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Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Aachener Erklärung: Sechs Thesen zum Erwerb von elektronischen Büchern

The Aachen Declaration: Six recommendations for the acquisition of electronic books

Mitteilung

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GMS Med Bibl Inf 2012;12(3):Doc17

doi: 10.3205/mbi000253, urn:nbn:de:0183-mbi0002534

Published: December 20, 2012

© 2012 Schweizer.
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Zusammenfassung

Die Arbeitsgemeinschaft für medizinisches Bibliothekswesen e.V. (AGMB) mit den aktuellen Entwicklungen auseinandergesetzt, die das Publikationssystem, inbesondere den Markt für akademische Bücher und die erfolgreiche Zusammenarbeit von Lehrenden, Bibliotheken, Herausgebern und Nutzern, und das medizinische Ausbildungssystem beschädigen könnten Auf der AGMB Jahrestagung 2012 wurde die Aachener Erklärung über den Erwerb von elektronischen Büchern veröffentlicht um Kollegen und Verleger für die aktuelle Situation der elektronischen Bücher zu sensibilisieren und ein Signal zu setzen.

Schlüsselwörter: Bibliothek, elektronische Bücher, DRM, Nutzungsstatistik, Privatsphäre, Preisgestaltung, medizinisches Ausbildungssystem, Aachener Erklärung

Abstract

The AGMB is concerned with current developments which could hurt the publishing eco system, especially the market of academic text books as well as the prosperous cooperation of lecturers, libraries, publishers and users and, in addition, harm the medical education system. At the AGMB annual conference 2012, the Aachen declaration on the acquisition of electronic books was published to sensibilise colleagues and publishers with the current electronic book situation and to set a signal.

Keywords: library, electronic books, digital rights management, usage statistic, privacy, publishers business models, medical education system, Aachen Declaration


Über die Aachener Erklärung zu e-Books

Die Medizinbibliotheken – wie auch alle anderen wissenschaftlichen Bibliotheken – sind vor das Problem gestellt, dass sie ihren Nutzern kein adäquates Angebot an E-Books machen können. Studierenden, Forschenden und in der Krankenversorgung Tägigen kann letztlich nicht vermittelt werden, dass Bibliotheken nicht einfach E-Books kaufen und zur Verfügung stellen können, so wie beispielsweise jeder Endkunde bei großen Online-Händlern E-Books zu günstigen Preisen erwerben und herunterladen kann. Im Bereich der gedruckten Bücher können Bibliotheken selbstverständlich alle lieferbaren Titel kaufen und ausleihen.

Im E-Book-Sektor haben Bibliotheken mit mannigfaltigen Einschränkungen zu kämpfen: viele Titel können nicht oder nur im Paket erworben oder sogar nur lizenziert werden. Wenn E-Books dann tatsächlich erworben oder lizenziert sind, müssen sich die Anwender häufig mit technischen Beschränkungen abmühen, eine Offline-Nutzung ganzer E-Books ist meistens nicht möglich. Nicht zuletzt bereiten uns auch die hohen Preise große Probleme, zumal Bibliotheken weiterhin viel Geld in gedruckte Bücher investieren.

Insgesamt ist das Gleichgewicht und Miteinander von Autoren, Verlagen und Bibliotheken in großer Gefahr, nachhaltig gestört zu werden. Die Arbeitsgemeinschaft für medizinisches Bibliothekswesen (AGMB) hat Diskussionen und Anregungen aufgegriffen, eine offizielle Stellungnahme zu erarbeiten. Die Thematik wurde auf der Jahrestagung der AGMB in Aachen vom 24.–26.09.2012 in einem Workshop unter großer Beteiligung diskutiert, die vorliegende Konsens-Erklärung formuliert, noch auf der Tagung beschlossen und im Tagungs-Plenum sowie im Internet öffentlich zugänglich gemacht.

Die AGMB möchte ein bewusstes Zeichen setzen, um die Versorgung mit E-Books in Medizinbibliotheken sicher zu stellen. Auch die Verlage sollten daran interessiert sein, weiterhin in Bibliotheken und ihren Nutzerinnen und Nutzern gute Geschäftspartner zu haben. Nicht zuletzt die Entwicklungen in der Musikindustrie haben gezeigt, dass es nicht sinnvoll ist, Inhalte abzuschotten.


