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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Leuchtturmprojekte an Medizinbibliotheken: „Systematische Literaturrecherche an der Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg“

Lighthouse projects in medical libraries: “Systematic literature searching at the Library for the Medical Faculty of Mannheim, University of Heidelberg”

Fachbeitrag Leuchtturmprojekte

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  • corresponding author Maria-Inti Metzendorf - Universitätsmedizin Mannheim, Bibliothek der Medizinischen Fakultät, Mannheim, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2013;13(3):Doc22

doi: 10.3205/mbi000286, urn:nbn:de:0183-mbi0002860

Published: December 20, 2013

© 2013 Metzendorf.
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Zusammenfassung

Die Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg stellt seit einigen Jahren einen erhöhten Bedarf an umfassender Beratung zu komplexen Literaturrecherchen fest. Deshalb wurde die Dienstleistung „Systematische Literaturrecherche“ entwickelt, bei der die Informationsspezialisten der Bibliothek mit ihren methodischen Kenntnissen Ärzte und Wissenschaftler bei der Entwicklung und Umsetzung optimaler Recherchestrategien sowie der effizienten Verwaltung der Rechercheergebnisse unterstützen. Der neue Service wird nach den Bedürfnissen der Nutzer abgestuft angeboten und integriert auch bereits vorhandene Serviceangebote der Bibliothek.

Schlüsselwörter: systematische Literaturrecherche, Medizinbibliothek, Mannheim, Serviceentwicklung, Informationskompetenz

Abstract

In the past years, the Library for the Medical Faculty of Mannheim of the University of Heidelberg has been confronted with an increased demand for extensive advice on complex literature searches. Therefore we developed a service called “systematic literature searching”, in which the Library’s information specialists support clinicians and researchers with their methodical knowledge in developing optimal search strategies and efficiently managing literature references. This new service is provided in gradual steps according to our users’ needs and integrates previously existing library services.

Keywords: systematic literature searching, medical library, Mannheim, service development, information literacy


Zunehmender Beratungsbedarf zu komplexen Recherchen

Was macht gute Mediziner aus? Es sind diejenigen Ärztinnen oder Ärzte, die über gutes Fachwissen und praktische Erfahrung verfügen, bei ihren Therapieentscheidungen aber stets auch die aktuellen Erkenntnisse aus der wissenschaftlichen Forschung berücksichtigen – ganz gemäß der Evidenz-basierten Medizin. Bei der großen Anzahl an medizinischen Publikationen sind heutzutage jedoch zunehmend fortgeschrittene Recherchekenntnisse nötig, um alle relevanten Informationen finden zu können. Vor diesem Hintergrund stellt die Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim der Universität Heidelberg [1] seit einigen Jahren einen erhöhten Bedarf an umfassender Beratung zu komplexen Literaturrecherchen bei den Mitarbeitern der Universitätsmedizin Mannheim (UMM) fest. Konkrete Rechercheanfragen, die an die Bibliothek herangetragen wurden, ergaben sich beispielsweise aus einem DFG-Antrag zur Finanzierung einer klinischen Studie, der Aktualisierung einer Leitlinie sowie der Erstellung von systematischen Übersichtsarbeiten. Anfang 2012 haben wir deshalb das Projekt „Systematische Literaturrecherche“ gestartet, um zu eruieren, ob umfangreiche Rechercheaufträge als neues Aufgabenfeld für die Bibliothek in Frage kommen.

Aufgrund der Erfahrung bei den seit 2010 eingeführten „Hausbesuchen“ (einem Beratungs- und Schulungsservice vor Ort in den Kliniken), dass die Informationskompetenz bei Ärzten und Wissenschaftlern heterogen ist und diese Zielgruppe eine dezidierte Beratung benötigt, wagt sich die Bibliothek mit diesem Projekt in eine Qualität der Unterstützung von Forschung und Patientenversorgung hinein, die über die bisher angebotenen Services in Medizinbibliotheken hinausgeht. Damit erweitern wir das in der Bibliothekswissenschaft propagierte Konzept des Embedded Librarian [2] in unserem Servicespektrum, das wir erstmalig mit den Hausbesuchen in die Praxis umgesetzt haben und nun weiter ausbauen.


Das Projekt „Systematische Literaturrecherche“

Die systematische Literaturrecherche stellt eine Methode dar, die sich dadurch kennzeichnet, dass sie auf eine strukturierte Weise in weltweit verfügbaren relevanten Quellen durchgeführt und transparent berichtet wird, um die Reproduzierbarkeit der Ergebnisse gewährleisten zu können. Die Person, die eine solche Recherche durchführt, muss dabei nicht nur die Fragestellung vollständig verstanden haben, sondern auch geeignete Quellen auswählen und spezifische Suchtechniken anwenden können.

