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1. Symposium ICT in der Notfallmedizin

12.06. - 13.06.2012, Rauischholzhausen

Jenseits von Papier und Sprache. Anmerkungen zur MANV-Bewältigung mit digitaler Informations- und Kommunikationstechnik

Kongressbeitrag

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  • corresponding author Anton Donner - DLR, Institut für Kommunikation und Navigation, Oberpfaffenhofen-Wessling, Deutschland
  • Reiner Arlt - EURO-DMS Ltd., Deutschland
  • Thomas Greiner-Mai - EURO-DMS Ltd., Deutschland

1. Symposium ICT in der Notfallmedizin. Rauischholzhausen, 12.-13.06.2012. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2012. Doc12notit10

doi: 10.3205/12notit10, urn:nbn:de:0183-12notit107

Veröffentlicht: 11. Juni 2012
Veröffentlicht mit Erratum: 26. Juni 2012

© 2012 Donner et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Abstract

Efficient management of mass casualty incidents is complex, since regular emergency medical services structures have to be switched to a temporary “disaster mode” involving additional operational and tactical structures. Electronic systems for patient data gathering and ressource allocation/management are known from enterprise logistics, but these systems cannot be mapped directly onto an unplannable provisional and chaotic environment. Apart from data gathering digital wireless communication infrastructure is a key factor deciding on success or failure of patient logistics.

Keywords: mass casualty incident (MCI), triage, registration, wireless communication


Text

1. Einleitung

Elektronische Systeme für Flottenmanagement, Dokumentation (Qualitätssicherung) und Abrechnung sind im Regelrettungsdienst mittlerweile weit verbreitet. Allerdings sind diese Systeme jeweils auf einen singulären Zweck optimiert und können nicht für die Organisation von Ausnahmeereignissen wie einem Massenanfall von Verletzten (MANV) verwendet werden. Unzählige Papierlisten, Funk und Sprache sind hierfür immer noch Mittel der Wahl. Bei Rettungsorganisationen setzt sich daher zunehmend der Wunsch durch, aus der Warenwirtschaft bekannte Systeme auf die Patienten- und Fahrzeuglogistik abzubilden, um die Vorgänge in einem MANV effizienter gestalten zu können. Vom Bundesministerium für Bildung und Forschung wurden zuletzt mehrere Forschungsprojekte im Themenfeld „Schutz und Rettung von Menschen“ der Programmlinie „Szenarienorientierte Sicherheitsforschung“ des Sicherheitsforschungsprogramms gefördert [1], die sich mit dieser Thematik beschäftigten. Die Autoren selbst waren am Projekt „e-Triage“ beteiligt [2].

Dieser Beitrag beleuchtet einige Besonderheiten, die bei der Entwicklung von Informations- und Kommunikationstechnik für ein MANV-Einsatzgeschehen zu beachten sind. Der Text widerspiegelt eigene Erfahrungen bei Konzeption und Umsetzung, und ist als Erfahrungsbericht zu verstehen.

Zunächst gehen wir auf die im Vergleich zum normalen Rettungsdienst ungewöhnlichen Rahmenbedingungen hinsichtlich Einsatzorganisation und Patientendisposition ein. Anschließend beschreiben wir die Anforderungen an Informations- und Kommunikationstechnik, die deutlich über die Ansprüche an IT-Systeme für Büro- oder Industrieumgebungen hinausgehen. In der Zusammenfassung betonen wir die Notwendigkeit von interoperablen Systemen.

Der nachfolgende Text beschränkt sich auf die technischen Aspekte einer IT-gestützten MANV-Bewältigung. Psychologische Fragestellungen (Akzeptanz von Technik, Ergonomie der Hardware, Stress, kognitive Einschränkungen in extremen Belastungssituationen usw.) wurden im Kontext von e-Triage vom Department Psychologie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München untersucht [3], [4]. Die Ergebnisse dieser Arbeiten zeigen, dass insbesondere nicht-ärztliche Vorsichtungsteams vom Einsatz elektronischer Hilfsmittel profitieren, da sie von der graphischen Benutzeroberfläche durch den Vorsichtungsalgorithmus (hier: mSTaRT) geführt werden. Im Vergleich zur herkömmlichen Vorgehensweise wurden bessere Arbeitsergebnisse erzielt.

