gms | German Medical Science

GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Die digitale Benutzung – Transformation von Schulungen hin zu Workspaces

The digital user services – transformation from training courses to workspaces

Fachbeitrag Ein Jahr COVID-19

Search Medline for

  • corresponding author Martha Ganter - Technische Universität Berlin, Universitätsbibliothek, Berlin, Deutschland
  • corresponding author Johanna Hickmann - Technische Universität Berlin, Universitätsbibliothek, Berlin, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2021;21(1-2):Doc06

doi: 10.3205/mbi000495, urn:nbn:de:0183-mbi0004953

Published: September 16, 2021

© 2021 Ganter et al.
This is an Open Access article distributed under the terms of the Creative Commons Attribution 4.0 License. See license information at http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Zusammenfassung

Nach Schließung der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin im März 2020 mussten schnell Wege gefunden werden, wie Bibliothek unter Pandemiebedingungen funktionieren kann. Covid-19 veränderte nicht nur gewohnte Benutzungsservices, sondern auch die Bedeutung der digitalen Zugänglichkeit zu Angeboten. Sukzessiv wurden Schulungen ins Digitale transferiert, die Chatfunktion erweitert und digitale Lern- und Lehrmaterialien stärker in den Fokus gerückt. Doch wie sieht die Onlinevariante des physischen Lernorts einer Bibliothek aus? Wir berichten von unseren Erfahrungen und Herausforderungen in dieser Zeit und geben Einblick in unsere Überlegungen zu einem hybriden Lernort, in dem Einzel- und Gruppenarbeit, Auskunft sowie sozialer und fachlicher Austausch vom physischen bis in den digitalen Raum möglich sind.

Schlüsselwörter: Wandel, digitale Transformation, digitaler/hybrider Lernraum, Schulung, Onlineseminar, Benutzung

Abstract

After the University Library of the Technische Universität Berlin was shut down in March 2020, the library quickly needed to figure out how to evolve under the conditions of a pandemic. Not only did Covid-19 change the library’s services its users are familiar to, but it also drastically changed the importance of their digital accessibility. Training courses were successfully transferred into their digital equivalent, chat functionalities were expanded and digital learning and teaching materials gained significance.

Consequently, it is crucial to reflect on what the online version of a library’s physical learning space may look like. In this article, we share our experiences and challenges during this time. We also provide insight into our thought process on a hybrid learning space that makes individual as well as group work, information services, and social and professional exchanges possible.

Keywords: change, digital transformation, digital/hybrid learning space, training, online seminar, library user services


1 Herausforderung der pandemiebedingten Bibliotheksschließung

März 2020 – Die Berliner Bibliotheken werden geschlossen. Es sind nur noch knapp 2 Wochen bis zu den geplanten Infotagen zum Semesterstart. Was normalerweise ein etabliertes Vor-Ort-Konzept war, wurde schnellstmöglich auf Online-Formate umgestellt. Zu jedem Semesterbeginn finden an der Universitätsbibliothek der Technischen Universität Berlin (TU Berlin) Kurse zu den Grundlagen des Recherchierens, der Benutzung der Bibliothek und zu etablierten Tools wie Literaturverwaltungsprogrammen statt. An eine Nutzung der Lern- und Arbeitsplätze zu diesem Zeitpunkt ist nicht mehr zu denken, aber auch hier werden im Laufe der Monate Wege gefunden, die gewohnten Services entsprechend den Pandemieregelungen umzusetzen.

Eine Frage, die uns mit der Zeit immer stärker beschäftigen wird, ist, wie man den Bibliotheksort in all seinen Facetten digital und perspektivisch auch hybrid erlebbar machen kann. Wie können z.B. neue Studierende den Campus und insbesondere die Universitätsbibliothek kennenlernen ohne je einen Fuß aufs Gelände oder ins Gebäude gesetzt zu haben? Wie können unsere Services digital ebenso gut funktionieren?


