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63. Jahrestagung der Südwestdeutschen Gesellschaft für Urologie e. V.

Südwestdeutsche Gesellschaft für Urologie e. V.

21.-24.06.2023, Reutlingen

Seltene Nierenzellkarzinome – Herausforderung für Pathologie, Genetik und Urologie

Meeting Abstract

  • Julian Henkes - Universitätsklinikum des Saarlandes
  • R. Stöhr - Uniklinikum Erlangen
  • P. Stahl - Universitätsklinikum des Saarlandes
  • F. Flockerzi - Universitätsklinikum des Saarlandes
  • O. Bartsch - MVZ der Universitätsmedizin Mainz GmbH
  • H. Rossmann - MVZ der Universitätsmedizin Mainz GmbH
  • P. Zeuschner - Universitätsklinikum des Saarlandes
  • J. Heinzelbecker - Universitätsklinikum des Saarlandes
  • A. Agaimy - Uniklinikum Erlangen
  • M. Stöckle - Universitätsklinikum des Saarlandes
  • A. Hartmann - Uniklinikum Erlangen
  • K. Junker - Universitätsklinikum des Saarlandes

Südwestdeutsche Gesellschaft für Urologie e.V.. 63. Jahrestagung der Südwestdeutschen Gesellschaft für Urologie e.V.. Reutlingen, 21.-24.06.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. DocV7.10

doi: 10.3205/23swdgu069, urn:nbn:de:0183-23swdgu0692

Veröffentlicht: 20. Juni 2023

© 2023 Henkes et al.
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Gliederung

Text

Fumarat-Hydratase (FH)-defiziente Nierenzellkarzinome (NZK) werden seit 2016 als eigene Entität im Rahmen des Hereditären Leiomyomatose- und Nierenzellkarzinomsyndroms (HLRCC) definiert, deren Prävalenz bei ca. 0,0005% liegt. Das Lebenszeitrisiko eines HLRCC-Patienten, an einem NZK zu erkranken, beträgt ca. 15–20%. Häufig liegt bei Diagnosestellung bereits eine Metastasierung vor. Ein 40-jähriger männlicher Patient wurde mit CT-graphisch gesichertem 10 cm großem Nierentumor rechts zur operativen Therapie überwiesen. Ein Vierteljahr zuvor erfolgte wegen erstmaliger Makrohämaturie eine Vorstellung, damals ohne Tumornachweis. Die rechtsseitige Oberpolraumforderung wurde von drittgradiger Ektasie bei CT-graphisch vergrößerten Hiluslymphknoten und Lebermetastasen begleitet. Die extern durchgeführte Urinzytologie war negativ, in der Zystoskopie zeigte sich rechts eine aufgeworfene Schleimhaut. Bei Verdacht auf ein Urothelkarzinom erfolgte eine offene Nephroureterektomie rechts mit retroperitonealer Lymphadenektomie. Nach histologischer Analyse erfolgten immunhistochemische und molekulargenetische Analysen des Primärtumors, sowie eine genetische Beratung und Keimbahnanalyse. Histologisch zeigte sich zunächst ein primäres NZK mit V.a. ein Sammelrohrkarzinom bzw. medulläres NZK, differentialdiagnostisch wurde an ein hereditäres NZK gedacht. Immunhistochemische Zusatzuntersuchungen ergaben anschließend den V.a. ein sarkomatoid differenziertes, teils papillär konfiguriertes SDHB-defizientes NZK mit fraglicher somatischer oder hereditärer Mutation (pT4, pN1 (14/19), R1, G3). Die Next-Generation-Panel-Sequenzierung verschiedener Tumorkomponenten ergab bis auf eine Splice-Site-nahe Variante unklarer Signifikanz im Intron 4 keinen Hinweis auf eine pathogene SDHB-Mutation. Da aber weder in vitro ein funktioneller Effekt dieser Variante, noch ein Allelverlust (loss of heterozygosity, LOH) im Tumorgewebe des Patienten für diesen Genlokus vorlag, wurden weitere Untersuchungen am Tumorgewebe vorgenommen. In der molekulargenetischen Untersuchung wurde dann eine Variante im FH-Gen festgestellt, welche mit einer Allelfrequenz von bis zu 93% in beiden Tumoranteilen auftrat und zusätzlich ein LOH gezeigt werden konnte. Diese p.Asn188Ser Variante konnte in heterozygoter Ausprägung auch auf Keimbahnebene nachgewiesen werden und führte letztendlich zur Diagnose des HLRCC. Die funktionelle Bedeutung dieser Variante ist bisher noch nicht geklärt, eine in silico-Analyse mittels Varsome lässt einen pathogenen Effekt vermuten. Postoperativ wurde der Patient i.R. einer Studie zu nicht-klarzelligen NZK mit Sunitinib behandelt. 9 Monate später musste die Therapie bei Rezidiv in der Nierenloge und neuem Lungenrundherd auf Nivolumab/Ipilimumab umgestellt werden. Bei neuerlichem pulmonalem Progress erfolgte die Therapieumstellung auf Lenvatinib/Everolimus. 2 Jahre nach Diagnosestellung starb der Patient an den Folgen seiner Tumorerkrankung. FH-defiziente NZK sind eine äußerst seltene Tumorentität mit häufig primärer Metastasierung. Die genaue Diagnosestellung und die damit verbundene Einleitung der korrekten Systemtherapie stellt sowohl Urologen, Pathologen, aber auch Genetiker vor eine große Herausforderung. Dieser Fall verdeutlicht, dass bei jungem Erkrankungsalter immer eine interdisziplinäre molekularpathologische und humangenetische Abklärung erfolgen sollte.