2. Rahmenbedingungen und Anforderungen

MANV – Ein besonderer Einsatz

Ereignisse, durch die eine Vielzahl von Menschen geschädigt wird, sind selten zu bewältigende Aufgaben für die Mitarbeiter von Rettungs- und Hilfsdiensten. Dadurch stellen solche Einsätze für alle Beteiligten Ausnahmesituationen dar, deren Abarbeitung nicht den üblichen Handlungsmustern folgen kann. Durch Standards, Algorithmen und Training wird versucht, Einsatzkräfte auf Situationen vorzubereiten, in denen das Missverhältnis von erforderlicher Hilfe und möglicher Reaktion durch organisierte Gefahrenabwehrstrukturen ungewöhnlich lang anhalten wird.

Derartige Einsätze sind gekennzeichnet durch eine Reihe besonderer Aspekte:

1.
Besondere Aufbauorganisation: Die Aufbauorganisation muss der ungewöhnlichen Größe der erforderlichen Hilfeleistung angepasst werden.
a. Örtlicher bzw. Technischer Einsatzleiter,
b. Leitender Notarzt,
c. Organisatorischer Leiter,
d. Abschnittsleiter,
e. Transportkoordinator und ähnliche
sind Funktionen, deren Einsatz eine Einsatzbewältigung völlig anders gliedert und strukturiert, als das im alltäglichen Einsatzgeschehen der Fall ist.
2.
Sichtung: Das über einen signifikanten Zeitraum bestehende Missverhältnis zwischen Anzahl hilfebedürftiger Opfer und verfügbarer Einsatzkräfte (Definition eines MANV) verlangt eine (wiederkehrende) Sichtung. Gilt der Einsatz einem, zwei oder drei Patienten, ist in aller Regel keine besondere Struktur oder Priorisierung der Hilfeleistungen erforderlich.
3.
Hoher Kommunikationsbedarf: Gleichzeitig bringt es eine große Aufbauorganisation unvermeidbar mit sich, dass der Kommunikationsbedarf exponentiell anwächst: Viele Mitwirkende können nur dann zu einer erfolgreichen Einsatzbewältigung beitragen, wenn sie ihre Entscheidungen auf aktuelle, korrekte, ausreichend detaillierte und verifizierbare Daten zu Ereignis und bereits ergriffenen Maßnahmen stützen können.
4.
Großes öffentliches Interesse: Nicht zuletzt ist es in dicht und hochrasant vernetzten Zivilgesellschaften ein eigener, nicht hoch genug zu bewertender Aspekt, dass Ereignisse, die eine größere Anzahl von Menschen betreffen, größtes Interesse von Medien-Berichterstattern auslösen, welches meist nur schwer mit den persönlichen Bedürfnissen von Opfern in solchen Zwangslagen zu vereinbaren ist.
5.
Mächtige und schnelle Informationsverteilungseffekte durch Social Media-Nutzung: Vom Ereignis Betroffene, die als Leicht- oder Unverletzte dazu in der Lage sind, kommunizieren Details vom Ereignis, der eigenen Betroffenheit, ergriffenen Interventionsmaßnahmen u.v.a. nahezu „in Echtzeit“ über diverse Social Media-Portale. Das sorgt für ein einerseits ziemlich dichtes „Lagebild“ bei den Empfängern, das jedoch naturgemäß in hohem Maß subjektiv geprägt ist und sich regelmäßig mit der Berichterstattung durch Broadcast-Medien überlagert. Wesentliches Merkmal dieses Aspekts ist die definitive Unkontrollierbarkeit.