2 Umstellung auf Online-Angebote in der Teaching Library

Es kam für das Team der Teaching Library nicht infrage, die Infotage für Studierende einfach abzusagen. Auch wenn im Sommersemester 2020 kein buntes Treiben in den Hallen der Bibliothek stattfinden würde, so sollten die neuen Studierenden dennoch das Rüstzeug erhalten, an die Ressourcen und Informationen der Bibliothek zu kommen. Es mussten daher schnell die notwendigen Voraussetzungen geschaffen werden, sowohl die Transformation für die Bibliotheksmitarbeiter*innen möglich zu machen als auch die neuen Formate aus dem Homeoffice umsetzen zu können.

2.1 Voraussetzung der Transformation

Bereits im Vorfeld gab es in der Teaching Library Erfahrungen mit asynchronen Vermittlungskonzepten wie E-Tutorials oder spielerischen Ansätzen z.B. mittels Actionbound. Beim Transfer der Kurskonzepte ins Digitale stand die technische sowie didaktische Umsetzung im Fokus.

Parallel zur technischen Ausstattung aller Bibliotheksmitarbeiter*innen suchte die Technische Universität Berlin nach geeigneten Videokonferenzsystemen um Lehre unter Einhaltung des Datenschutzes zu ermöglichen. Ausgehend von Adobe Connect waren bei der Auswahl sowohl Open-Source-Software wie Jitsi und BigBlueButton als auch proprietäre Software wie WebEx und Zoom im Gespräch. Remote Arbeiten und Lehren stellte unsere Kolleg*innen vor neue und bisher unbekannte Herausforderungen. Mit einem gemeinsamen Ziel vor Augen und viel Mut zum Ausprobieren konnten die Infotage binnen kürzester Zeit online stattfinden. Geholfen hat das gemeinsame Kennenlernen von Tools und deren Möglichkeiten. Und untereinander haben wir von den Erfahrungen der anderen Kolleg*innen profitiert und gegenseitig voneinander gelernt.

Die Mitarbeiter*innen der Teaching Library, die als integraler Bestandteil der Benutzungsabteilung nahezu alle dazugehörigen Mitarbeiter*innen in die Informationsvermittlung einbindet, passten in kleineren thematisch zugeschnittenen Teams die vorhandenen Kursformate an die digitalen Gegebenheiten an. Zum gegenseitigen Austausch wurden Dokumentationen und Ablaufpläne aktualisiert und alles wurde mehrfach im Vorfeld auf deren technische sowie didaktische Umsetzbarkeit getestet.

Um die Umstellung auf die neuen Online-Formate zu erleichtern, wurde die Betreuung der Kurse auf mehrere Schultern verteilt. Je Kurs werden zwei Dozent*innen von einem „Konferenzraumtechniker“ als Moderator*in und einer Chatbetreuung unterstützt. Diese Herangehensweise ermöglicht den Mitarbeiter*innen, sich an die gestiegenen technischen Anforderungen zu gewöhnen und bei Ausfällen ein Backup zu haben.

2.2 Wo stehen wir heute?

Mittlerweile haben wir die dritten digitalen Infotage durchgeführt. Als Kursformate werden weiterhin Impulsvorträge eingesetzt, die um verschiedene Umfrage- und Einbindungsmethoden der Zuschauer*innen erweitert wurden. Seither haben wir weiter an den Kursinhalten gearbeitet, mit Kurslängen experimentiert und auch die Auswirkungen der Platzierung der Onlineangebote zu verschiedenen Tageszeiten und Wochentagen (Montag bis Samstag) beobachtet. Neben dem Feedback der Teilnehmenden fließen auch die Teilnehmerzahlen in die interne Auswertung der Infotage ein. Weiterführende Angaben werden voraussichtlich demnächst im Jahresbericht 2020 der Universitätsbibliotheken der TU Berlin und Universität der Künste veröffentlicht. Wir stellen hierbei unter anderem fest, dass die Werbung für diese digitalen Infotage wichtiger denn je ist. Wo vor Ort das Schlendern über den Campus noch Zufallsbesucher*innen anlockte, müssen im Digitalen die Studierenden von diesen Angeboten gehört haben oder zumindest wissen, wonach sie suchen. Die Integration in das Rahmenprogramm für Neustudierende ist daher für die Sichtbarkeit entscheidend.

