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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Medizinische Ausbildung: Wandel der Lehre und Lehrmittelversorgung

Medical education: Changes in teaching and the supply of teaching materials

Case Report Medizinische Literaturversorgung im Umbruch

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GMS Med Bibl Inf 2022;22(1):Doc09

doi: 10.3205/mbi000527, urn:nbn:de:0183-mbi0005277

Published: September 16, 2022

© 2022 Fangmeier.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Der vorliegende Artikel gibt einen Einblick in die Lehre und Lehrmittelversorgung im Medizinstudium und ihren Wandel aus Sicht eines Studierenden. Dabei wird die Lehre vor und während der Pandemie beschrieben um die Veränderungen zu verdeutlichen. Anschließend wird die Frage nach der „Lehre von Morgen“ aufgeworfen und anhand von zwei Instituten der Universitätsmedizin Mainz wird innovative zukünftige Lehre beispielhaft dargelegt. Die Basis des Artikels bilden dabei persönliche Eindrücke aus dem Medizinstudium an der Universität Mainz sowie Erfahrungen aus der Arbeit in der Fachschaft und anderen Gremien wie zum Beispiel dem Ausschuss für Lehre.

Schlüsselwörter: Lehre während der Pandemie, digitale Lehre, innovative Lehre, Lehrmittelversorgung, Lernverhalten von Medizinstudenten, Lehre in der Zukunft

Abstract

This article provides a sight into teaching and the provision of teaching materials in medical studies and their change. Teaching before and during the pandemic is described to illustrate the changes. Subsequently, the question of the “teaching of tomorrow” is raised and innovative future teaching is shown by the example of two institutes at Mainz University Medical School. The basis of the article is formed by personal impressions from studying medicine at Mainz University as well as experiences from the work in the student council and other committees, such as the committee for teaching.

Keywords: teaching during the pandemic, digital teaching, innovative teaching, supply of teaching materials, learning behaviour of medical students, teaching in the future


Lehre und Literaturversorgung vor der Pandemie

Kennzeichnend für die Lehre vor der Coronapandemie war ein nahezu vollständig analoges Angebot. Auch wenn es möglich war, einige Vorlesungen als Livestream zu hören, falls man nicht vor Ort sein konnte, stellten die Institute die Skripte für Vorlesungen, Praktika, etc. ausschließlich im Druckformat zur Verfügung.

Einer der klaren Vorteile dieser analogen Lehre ist der persönliche Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden, der zum Austausch über die Studienthemen anregt. Der wesentliche Nachteil ist jedoch der Faktor Zeit. Die Vorlesungen sind in ihrer Dauer begrenzt und die anschließenden Kurse erlauben meistens kein Überziehen der Vorlesungen. Komplexe Themen werden somit in mehrere Teilstücke unterbrochen, die zu Missverständnissen oder offenen Fragen führen können.

Die Tatsache, dass jeder Studierende seine individuelle Art zum Lernen besitzt und möglicherweise mit der Lehre eines Lehrenden nicht so gut zurechtkommt wie mit der Lehre eines anderen, macht die Zugänglichkeit von Nachschlagewerken im Studium so wichtig. Aus einer Vielzahl von Werken, die alle ihre Vor- und Nachteile haben, kann jeder Studierende sich die Literatur heraussuchen, die er selbst als am besten zum Nacharbeiten eines Studienthemas empfindet.

Fraglos sind gebundene Standardwerke der Humanmedizin für den Alltag zu groß und unhandlich, als dass diese täglich den Weg von zu Hause bis in die Uni und zurück fänden. E-Books und digitale Plattformen sind hierbei aufgrund ihrer leichten Verfügbarkeit auf digitalen Endgeräten die beliebte Lösung für Studierende. Zusätzlich eignen sich digitale Angebote für das schnelle Erstellen von Notizen, da Grafiken oder Definitionen schnell kopiert und mit Notizen versehen werden können. Diesen Trend haben die Bibliotheken und Dekanate bereits früh erkannt und über Lizenzverträge mit den Verlagen ein breites, kostenloses und vor allem hybrides Angebot für die Studierenden geschaffen.


