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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Strategische Entwicklung von Medizinbibliotheken aus Sicht einer Bereichsbibliothek

Strategic development of medical libraries from the perspective of a department library

Fachbeitrag

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  • corresponding author Stefanus Schweizer - Universitätsbibliothek Mainz, Bereichsbibliothek Universitätsmedizin, Mainz, Deutschland

GMS Med Bibl Inf 2013;13(1-2):Doc11

doi: 10.3205/mbi000275, urn:nbn:de:0183-mbi0002759

Published: September 13, 2013

© 2013 Schweizer.
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Zusammenfassung

Medizinbibliotheken müssen sich dem Wandel stellen und sich konsequent strategisch ausrichten. Wichtigster Erfolgsfaktor sind und bleiben die Mitarbeitenden der Bibliothek. Die nicht zu eng definierten bibliothekarischen Dienstleistungen müssen auf die Bedürfnisse der Nutzergruppen zugeschnitten und ständig überprüft werden, veraltete Arbeiten sollten im Gegenzug aufgegeben werden. Der Personalentwicklung sowie der Kooperation mit anderen Bibliotheken kommt dabei eine entscheidende Rolle zu. Bibliotheksbestände werden künftig weniger wichtig, eine einladende Bibliothek vor Ort bleibt aber weiterhin bedeutend. Sämtliche Angebote sollten von einer umfassenden Öffentlichkeitsarbeit flankiert werden.

Schlüsselwörter: Medizinbibliothek, bibliothekarische Dienstleistungen, Nutzergruppen, Personalentwicklung, Bibliothek vor Ort, Öffentlichkeitsarbeit

Abstract

Medical libraries need to respond to change and consistently adjust strategically. The most important factors for success are and will remain the employees of the library. The library services should not be defined restrictively: they must be tailored to the needs of their user groups, continually checked and obsolete work/tasks must be given up. Staff development and cooperation with other libraries play an essential role. Library holdings will be less important in the future, but a welcoming local library will remain significant. All services should be accompanied by a comprehensive public relations effort.

Keywords: medical library, library services, user groups, staff development, local library, public relations effort


Strategische Entwicklung von Medizinbibliotheken aus Sicht einer Bereichsbibliothek

Bibliotheken sind einem tiefgreifenden Wandel unterworfen. Medizinbibliotheken, die sich den Veränderungen nicht aktiv stellen, haben letztlich nur noch eine Aufgabe: die der eigenen Abwicklung. Die bibliothekarischen Aufgaben können auch andere Anbieter übernehmen. Eine konsequente strategische Ausrichtung und die Anpassung der Dienstleistungen sind deshalb unabdingbar.

Aus der Sicht einer medizinischen Bereichsbibliothek, die voll in die Universitätsbibliothek integriert ist und gleichzeitig als Dienstleister für eine unabhängige Universitätsmedizin fungiert, stellt sich das folgendermaßen dar.

Die Bibliotheksmitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind und bleiben der wichtigste Erfolgsfaktor für die Bibliothek. Die Rolle der Bestandsverwalter haben sie dabei längst abgelegt. Gerade wegen der Informationsflut im Netz bleiben die Dienste der Bibliothek gefragt: sei es in maßgeschneiderten Recherche-/Literaturverwaltungs-Kursen für Doktoranden bzw. neues Klinikpersonal oder bei Auskünften und ausführlichen Fachberatungen. Die Grenzen der bibliothekseigenen Themen sollten dabei nicht zu eng gefasst werden: in der Mainzer Praxis sind dies zum Beispiel der Support bei WLAN-Zugangsproblemen oder die Abfassung von Zitiervorschriften für den Fachbereich. Andernorts stehen vielleicht Zitationsanalysen oder der Umgang mit Forschungsprimärdaten auf der Agenda.

Neue Dienstleistungen bedeuten gleichzeitig die Einstellung oder das Zurückfahren von alten Dienstleistungen (Beispiel: Bearbeitung von Print-Zeitschriften), was nicht selten auch Wehmut bei den betroffenen Mitarbeitern hervorruft. Die Hintergründe und Ausgestaltung von neuen wie abzuwickelnden Arbeiten müssen intensiv kommuniziert und im Team diskutiert werden. Auch die Zusammenarbeit mit anderen Bibliotheken, z.B. innerhalb der Universitätsbibliothek, können Spielräume für Neues schaffen.

Gute Dienstleistungen erfordern gutes Personal und zwar auf allen Ebenen. Die Wahrnehmung der Bibliothek hängt von einem ordentlich sortierten Regal ebenso ab wie von einer qualifizierten Fachberatung, vom ersteren vielleicht sogar mehr. Das schönste Online-Tutorial bringt nichts, wenn die Usability der Website nicht stimmt. Den sich wandelnden Aufgaben muss sich personell in zweierlei Weise gestellt werden: erstens inhaltlich durch die stetige Weiterqualifizierung des Personals und zweitens administrativ: durch den starren Stellenplan (kaum Aufstiegsmöglichkeiten, feste Verteilung der Stellen auf bestimmte Eingruppierungsstufen) ist die tarifgerechte Beschäftigung der Mitarbeitenden manchmal schwierig. Die Aufgaben werden komplexer und zunehmend projektbezogen, gleichzeitig fallen durch die Automatisierung einfache Tätigkeiten weg. Hier könnten in gewissem Umfang Kooperationen mit anderen Bibliotheken und projektgebundene gegenseitige Einsätze Abhilfe schaffen.