2.3 Was hat sich bewährt?

Offenheit und Experimentierfreudigkeit der Mitarbeiter*innen der Teaching Library waren Grundsteine für die neuen Schulungs- und Einführungsangebote. Die Möglichkeit der Aufgabenteilung und somit die Vereinfachung der komplexen und ungewohnten Tätigkeiten haben Raum geschaffen, die Transformation in einem angemessenen Tempo umzusetzen. Das gemeinsame Erarbeiten ebnete den Einstieg in die Onlineangebote. Wer sich aber nicht sofort traute, die Verantwortung für die neuen Formate zu übernehmen, hatte die Möglichkeit, erstmal hineinzuschnuppern und begleitend kennenzulernen.

Für eine zielorientierte Vermittlung sind Interaktion und Feedback der Studierenden essentiell. Während diese von Dozierenden vor Ort auch nonverbal wahrgenommen werden können, bedarf es in Online-Schulungen einer direkten Kommunikation und somit unterschiedlicher Hilfsmittel (z.B. Umfragen, Chats). Auch der gezielte Kameraeinsatz von Dozierenden und Teilnehmenden kann hierbei die digitale Schulungssituation unterstützen. Zur Lockerung der Atmosphäre und für erste Gespräche hilft es allen Beteiligten, sich am Anfang eines Kurses einmal zu sehen. Um einem Gefühl der ständigen Beobachtung entgegenzuwirken, ist eine klare Kommunikation der Dozierenden nötig, wann das Einschalten der Kameras erwünscht und wann das Ausschalten möglich ist. Zusätzlich wird hierdurch deutlich, wann der Schwerpunkt auf den Inhalten und wann auf der Interaktion liegt.

Die Bibliothek stellt seit kurzem auch Aufzeichnungen einmaliger Formate wie Coffee Lectures [1] und selbstproduzierte Videos für Dozierende der TU Berlin zur Unterstützung der digitalen Lehre [2] auf der Website und dem UB-eigenen YouTube-Kanal bereit. Auch Studierende können von solchen oder anderen asynchronen Selbstlernangeboten profitieren. Nach dem Umstieg auf Online-Formate denkt die Teaching Library aktuell verstärkt über die dafür notwendigen Vermittlungskonzepte sowie die dazugehörigen möglichen Elemente wie z.B. einer Lernkontrolle nach.


3 Lern- und Arbeitsraum unter Pandemiebedingungen

Bevor überhaupt über die Transformation des Lern- und Arbeitsraums nachgedacht werden konnte, bestimmten im ersten halben Jahr die politischen Verordnungen zur Pandemiebekämpfung den Arbeitsalltag der Bibliotheksmitarbeiter*innen. Die sich ständig ändernden Rahmenbedingungen erforderten eine kontinuierliche Optimierung der Arbeitsabläufe und wurde im Mitarbeiter*innenkreis als anstrengend und belastend empfunden. Dabei spielen fehlende Routinen eine große Rolle, die Ruhepausen zur Erholung oder Generierung neuer Ideen ermöglichen. Trotz der schwierigen Situation waren jedoch die Zusammenarbeit und der Austausch in der Benutzungsabteilung immer offen, kreativ und von großem Engagement im Mitarbeiter*innenkreis geprägt.