Neben diesen Details, die die Einsatzbewältigung an sich für Einsatzkräfte zu einem besonderen Fall machen, ergibt sich für alle technischen Ansätze, die für eine Unterstützungslösung für derartige Fälle entwickelt werden, die spannende Situation, dass es nicht vorherzusehen ist,

  • welche Einheiten von Rettungsdienst, Katastrophenschutz, Feuerwehr, usw. konkret in
  • welchem Szenario und zu
  • welchem Zeitpunkt zusammenarbeiten

werden.

Der sich daraus ergebende hohe Variabilitätsanspruch birgt anspruchsvolle Herausforderungen bezüglich einer Netzwerktopologie, eines Rechtemanagements und des Datenschutzkonzepts.

Es ist selbstredend, dass technische Unterstützung von Einsatzkräften nur dann als Entlastung und Hilfe aufgefasst wird, wenn etwa Konnektion und Dekonnektion eines Mobilgerätes in einer Netzinfrastruktur selbstständig und vom Nutzer möglichst unbeeinflusst ablaufen.

Bei der Art der Daten, die zu dabei zu verarbeiten sind (vgl. Abbildung 1 [Abb. 1], [5]) handelt es sich im Wesentlichen um Folgendes:

1.
Informationen zum Zustand von Betroffenen und ergriffener Hilfsmaßnahmen. Daneben sind die so genannten „Personalien“, d.h. Informationen, die die Identifizierung der betroffenen Menschen ermöglichen, von Interesse. Außerdem kann zur Beurteilung von Traumata bzw. Schädigung von Belang sein, in welcher Situation der einzelne Betroffene vom Ereignis erfasst wurde (z.B. Auffindeort, Sitzplatz im Reisebus, konkreter Arbeitsplatz in der betroffenen Industrieanlage, usw.).
2.
Um das Einsatzmanagement an sich zu unterstützen, sind Daten wichtig, die eine Beurteilung der „Eigenen Lage“, also der Leistungsfähigkeit des Gefahrenabwehrsystems, erlauben. Dazu zählen Informationen wie Anzahl und Identität der eingesetzten und bereitgehaltenen Einheiten und Einsatzmittel, Kommunikationsdaten, etc.

Aus technischer Sicht müssen diese Daten schließlich um Informationen ergänzt werden, die für die Organisation einer dislozierten und multilokal verteilten und doch synchronisierten Datenhaltung erforderlich sind.

Datenübertragung

IT-Systeme erfordern adäquate Datenübertragungslösungen. Das im Aufbau befindliche BOSNET (TETRA) ist primär als hochverfügbares Sprachsystem ausgelegt und für die Datenübertragung aufgrund geringer Bandbreite nur bedingt geeignet. Zudem ist zu erwarten, dass nicht-polizeilichen Organisationen aus Sicherheits- und Ressourcengründen die Datenübertragung nicht gestattet wird. Kommerzieller Mobilfunk (UMTS, HSPA, LTE) ist und wird in Ballungsgebieten gut ausgebaut, aber es gibt de facto keine Vorrangschaltungen für BOS-Nutzer. Massenveranstaltungen können sehr schnell jedes Mobilfunksystem überlasten, insbesondere wenn es zu einem außergewöhnlichen Ereignis kommt. Ferner sind Basisstationen eher selten mit unterbrechungsfreien Stromversorgungen ausgestattet. Hierzu ein Beispiel: Einer der Autoren lebt in einem ländlichen Gebiet, in dem nur das schmalbandige GPRS mit einer Übertragungsrate von wenigen kbit/s angeboten wird und bei einem Stromausfall das GSM-Netz sofort wegfällt.

Einsatzkräfte sind daher gezwungen, eigene Kommunikationsinfrastrukturen vorzuhalten. Komponenten für drahtlose IP-Netze (Wireless LAN, WLAN) sind günstig in der Anschaffung und weit verbreitet, allerdings dürfen die aus dem privaten oder Arbeitsumfeld bekannten Ansätze nur mit entsprechender Umsicht auf die Gefahrenabwehr übertragen werden:

Zeitliche Entwicklungsdimension. Größere Einsatzlagen haben immer eine mehr oder weniger ausgeprägte inhärente zeitliche Entwicklungsdimension. Das bedeutet, dass sich Organisationsstrukturen aufgrund von Alarmierungszeiten und Anfahrtswegen über der Zeit bilden und deshalb Kommunikationsinfrastruktur (wie z.B. ein auf einem Einsatzleitwagen angebrachter WLAN-Router) nicht gleich von Anfang an verfügbar sein kann. Eingesetzte Mobilgeräte müssen in dieser Zeit trotzdem funktionieren und ihre Daten später selbstständig bei Verfügbarkeit eines Funksystems an die Einsatzleitung übertragen.

