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Sezieren, Präparieren, Schneiden – virtuell und ohne Blut: zwei Jahre Praxiserfahrung mit „Anatomage“ an der Medizinbibliothek Göttingen
Dissection, dissection, cutting – virtual and without blood: two years of practical experience with “Anatomage” at the Göttingen medical library
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Published: | December 20, 2019 |
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Zusammenfassung
Im Februar 2017 wurde der Antrag von der Fakultät genehmigt und ein halbes Jahr später war er da: der 3D-Anatomietisch der Firma „Anatomage“. Seit dem Wintersemester 2017/18 steht er als unterstützendes High-Tech-Lerntool den Studierenden des Präparierkurses sowie allen Interessierten zur Verfügung, die anatomische Präpariertechniken und Schnitte quasi in Endlosschleife immer wiederholen können. Dazu sind mehrere Ganzkörperspender und eine umfangreiche „High Resolution Regional Anatomy“ in entsprechender Bild- und Schnitttechnik und anschließender 3D-Simulation hinterlegt. Zusätzlich stehen diverse weitere Funktionen und Tools zur Lernunterstützung bereit, u.a. CT- und radiologische Schnittbilder, eine mehrere 1.000 Fälle umfassende Datenbank von „Clinical Cases“ und vieles mehr. In Zeiten, wo 3D-Technologie im Arbeitsalltag immer wichtiger wird, bietet der Tisch eine unerschöpfliche Fülle an Möglichkeiten, sich selber zu schulen sowie Wissen in Einzel- oder Gruppenarbeit aufzufrischen und abzuprüfen. Der Bericht stellt den (langen) Antragsweg dar, den Start in der Lehre und welches Konzept mit der freien Aufstellung in der Bibliothek verfolgt wird.
Abstract
In February 2017 the application was approved by the faculty and half a year later it was there: the 3D anatomy table of the company “Anatomage”. Since the winter semester 2017/18, it has been available as a supporting high-tech learning tool to the students of the preparation course as well as to all interested parties who can repeat anatomical preparation techniques and cuts in an endless loop. Several whole-body donors and an extensive “high resolution regional anatomy” are stored in the corresponding image and section technique and subsequent 3D simulation. In addition, various other functions and tools are available to support learning, including CT and radiological sectional images, a database of clinical cases comprising several thousand cases and much more. In times when 3D technology is becoming increasingly important in everyday working life, the table offers an inexhaustible wealth of opportunities to train yourself and refresh and test your knowledge in individual or group work.
The report presents the (long) application process, the start in teaching and which concept is pursued with the free positioning in the library.
Wie alles begann...
Die Idee, einen 3D-Anatomietisch als Lerntool in einer Medizinbibliothek einzusetzen, entstand 2014 auf der AGMB-Jahrestagung in Mannheim, wo Dr. Sabine Gehrlein einen Vortrag dazu hielt und über die eigenen Erfahrungen aus Heidelberg berichtete [1]. Dieser Vortrag – damals war ich erst seit einem Jahr Leiterin der Medizinbibliothek Göttingen – hatte mich so stark beeindruckt, dass ich versuchen wollte, dies auch in Göttingen zu realisieren.
Nach einem Gespräch mit meiner Abteilungsleiterin und einiger Organisation konnte ich im Februar 2015 nach Heidelberg fahren, um mir das Konzept dort mit eigenen Augen anzuschauen. Die Heidelberger Kolleginnen nahmen sich einen ganzen Tag Zeit für mich, zeigten mir alles (inkl. einem Besuch im Präpariersaal) und erklärten mir genau, wie der Anatomage-Tisch in der Bibliothek eingesetzt wird.
Dann ging es für mich richtig los: mit Informationsgesprächen im Anatomischen Institut, mit der Fachschaft Humanmedizin, natürlich mit meinem Team in der Bibliothek und mit unserer Abteilungsleitung, denn am Anfang bestand noch die (geringe) Hoffnung, dass sich die SUB Göttingen an der Finanzierung dieses Projektes beteiligen könnte.