3.1 Wo stehen wir heute?

Nach über einem Jahr Pandemie haben Leitungsebene und Mitarbeiter*innen vielseitige Erfahrungen gesammelt und verschiedene Öffnungsszenarien ausprobiert. Dadurch hat sich die Situation im Mitarbeiter*innenkreis langsam wieder entspannt und der Raum für neue Ideen wächst. Da dezentrales Studieren und Arbeiten vermutlich in Teilen auch nach der Pandemie bleiben wird, verändert sich die Nutzung des physischen Lern- und Arbeitsraums. Mit den Erfahrungen aus der Pandemie möchte die Benutzungsabteilung einen digitalen Lern- und Arbeitsraum und perspektivisch hybride Workspaces entwickeln, die für die veränderten Rahmenbedingungen optimiert sind.

Unter hybriden Workspaces wird die Verschmelzung von physischen und digitalen Lern- und Arbeitsräumen samt den dazugehörigen Benutzungsservices verstanden. Diese sollen physisches und digitales Lernen und Arbeiten verzahnen und sowohl vor Ort in der Universitätsbibliothek als auch an anderen Orten der Welt möglich machen. Im Gegensatz zu den Schulungen gestaltet sich die Transformation hin zu hybriden Workspaces an der Universitätsbibliothek der TU Berlin schwieriger. Ohne Vorerfahrungen aus bereits existierenden digitalen Lern- und Arbeitsszenarien ist dies Neuland. Es handelt sich daher um ein großes Projekt, das personelle Kapazitäten bindet und erst entwickelt werden muss. Dafür sind die Erfahrungen aus der Pandemie zum Lernen und Arbeiten im Homeoffice aus Mitarbeiter*innen- und Nutzer*innenperspektive maßgebend. Diese sollten unbedingt in die Umsetzung funktionierender Workspaces einbezogen werden.

3.2 Was hat sich bewährt?

Betrachtet man den Ist-Zustand, so lassen sich drei wesentliche Angebote abgrenzen, die sich bewährt haben. Dabei handelt es sich um den Chat, die Sitzplatzbuchung sowie den Scanauftrag.

Der Chat als Auskunftsmittel existierte neben anderen Kanälen wie der Lesesaal-, der E-Mail- als auch der telefonischen Auskunft bereits vor der Pandemie. Da im ersten Lockdown keine Lesesaal- sowie telefonischen Auskunftsgespräche möglich waren, avancierte der Chat zum zentralen Auskunftselement. Der große Vorteil liegt in der niedrigschwelligen Kommunikationssituation, die Dialoge in Echtzeit ermöglicht. Dadurch sind physische oder telefonische Auskunftsgespräche in Teilen kompensierbar. Um den Nutzer*innen eine möglichst intuitive und einfache Kommunikation anzubieten, wurde der Chat personell stärker besetzt und zeitlich ausgeweitet. Servicezeiten vor dem ersten Lockdown waren 9:00 bis 16:00 Uhr. Diese wurden mit der Schließung der Bibliothek auf 9:00 bis 18:00 Uhr ausgeweitet. Vor dem Lockdown war der Chat mit eine*r Mitarbeiter*in besetzt, im Lockdown wurde auf drei bis vier Mitarbeiter*innen ausgeweitet. Um das personell bewältigen zu können, wurden zusätzlich studentische Servicehilfskräfte eingesetzt. Seit Spätsommer 2021 ist der Chat kontinuierlich mit einem*r Mitarbeiter*in sowie einer Servicehilfskraft besetzt. Die Erfahrungen des letzten Jahres zeigen, dass die Ausweitung die richtige Entscheidung war. Einen darüberhinausgehenden Mehrwert für die Nutzer*innen könnte eine Videoauskunft bieten. Dadurch würde sich die digitale Kommunikationssituation noch stärker der persönlichen Lesesaalauskunft annähern.