Lehre und Literaturversorgung in der Pandemie

Durch die Pandemie musste in kürzester Zeit eine zuvor fast vollständig analoge Lehre zu einer digitalen Lehre umgewandelt werden. Dabei stand jedes Institut vor der Herausforderung, die Lehre auf einem vergleichbaren Qualitätslevel fortzusetzen und alle Studierenden mitzunehmen. Hierbei hat jeder Lehrende seine eigenen Präferenzen gefunden. Während die einen ihre Vorlesungen über Videokonferenzplattformen halten, um weiterhin den direkten Kontakt und Austausch zwischen Lehrenden und Studierenden zu sichern, nehmen andere ihre Vorlesungen auf und stellen diese asynchron über eine universitäre Plattform zur Verfügung. Die Lehrmaterialien, wie Skripte und Folien der Vorlesung, werden im PDF-Format zur Verfügung gestellt, um das Erstellen von Anmerkungen und Notizen zu ermöglichen.

Die Gemeinsamkeit der so verschiedenen Lehrkonzepte ist, dass Studierende aktiv zur Gestaltung beitragen können. Zu jedem Zeitpunkt war der Kontakt zwischen Lehrenden und Studierenden zunächst per Mail und später, mit der hybriden Lehre, auch wieder persönlich möglich. So konnten Zusatzvorlesungen zu Themen erstellt werden, bei denen es noch Unklarheiten gab.

Aufgrund des vielfältigen Feedbacks von Studierenden wurde die Lehre während des ersten Coronasemesters kontinuierlich verbessert. Auch wenn das erste Coronasemester noch mit vielen technischen Problemen und Herausforderungen zu kämpfen hatte, war dieses Try-and-Error-Prinzip der Grundstein zu einer enormen Verbesserung der digitalen Infrastruktur und damit des gesamten Lehrangebots.

Klarer Vorteil der asynchronen, digitalen Lehre ist die individuelle Gestaltung des Alltags von Studierenden. So konnte jeder für sich seine Balance zwischen Job, Uni, Freizeit und Familie finden.

Nachteil war allerdings die mangelnde Umsetzbarkeit von Praktikumsinhalten in der digitalen Lehre. Digitale Medien können komplexe medizinische Abläufe wesentlich schwerer nachvollziehbar machen als Praktikumsinhalte in einer Präsenzlehre. Trotz vielzähliger Verweise in Vorlesungen auf Lehrbücher im E-Book-Format können diese die praktische Durchführung nicht ersetzen – ein Nachteil, den E-Plattformen wie Amboss teilweise durch kurze Lehrvideos zu kompensieren versuchen.


Zukunft der Lehre und der Literaturversorgung

Und jetzt? Zurück zur vollständig analogen Lehre, weiter hybride Lehre oder sogar komplett digitale Lehre?

Auf die Frage „Wie sieht die Lehre und Literaturversorgung der Zukunft aus?“ hat jeder seine eigene Antwort, seine persönlichen Ideen und Vorstellungen. Die Schnittmenge aller dieser Meinungen ist die Kernaussage, dass es eine innovative Lehre benötigt. Die Gestaltung der Zukunft der Lehre funktioniert nur über das bereits oben erwähnte Try-and-Error-Prinzip unter Einbezug des Feedbacks der Studierenden. Die letzten vier Semester haben hier maßgebliche Erfahrungen für die Gestaltung zukünftiger Lehrkonzepte geliefert.

Eine Vielzahl an Instituten hat das bereits erkannt und versucht, die neuen digitalen Errungenschaften und Infrastrukturen für ihre Lehre optimal zu nutzen und dadurch die wichtigen Präsenzpraktika zu ergänzen.

Schon vor der Pandemie haben digitale Plattformen, die Lernsoftware und Nachschlagewerk vereinen, wie beispielsweise die Amboss-Plattform oder die E-Book-Plattform Thieme eRef, großen Anklang in der Studierendenschaft gefunden.

Diese Plattformen beweisen bereits seit langem, dass durch digitale Ergänzungen der Lehre diese zusätzlich unterstützt und konsekutiv Qualitätsgewinne für die Studierenden erzielt werden können.

Bezugnehmend auf diese Erfahrungen haben die Lehrenden neue innovative Lehrkonzepte erarbeitet, die analoge und digitale Lehre verknüpfen. Einige Institute haben die Möglichkeiten dieser hybriden Lehre schon vor der Pandemie erkannt und konnten so auf bereits bestehenden Lehrkonzepten aufbauen.