Enge Nutzerkontakte z.B. durch Umfragen oder regelmäßige Treffen mit Fachschafts- oder Dekanatsvertretern und Angehörigen der verschiedenen Nutzergruppen können helfen, neue Bedürfnisse zu ermitteln und bestehende Dienstleistungen anzupassen. Interessanterweise wird manchen dadurch erst klar, dass hinter einem oft genutzten Angebot (z.B. E-Journal) die Bibliothek steckt. Aber nicht alle Bedürfnisse werden konkret geäußert, deshalb müssen Bibliotheken selbst neue Angebote entwickeln und für einen nicht zu knapp bemessenen Zeitraum anbieten. Über die Weiterführung entscheidet dann die tatsächliche Nutzung.

Neben den traditionellen Nutzergruppen entsteht mit der Akademisierung der Gesundheitsfachberufe eine neue wichtige Zielgruppe für Medizinbibliotheken. In Kooperation mit der Pflegedienstleitung, Pflegeschule etc. muss hier ein Konzept zur Literaturversorgung und flankierenden Nutzerschulungen erarbeitet werden. In Mainz werden bereits spezifische Kurse und Führungen angeboten, außerdem gibt es Erwerbungsabsprachen mit der Pflegeschule.

Die Bibliotheksbestände spielen künftig eine geringere Rolle. Die Ära der medizinischen Printzeitschriften ist – von ausgewählten Archivbeständen und wenigen laufenden Titeln abgesehen – vorbei. Elektronische Zeitschriften werden an Hochschulbibliotheken i.d.R. zentral erworben, allerdings spielen Medizinbibliotheken bei der Titelauswahl von E-Journals und der damit zusammenhängenden Evaluation von Zeitschriftenwünschen der Institute und Kliniken eine wichtige Rolle, in Mainz z.B. mit einer umfassenden Zeitschriftenumfrage. Außerdem müssen die Erwerbungsaktivitäten in einem traditionell zweischichtigen System koordiniert werden.

Sollte sich Open Access ausbreiten, wandelt sich auch die Rolle der Bibliothek im Zeitschriftenbereich – weg von der Beschaffung hin zur Publikationsberatung und ggf. Verwaltung von Publikationsfonds.

Bei den Büchern ist das Verhältnis von gedruckten und elektronischen Formen komplizierter und eine zeitliche Prognose schwierig. Zurzeit lässt sich eher ein sowohl als auch postulieren, denn eine klare Ablösung. Noch werden Lehrbücher stark ausgeliehen und bei Anschaffungsvorschlägen in diesem Bereich werden bei Rückfragen in der Regel gedrucktes und elektronisches Buch gewünscht, keinesfalls aber nur das E-Book. Bei wissenschaftlichen Referenzwerken geht der Trend aber klar in Richtung E-Book. Insgesamt ist langfristig davon auszugehen, dass E-Books die wichtigere Rolle spielen werden.

Die Bibliothek als Ort bleibt weiterhin wichtig. Insbesondere Studierende benötigen Raum, um sich zu treffen, zu lernen oder an stationären bzw. mobilen Endgeräten zu arbeiten. Bei der Auswahl des Ortes spielen äußere Faktoren mehr denn je eine Rolle. Sind die Räumlichkeiten attraktiv gestaltet? Gibt es einen guten Kaffee? Ist das Personal freundlich und kompetent? Gibt es Dienstleistungen der Bibliothek, die sonst nirgends oder nur zu einem höheren Preis bzw. Aufwand zu bekommen sind (Beratung, Druck-, Kopier-, Scanmöglichkeit etc.)?

Die Auswahl des Bibliotheksgebäudes als solches wird in der Regel von außen bestimmt, trotzdem gibt es Gestaltungsspielräume bei der Nutzung, die möglichst flexibel der Nachfrage angepasst werden sollte. Neben traditionellen Ausstattungsmerkmalen wie Anzahl der Still-, Gruppen- und PC-Arbeitsplätze spielen auch weichere Faktoren wie Anzahl und Qualität der Schließfächer oder die Stromversorgung zum Aufladen der mobilen Endgeräte eine nicht zu unterschätzende Rolle.

Die Bibliothek wird künftig weder als Ort noch virtuell per se aufgesucht. Das bedeutet, dass nicht nur auf das inhaltliche Angebot ein Augenmerk gelegt werden muss, sondern flankierend auch eine umfassende und zielgruppenorientierte Öffentlichkeitsarbeit stattfindet. Sofern möglich, sollten die Informationskanäle der primären Zielgruppen regelmäßig, aber nicht aufdringlich bespielt werden, z.B. E-Mail-Verteiler der Studierenden, Forschungsnewsletter oder Mitarbeiterzeitschrift. Auch klassische Marketinginstrumente wie Plakate und Flyer sind nicht zu unterschätzen, wie die Evaluation der Mainzer Kurse zeigt. Eine inhaltlich gute und formal ansprechende Website mit aktuellen Informationen gehört zum Basisinventar. Ob Social-Media-Aktivitäten künftig die ihnen zugeschriebene wichtige Rolle spielen, muss sich noch zeigen, klar ist allerdings, dass Medizinbibliotheken an den aktuellen Entwicklungen partizipieren sollten.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Der Autor erklärt, dass er keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel hat.