Für die Sitzplatzbuchung im physischen Lern- und Arbeitsraum wurde angedockt ans Online-Bibliothekssystem ein internes Tool entwickelt, das die Reservierung der Arbeitsplätze in elektronischer Form ermöglicht. Anhand des Buchungstools können festgelegte Kontingente an Sitzplätzen in verschiedenen Arbeitsbereichen der Universitätsbibliothek (Zentralbibliothek sowie Bereichs- und Fachbibliotheken) reserviert und genutzt werden. Neben der Reservierung ist im Bibliotheksgebäude ein Ein- und Ausloggen mit dem persönlichen Bibliotheksausweis nötig. Dadurch kann nachvollzogen werden, wie viele Plätze zu welchen Zeiten wirklich genutzt wurden. Mit dem Ausloggen werden die Arbeitsplätze wieder freigegeben und stehen anderen Nutzer*innen zur Verfügung. Ein weiteres zentrales Element des Tools ist die Datenspeicherung, die an der vom Land Berlin vorgegebenen Kontaktnachverfolgung orientiert ist. Bei Bedarf können alle relevanten Daten innerhalb des entsprechenden Zeitraums aus dem System gezogen und an die entsprechenden Stellen weitergegeben werden. Außerdem werden unnötige Wege sowie lange Arbeitsplatzsuchen im Bibliotheksgebäude vermieden. Getestet wurden sowohl verschiedene Zeitfenster innerhalb eines Tags als auch die Beschränkung der Reservierungsanzahl, um mehr Nutzer*innen das Arbeiten in der Bibliothek zu ermöglichen. Ein Desiderat ist die zeitnahe Freigabe reservierter, aber ungenutzter Plätze. Dafür wurden eine Überbuchung sowie das Sperren der Nutzer*innen bei mehrfacher Nichtnutzung in Erwägung gezogen.

Die Scanaufträge ermöglichten trotz Schließung der Universitätsbibliothek die digitale Nutzung von Medien. Sie sind dadurch ein zentraler Service für die Nutzer*innen. Vor dem ersten Lockdown wurden im Durchschnitt 70 Scanaufträge pro Monat gesetzeskonform angefertigt. Mit dem ersten Lockdown im März 2020 stieg die Zahl auf ca. 260 Scanaufträge pro Monat. Das hohe Anfrageaufkommen hat sich seitdem konstant gehalten und ein Rückgang zeichnet sich aktuell nicht ab. Das dritte Semester Online-Lehre zeigt deutlich die Relevanz der digitalen Zugänglichkeit.


4 Überlegungen zu hybriden Workspaces

Der noch ausstehende Schritt ist die Transformation des physischen Lern- und Arbeitsraums hin zu hybriden Workspaces. Die Aufgaben und Ziele, die ein solcher Raum erfüllen soll, sind eng an die strategische Ausrichtung der Universität nach der Pandemie geknüpft. Dabei stellt sich die Frage, in welchem Rahmen und an welchen Orten universitäres Lernen und Arbeiten stattfindet oder stattfinden wird. Wird Online-Lehre das zentrale Element bleiben und Präsenzlehre rückt stärker in den Hintergrund? Oder bleiben die Rahmenbedingungen analog zum Zustand vor der Pandemie bestehen? Wichtig bei allen Überlegungen der Benutzungsabteilung zu perspektivischen Szenarien, Aufgaben und Zielen sind die Mitarbeiter*innen und die Nutzer*innen.

4.1 Voraussetzungen für hybride Workspaces

Ziel ist die Schaffung von flexiblen, attraktiven und pandemiesicheren Workspaces. Das ist nur möglich, wenn man den physischen Lern- und Arbeitsraum mit seinen Services ins Digitale ausweitet. Um das passgenau für die Nutzer*innen umzusetzen, ist es erforderlich, die jeweiligen Aufgaben und unterschiedlichen Lebensrealitäten zu ermitteln. Das kann in Form von User-Experience-Methoden erfolgen. Es bieten sich z.B. User Journey Mappings, Love & Breakup Letters oder Graffiti Walls an. Besonders das User Journey Mapping, in dem die Nutzer*innen einen hybriden Workspace entwickeln und im Detail beschreiben, bietet einen Mehrwert [3]. Da es sich um Methoden im physischen Raum handelt, müssen diese ins Digitale verlegt werden. Außerdem müssen dafür Nutzer*innen gewonnen werden, die Lust haben, die Weiterentwicklung des Lern- und Arbeitsraums aktiv mitzugestalten.