Eine Mitarbeiterin aus dem Auskunfts- und Schulungsteam wurde mit etwa 12 Arbeitsstunden pro Woche für eine Laufzeit von 2 Jahren mit dem Projekt betraut. Ziel des neu entwickelten Services ist es, mit den Kenntnissen und Fähigkeiten der Informationsspezialisten der Bibliothek wissenschaftliche Arbeitsgruppen bei der Entwicklung und Umsetzung optimaler Recherchestrategien sowie der effizienten Verwaltung der Rechercheergebnisse zu unterstützen.

Die Projektverantwortliche arbeitete sich zunächst durch den Besuch des zweitätigen Workshops „Systematische Literaturrecherche“ am Deutschen Cochrane Zentrum in Freiburg sowie durch die Lektüre von internationalen Fachaufsätzen in das Thema ein. Als erstes Ergebnis wurde auf der Webseite der Bibliothek eine neue Seite angelegt, die über die Recherchemöglichkeiten nach klinischen Studien und systematischen Übersichtsarbeiten [3] informiert. Auch wurden zwei Artikel im internen Magazin der UMM zu medizinischen Datenbanken und der Suche nach klinischen Studien veröffentlicht.

Um Informationen zur Einschätzung des Bedarfs, des Aufwands und der Abrechnung der Dienstleistung zu erhalten, wurde einerseits Kontakt zu den Statistikern unserer Fakultät, zum Studienzentrum der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie sowie der Cochrane Collaboration (Deutsches Cochrane Zentrum sowie der Cochrane Information Retrieval Methods Group) aufgenommen. Zum anderen wurde auf der Jahrestagung der AGMB e.V. 2012 ein Schwerpunkt zum Thema angeregt, auf dem die Dienstleistung gemeinsam mit anderen medizinischen Bibliothekaren in Deutschland erörtert wurde.

Des Weiteren konnten wir Erfahrungen mit zwei Pilotrecherchen gewinnen: So wurde im Februar 2012 eine systematische Literaturrecherche für ein systematisches Review der Urologischen Klinik [4] und im September 2012 für ein Cochrane Review für die Chirurgische Klinik [5] durchgeführt. Es kristallisierte sich heraus, dass der Aufwand für eine derartige Recherche, bei der mehrere Literaturdatenbanken sowie die wichtigsten Register klinischer Studien durchsucht werden, ca. 30–60 Arbeitsstunden umfasst.

Um die bereits vorhandenen Kenntnisse der Projektverantwortlichen zu festigen, wurde im November 2012 die Teilnahme an einer Fortbildung für fortgeschrittene Literaturrecherchen in England ermöglicht, die am York Health Economics Consortium stattfand und zum Teil von den Auftraggebern einer der Pilotrecherchen finanziert wurde. Ergänzt wurde der Aufenthalt durch den Austausch mit Suchexperten der Cochrane Collaboration in Oxford. Zusätzlich zur Projektverantwortlichen wurde ein weiterer Mitarbeiter für die Assistenz und Vertretung eingearbeitet, so dass die Dienstleistung durch zwei Mitarbeiter abgedeckt wird.


Umfang und Bekanntmachung des neuen Services

Offizieller Startschuss war im April 2013 die von der Bibliothek organisierte und gut besuchte wissenschaftliche Veranstaltung „Besser entscheiden durch gesichertes Wissen – Wissenstransfer von der Forschung in die Praxis“ [6], die in Kooperation mit der Chirurgischen Klinik und dem Deutschen Cochrane Zentrum stattfand, um das neue Angebot innerhalb der UMM bekannt zu machen. Prominenter Gastredner war Prof. Dr. Gerd Antes, Direktor des Deutschen Cochrane Zentrums, der die Probleme des Wissenstransfers von der medizinischen Forschung in die klinische Praxis verdeutlichte. Dr. med. Julia Hardt, Chirurgische Klinik, stellte anhand eigener Erfahrungen bei der Erarbeitung eines Cochrane Reviews die verschiedenen Phasen des Review-Prozesses vor und berichtete über die Motivation als Klinikerin, an diesem aufwendigen Publikationstyp mitzuwirken. Die Bibliotheksleitung, Dr. Martina Semmler-Schmetz, und die Projektverantwortliche stellten schließlich dar, wie die Bibliothek Ärzte und Wissenschaftler zukünftig bei komplexen Recherchen unterstützen kann.

Aufgrund der gesammelten Erfahrungen bieten wir eine nach den Bedürfnissen der UMM-Mitarbeiter abgestufte Unterstützung an, in die auch die bereits vorhandenen Serviceangebote der Bibliothek integriert sind. So besteht die erste Stufe in der möglichen Teilnahme an einem der regulär von uns angebotenen Kurse zur Literaturrecherche und/oder -verwaltung. Die zweite Stufe besteht in einer punktuellen Beratung während der Auskunftszeiten der auf das Thema spezialisierten Mitarbeiter, persönlich vor Ort in der Bibliothek oder per Telefon.