Aachener Erklärung: Sechs Thesen zum Erwerb von elektronischen Büchern

An der Schwelle vom gedruckten zum digitalen Zeitalter, an der Schwelle zum – unausweichlichen – Übergang vom gedruckten zum digitalen Buch beobachtet die AGMB sehr aufmerksam die zahlreichen Entwicklungen in der Publikationsbranche und die unterschiedlichen Anstrengungen der Verlage, auch im Digitalen konkurrenzfähige und profitorientierte Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die AGMB nimmt dabei mit Sorge einige Entwicklungen wahr, die geeignet sein könnten, das Ökosystem insbesondere des akademischen Lehrbuchmarktes empfindlich zu verändern, das gedeihliche Miteinander von Dozenten, Bibliotheken, Verlagen und Lesern zu stören und die studentische Lehre und Medizinische Ausbildung zu behindern.

1. Nutzungseinschränkungen/Digital Rights Management

Das Angebot von elektronischen Lehrbüchern durch proprietäre und/oder flash-basierte Anzeigeprogramme führt zu massiven Nutzungseinschränkungen, die von der AGMB sehr kritisch gesehen werden. Studenten wollen keine Flash- oder sonstigen behindernden Technologien, sondern freien, ungehinderten, flexiblen Zugang zu den Lehrbüchern. In diesem Zusammenhang ist der Springer-Verlag als positives Beispiel für seine DRM-freien Lehrbücher im PDF-Format zu erwähnen. Behinderungen durch DRM-Mechanismen werden von der AGMB gleichermaßen sehr kritisch gesehen und für Campuslizenzen von Lehrbüchern prinzipiell abgelehnt. Die AGMB empfiehlt ihren Mitgliedern mit allem Nachdruck, bei Verträgen auf den Kauf/Lizenzierung von DRM-freien Medien zu bestehen. Des Weiteren sollen elektronische Lehrbücher zurzeit folgende Bedingungen erfüllen:

  • unbeschränkte, veränderbare, nicht gesicherte Dateien auf Kapitel- sowie auf Buchebene (zurzeit ist PDF das Mittel der Wahl)
  • unbegrenzt ausdruckbar
  • kein Registrierungszwang
  • unbegrenzt lokal abzuspeichern (Offline-Nutzung)
  • nicht nur „1 limited access“, sondern auch erweiterte Lizenzmodelle anbieten
  • E-Books nicht nur als Netzlizenzen anbieten, zur Offline-Verwendung für mobile Endgeräte (z.B. iPad) zur Ausleihe
  • Einzeltitelauswahl ermöglichen
  • annotierbar, veränderbar, mit anderen Nutzern austauschbar
  • mobil und auf allen Endgeräten nutzbar
  • keine speziellen Anforderungen an die technische Infrastruktur (wie z.B. spezielle Browser, Java, Flash, Plugins usw.)
  • Volltext-Indexierung, übergreifende Suche über alle zur Verfügung stehenden E-Books
  • Compliance und Text Mining
  • MARC-Daten-Lieferung
  • persistente URLs mindestens auf Buchebene

2. Open Access/Open Educational Resources

Auch auf dem Buchsektor wird der Open Access-Gedanke immer stärker. In diesem Sinne empfiehlt die AGMB den politisch verantwortlichen Institutionen (insbesondere den Hochschulen und Wissenschaftsministerien der Länder sowie Einrichtungen anderer Träger), neben dem Open Access-Zugang zu wissenschaftlichen Fachartikeln auch – der California Free Digital Textbook Initiative folgend– den freien Zugang zu digitalen Lehrbüchern (Open Educational Resources) zu fördern.