Im Folgenden werden erste Überlegungen zu den Voraussetzungen für hybride Workspaces vorgestellt. Es sollten Räume für konzentriertes Arbeiten, für Gruppenarbeit, Prototyping als auch soziale Aktivitäten angeboten werden. Wichtig wäre überdies die Anwesenheit von Fachpersonal zu festgelegten Servicezeiten. Um eine bibliotheksähnliche Atmosphäre zu schaffen, die von vielen Nutzer*innen für eigenes konzentriertes Arbeit geschätzt wird, könnte der physische Raum gestreamt und im digitalen Pendant in Echtzeit abgebildet werden. Perspektivisch gedacht könnten zusätzlich Virtual-Reality-Lösungen eine Rolle spielen. Daneben sollten hybride Workspaces Chat- und Videoaustausch, die Einbindung von Text-, Audio- und Videodateien sowie kollaborative Arbeitsinstrumente wie ein Whiteboard enthalten. Wichtig ist außerdem, dass die Räume intuitiv, einfach, barrierearm, nachhaltig und niedrigschwellig nutzbar sind.

Da es schwierig ist, den physischen Raum direkt in allen seinen Facetten ins Digitale zu übertragen, spielen sowohl Aspekte wie Offenheit, frühzeitiges Austesten von Funktionalitäten als auch eine positive Fehlerkultur eine wichtige Rolle. Fehler sollten als Chance zum Neudenken und Weiterentwickeln begriffen werden. Bei der Transformation des physischen Lern- und Arbeitsraums ins Digitale werden zuerst die Funktionalitäten umgesetzt, die für die Nutzer*innen besonders wichtig sind. Darauf aufbauend können dann weitere Funktionalitäten eingebunden oder Services optimiert und weiterentwickelt werden.

4.2 Tools

Im Folgenden werden beispielhaft drei Tools betrachtet, mit denen hybride Workspaces aufgebaut werden können. Es handelt sich dabei um eine Auswahl, die bereits für ähnliche Projekte genutzt wird. Die Tools sind Matrix, Discord und Zoom. Sie sind responsiv gestaltet und somit für die Nutzung auf mobilen Endgeräten optimiert.

Matrix ist ein offener, dezentraler Dienst für Echtzeitkommunikation in Form von Chat, Audio- und Videotelefonie zwischen zwei oder mehr Personen. Darüber hinaus können Text-, Audio- und Videodateien eingebunden und ein gemeinsames Whiteboard genutzt werden. Verschiedene Arbeitsbereiche sind in Form von Communities im Digitalen abbildbar. Da Matrix einen eigenen Server benötigt, ist der Zugang nur für Hochschulangehörige sowie Angehörige anderer Hochschulen möglich, die einen eigenen Matrixserver betreiben. Damit wären externe Nutzer*innen im Digitalen ausgeschlossen. Von Vorteil ist, dass Matrix an immer mehr Hochschulen genutzt und aktiv weiterentwickelt wird. Ein Best-Practice-Beispiel ist das Schreibzentrum der TU Dresden [4], das im ersten Lockdown im März 2020 die Lern- und Schreibberatung sowie die Lern- und Schreibgruppen über Matrix ins Digitale verlagert hat.

Discord ist ein kommerzielles Tool für Echtzeitkommunikation in Form von Chat, Audio- und Videotelefonie zwischen zwei oder mehr Personen. Analog zu Matrix können verschiedene Dateiformate eingebunden werden. Arbeits- oder Themenbereiche sind in Form von Kanälen im Digitalen abbildbar. Aktuell ist Discord kostenfrei nutzbar. Nachteil ist, dass im Vorfeld der Datenschutz geprüft werden muss und dass keine langfristige Verlässlichkeit in Bezug auf die Weiterentwicklung von Funktionalitäten sowie Kostentransparenz vorhanden ist. Ein Best-Practice-Beispiel ist die Anwendung des DACH Bibliothekswesens [5].

