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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

E-Mail-Support in Bibliotheken – Lernen von den Profis. 99 Tipps, wie Sie sich Arbeit, Verantwortung und Nutzer*innen vom Leib halten

E-mail support in libraries – learning from the professionals. 99 tips to avoid work, responsibilities and users

Satire Online-Jahrestagung der AGMB 2021

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GMS Med Bibl Inf 2021;21(3):Doc22

doi: 10.3205/mbi000511, urn:nbn:de:0183-mbi0005118

Published: December 20, 2021

© 2021 Vogel.
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E-Mail-Support in Bibliotheken – Lernen von den Profis

Dank Corona ist E-Mail-Support gefragt wie nie – nachfolgend habe ich in einem Crashkurs exklusiv für Medizinbibliothekar*innen der AGMB die wichtigsten Regeln für ein erfolgreiches Serviceangebot zusammengestellt. Die Inhalte basieren auf der superquantencloudcomputerischen Auswertung von 20.000 Customer-Support-Nachrichten großer Verlage und Wissensanbieter, mit denen wir alle tagtäglich zu tun haben. Lernen Sie von den Profis!

Kein Mail ist das beste Mail

Wenn Sie keine Arbeit mit der Beantwortung von Mails haben wollen, ist die wichtigste Regel, dass Sie von vornherein vermeiden, überhaupt Mails zu bekommen. Schlimm genug, dass ihre Chefin schon wieder schreibt oder LinkedIn die Geschäftsbedingungen aktualisiert – es ist völlig klar, dass Sie da nicht auch noch Zeit für Nachrichten von Nutzer*innen haben.

Fangen Sie mit der Mailvermeidung am besten gleich auf Ihrer Webseite an: Halten Sie sich bedeckt, geben Sie keine Namen, Mailadressen oder telefonischen Kontaktmöglichkeiten an, die den Eindruck erwecken könnten, dass sich tatsächlich ein Mensch um das Problem ihrer Nutzer*innen kümmern könnte. So halten Sie Erwartungen gering, dass eine Anfrage eine Reaktion hervorrufen könnte und tatsächlich schließen viele Nutzer*innen das Browserfenster in so einer Situation wieder und erkennen, dass der Grund für Ihre Supportanfrage doch nicht so wichtig gewesen ist.

Verwenden Sie Anfrageformulare, so dass jede*r gezwungen ist, seine Absenderdaten bei jeder Anfrage erneut händisch einzugeben – so schrecken Sie Nutzer*innen ab, die ohnehin nicht genug Leidensfähigkeit für Ihren Service haben. Je mehr Felder Sie dabei verwenden, desto besser. Sie können damit den Eindruck von individueller und spezifischer Betreuung der Anfrage erwecken (Geben Sie Namen und die 15-stellige Versionsnummer Ihres Browsers ein …) und gleichzeitig ohne eigenen Mehraufwand die zeitlichen Kosten für die Nutzer*innen in die Höhe treiben.

Geben Sie Nutzer*innen möglichst vielfältige und demoralisierende Aufgaben, die sie bewältigen müssen, bevor sie tatsächlich die Möglichkeit haben, Sie mit einer Anfrage zu belästigen: Etwa das Lesen von langen Listen von FAQ – das ist nicht nur zeitaufwändig, sondern suggeriert Nutzer*innen auch, dass ihre eigene Frage vermutlich auch nur eine von den „häufigen“, gewöhnlichen, unwichtigen, natürlich bereits beantworteten Fragen ist, mit denen Sie sich eben herumschlagen müssen. Oder das Lösen von „I’m not a robot“-Captchas im Anschluss an längere Eingaben – wenn hier etwas schiefgeht, versuchen Nutzer*innen es bestimmt kein zweites Mal. Oder fordern Sie rätselhafte Selbstzuordnungen der Nutzer*innen (bin ich „Institutionskunde“ oder „Wissenschaftler“ oder „Autor“ oder „Bibliothekar“ oder „Abonnent“, bin ich in der Support-Region „Eastern Europe and Middle Asia“ oder „USA, UK, Western Europe“) oder, oder, oder – seien Sie kreativ!

Wenn sich Arbeit nicht mehr vermeiden lässt

Sollte doch mal ein E-Mail Ihre Abwehrmaßnahmen durchdringen – reagieren Sie schnell! Oder besser gesagt, lassen Sie Ihr System schnell reagieren, Sie selbst sind ja mit wichtigeren Dingen beschäftigt, das dürfen Nutzer*innen ruhig merken. Eine automatische Antwort an Absender*innen von Support-Anfragen kann auf vielfältige Weise helfen: Mit der automatischen Antwort haben Sie die Erwartung an eine schnelle Reaktion bereits erfüllt, jetzt können Sie bequem selbst entscheiden, wann und ob Sie reagieren. Versprechen Sie in der automatischen Antwort am besten eine konkrete Frist, binnen der Sie reagieren werden – und lassen Sie diese natürlich verstreichen. Nutzer*innen machen so gleich am Anfang des Support-Prozesses die prägende Erfahrung von großer Hoffnung und Enttäuschung. Da sie bei weiteren Mails ja immer wieder die gleiche automatische E-Mail bekommen, entsteht ein Zustand tiefer Hilflosigkeit – ideale Voraussetzung zur Abwehr von Anliegen.

