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GMS Interdisciplinary Plastic and Reconstructive Surgery DGPW

Deutsche Gesellschaft für Plastische und Wiederherstellungschirurgie (DGPW)

ISSN 2193-8091

Rekonstruktive und plastische Operationen in der Kinderneurochirurgie

Plastic reconstructive procedures in pediatric neurosurgery

Übersichtsarbeit

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  • corresponding author H. C. Ludwig - Schwerpunkt Pädiatrische Neurochirurgie, Neurochirurgische Klinik, Operatives Zentrum für Kinder und Jugendliche – OPKiZ, Universitätsmedizin Göttingen UMG, Göttingen, Deutschland
  • H. C. Bock - Schwerpunkt Pädiatrische Neurochirurgie, Neurochirurgische Klinik, Operatives Zentrum für Kinder und Jugendliche – OPKiZ, Universitätsmedizin Göttingen UMG, Göttingen, Deutschland

GMS Interdiscip Plast Reconstr Surg DGPW 2013;2:Doc04

doi: 10.3205/iprs000024, urn:nbn:de:0183-iprs0000245

Published: February 4, 2013

© 2013 Ludwig et al.
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Abstract

Cranial and spinal congenital disorders are the main reason for operative therapy in pediatric patients. Other indications are tumour surgery and trauma. Spinal surgery consists in different reconstructive approaches for neural tube defects and dysraphism: detethering and closure of the neural placode and meninges, dissection of adjacent lipoma.

The cranial indications consist in corrections oft the cranial vault in premature synostosis of syndromal and non-syndromal origin. In tumour surgery reconstructive approaches are important, if the tumour is located in proximity to craniofacial regions, orbital or skull base structures.

In Europe every year 4,500 children with disorders of the nervous system are born (EUROCAT – European Registration of Congenital Anomalies and Twins). Congenital disorders of the nervous system count for about 20% and implicate a high neonatal mortality and morbidity and sometimes require neurosurgical care and supervision throughout the patients lifetime.


Einleitung

Die Notwendigkeit rekonstruktiver Operationen im Kindesalter entsteht bei einer ganzen Anzahl von spinalen oder kranialen Fehlbildungen sowie in der Traumatologie und Tumorchirurgie. Die spinalen Fehlbildungen entstehen im Rahmen der teils komplexen Raphestörungen und bedeuten sehr unterschiedliche operative Indikationen. Die cranialen Fehlbildungen bestehen aus den prämaturen Synostosen spontaner oder syndromaler Genese. Weitere Indikationen plastischer Operationen entstehen in Folge von Traumen oder zur Behandlung von Tumorerkrankungen, wenn der operative Zugang zur Pathologie einen entsprechenden plastisch und rekonstruktiv modifizierten Aufwand erfordert.

Kongenitale Fehlbildungen insgesamt sind die zweithäufigste Ursache der Säuglingssterblichkeit und häufigste Todesursache im Kindesalter in Europa. Bei den Fehlbildungen unterschiedlicher Natur rechnen wir heute auch bei Berücksichtigung der demographischen Entwicklung mit einer Häufigkeit von 1:1.000 Geburten. 20% der kongentitalen Fehlbildungen betreffen das Nervensystem. So werden z.B. in Europa jedes Jahr 4.500 Kinder mit einer dysraphischen Störung geboren (EUROCAT – European Registration of Congenital Anomalies and Twins).


Die Krankheitsbilder und Indikationen

Spinale Dysraphie

Zu den spinalen kongenitalen Erkrankungen gehören die offenen Dysraphien (Spina bifida aperta) mit Meningomyelozele, Lipomeningomyelozele und Myelozele (Abbildung 1 [Abb. 1]).