Die dritte Stufe beinhaltet einen speziell auf die Wünsche der Arbeitsgruppe zugeschnittenen Hausbesuch, mit einer 2–4-stündigen Dauer. Mögliche Themen sind eine Einführung in die systematische Literaturrecherche, in die relevanten Literaturdatenbanken und ihre spezifischen Suchbedingungen sowie in die zwei wichtigsten Register klinischer Studien. Hinweise zur Dokumentation der Recherche und die Einführung in eine Literaturverwaltungssoftware runden das Fortbildungsangebot ab.

Die vierte Stufe und originär neue Dienstleistung besteht in der Durchführung und Dokumentation einer systematischen Literaturrecherche sowie der Lieferung der Ergebnisse als EndNote-Library. Dazu gehören das Herausarbeiten der Suchkonzepte, die Auswahl der themenrelevanten Datenbanken, die Identifizierung von Suchbegriffen, die Formulierung und Durchführung der Recherche, deren Qualitätskontrolle durch ein externes Peer-Review sowie die Dokumentation nach wissenschaftlichen Standards. Es erfolgen mindestens zwei ausführliche Gespräche mit den Auftraggebern zur genauen Abgrenzung der gesuchten Thematik. Auch während der Durchführung bleibt der Kontakt zur Abklärung von Nachfragen bestehen, da eine optimale Recherchestrategie iterativ entwickelt und mehrmals angepasst wird. Auf Wunsch bieten wir auch an, den methodischen Abschnitt zur Literatursuche für die Publikation zu schreiben, dabei sollten die beteiligten Mitarbeiter der Bibliothek als Co-Autoren genannt werden.

Der neue Service wird primär für die Mitarbeiter der UMM angeboten, die diesen kostenlos in Anspruch nehmen können. Der Arbeitsaufwand der Bibliothek wird jedoch dokumentiert und gegengezeichnet, was uns ermöglicht, die erbrachten Leistungen gegenüber der UMM nachzuweisen. Darüber hinaus wird die Dienstleistung bei zeitlicher Kapazität auch externen Auftraggebern kostenpflichtig angeboten, wofür wir bisher jedoch nicht aktiv werben.


Erste Erfahrungen und Herausforderungen

Seit der offiziellen Bekanntmachung des neuen Services nimmt die Nachfrage langsam, jedoch beständig zu. Dabei sorgen sowohl Empfehlungen von Kollegen, die bereits eine gute Erfahrung mit dem neuen Service gemacht haben, als auch die Öffentlichkeitsarbeit durch die wissenschaftliche Veranstaltung und Hausbesuche in den Kliniken für Bekanntheit. Die seither zusätzlich gesammelten Erfahrungen mit diesen anspruchsvollen Rechercheprojekten zeigen, dass die größte Herausforderung in der Abschätzung des zeitlichen Aufwands liegt. Dieser variiert je nach Fragestellung stark, so dass wir versuchen, diesen vorläufig mittels einer Vorabrecherche in PubMed einzuschätzen, um die benötigte Arbeitszeit für die Rechercheaufträge besser einplanen zu können.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autorin erklärt, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.


Literatur

1.
Semmler-Schmetz M, Metzendorf MI. Durch Kooperation und Vernetzung zu neuen Aufgabenfeldern – Serviceentwicklung in der Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim. GMS Med Bibl Inf. 2013;13(1-2):Doc12. DOI: 10.3205/mbi000276 External link
2.
Shumaker D. The Embedded Librarian – Innovative strategies for taking knowledge where it’s needed. Medford, NJ: InfoToday; 2012.
3.
Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim. Literatursuche: Suche nach klinischen Studien. Verfügbar unter: http://www.umm.uni-heidelberg.de/bibl/literatursuche/klinischestudien.html External link
4.
Bolenz C, Freedland SJ, Hollenbeck BK, Lotan Y, Lowrance WT, Nelson JB, Hu JC. Costs of Radical Prostatectomy for Prostate Cancer: A Systematic Review. Eur Urol. 2012 Sep 4 [epub ahead of print]. DOI: 10.1016/j.eururo.2012.08.059 External link
5.
Hardt J, Meerpohl JJ, Metzendorf MI, Kienle P, Post S, Herrle F. Lateral pararectal versus transrectal stoma placement for prevention of parastomal herniation. Cochrane Database Syst Rev. 2013 Nov;11:CD009487. DOI: 10.1002/14651858.CD009487.pub2 External link
6.
Bibliothek der Medizinischen Fakultät Mannheim. Newsblog. Einladung zur Veranstaltung: Besser entscheiden durch gesichertes Wissen. 18. April 2013. Verfügbar unter: http://www.umm.uni-heidelberg.de/apps/bibl/mwbnews/?p=4941 External link