Funkzellengröße. Eine Einsatzstelle vollständig mit WLAN abdecken zu wollen ist völlig utopisch, da immer mit großer räumlicher Ausdehnung oder Abschattungen durch Bauwerke zu rechnen ist. Für BOS gibt es keine regulatorische Sonderbehandlung, weswegen die zugelassene effektive isotrope Strahlungsleistung nicht überschritten werden darf. Der normale Fall wird sein, dass an der Einsatzstelle lediglich wenige „WLAN-Inseln“ vorhanden sind.

Vermaschung. Einsatzfahrzeuge für die Führungs-unterstützung sind mittlerweile häufig mit WLAN-Routern ausgestattet, die über ein kommerzielles Mobilfunksystem mit dem Internet verbunden werden. Ein direkter Austausch von Daten vor Ort über die WLAN-Luftschnittstelle zwischen z.B. Abschnittsleitungen oder beteiligten Rettungsorganisationen erfolgt im Normalfall nicht. Die möglicherweise knappen Ressourcen von kommerziellen Mobilfunknetzen werden somit stärker als unbedingt notwendig belastet. Eine direkte Vermaschung von WLAN-Routern war bisher bestenfalls mit proprietären Lösungen zu erreichen. Seit Mai 2012 gibt es eine aktualisierte Fassung des IEEE 802.11 Standards [6], mit dem eine herstellerübergreifende Kompatibilität möglich sein soll (vormals IEEE 802.11s, siehe [7]).

Übergang ins Internet. Wie oben beschrieben darf eine Anbindung an das Internet nicht als Selbstverständlichkeit betrachtet werden. Neben Mobilfunksystemen (oder sogar leitungsgebundener Konnektivität) sind Satellitenterminals eine mögliche Rückfallebene. Bei schlechter Witterung (Schneefall, Starkregen) sowie ungünstiger Topologie (direkte Sicht auf den Satelliten erforderlich) können diese Systeme nicht eingesetzt werden. Zudem muss die eingesetzte Software auf die langen Signallaufzeiten angepasst sein. In jedem Fall muss die Lauffähigkeit der Software autark ohne Internetanbindung gewährleistet sein, so dass die lokale Datenweitergabe am Einsatzort funktioniert. Clients müssen lokale Server (sinngemäß bei Peer-to-Peer Architekturen) finden können („service discovery“), ohne auf zentrale Dienste wie Namensauflösung (Domain Name System, DNS) zurückgreifen zu müssen.

Öffentliche und private IP-Netze. Die Verwendung von privaten (d.h. im Internet nicht gerouteten) IP-Adressbereichen ist aufgrund von Sicherheitsüberlegungen und IPv4-Adressmangel gängige Praxis. Router mit Network Address Translation (NAT) binden private Netze an das Internet an, so dass Clients im privaten Netz Zugriff auf Server im Internet bekommen. Vom Internet zugängliche Serverdienste im privaten Netz anzubieten gestaltet sich erheblich schwieriger, da die öffentliche IP-Adresse des Routers oftmals vom Provider dynamisch zugewiesen wird und deshalb nicht bekannt ist. Für diesen Anwendungsfall ist z.B. DynDNS notwendig. Zudem müssen im Router selbst passende Portweiterleitungen auf den eigentlichen Server konfiguriert sein. Auf das MANV-Einsatzgeschehen übertragen bedeutet dies, dass