An der Universitätsmedizin Mainz stehen für die Entwicklung der Lehrkonzepte die drei Kernpunkte Theorie, Praxis und Kommunikation an oberster Stelle und sind grundlegend für eine erfolgreiche Lehre. Diese Kernpunkte sind weiterhin prägend in der inhaltlichen Weiterentwicklung der Lehre.

Beispielhaft für innovative Lehrkonzepte im vorklinischen Bereich auf Grundlage dieser Kernpunkte kann hier das Institut für Anatomie genannt werden. Zukünftige Lehrkonzepte sind hierbei aufgebaut aus Selbstlernphasen, darauf folgenden Vorlesungen der Professor:innen und anschließender Möglichkeit der Selbstüberprüfung im Themengebiet mittels Online-Lernplattformen [1]. Um hierbei möglichst genau auf die Bedürfnisse der Studierenden einzugehen, gibt es zum einen ein semesterbegleitendes Feedback und zum anderen ein Live-Feedback in den Präsenzvorlesungen via Pingo, einem webbasierten Live-Feedback-System, entwickelt von der Universität Paderborn [2].

Dieses Konzept findet bereits seit längerem in dieser Art institutsintern Anwendung und soll in Zukunft vollständig etabliert werden. Hierbei werden universitätsmedizineigene, aber ergänzend auch externe Lernplattformen verwendet [3]. Das Feedback der Studierenden zu diesem Konzept ist seit vielen Jahren absolut positiv. Die Lehre wird als sehr angenehm und studierendenfreundlich wahrgenommen. In Kombination mit den Präsenzkursen der makroskopischen sowie mikroskopischen Anatomie und den Seminaren ist hier über viele Jahre ein beachtliches Lehrkonzept unter Einbezug von Theorie, Praxis und Kommunikation entstanden, dessen Wertschätzung sich unter anderem in den Lehrpreisen der Dozent:innen wiederspiegelt [4].

Ein weiteres Beispiel für innovative Lehre ist die Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie (AVTC) der Universitätsmedizin Mainz [5]. Die Verknüpfung von analoger und digitaler Lehre ist wesentlich in der Patientenversorgung und Lehre sichtbar. Von klassischen interaktiven Seminaren für Studierende, über Virtual Reality (VR), Augmented Reality (AR) und 3D-Drucken, die Anwendung in der Lehre und OP-Planung finden, bis hin zu Operationskursen in robotischer Chirurgie bietet die Klinik eine Vielzahl von digitalen Werkzeugen sowohl für die klinische Planung als auch in der Aus- und Weiterbildung von Chirurgen an. Dieses Lehrkonzept wird fortlaufend angepasst und erweitert, um den Qualitätsansprüchen der Klinik selbst gerecht zu werden und den Studierenden die bestmögliche Lehre zu ermöglichen. Geplante Erweiterungen sind bereits in Arbeit, wie zum Beispiel das VR-Schockraumtraining, aber auch das zusätzliche Vertiefen von OP-Abläufen für Studierende durch AR und VR. Die zusätzliche Idee der Einrichtung einer Online-Fallsammlung als eine Art virtuelles Krankenhaus sichert auch zukünftig die Verknüpfung der theoretischen Lehre mit vielzähligen praktischen Beispielen und der Möglichkeit eines Diskurses über abstrakte Fälle mit niedriger Prävalenz, aber hohem didaktischem Wert.

Eine innovativere Lehre, die mehr digitale Inhalte miteinbezieht, wird von Studierenden gerne gesehen, aber ebenfalls der Anspruch erhoben, dass die Übersichtlichkeit nicht verloren gehen darf. Gerade hier sind die Bibliotheken und Dekanate in Zukunft gefragt, die Menge an verschiedenen digitalen Inhalten der einzelnen Institute auf einer Plattform übersichtlich zur Verfügung zu stellen. Hybride Lehrformate, bei denen jedes Institut seine eigene Plattform zur Verfügung stellt, verursachen eine unverhältnismäßige Belastung für Studierende und Lehrende durch zu heterogene Informationskanäle.