Zoom ist ein Videokonferenzsystem für Echtzeitkommunikation in Form von Chat, Audio- und Videotelefonie zwischen zwei oder mehr Personen. Analog zu Matrix können Text-, Audio- und Videodateien eingebunden und ein gemeinsames Whiteboard genutzt werden. Weitere praktische Funktionalitäten sind das Handheben und die Videoaufzeichnung. Schwieriger gestaltet sich die Abbildung verschiedener Arbeitsbereiche. Diese können nur über Breakoutsessions eingebunden werden. Dafür ist eine durchgängige Betreuung des digitalen Raums nötig, wodurch Personalkapazitäten festgebunden werden. Ein Best-Practice-Beispiel ist der Lesesaal der Mathematischen Fachbibliothek der TU Berlin, der im ersten Lockdown im Juni 2020 über Zoom ins Digitale verlagert wurde. Da die digitale Betreuung in Zoom viele Personalkapazitäten bindet, wurde der digitale Lesesaal mit der physischen Öffnung der Arbeitsplätze temporär deaktiviert. Er kann im Fall eines weiteren Lockdowns jedoch jederzeit wieder in Betrieb genommen werden.

4.3 Herausforderungen und Chancen

Wirft man einen Blick auf die Herausforderungen, die sich im Kontext des Hybriden stellen, so sticht besonders die soziale Komponente ins Auge. Im physischen Raum kommt der menschlichen Interaktion eine zentrale Rolle zu. Aspekte wie Leistungsvergleiche zwischen Lernenden, nonverbale und verbale Kommunikation, soziale Gruppenbildungen sowie räumliche Abtrennung von Studium und Privatem fehlen. Die Generierung von Arbeitsatmosphäre analog zum physischen Lern- und Arbeitsraum gestaltet sich schwierig. Das Streaming des physischen Raums birgt mit Blick auf den Datenschutz Herausforderungen. Es kann zwar das „Bibliotheksfeeling“ teilweise vermitteln, ist aber auf keinen Fall ein adäquater Ersatz für die Anwesenheit in der Bibliothek. Eine Virtual-Reality-Lösung könnte hier helfen, einen digitalen Raum zu schaffen, der dem physischen ähnelt. Das dafür notwendige technische Equipment sowie eine entsprechende Infrastruktur ist jedoch momentan weder bei den Bibliotheksnutzer*innen noch an den Hochschulen flächendeckend vorhanden. Daneben existieren im Mitarbeiter*innenkreis noch wenig Erfahrungen, wie mit mutwilligen Störungen oder Belästigungen im Digitalen umgegangen werden soll. Das könnte in hybriden Workspaces sowohl den Missbrauch für rechtswidrige Zwecke als auch Beleidigungen und Störaktionen betreffen.

Als Chance bietet sich an, Videotools weiter auszubauen und umzuwidmen, die im Zuge der Pandemie ausgetestet wurden und gut funktionieren. Außerdem ermöglichen hybride Workspaces die kollaborative Zusammenarbeit an verschiedenen Orten der Welt. Z.B. könnten Studierende der TU Berlin in der Universitätsbibliothek mit Studierenden an der Sorbonne in Paris gemeinsam an Projekten arbeiten. Die Verankerung von hybriden Workspaces im Hochschulkontext ermöglicht die Zusammenarbeit mit verschiedenen Fachbereichen der TU Berlin. In diesem Rahmen könnten Reallabore u.a. zu Virtual Reality ins Leben gerufen werden.


5 Fazit

Egal ob bequem von zu Hause, mobil unterwegs oder in der Bibliothek, das ausgebaute Angebot an digitalen Schulungen, E-Tutorials und zukünftig noch weiteren Selbstlernangeboten wird auch nach der Pandemie weiter von Relevanz sein.

