wir noch das OK des Sicherheitsbeauftragten ein, aber da die Geräte extra für Großraumbüros konzipiert und entsprechend zertifiziert sind, war dies kein Problem.

Während des Testlaufs sammelten wir (schriftliches) Feedback der Nutzenden und konnten auf dieser Basis Mitte 2022 ein weiteres Laufband beschaffen. Das Testgerät finanzierten wir nach Ablauf der Testphase komplett aus bibliothekseigenen Mitteln, als Komplettpaket (Laufband und höhenverstellbarer Schreibtisch) kostete es bei NEVIO rund 2.500 Euro. Das zweite Laufband wurde über die Fakultät beantragt und mit Studienqualitätsmitteln finanziert. Die Laufbänder sind sehr geräuscharm, dennoch hört man natürlich etwas, wenn sie in Benutzung sind. Bei uns stehen sie im offenen Gruppenplatzbereich, wo sowieso geredet werden kann und haben noch eine Einhausung mit mobilen Raumteilelementen bekommen (Abbildung 1B [Abb. 1]).

Die Geräte stehen während der gesamten Öffnungszeiten der Bibliothek zur freien Verfügung, ein Buchungssystem gibt es dafür nicht.


Projekt 3: Beschaffung agiler Möbel

Der Bedarf an Arbeitsplätzen ist enorm und wächst eher, als dass er zurückgeht, daran hat auch die Coronazeit nichts geändert. Lediglich die Vorgaben haben sich gewandelt, unter denen wir nun die Raumausstattung vornehmen. Statt wie bisher sehr unbewegliches, schweres und unflexibles Mobiliar zu nutzen (Abbildung 2 [Abb. 2]), sind die neuen Möbel nun alle eher leicht und durch Rollen gut zu bewegen, außerdem mit weiterem Equipment wie Stromversorgung, Beleuchtung, teilweise USB-Anschlüssen und einer hydraulischen Höhenregulierung ausgestattet. Das Motto lautet jetzt „alles darf und soll, nichts muss“, d.h. dass die Nutzenden sich in Zukunft „ihre“ Möbel selbst individuell zusammenstellen können, je nachdem wie es in der aktuellen Lern- und Arbeitssituation gebraucht wird (Abbildung 3 [Abb. 3] und Abbildung 4 [Abb. 4]). Wir müssen uns dabei nur an die Beschränkungen halten, die uns unsere Räumlichkeiten vorgeben (Fluchtwege dürfen z.B. nicht verstellt werden). Begonnen wurde dieses Projekt im Oktober 2021, die Finanzierung erfolgte aus Sondermitteln der Fakultät, die für Lernraumausstattung verausgabt werden konnten.

Aber wohin, wenn man in der Bibliothek lernt und zwischendurch mal ein Videomeeting machen muss, eine Vorlesung nachhören will, sich einfach ein Tutorial anschauen möchte oder spontan zu einer Besprechung eingeladen wird? Und gleichzeitig auf stabiles WLAN angewiesen ist? Und sich beim Sprechen auch noch konzentrieren muss? Über mittlerweile zwei Ausschreibungen konnten wir insgesamt 11 schallisolierte Arbeitskabinen für die Bibliothek erwerben, wobei die erste Ausschreibung über 6 Kabinen auch als Testlauf gedient hat, ob und wenn ja wie gut die Kabinen von den Nutzenden angenommen werden würden. Das Fazit dazu bereits nach wenigen Wochen: Sie sind unser ganz besonderes Highlight und werden auch gern mal gleich morgens um 8 Uhr mit dem Hineinstellen eines Bibliothekskorbs belegt. Auf Basis dieser Erfahrungen konnte Anfang 2022 die zweite Ausschreibung getätigt werden, über die wir dann noch einmal 5 Arbeitskabinen erwerben und aufstellen konnten. Nun fügen sich die Kabinen (zwei für jeweils eine Person, neun für maximal vier Personen) harmonisch in den offenen Lesesaal im Erdgeschoss ein (Abbildung 5 [Abb. 5]).

Mit der Beschaffung dieser Art von Arbeitskabinen war die Medizinbibliothek der erste Standort der SUB Göttingen, wo solche Kabinen zum Einsatz kommen (Abbildung 6 [Abb. 6]). Inzwischen stellt auch die Bereichsbibliothek Forstwissenschaften eine Kabine gleichen Typs für maximal 4 Personen für ihre Nutzenden zur Verfügung, weitere sind geplant. Die Kabinen verfügen alle über Stromanschluss, Licht und Lüftung (Abbildung 7A [Abb. 7]), in einigen haben wir noch einen großen Monitor angebracht, als optionales Angebot (Abbildung 7B [Abb. 7]). Alle Modelle fügen sich so perfekt in den Raum ein, dass man sie kaum sieht.