3. Preis

Die AGMB möchte ihre Mitglieder dazu ermutigen, die angebotenen Werke einer genauen Prüfung zu unterziehen. Die Preise sind unbedingt in Relation zur angebotenen Leistung (PDF oder nur HTML, Offline oder nur Online-Nutzung, IP-Authentifizierung oder Registrierung, unlimitierter Zugriff oder DRM, mobile Nutzung oder nur via spezieller Endgeräte usw. sowie der Nutzung (Preis pro Seitenaufruf) zu setzen. Dazu sind entsprechende Nutzungsstatistiken einzufordern (s.u.). Verlangt ein Verlag für ein Werk einen überzogenen Preis, sollte dies nicht unterstützt werden, selbst wenn die jeweilige Fakultät o.a. Institution dies unbedingt wünscht. Wenn bei einigen Standardwerken Minimonopole vorliegen mögen, so rechtfertigt dies doch nicht den Abschluss von Verträgen zu Preisen und Konditionen, die auf langfristige Sicht durch ihre eklatante Unwirtschaftlichkeit (verglichen mit den gedruckten Büchern) Gegenstand von Kritik und Überprüfungen durch Hochschulverwaltungen und Landesrechnungshöfen werden mag. Ganz abgesehen davon, dass diese Geschäftsmodelle den – wünschenswerten – Übergang vom gedruckten zum digitalen Buch eher erschweren statt erleichtern.

Neben dem insgesamt zu hohen Preisniveau sollen für alle Produkte parallel Lizenzmodelle ohne Archivrecht mit einem niedrigeren Preis und Lizenzmodelle mit Archivrecht mit einem etwas höheren Preis angeboten werden.

Hierzu möchte die AGMB anmerken, dass die zunehmende Konkurrenz durch Eigenpublikationen von Hochschuldozenten via Amazon, Apple oder Open Educational Resources sich auf die marktüblichen Lehrbuchpreise deutlich auswirken wird. Es ist also erfreulicherweise in Zukunft mit mehr Konkurrenz und fallenden Preisen zu rechnen.

4. Nutzungsstatistiken

In diesem Zusammenhang appelliert die AGMB eindringlich an alle beteiligten Verlage, den Bibliotheken sofort und unverzüglich (noch für das Jahr 2012) standardisierte Nutzungsstatistiken zur Verfügung zu stellen, deren genaue Art und Weise der Erhebung von den Verlagen transparent zu machen ist und diese einheitlich für alle wichtigen Verlage sind. Sich hinter unklar definierten, d.h. fehlerhaften Normen wie COUNTER zu verstecken und auf deren Überarbeitung zu warten, kann nicht akzeptiert werden. Bei den im Spiel befindlichen Summen ist eine korrekte und transparente Statistik ein KO-Kriterium. Die Nutzungsstatistiken sollen in allen gängigen Dateiformaten angeboten werden (z.B. xls-Format).

5. Weiternutzung

Die AGMB unterstützt das Recht auf Einstellung in Online-Semesterapparate und/oder Veröffentlichung in E-Learning-Plattformen für definierte Nutzergruppen und eine verbesserte rechtliche Klarheit, z. B. durch Aufnahme in Verträge und Erwerb dieser Zweitverwertungs-Rechte angesichts der bedauerlichen Unklarheit der Schrankenregelungen des Urheberrechts insbesondere in Bezug auf digitale Semesterapparate, sprich die Veröffentlichung von Text- oder Bildauszügen in eng umgrenzten Seminar- oder Vorlesungsgruppen.

6. Privatsphäre

Eines der größten Kulturgüter und Errungenschaften der Neuzeit ist der freie Zugang zur Information, was im Wesentlichen auf der Möglichkeit des anonymen Lesens aufbaut, das die Bibliotheken für ihre Nutzer erkämpft haben. Moderne Nachverfolgungsmethoden und Techniken wie z.B. Hiptype sowie obligate Registrierungen können das individuelle Nutzungs- und Leseverhalten von PDFs erfassen. Hierzu stellt die AGMB fest, dass solche und ähnliche Praktiken entweder illegal sind oder es sein sollten und unerwünscht sind. Die AGMB wird genauestens beobachten, welche Verlage versuchen eine solche Überwachung aufzubauen und welche Verlage eine solche Erfassung von vorhinein in ihren Nutzungsverträgen ausschließen.

Die AGMB vertritt 460 Medizinbibliothekare aus 370 Bibliotheken in fünf Ländern. Aus Deutschland, Italien, Österreich und der Schweiz sind Bibliotheken aus allen Medizinischen Fakultäten mit einem geschätzten Kaufvolumen von ca. 50 Mio. Euro vertreten.