Ganz wichtig: Verwenden Sie eine „no-reply“-Mailadresse! Dass Sie überhaupt für andere Menschen erreichbar sein müssen, ist eine berufliche Bürde, deren Erörterung den Rahmen dieses Texts sprengen würde, dass Sie aber für Nutzer*innen direkt erreichbar sein sollen, müssen Sie unbedingt vermeiden. Sie bestimmen die Regeln, wer Ihnen schreibt und zu welchem Thema (siehe oben zu Anfrageformularen) – und was gibt es da besseres als eine „no-reply“-Mailadresse? Sie wirkt für naive Nutzer*innen wie eine rein technische Notwendigkeit, ist aber doch wirksames Machtinstrument.

Antworten Sie nie auf die gestellten Fragen, verwenden Sie stattdessen Standardtexte oder schreiben Sie einfach, was Ihnen durch den Kopf geht, solange es zumindest klingt wie eine Antwort. Die Beschäftigung mit den Problemen der Nutzer*innen ist eine anstrengende und schwierige Tätigkeit, nochzumal mit der oft überhöhten Erwartung der Anfragenden, ein Problem könnte tatsächlich gelöst werden. Dabei ist die Grundsituation doch sehr einfach: Ihr System und Ihre Services sind perfekt und funktionieren fehlerfrei – daher liegt die Ursache und Schuld für ein Problem sicher bei den Nutzer*innen und kann vielfältige Ursachen haben, vorsätzliche Dummheit beispielsweise oder nicht optimal konfigurierte technische Ausstattung. Versuchen Sie auf keinen Fall, sich hier einzumischen!

Achtung Notfall: Sollte rein theoretisch – etwa durch einen Dritten – mal tatsächlich ein Fehler in Ihrem Produkt oder Ihrer Kommunikation auftreten, den Sie nicht dem oder der Nutzer*in zuschieben können, so ist ein sensibles Wording von höchster Wichtigkeit, um dennoch den Eindruck zu vermeiden, Sie seien für diesen Zustand verantwortlich. Das Zauberwort heißt „Missverständnis“! „Missverständnisse“ können ja jedem passieren und einem „Missverständnis“ zu widersprechen, hieße ja, als streitlustig dazustehen. Wenn Sie von einem „Missverständnis“ sprechen, haben Sie es doch noch mal geschafft, Verantwortung zu vermeiden!

Wie man Nutzer*innen wieder los wird

Manche verstehen leider auch die deutlichsten Hinweise nicht und werden hartnäckig versuchen, durch weitere E-Mails eine Lösung für ihr Problem zu ertrotzen. Lassen Sie sich dadurch nicht beunruhigen oder gar zu Bemühungen nötigen, es gibt erprobte Mittel und Wege, um Nutzer*innen auch in diesem Stadium noch loszuwerden.

Eine klassische Methode, die bereits in Zeiten des gedruckten Briefs funktioniert hat, ist das Nichtanworten. Am besten, Sie lesen eingehende Mails gar nicht erst (Sie haben ja eh eine automatisierte Antwort), in jedem Falle antworten Sie einfach nicht. Irgendwann verstehen die meisten, dass hier nicht mehr mit einer Reaktion zu rechnen ist. Laut internationalen Studien greifen dann nur etwa 8% zu anderen Methoden der Supportnötigung, wie etwa dem Telefon (geben Sie daher NIEMALS Ihre Telefonnummer in Ihrer Kommunikation an).

Etwas trickreicher ist die Methode der Arbeitsumkehr: Statt das Problem des/der Nutzer*in zu lösen, drehen Sie den Spieß um und fordern Anfragende auf, ihrerseits aufwändige Tasks zu erledigen, die für die Lösung des Problems notwendig seien, etwa das Zurücksetzen des Passworts, das Update auf eine aktuelle Browserversion oder gleich einen neuen Browser (auf diese Weise werfen Sie viele Nutzer*innen aus Firmennetzwerken gleich mal aus dem Rennen – Gratulation!) Mit der Neuinstallation von Programmen oder Windows sind dann auch erfahrene Nutzer*innen erst mal für eine Weile beschäftigt, gerade bei diesen wirkt hier die Kombination aus dem Bewusstsein für die Sinnlosigkeit der Aufgabe und dem moralischen Dilemma, kein Anrecht auf weitere Supportbemühungen Ihrerseits zu haben, ohne die „notwendigen“ Schritte ausgeführt zu haben, besonders frustrierend und damit kommunikationsverkürzend.

Eine weitere, subtile Methode, Nutzer*innen loszuwerden, ist, Ihre Antwortmails in englischer Sprache zu verfassen. Das wirkt professionell und weltmännisch und führt die Nutzer*innen bei einem Antwortversuch regelmäßig in einen Strudel aus eigenen Minderwertigkeitsgefühlen über mangelhafte Fremdsprachenkenntnisse, endlosen Zeitaufwand beim Nachschlagen von Begriffen im Lexikon und Ärger und Hilflosigkeit über die Zumutung, gegen die man sich aber nicht wehren kann – denn wer kann heute kein Englisch?

Unterzeichen Sie dann auch immer mit – wechselnden – Vornamen (Kind Regards, Denise, Chantal, Daniel, George, Ezra, Charlotte etc.). Die ungewohnte Vertrautheit und suggerierte Jugendlichkeit des Duzens (muss ich jetzt auch mit Sieglinde unterschreiben? Vielleicht mit Sigi?) in Verbindung mit dem Gefühl einer gesichtslosen Masse von sicher unglaublich netten und smarten Customer-Service-Agents mit Caffè Latte in einem New Yorker Loft gegenüberzustehen, lässt viele Nutzer*innen geradezu kollabieren. Sie fühlen sich provinziell, bieder und alt, der Grund der Anfrage scheint plötzlich trivial und unwürdig, vielleicht gehen sie auch nach Hause und weinen ein bisschen. Vor allem aber: Sie schreiben nicht mehr zurück!