Diese Erkrankungen führen zu einer dringlichen rekonstruktiven Operationsindikation innerhalb des ersten Lebenstages, um eine Deckung der Hüllen des Rückenmarkes mit seinem Liquorraum zu erreichen und die Infektionsgefahr einzuschränken. Die okkulten Dysraphien (Spina bifida occulta) beinhalten komplexe Fehlbildungen wie den dorsalen Dermalsinus, die Myelomeningozele (MMC) die Lipomeningomyelozele, das sekundäre Tethered Cord Syndrom, die Diastematomyelie und häufig die Hydrosyringomyelie. Die Häufigkeiten haben in den letzten Jahren glücklicherweise stark abgenommen, da der Zusammenhang mit der Folsäureaufnahme sinnvoll erkannt wurde. So gibt es in Großbritannien etwa 1.200 Schwangerschaften im Jahr mit Dysraphie, davon werden etwa 200 ausgetragen. Ein Teil des Rückgangs der Geburten mit Spina bifida ist durch den heute häufigeren Schwangerschaftsabbruch zu erklären. Durch die Berücksichtigung des Folsäurestatus und entsprechend frühzeitiger Substitution konnte in Ländern mit Nahrungsanreicherung die Prävalenz um fast 50% verringert werden. In Deutschland gibt es bis heute keine globale Nahrungsanreicherung mit Folsäure, etwa im Mehl, wie das in Frankreich durchgeführt wird. Ein weiteres kongenitales Krankheitsbild ist die Chiari-Malformation mit einer Kombination aus veränderter Architektur der hinteren Schädelgrube, einem unterschiedlich ausgeprägten Tonsillen- und Vermistiefstand, einem begleitend auftretenden Hydrozephalus und einer manchmal kombinierten Syringomyelie. Bei diesen Kindern entsteht häufig eine ganze Reihe von rekonstruktiven Indikationen zur Dekompression der Medulla oblongata und der hinteren Schädelgrube, zur Therapie des Hydrozephalus und der Syringomyelie (Abbildung 2 [Abb. 2]).

Die nicht selten begleitende Wirbelsäulen-Skoliose muss von kinderorthopädischer Seite aufgerichtet werden, was heute und wenn es rechtzeitig vorgenommen wird, häufig mit der VEPTR (Vertical Expandable Prosthetic Titanium Rib)-Methode über mehrere Jahre vorgenommen wird (Abbildung 3 [Abb. 3]).

Operation einer spinalen Dysraphie

Bei der Deckung einer MMC mit oder ohne Lipomanteilen geht es darum, die offen liegende Neuralplackode aus der umliegenden Haut zu lösen und zu einem Neuralrohr zu rekonstruieren, um in einem weiteren Schritt die Meningen, die Faszie und die Haut zu reintegrieren und einen vollständigen und liquordichten Verschluss zu erreichen. Die entstehende und nicht immer vermeidbare Vernarbung führt im weiteren Wachstumsprozess der Wirbelsäule manchmal zu einer Fixierung zwischen Myelon und Wirbelsäule, was das Detethering eines sekundären Tethered Cord Syndromes indiziert, um Wachstumszug am Myelon und die Entstehung einer Myelopathie zu verhindern. Die Zug- oder Kompressionskräfte am Myelon sind es auch, die eine Syringomyelie entstehen lassen, wobei aus einer bildgebend nachweisbaren Syringomyelie häufig im Umkehrschluss auf eine Myelopathie und ein Tethering geschlossen werden kann (Abbildung 4 [Abb. 4]).

Kraniale Dysraphie

Raphestörungen können erheblich seltener auch kranial auftreten, in Form einer occipitalen Meningoencephalozele oder einer häufigeren nasalen Meningozele. Auch hier kommt es zu einer rekonstruktiven Indikation, häufig interdisziplinär, um den Durchtritt von Zeleninhalt in der Dura bis nach subcutan oder bei einem Dermalsinus bis cutan zu resezieren (Abbildung 5 [Abb. 5]).

Prämature Kraniosynostosen

Kommt es zu einer Fehlbildung durch prämature Ossifikation einer oder mehrerer Schädelnähte, dann resultiert ein intrakranielles Volumendefizit mit generalisierter oder regionaler Hirnkompression. Kommt es dadurch eher venös gestaut zur Hypoperfusion, entstehen neurologische und kognitive Defizite. Bei einer induzierten Schädelskoliose resultiert zusätzlich eine Beeinträchtigung der Architektur und Funktionalität der Orbitae und des kraniofazialen oder -zervikalen Überganges. Die chirurgische Therapie der prämaturen Kraniosynostose hat das primäre Ziel, das altersentsprechende intrakranielle Volumen bei korrigierter Schädelform herzustellen und durch Schaffung von künstlichen Wachstumsnähten die zukünftige Volumenanpassung an das künftige Wachstum des Gehirnes sicherzustellen. Die Korrektur einer Schädelskoliose oder eines Brachycephalus muss zusätzlich durch ein frontales uni- oder bilaterales Advancement erfolgen.

Die Ursache einer prämaturen Kraniosynostose liegt häufig in einer Mutation des FGF-Rezeptors oder übergeordneter Gene begründet. Am häufigsten unter den Kraniosynostosen ist, mit über 50%, der Skaphozephalus. Das angestrebte Lebensalter zum Operationszeitpunkt ist der 4. oder 5. Lebensmonat.