  • Serverdienste außerhalb eines privaten Netzes am Einsatzort (d.h. physikalischer Standort des Servers) nur schlecht anzubieten sind. Die Verwendung von DynDNS erfordert eine Verbindung zum Internet, die nicht unbedingt vorhanden ist.
  • sich idealerweise alle Clients und Server am Einsatzort (bzw. Knoten einer Peer-to-Peer Architektur) im gleichen privaten IP-Adressbereich befinden.
  • Service-Discovery-Protokolle (z.B. Simple Service Discovery Protocol, SSDP) eine erwägenswerte Alternative zur Namensauflösung per DNS sind, da wegen der Verwendung von Broadcast-Messages keine zentrale Namensauflösungsinstanz benötigt wird.
  • auch in vermaschten WLAN-Netzen Broadcast-Messages von Service-Discovery-Protokollen – soweit sinnvoll und notwendig – geroutet werden müssen.

Generell ist eine manuelle Konfiguration von Netzwerkkomponenten im Einsatzgeschehen kontraproduktiv und somit völlig indiskutabel.

Datenhaltung

Die große Herausforderung im Einsatzgeschehen ist, verteilt vorliegende Daten zu aggregieren und allen beteiligten Entscheidungsträgern zeitgleich vorzulegen. In einfachen Fällen geschieht dies sprachlich per Funk: Durch die Gruppenruffunktion kann eine Einzelperson Informationen an viele weitergeben. Bei einem MANV werden gemäß gängiger Vorgehensweisen viele Patientenlisten auf Papier an vielen Stationen der Versorgungskette und bei vielen Entscheidungsträgern gepflegt, die sich nur unter großem Aufwand oder entsprechend langsam/fehlerbehaftet per Sprache abgleichen lassen.

Im e-Triage Projekt wurden gute Erfahrungen mit einem verteilten, selbstsynchronisierenden Datenbanksystem gemacht, bei dem Datenbankinstanzen sowohl auf allen Mobilgeräten, als auch auf PCs bei den Einsatzleitungen vor Ort und auf Servern im Internet installiert waren [3]. Eleganter Nebeneffekt dieses Ansatzes ist, dass ein mobiler Client von einer WLAN-Funkzelle zu einer anderen Funkzelle getragen werden kann, und die mitgebrachten Daten mit anderen Daten in der neuen Funkzelle automatisch synchronisiert werden. Der im Projekt gewählte Ansatz erlaubt zudem eine Unterteilung der WLAN-Netze in Zugangsnetze für die mobilen Geräte und Verbindungsnetze für die Verbindung der WLAN-Router mit jeweils unterschiedlichen Adressbereichen, so dass nicht ein einziger großer privater IP-Adressbereich verwendet werden muss. Details hierzu sind in Referenz [3] zu finden.

Andere Architekturen sind ebenfalls denkbar, jedoch ist auf Skalierbarkeit und aus Sicherheitsgründen auf redundante Datenhaltung am Einsatzort zu achten.

Aus Patientensicht werden entlang der Stationen der Versorgungskette beginnend mit einer eindeutigen ID und einer Sichtungskategorie zunehmend weitere Daten erhoben, siehe Abbildung 2 [Abb. 2]. Eine wesentliche Schwierigkeit ist, dass im Einsatzgeschehen mit hochsensiblen Patientendaten gearbeitet werden soll, ohne dass sich Einsatzkräfte mit komplizierten (zeitraubenden) Authentifizierungsmechanismen auseinandersetzen müssen, die sich im Falle von überregionalen Hilfskontingenten ohnehin organisatorisch nicht vorbereiten lassen. Einige ungeordnete Ansätze könnten sein:

1.
Daten, mit denen eine betroffene Person identifiziert werden kann (Name, Bild), werden überhaupt nicht gespeichert/übertragen. Alle anderen Daten werden unverschlüsselt (d.h. nur mit einer einfachen Grundverschlüsselung) der Einsatzleitung übermittelt. Lediglich eine eindeutige, am Patienten befestigte ID dient der Zuordnung.
2.
Wie 1., aber zugriffsberechtigte Einsatzkräfte authentifizieren sich mit einem elektronischen Ausweis an den Terminals und erhalten entsprechend ihrer Rolle und Berechtigung Zugriff auf verschlüsselte personenbezogene Daten (Ansatz im Projekt e-Triage).
3.
Nur die ID und die Sichtungskategorie werden an die Einsatzleitung übertragen. Alle anderen erhobenen Daten werden nur auf einem am Patienten befestigten Chip gespeichert (Ansatz im Projekt SOGRO).