Eine einheitliche Plattform für die Lehre an einem Standort, verbunden mit digital zugänglichen Fallsammlungen für Angehörige der Universitätsmedizin, könnte zudem weitreichende interdisziplinäre Synergieeffekte schaffen. Ein möglicher Lösungsansatz könnten geschlossene digitale Systeme sein, auf denen die Lehrenden ihre Lehrinhalte zur Verfügung stellen. Die Plattform könnte darüber hinaus nicht nur zur Bereitstellung von Lehrinhalten genutzt werden, sondern selbst als Anschauungsmaterial für neue Fächer und Teildisziplinen im Studiengang, wie beispielsweise Digitale Medizin, genutzt werden. Die Verwaltung der Plattform könnte hier exemplarisch durch die Bibliothek als Hauptansprechpartner der Lehrmittelversorgung im Studium organisiert werden.

Je früher hierbei die Idee einer geschlossenen digitalen Plattform an einem Standort evaluiert wird, desto eher können Erfahrungen im Prozess gesammelt werden und die Vorteile bei erfolgreicher Umsetzung in der Lehre ankommen.

Trotz des zu Beginn absehbar hohen Arbeitsaufwandes für die Bereitstellung solch einer Plattform an einem Standort wird die Arbeitslast in Zukunft reduziert, da sich geschlossene digitale Systeme vergleichsweise einfach an sich ändernde Bedürfnisse von Lehrenden und Studierenden anpassen lassen. Dadurch stellen sie eine langfristige Investition in eine qualitative Lehre dar.

Im Fazit ist der Trend zu einer hybriden Lehre bereits vor der Pandemie erkennbar gewesen und wurde durch die Pandemie nochmals beschleunigt. Dieser Trend sollte bei der Entscheidungsfindung über die Ausrichtung der Literaturversorgung in der Zukunft beachtet werden. So könnte das Angebot an E-Plattformen erweitert und Fachbücher vermehrt zusätzlich im E-Book-Format zur Verfügung gestellt werden.

Zur Erstellung bestmöglicher Lehrkonzepte sollten die Institute diese stets auf die drei Kernpunkte Theorie, Praxis und Kommunikation kritisch untersuchen und den Diskurs mit Studierenden möglichst früh suchen, um diese optimal anzupassen. Dabei eignet sich der direkte Kontakt in Praktika oder aber auch die Anwendung von Feedback-Systemen besonders gut um ein differenziertes Meinungsbild zu erhalten.

Eine Abstimmung mit fachbereichszugehörigen Instituten anderer Standorte, aber auch der Austausch mit anderen Instituten am gleichen Standort kann weitere Impulse zur zukünftigen Gestaltung der Lehre geben. Hierbei gilt, dass das Try-and-Error Prinzip der effektivste Weg ist, um die Lehre an die Bedürfnisse der Studierenden anzupassen und ein breites Feedback zu verschiedenen Lehrkonzeptansätzen zu erhalten. Anhand dieses Feedbacks können konsekutiv vielversprechende Ansätze verfolgt werden

Zusammenfassend muss klar gesagt werden, dass das Lernverhalten und die damit einhergehenden Anforderungen an Bibliotheken immer von der Lehre und somit den Instituten und den einzelnen Dozent:innen abhängen. Der Autor erhofft sich, mit diesem Beitrag den Wandel in der Lehre zu verdeutlichen und zum Diskurs über die zukünftige Gestaltung der Lehre anzuregen.


Anmerkung

Benedikt Fangmeier ist Medizinstudierender an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz. Er engagiert sich in der Fachschaft und ist Mitglied im Ausschuss für Lehre.


Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Universitätsmedizin Mainz – Institut für Anatomie. ModeLL-M (Mainzer Modelle für digital erweitertes Lehren und Lernen). Verfügbar unter: https://www.unimedizin-mainz.de/institut-fuer-anatomie/modell-m.html External link
2.
Universität Paderborn. PINGO. Verfügbar unter: https://www.uni-paderborn.de/lehre/lehrinnovationen/lehrprojekte/pingo External link
3.
Universitätsmedizin Mainz – Institut für Anatomie. Lernprogramme. Verfügbar unter: https://www.unimedizin-mainz.de/institut-fuer-anatomie/lehre/lernprogramme.html External link
4.
Universitätsmedizin Mainz – Institut für Anatomie. Lehrpreise. Verfügbar unter: https://www.unimedizin-mainz.de/institut-fuer-anatomie/lehre/lehrpreise.html External link
5.
Universitätsmedizin Mainz – Klinik für Allgemein-, Viszeral- und Transplantationschirurgie. Studierende. Verfügbar unter: https://www.unimedizin-mainz.de/avtc/studierende/uebersicht.html External link