Wenn der frontale Schädel bei der Synostose (Brachyzephalus, Trigonozephalus, unilaterale Coronarnahtsynostose) beteiligt ist und ein frontales Advancement zur Therapie gehört, erfolgt dies häufig interdisziplinär zusammen mit den Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgen. Die Resektion der noch dünnen kleinkindlichen Knochen erfolgt mit minimalem mechanischem Trauma durch Verwendung eines Piezosystems, das den Vorteil bietet, nur wenig Knochenmaterial zu verbrauchen. Zur notwendigen Fixierung des reimplantierten Advancementpräparates werden seit mehr als 10 Jahren resorbierbare Synthesematerialien verwendet; die Hersteller stellen hier moderne Nieten-basierte Systeme zur Verfügung, wobei auf ein Gewindeschneiden verzichtet werden kann.

Die Verwendung resorbierbarer Platten beim frontalen Advancement und die epiperiostale Präparation wurden frühzeitig etabliert und zeigen sehr gute postoperative Ergebnisse. Die Nachbeobachtung und klinische Kontrolle der Kinder erstreckt sich postoperativ über 8 Jahre. Die Messungen des Kopfumfanges mit Indizes zweier Raumachsen, die Anzahl notwendiger Rezidivoperationen und der klinische Verlauf und das kosmetische Ergebnis erlauben die Kontrolle des Operationserfolges und des durch die Operation erzielbaren physiologischen Schädelwachstums.


Trauma

Rekonstruktive Indikationen bei Schädeltraumen sind häufig. Immerhin ca. 83.400 Kinder unter 15 Jahren werden jedes Jahr im Krankenhaus behandelt, davon haben 80% ein leichtes, 20% jedoch ein schweres SHT. Davon erleiden etwa 4% eine Schädelfraktur. Kommt es zu einer Impressionsfraktur muss manchmal eine Hebung oder Rekonstruktion der Kalotte erfolgen. In extremen Fällen (Abbildung 6 [Abb. 6]) benötigen auch einmal solche verletzten Kinder eine umfangreiche Rekonstruktion der Integrität ihrer Kalotte, häufig auch im Bereich der Frontobasis. Zur Rekonstruktion fehlender oder aus Gründen der Verletzung zu verwerfender Knochenanteile stehen dabei bei Kindern Split bone-Techniken zur Verfügung. Dabei wird die Kalotte in Lamina interna und externa getrennt und steht somit als autologes Präparat zur Verfügung (Abbildung 7 [Abb. 7]). Vor allem beim kindlichen, wachsenden Schädel bietet dies Vorteile. Alternativ kommen heute auch Fremdmaterialien, Titanmesh aber auch Custome bone-Verfahren zum Einsatz.

Bei der dekompressiven Kraniektomie bei schwersten Schädelhirntraumen mit malignem Hirnödem oder bei einem malignen Hirninfarkt in der Folge einer vaskulären Erkrankung wird nach dem Abwarten der Akut- und Rehaphase ca. drei Monate später in erster Linie der bis dahin cryoasservierte Knochen wieder reimplantiert. Auch hier ist das Custom bone-Verfahren eine Alternative, wenn der Eigenknochen verworfen werden muss.


Tumore

Vor allem Tumore, die an der vorderen Schädelbasis oder intraorbital gelegene Raumforderungen verursachen, erfordern hinsichtlich des Zuganges eine Planung rekonstruktiver Details und einer sekundären plastischen Deckung. In der Neurochirurgie kommt es bei der Zugangsplanung aber vor allem beim Verschluss immer auch auf die sehr ernst zu nehmende Liquordichtigkeit des Zuganges an (Abbildung 8 [Abb. 8]).


Schlussfolgerung

Für rekonstruktive operative Schritte steht heute in der Neurochirurgie und hier insbesonderer bei Operationen an Kindern ein ganzes Spektrum von Techniken und Materialien zur Verfügung. Die Zugangsplanung mittels Neuronavigation, die navigatorische Spiegelung von intaktem Knochen der Schädelbasis zur erkrankten Seite, die Nutzung von Knochenersatzmaterialien oder CNC-gefertigter Knochenteile, die Verwendung von Piezogeräten oder von resorbierbaren Synthesematerialien erlauben rekonstruktive Korrekturen ohne hohe Invasivität, mit hoher Gewebeverträglichkeit und sehr guten plastischen Ergebnissen. Dies ist vor allem in der pädiatrischen Neurochirurgie und bei noch wachsenden Knochenstrukturen sinnvoll.


Anmerkung

Interessenkonflikte

Die Autoren erklären, dass sie keine Interessenkonflikte in Zusammenhang mit diesem Artikel haben.