Mischformen dieser Ansätze sind natürlich ebenfalls möglich.

Aus Sicht von Entscheidungsträgern ist die Zuordnung von Ressourcen (Personal, Transportmittel, Krankenhaus) zu den einzelnen Patienten die wesentliche Kernaufgabe. Wie zu Beginn erwähnt können sich diese Entscheidungsträger aber an unterschiedlichen Orten befinden, weswegen alle relevanten Daten allen beteiligten Rollen zeitgleich und aktuell vorliegen müssen.

3. Diskussion & Schlussfolgerung

In diesem Beitrag wurden einige Anforderungen an IT-Systeme erläutert, die die Organisation eines MANV unterstützen sollen. Geräte wie Tablet-PCs, PDAs oder Notebooks finden nur dann sinnvolle Anwendung in derartigen Ausnahmesituationen, wenn sie im Regelrettungsdienst täglich eingesetzt werden können. Elektronische Dokumentations- und Abrechnungssysteme sind bereits gängige Praxis, weswegen der Schritt zum integrierten MANV-Management lediglich Mehrkosten für die Software bedeutet (geeignete Hardware vorausgesetzt). Die Frage, ob sich dieser Mehraufwand betriebswirtschaftlich rechtfertigen lässt, kann unserer Ansicht nach nicht anhand von harten Kriterien geklärt werden. Ein MANV ist eine seltene Ausnahmesituation, allerdings messen Medien und Öffentlichkeit die Leistungsfähigkeit der Rettungsdienste genau daran. Die schnelle Verfügbarkeit von Daten vereinfacht und beschleunigt das Ressourcenmanagement und die Transportlogistik erheblich, was wiederum den Patienten zugutekommt. In anderen Worten: Die elektronische Unterstützung sorgt dafür, dass die dringlichsten Patienten schneller versorgt und transportiert werden können. Wichtigstes Ergebnis der psychologischen Forschung in e-Triage ist, dass die beteiligten Einsatzkräfte trotz der enormen psychischen Belastung schneller in einen Arbeitsrhythmus kommen und somit bessere Ergebnisse erzielen. Positiv motivierend kommt das Bewusstsein hinzu, dass die erhobenen Daten nicht nur auf einer Liste vermerkt, sondern zeitgleich der Einsatzleitung zur Verfügung gestellt werden und der gesichtete Patient einer adäquaten Versorgung zugeführt wird.

Durch die zeitliche und räumliche Dimension des Einsatzes und wegen der Verwendung von drahtlosen Übermittlungstechniken entstehen zwangsläufig Netztopologien, die eher unzuverlässig oder sogar variabel sein können. Erst eine integrierte Betrachtung von Datenübertragung und Datenhaltung kann zu ausreichender Zuverlässigkeit führen.

Nicht in allen Bundesländern werden Versorgungskapazitäten von aufnehmenden Krankenhäusern den Rettungsleitstellen in Echtzeit zur Verfügung gestellt. Bei einem MANV müsste diese Information sogar dem Leitenden Notarzt bzw. Transportkoordinator vor Ort zur Verfügung gestellt werden, da es ansonsten zur Überlastung von einzelnen Krankenhäusern kommen könnte. Beispielsweise zeigte sich bei den Zuganschlägen von Madrid in 2004, dass viele Betroffene die theoretische Versorgungskette (Patientenablage usw.) umgehen und von Angehörigen oder Passanten in nahe gelegene Krankenhäuser gebracht werden.

Ein MANV erfordert definitionsgemäß überregionale Ressourcen, weswegen Kompatibilität und definierte Schnittstellen zwingend erforderlich sind. Die genannten Aspekte sowie viele weitere Gesichtspunkte werden gerade in einem Positionspapier gesammelt, das die Erkenntnisse von Forschungsprojekten bündeln soll [8].

