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Umfassende Literaturrecherchen – ein Kurzüberblick
Comprehensive literature searches – an overview
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Published: | September 10, 2019 |
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Zusammenfassung
Eine umfassende Literaturrecherche (Comprehensive Literature Search, CLS) bezeichnet eine umfangreiche und aufwändige Recherche mit dem Ziel, möglichst alle Studien zur Beantwortung einer zugrundeliegenden Forschungsfrage im Rahmen einer systematischen Übersichtsarbeit zu identifizieren. Konkrete Empfehlungen oder eine Definition des Begriffs CLS gibt es jedoch nicht. Der vorliegende Beitrag führt in eine Rahmung der CLS ein, stellt die damit einhergehenden Herausforderungen dar und weist auf methodische Implikationen sowie mögliche zukünftige Forschungsbereiche hin.
Abstract
A comprehensive literature search (CLS) describes a complex search with the aim to identify as many studies as possible to answer an underlying research question of a systematic review. However, concrete recommendations or a definition of the CLS are not available. The present article introduces a framework of the CLS, presents the associated challenges and points to methodological implications as well as potential future research topics.
Umfassende Literaturrecherchen
Einigen Formen von Übersichtsarbeiten wie Systematic Reviews und Leitlinien wird eine große klinische Bedeutung zugeschrieben, da sich daraus Empfehlungen für die klinische Praxis ableiten lassen, etwa zur Anwendung oder Nichtanwendung bestimmter Therapie- und Versorgungsmaßnahmen [1]. Eine umfassende Literaturrecherche, im Englischen auch als comprehensive literature search (CLS) bezeichnet, ist eine umfangreiche und aufwändige Recherche mit dem Ziel, möglichst alle Studien zur Beantwortung der zugrundeliegenden Forschungsfrage zu identifizieren – beispielsweise zur Wirksamkeit einer pflegerischen oder therapeutischen Maßnahme [2]. Das Durchführen einer CLS stellt in Aussicht, systematischen Verzerrungen im Reviewprozess vorzubeugen [3]. Bei weniger umfangreichen Literaturrecherchen birgt z. B. das Durchsuchen von lediglich einer Fachdatenbank die Gefahr, Studien aus Zeitschriften zu übersehen, die nicht in der entsprechenden Fachdatenbank gelistet sind. Eine unzureichend oder fehlerhaft durchgeführte Literaturrecherche kann Auswirkungen auf die Aussagekraft einer Übersichtsarbeit und auf die Qualität der pflegerischen Versorgung haben, etwa wenn mögliche negative Auswirkungen einer Maßnahme aufgrund von übersehenen Studien unberücksichtigt bleiben [4]. Für Forschende erfährt die Literaturrecherche aus diesem Grund eine hohe ethische Relevanz.
Im MECIR Manual zur Anfertigung eines Cochrane Reviews von Interventionsstudien – dem sogenannten Goldstandard unter den Systematic Reviews – ist festgehalten, welche Recherchemöglichkeiten zwingend und empfehlenswerter Weise zum Einsatz kommen sollten. Demnach ist es erforderlich CENTRAL, MEDLINE, Embase, ClinicalTrials.gov und das Meta-Studienregister der WHO zu durchsuchen sowie eine rückwärtsgerichtete Suche durchzuführen [5]. Die Empfehlungen einer CLS von Egger et al. beinhalten darüber hinaus eine Suche, welche nicht auf englischsprachige Studien beschränkt wird [6]. Cooper et al. kommen unter Einbezug verschiedener Referenzen zu dem Schluss, dass eine CLS neben der Fachdatenbankrecherche aus zusätzlichen Recherchemöglichkeiten wie einer Handsuche, einer vorwärts- und/oder rückwärtsgerichteten Suche und/oder der Kontaktaufnahme mit Forschenden bestehen sollte [7]. Konkrete Empfehlungen oder eine Definition der CLS liegen jedoch nicht vor. Womöglich führt das vermehrt dazu, dass der Begriff verwendet wird, ohne diesen zu beschreiben [8]. Nach dem derzeitigen Verständnis handelt es sich bei einer CLS um die Anwendung multipler Methoden, um den aktuellen Stand der Forschung zu einer bestimmten Fragestellung möglichst vollumfänglich darstellen zu können. Dabei stellt die Fachdatenbank eine unausweichliche Komponente dar. Ergänzende Recherchemöglichkeiten sind die zweite unausweichliche Komponente der CLS, bei der jedoch eine begründete Auswahl einzelner Methoden vorgenommen werden kann [7]. Im Manual RefHunter (http://refhunter.eu/) sind einige der ergänzenden Recherchemöglichkeiten ausführlich dargestellt.