Bei der Auswahl aller Möbel und der Kabinen wurde sehr eng mit dem Studiendekanat und den Studierenden der Fachschaft Humanmedizin zusammengearbeitet. Über das Studiendekanat erfolgte im Herbst 2021 die „Ausschüttung“ von Sondermitteln mit dem Auftrag, diese für den Lernraum Bibliothek zu verausgaben. In mehreren Sitzungen und direktem Dialog tauschten wir uns dazu mit den Studierenden und der Leiterin des Studiendekanats aus, welche Möbel benötigt, gewünscht und passend sind, holten Angebote ein, verfassten den Ausschreibungstext und wählten gemeinsam die Anzahl der verschiedenen Möbelmodelle aus. So konnten wir immer sicher sein, dass nichts an den Bedarfen der Nutzenden vorbei geplant und gekauft wird (Abbildung 8 [Abb. 8]).


Parallel dazu Projekt 4: Das neue Raumkonzept

Verändertes Arbeitsverhalten, andere Bedarfe an Equipment, Technik und Umgebung machten es erforderlich, den Raum – erneut – neu zu denken und anzupassen. Dass es Veränderungen braucht, bekamen wir regelmäßig „hautnah“ von unseren Nutzenden und der Fachschaft im persönlichen Austausch mitgeteilt. Sei es, dass vehement die Öffnung des Lernraums während der Lockdowns gefordert wurde, explizit der Bedarf nach videokonferenztauglichen Arbeits- und besonders Gruppenplätzen artikuliert wurde oder einfach „nur“ der Ruf nach mehr Sitzmöglichkeiten laut wurde, die man sowohl allein als auch zu mehreren nutzen kann – wir mussten handeln!

Dies war ein guter Anlass, endlich ein lange im Hinterkopf bewegtes Projekt anzugehen: Zeitschriftenbestandsverlagerung.

Gedruckte Zeitschriftenbände in unserem Erdgeschossbereich wurden aus- und verlagert, um neuen Raum für Gruppenplätze, Arbeitskabinen und individuelle Lernumgebungen zu schaffen.

Gleichzeitig erfolgte ein Ausbau der Stromversorgung und eine massive Aufstockung der WLAN Access Points. Natürlich machen sich auch bei diesen Vorhaben die großen Lieferengpässe bemerkbar, so dass wir davon ausgehen, dies erst Mitte 2023 abschließen zu können.

In der Planung ist zur Zeit die Beschaffung weiterer gemütlicher Sitzmöbel in modularen Systemen, um den neugestalteten Lesesaalbereich weiter aufzuwerten und eine noch ansprechendere Atmosphäre zu schaffen. Außerdem planen wir die Innenraumbegrünung unseres Lesesaals, um zum Thema Nachhaltigkeit, Luftverbesserung und einer im wahrsten Sinn des Wortes grüneren und gesünderen Arbeitsatmosphäre unseren Teil beitragen zu können. Dieses Projekt befindet sich aktuell in der Konzepterstellung.


Auch wir denken um

Nach der monatelangen eingeschränkten Benutzbarkeit sind einige Regeln bezüglich des Verhaltens in der Bibliothek aufgeweicht worden und wir sahen keinen Anlass, dies wieder zurückzunehmen. So stellen wir die Garderobenschließfächer noch zur freiwilligen Nutzung zur Verfügung, niemand wird aber mehr dazu „gezwungen“, seine Tasche, Mantel o.ä. einzuschließen und alles Weitere in einen Bibliothekskorb zu packen. Wer das machen möchte, kann das tun, ansonsten können alle Habseligkeiten mit in die Bibliothek hineingenommen werden (Abbildung 9 [Abb. 9]). Getränke und Obst sind ebenfalls möglich, so dass nun auch der berüchtigte Kaffeebecher (ohne Deckel!) mit an den Arbeitsplatz genommen werden kann. Das Essen aus der Mensa bleibt allerdings weiterhin Tabu. Auf diese Art und Weise konnten wir ein paar unzeitgemäße Reglementierungen aus dem Praxisbetrieb streichen, was im Alltag zu einer weiteren Vereinfachung geführt hat.

Wir freuen uns auf weitere spannende Projekte und sind zuversichtlich, diese in enger Zusammenarbeit mit der Fakultät und den Studierenden umsetzen zu können.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Freyberg LN, Wolf S, editors. Smart Libraries. Konzepte, Methoden und Strategien. Wiesbaden: b.i.t.verlag; 2019.
2.
Wagner J. „Bewegung fördert Lernen“ – [Smarte] Angebote bewegungsfördernder Geräte am Lernort Bibliothek. In: Freyberg LN, Wolf S, editors. Smart Libraries. Konzepte, Methoden und Strategien. Wiesbaden: b.i.t.verlag; 2019. p. 29-36.