Die Thematik involviert Interessenvertreter aus dem Bereich Notfallmedizin (Rettungsdienstorganisationen, Verbände von Ärzten/Notärzten u.v.a.), Krankenkassen, Gesundheitsministerien von Bund und Ländern, Innenministerien von Bund und Ländern, Datenschutzexperten und Hersteller von Softwarelösungen für den Rettungsdienst. Erklärtes Ziel muss sein, bundesweit kompatible Lösungen für die Zukunft zu schaffen. Hinsichtlich der Datensatzbeschreibung ist unserer Meinung nach der minimale Notfalldatensatz MIND3 [9] eine gute Grundlage, die Erfordernisse eines MANV müssen allerdings noch darin abgebildet werden. Bei der Datenhaltung sind die Hauptprobleme der Datenschutz und die besonderen Netztopologien im Einsatz. Im Gegensatz zur normalen IT-Welt dürfen bei diesem Anwendungsfall die Softwarelösungen nicht entkoppelt von den Datennetzen betrachtet werden.

Danksagung

Die Autoren bedanken sich bei allen Projektbeteiligten, involvierten Rettungsdienstorganisationen und dem Projektträger VDI Technologiezentrum für die wertvollen Diskussionen und die Zusammenarbeit. Das Projekt e-Triage wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung unter den Förderkennzeichen 13N10539 bis 13N10542 gefördert.

Interessenkonflikt

Die Autoren erklären, dass sie keinen Interessenkonflikt haben.


Literatur

1.
Bundesministerium für Bildung und Forschung. Hightech-Strategie – Bewilligte Projekte aus dem Themenfeld „Schutz und Rettung von Menschen“. 2012. Available from: http://www.bmbf.de/de/13091.php Externer Link
2.
Donner A, Adler C, Ben-Amar M, Werner M. IT-Supported Management of Mass Casualty Incidents: The e-Triage Project. In: Proceedings 5th Future Security Research Conference; 2010; Berlin.
3.
Donner A, Erl S, Adler C, Metz A, Krüsmann M, Greiner-Mai T, et al. Projekt e-Triage: Datenmanagement für einen Massenanfall von Verletzten. In: INFORMATIK 2011 -–Workshop zur IT-Unterstützung von Rettungskräften. Berlin: Gesellschaft für Informatik e.V.; 2011.
4.
Adler C, Erfurt L, Krüsmann M. Projekt e-Triage – Zwischenbericht 2011. München: Ludwig-Maximilians-Universität; 2012. Availbale from: http://www.psy.lmu.de/e-triage/downloads/berichte/zwischenbericht_2011.pdf Externer Link
5.
Donner A, Greiner-Mai T, Adler C. Challenge Patient Dispatching in Mass Casualty Incidents. In: Rothkrantz L, Ristvej J, Franco Z, eds. In: 9th International Conference on Information Systems for Crisis Response and Management (ISCRAM); Vancouver, Canada; 2012.
6.
Institute of Electrical and Electronics Engineers. IEEE Standard 802.11-2012. 2012. Available from: http://www.techstreet.com/cgi-bin/detail?vendor_id=4523 Externer Link
7.
Hiertz G, Trikaliotis S. Funknetze stricken – Gemeinsamkeiten und Unterschiede von WLAN und Mesh-Netzen. heise mobil; 2006. Available from: http://heise.de/-223171 Externer Link
8.
Donner A, Adler C. Von der Notfallrettung zum Massenanfall von Verletzten: Herausforderung Patientendisposition. Status quo und Verbesserungspotential in Deutschland. 2012. Positionspapier. Unveröffentlichter Entwurf.
9.
Messelken M, Schlechtriemen T, Arntz HR, Bohn A, Bradschet G, Brammen D, et al. Der Minimale Notfalldatensatz MIND3. DIVI. 2011;2(3):130-5.

Erratum

In der vorherigen Veröffentlichung war eine falsche Version des Beitrages publiziert.