Und auch der Weiterentwicklung des physischen Lern- und Arbeitsraums hin zu hybriden Workspaces kommt eine zentrale Bedeutung zu. Einerseits liegt der Fokus auf der Ausweitung ins Digitale. Andererseits sollen physischer und digitaler Raum verzahnt und unter dem Überbegriff des hybriden Workspace kollaborativ und ortsunabhängig nutzbar sein. Bei der Weiterentwicklung stehen die Mitarbeiter*innen und Nutzer*innen sowie deren individuelle Aufgaben und Lebensrealitäten im Zentrum. Es soll gemeinsam an hybriden Workspaces gearbeitet werden, die intuitiv nutzbar und einfach zugänglich sind. Dabei spielt Agilität, Offenheit und frühzeitiges Austesten von Prototypen eine wichtige Rolle. Ein essentieller Mehrwert liegt in der Stärkung des gemeinsamen Austauschs von Nutzer*innen und Mitarbeiter*innen. Daraus kann eine lebendige Community erwachsen, die kontinuierlich zu Aufgaben und Wünschen in Kontakt steht.

Dabei sollten aktuelle Trends wie Virtual Reality, Augmented Reality und künstliche Intelligenz im Blick behalten werden. Mit Virtual Reality könnte eine Erlebniswelt geschaffen werden, an die ein Rundumservice zur Unterstützung von Studium, Lehre und Forschung angedockt ist. Künstliche Intelligenz kann im Rahmen von Machine Learning eine Entlastung der Mitarbeiter*innen bei der automatisierten Verarbeitung von Anfragen ermöglichen. Um das zu realisieren, sollten die Trends kontinuierlich beobachtet und auf Umsetzungsszenarien untersucht werden. Inwieweit hybride Workspaces zum Lern- und Arbeitsraum von morgen avancieren, wird die Praxis zeigen.


Anmerkungen

Autorenschaft

Beide Autorinnen haben zu gleichen Teilen zu diesem Aufsatz beigetragen und sind daher beide korrespondenzführend. Die Reihenfolge der Autorinnen erfolgte alphabetisch.

ORCIDs

Interessenkonflikte

Die Autorinnen erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.


Literatur

1.
Technische Universität Berlin – Universitätsbibliothek. Literatur und Informationsressourcen für die Online-Lehre [Tutorial]. In: YouTube. 2020 [cited 2021 Apr 30]. Available from: https://www.youtube.com/playlist?list=PLITbpIDpqj9nJevdoLRhRETlRd02VaG5V External link
2.
Technische Universität Berlin – Universitätsbibliothek. Literatur und Informationsressourcen für die Online-Lehre [Tutorial]. In: YouTube. 2020 [cited 2021 Apr 30]. Available from: https://www.youtube.com/playlist?list=PLITbpIDpqj9mbob8A2v9XFF7tR_ooDfJa External link
3.
Clasen N. User Experience für Bibliotheken: die besten Werkzeuge und Methoden für Einsteiger. In: ZBW MediaTalk. 2020 Aug [cited 2021 Apr 30]. Available from: https://www.zbw-mediatalk.eu/de/2020/08/user-experience-fuer-bibliotheken-die-besten-werkzeuge-und-methoden-fuer-einsteiger/ External link
4.
Hammermüller C. Arbeiten, als säße man in der Bibliothek: Die Homeoffice-Community in der TU Matrix lädt ein. In: SLUBlog. 2020 May 25 [cited 2021 Jul 1]. Available from: https://blog.slub-dresden.de/beitrag/2020/05/25/arbeiten-als-saesse-man-in-der-bibliothek-die-homeoffice-community-in-der-tu-matrix-laedt-ein External link
5.
Steiner C. D-A-CH Discord- Server. In: Digithek blog. 2021 Feb 20 [cited 2021 Jul 19]. Available from: https://blog.digithek.ch/d-a-ch-discord-server/ External link