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GMS Medizin — Bibliothek — Information.

Arbeitsgemeinschaft für Medizinisches Bibliothekswesen (AGMB)

ISSN 1865-066X

Mit dem Personal Digital Assistant (PDA) auf dem Weg zur Mobilen Bibliothek

Editorial

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  • author Oliver Obst - Zweigbibliothek Medizin, Universitäts- & Landesbibliothek, Westfälische Wilhelms-Universität Münster, Deutschland
  • corresponding author Helmut Dollfuß - Medizinische Universität Wien, Universitätsbibliothek, Wien, Österreich

GMS Med Bibl Inf 2008;8(2):Doc11

The electronic version of this article is the complete one and can be found online at: http://www.egms.de/en/journals/mbi/2008-8/mbi000108.shtml

Published: September 17, 2008

© 2008 Obst et al.
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Editorial

Das vorliegende Heft von GMS Medizin – Bibliothek – Information ist dem Thema „Personal Digital Assistant/Smartphone“ gewidmet. Dollfuß führt in die Gattung der Personal Digital Assistants (PDA) ein und zeigt in seinem geschichtlichen Abriss die Entwicklung des PDAs von einem simplen Organiser zu einem Vorläufer der Mobilen Bibliothek. Die Artikel von Saraiva, Morgen & Drabier, Dollfuß und Obst liefern Erfahrungsberichte zahlreicher Medizinbibliotheken, die PDAs erfolgreich verleihen und die ihre Nutzer mit PDA-Anwendungen ausstatten. Ihre Untersuchungen zeigen eindrucksvoll, dass dies organisatorisch möglich und bibliothekspolitisch sinnvoll ist: Ein solcher PDA-Service verbessert ganz wesentlich das Wissen und die Krankenversorgung der Anwender. Obst weist darauf hin, dass eine Unterbrechung des Services diese Verbesserungen wieder rückgängig macht.

Angesichts dieser vielen positiven Studien wird von PDA-losen Bibliotheken immer wieder die Frage gestellt, ob man ein PDA-Angebot unbedingt vorhalten muss. Hier schwingt mit: „Ist der PDA-Service wirklich so außergewöhnlich wichtig, dass sich die hohen Investitionen in Budget und Personal lohnen?“ Um den zweiten Teil der Frage zuerst zu beantworten: Die Erfahrungen der PDA-Bibliotheken sind sehr ermutigend, was diese Investitionen angeht. Dollfuß und Obst haben übereinstimmend festgestellt, dass sich auch mit geringem Mitteleinsatz ein erfolgreicher PDA-Service aufbauen lässt.

Der erste Teil der Frage ist sehr vielschichtiger und führt direkt in das Herz des medizinbibliothekarischen Selbstverständnisses. Könnte man nicht genauso gut auch fragen: „Muss man als Bibliothek ein eBook-Angebot haben oder audiovisuelle Lehrmedien? Muss man als Bibliothek eine StudiVZ-Seite haben, Patientenliteratur sammeln oder sonstige Spezialdienste pflegen?“ – Jeder weiß, dass die Bibliothek nicht sofort zusammenbrechen würde, wenn man diese ganzen Dienste nicht anbieten würde. Und dies gilt auch für den PDA-Service. Was wirklich so wichtig ist, dass sein Verschwinden unweigerlich innerhalb von Stunden zu Protesten führt, lässt sich an einer Hand abzählen: eJournals, gedruckte Lehrbücher, Arbeitsplätze (mit und ohne PC), Impact-Faktoren, Auskunft.

Aber dies ist nur ein Teil der Wahrheit. Wir leben in einer sich immer schneller verändernden Zeit. Und es gibt einige mächtige Entwicklungen, die das Bibliothekswesen in seinem Kern betreffen. Wenn sich zentral wichtige Dinge ändern, dann ist es angeraten, seine Determinanten zu überprüfen: Reicht es aus, nur diese fünf Dienstleistungen anzubieten? Vor wenigen Jahren gab es noch keine eJournals – heute sind sie unverzichtbar. Welche Entwicklungen sind sichtbar (wenn auch vielleicht erst am Horizont), die sich unweigerlich auf das Verhältnis zwischen Bibliotheken und ihren Nutzern auswirken werden?

Da ist zum einen Open Access, eine zugegebenermaßen schon etwas ältere Entwicklung, die aber zur Zeit gerade Fahrt aufnimmt. „Siegt“ Open Access über Toll Access, würde das die Bibliothek in ihren Grundfesten erschüttern. Zum anderen gibt es da die Netz-Communities. Sie sind Ausdruck der Tatsache, dass auf dem Internet ganz einfach jeder selber ein Publisher ist. Der Kurzschluss der Publikationskette schließt die Bibliothek als Zwischenhändler zunehmend aus.

Wie sieht es nun mit den PDAs aus? Sind diese nur Spielereien, ein nettes Add-On ohne wirklichen Nutzen, weit entfernt von den Kernaufgaben der Bibliothek? Nein. Weltweit gibt es zwar 1,2 Milliarden Computer, aber 3 Milliarden Handys – zunehmend auch mit PDA-Funktionen. Das iPhone 3G als neue Plattform für medizinische Applikationen und die preiswerten Mini-Laptops mit WLAN werden den Markt für mobile Multifunktionsgeräte weiter anheizen. Das Bedürfnis, alles dabei haben zu wollen, wird auch vor der Institution Bibliothek nicht halt machen. Wenn wir uns die obige Aufzählung ansehen, gilt dies vielleicht nicht für den physischen Arbeitsplatz, aber für Inhalte und Auskunft. Der Etat unser Medizinbibliothek entfällt zu 2/3 auf Inhalte und zu 1/3 auf Personal. Dank der Öffentlichmachung (Open Access, Web 2.0, Google) und Nationalisierung (DFG, Konsortien) von Inhalten drohen diese den Bibliotheken zu entgleiten. Als Nicht-mehr-Monopolist und Nur-noch-Zwischenhändler wird es immer wichtiger, die Inhalte in einer geeigneten Form zum Konsumenten zu transportieren – Customization und Literacy inklusive. Neben den Inhalten erhält so das Mauerblümchen „bibliothekarische Auskunft“ eine neue Funktion als Dreh- und Angelpunkt der Informationsvermittlung: Individueller, zurechtgeschnittener Support, rund um die Uhr, in jeder gewünschten Kommunikationsform wird zur Killerapplikation. 3 Milliarden Handys weltweit – demnächst vielfach mit Webschnittstelle – warten auf ihren Anruf, ihre Information, ihre Auskunft.

Eine Zukunft ohne Bibliotheken ist durchaus vorstellbar: Bis auf Arbeitsplätze kann alles digitalisiert werden. Doch selbst für diese gilt immer öfter: Wo mein Handy, iPhone oder Laptop ist, ist mein Arbeitsplatz. Was man nicht ständig dabeihaben kann, wird aus dem Bewußtsein entschwinden. Die einstigen mobilen Spielzeuge könnten eines Tages über die Existenz von Bibliotheken entscheiden.

Wer aber nicht aufs Handy passt, wird passend gemacht ... oder verschwindet. Aus der Wahrnehmung.