Als erstes Ergebnis bekamen wir dann ein Webinar eines Firmenvertreters von Anatomage, wo mehrere Vertreter der Fachschaft Humanmedizin teilnahmen sowie mehrere Beschäftigte aus dem Bibliotheksteam. Im Anschluss daran wurde alles für den Antrag in der Studienkommissionssitzung vorbereitet, die Federführung übernahmen ab diesem Zeitpunkt die beiden Anatomieprofessoren Jochen Staiger und Thomas Dresbach.
Doch dann kam erstmal ein kleiner Schock: Der Antrag wurde im ersten Versuch zurückgestellt! Hier standen sich Studierende und Lehrende in konträren Positionen gegenüber: Während die Lehrenden so gut wie ausnahmslos für die Annahme des Antrags plädierten, war den Studierenden das Konzept noch nicht ausgefeilt genug und die Kosten zu hoch. Es wurde vereinbart, das Ganze zu überarbeiten und später als neuen Antrag wieder einzubringen.
Wie ging es dann weiter?
Wir haben genau das getan. Mit dem Ergebnis, dass 2017 ein neuer Antrag unter dem Titel „Integration bildgebender Verfahren in den Präparierkurs“ in die Studienkommission eingebracht wurde. Beantragt wurde folgendes Equipment: 2 Anatomietische (einer für den Präpariersaal, einer für die Bibliothek) und insgesamt 6 studentische Hilfskräfte, die medizinische Fachberatung am und mit dem Tisch durchführen sollten. Das Antragsvolumen belief sich auf 180.000,- Euro, das Konzept wurde auf Herz und Nieren geprüft und im Februar 2017 wurde der Antrag dann genehmigt!
Danach ging alles ziemlich schnell: Die Tische wurden im Sommer 2017 geliefert und dann begann für alle Beteiligten die eigentliche Arbeit, damit wir auch in der Lage sein würden, mit dem Tisch umzugehen. Dazu gab es im Oktober 2017 einmal ein ganztägiges Training mit einem Firmenvertreter und kurze Zeit später an einem Wochenende im Oktober ein zweitägiges Training mit den beiden Heidelberger Kolleginnen Sara Doll und Kerstin Klopries, die auf Initiative von Prof. Dresbach zu uns nach Göttingen eingeladen wurden und sich viel Zeit genommen haben, um das „Anatomage-Team“ gründlich einzuarbeiten.
Seit dem Wintersemester 2017/2018 ist der Tisch nun als offizielles Unterstützungstool für die Studierenden des Präparierkurses – aber selbstverständlich auch für alle anderen Interessierten – im Einsatz. Das Besondere bei uns: der Tisch steht frei zugänglich und für alle sichtbar in der Bibliothek und bildet das Herzstück unseres kleinen „Makerspace“, in dem wir hochwertiges 3D-Equipment (z.B. 3D-Drucker, 3D-Scanner) für die Studierenden zur Verfügung stellen.
Und die Kommunikation?
Die „Initial-Werbung“ erfolgte über mehrere Artikel in der örtlichen Presse und im Newsletter der Universitätsmedizin. Darüber hinaus gibt es noch diverse andere Kommunikationskanäle, wie den eigenen Newsletter der Medizinbibliothek, Plakate und Aufsteller direkt in der Bibliothek, die Homepage der SUB Göttingen und die mündliche Bewerbung im Rahmen von Bibliotheksführungen, der Orientierungsphasen und auch der Mund-zu-Mund-Propaganda (nicht zu unterschätzen!). Inzwischen gibt es auch ein kleines „Werbevideo“, erstellt vom Videoteam der SUB Göttingen: https://www.youtube.com/playlist?list=PLgoiCMgV-zrfLp3DkVorGGU_MGXR5lsfY.
Es bedarf allerdings einer kontinuierlichen Kommunikation in die Fakultät und auch immer wieder an die Studierenden, dass dieses High-Tech-Equipment zur Verfügung steht und so werden in unregelmäßigen Abständen auch immer wieder Informationen zum Anatomage-Tisch in den Newsletter der Bibliothek eingebaut.