Beispielhaft werden an dieser Stelle Publikationsanalysen aus der Pflegewissenschaft sowie der Zahnmedizin herangezogen, welche darauf hindeuten, dass Übersichtsarbeiten größtenteils nicht auf einer CLS basieren. Wie Toronto et al. zeigen, wurde in nahezu 60% der 152 untersuchten pflegewissenschaftlichen Übersichtsarbeiten aus den Jahren 2013 bis 2015 lediglich eine Fachdatenbank durchsucht; eine Handsuche fand nur in 14% und eine rückwärtsgerichtete Suche nur in 38% der Arbeiten statt [9]. Zu einem ähnlichen Ergebnis kommen Aveyard und Bradbury-Jones anhand ihres Focused Mapping Reviews von Übersichtsarbeiten aus fünf pflegewissenschaftlichen Zeitschriften. Demnach zeigt sich die Tendenz, dass die Bezeichnung CLS verwendet wird, obwohl die Recherche vielfach auf eine Fachdatenbank limitiert ist und sich keine Angaben zu ergänzenden Recherchemöglichkeiten finden [8]. Anhand einer Analyse zahnmedizinischer Übersichtsarbeiten wird deutlich, dass für lediglich etwas mehr als die Hälfte (54%) bis zu drei Fachdatenbanken durchsucht wurden und bei circa drei von vier untersuchten Arbeiten keine Handsuche durchgeführt sowie nicht nach grauer Literatur gesucht wurde [10]. Problematisch an der Durchführung weniger umfangreicher Literaturrecherchen ist, dass sie ein erhöhtes Risiko für systematische Verzerrungen im Reviewprozess bergen [3]. Daher sollte das grundsätzliche Ziel hochwertiger systematischer Übersichtsarbeiten sein, mithilfe einer CLS die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, möglichst alle relevanten Studien zu identifizieren. Egger et al. weisen jedoch auf die Schattenseiten einer CLS hin und zeigen, dass auch mit einer CLS Studien übersehen werden [6]. Zudem thematisieren sie die Gefahr, dass zusätzlich identifizierte Studien geringerer methodischer Qualität zu Ergebnisverzerrungen führen können. Weitere Herausforderungen einer CLS sind die hohe fachliche Expertise, welche für die Durchführung benötigt wird sowie der enorme zeitliche, personelle und damit finanzielle Aufwand, der durch die Ausgestaltung der Recherche entsteht. In diesem Zusammenhang stellen Egger et al. berechtigterweise zur Diskussion, ob die zu Verfügung stehenden Ressourcen nicht eher für Aktualisierungen von Übersichtsarbeiten oder die Erkundung der Studienlage zu weiteren Fragestellungen investiert werden sollten [6]. Diese Überlegungen führen zwangsläufig zu der Frage, wann es sinnvoll bzw. notwendig ist, eine CLS durchzuführen. Nach Einschätzung von Egger et al. sollte der Umfang einer Literaturrecherche stets von der Zielstellung der Übersichtsarbeit sowie den zur Verfügung stehenden Ressourcen abhängig sein [6]. Kritisch anzumerken ist jedoch, dass die (Nicht-)Durchführung einer CLS aufgrund der vorhandenen Ressourcen rein pragmatischen Überlegungen geschuldet ist und keiner qualitativ hochwertigen Arbeitsweise entspricht. Aus methodischer Sicht ist daher das entscheidende Kriterium für die Notwendigkeit einer CLS das Ziel der Übersichtsarbeit bzw. die daraus resultierende Frage, wie wichtig es ist, ein möglichst vollständiges Bild der relevanten Studien zum jeweiligen Thema zu erhalten. Zu dieser Einschätzung gelangen auch Nussbaumer-Streit et al., die bei 60 Cochrane Reviews die Literaturrecherche mit einer weniger umfangreichen Suchstrategie wiederholt und anschließend dahingehend verglichen haben, ob sich an den Gesamtergebnissen bzw. Schlussfolgerungen der Übersichtsarbeiten etwas verändert hätte [11]. Ein zentrales Ergebnis ist, dass eine weniger umfangreiche Suchstrategie die Sicherheit der abgeleiteten Schlussfolgerungen insgesamt beeinträchtigt. Die Autorinnen und Autoren schließen daraus, dass sich Übersichtsarbeiten mit weniger umfangreiche Suchstrategien ggf. eignen könnten, wenn eine geringere Ergebnissicherheit tolerierbar ist, während bei Vorhaben mit hoher benötigter Ergebnissicherheit zwingend eine CLS durchgeführt werden sollte.
Da es nie eine Sicherheit gibt, alle relevanten Studien zur Beantwortung einer Fragestellung gefunden zu haben, sind die Möglichkeiten zur Evaluation der Vollständigkeit und Wirksamkeit einer CLS begrenzt. Daher sind methodische Arbeiten zur Feststellung der Wirksamkeit von CLS für gesundheitsbezogene Fragestellungen zu begrüßen. Aufbauend darauf könnten sich konkrete Empfehlungen für das Durchführen einer CLS ableiten lassen. Bis dahin sollte angestrebt werden, die Optionen einer CLS möglichst auszuschöpfen, diese auf einem methodisch hochwertigen Niveau durchzuführen und transparent zu berichten.
Abkürzungen
- CENTRAL: Cochrane Controlled Register of Trials
- CLS: Comprehensive literature searches
- MECIR: Methodological Expectations of Cochrane Intervention Reviews
- MEDLINE: Medical Literature Analysis and Retrieval System Online
- WHO: World Health Organization
Anmerkung
Interessenkonflikte
Die Autoren und die Autorin erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.
Literatur
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