Welches Konzept verfolgen wir?
Von Anfang an haben wir ein bewusst niedrigschwelliges Konzept verfolgt, um den Anatomage-Tisch (Abbildung 1 [Abb. 1]) dem „breiten Publikum“ zugänglich zu machen. Der Tisch steht offen sichtbar mitten im Makerspace. Studierende, die ein einführendes Beratungstraining bei den Tutoren absolviert haben, dürfen selbstständig daran arbeiten und der Tisch steht während der gesamten Öffnungszeiten der Bibliothek für Interessierte zur Verfügung (auch am Wochenende). Es gibt an fast jedem Tag der Woche Beratungszeiten durch die studentischen Tutoren, d.h. Nutzer dürfen einfach kommen, sich ein Einführungstraining in die Bedienung des Tisches geben lassen und dann mit eigenem Arbeiten starten. Es gibt kein kompliziertes Online-Buchungssystem, sondern eine evtl. Reservierung erfolgt direkt an unserer Informationstheke über einen (noch ganz altmodisch analogen) Papierkalender/Stundenplan. Ansonsten darf man am Tisch arbeiten, wenn er frei ist und muss sich nicht vorher anmelden. Die bewusste Sichtbarmachung ist Absicht, damit die Hemmschwelle nicht so groß ist, ein solches High-Tech-Gerät zu benutzen.
Und wie läuft es?
Unterschiedlich! Man braucht einen langen Atem und relativ viel Geduld und muss eine längere Anlaufphase unbedingt einplanen. Das neue Angebot muss sich ja erst herumsprechen, es muss beworben werden und eine gewisse Anzahl von Personen muss überhaupt erst ein Einführungstraining absolviert haben, bevor die Quantität an Personen da ist, das Gerät überhaupt nutzen zu können.
Der erste Aufschlag muss von Seiten der Professoren im Präparierkurs erfolgen, d.h. die Studierenden müssen „mitgenommen“ werden und der Tisch muss als ganz normales Arbeitsgerät in die Lehre integriert werden – von selbst kommen nur die wenigsten! Den Studierenden muss das neue Arbeitstool auch ein bißchen schmackhaft gemacht werden, damit es als Erleichterung und Unterstützung Akzeptanz findet und nicht als eine Last empfunden wird im Sinne von „oh je, noch was Neues, das ich lernen muss“.
Natürlich steht und fällt die Nutzung auch mit den Veranstaltungen, die gerade stattfinden, mit den Prüfungsphasen etc.
Ein willkommener „Nebeneffekt“ der niedrigschwelligen Benutzung: Auch das Interesse der Nicht-Studierenden wird geweckt. So möchte seit Neuestem die Schule der Operationstechnischen Assistenten (OTA) den Anatomietisch als digitales Werkzeug in den Unterricht einbauen.
Fazit
Auch die absolute High-Tech ist kein Selbstläufer und ohne das Engagement der Professoren/der Lehrenden geht gar nichts!
Der Lernort Bibliothek wird mit einem solchen Arbeitstool noch einmal enorm aufgewertet, vor allem, wenn es wie bei uns in Göttingen mit einer so gut funktionierenden kollegialen Partnerschaft zwischen Anatomischem Institut und Bibliothek einhergeht, und so findet der Tisch Beachtung und Aufmerksamkeit über die Grenzen der Medizinischen Fakultät hinaus. Perspektivisch wäre eine „Pflichtnutzung“ durch die Studierenden wünschenswert, damit der Tisch ein ganz selbstverständliches Arbeitstool wird.
Für das Bibliothekspersonal hat sich ein neues Arbeitsfeld erschlossen, da wir selber ja auch Basistrainings in die Benutzung des Tisches geben, immer als Ansprechpersonen zur Verfügung stehen und den Anatomietisch immer wieder im Rahmen von Führungen mit präsentieren.
Ein absolut lohnenswertes Projekt mit Potential zur Weiterentwicklung.
Anmerkung
Interessenkonflikte
Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.