Artikel
„Simulationspersonen spielen keine schweren Erkrankungen, die sie real haben?!“ – Ein Pilotversuch in der physiotherapeutischen Lehre
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 27. Mai 2024 |
---|
Gliederung
Text
Hintergrund: Der Einsatz von Simulationspersonen (SP) ist in Lehre und Prüfung in den Gesundheitsberufen allgemein und in der Physiotherapie im Speziellen etabliert [1], [2], [3]. Eine grundlegende Regel dabei lautet, dass SP nicht die Krankheiten oder Situationen spielen sollen, von denen sie selbst betroffen sind, gerade wenn es sich um schwerwiegendere Erkrankungen handelt. Damit sollen eine mögliche Retraumatisierung oder emotionale Belastung während der Simulation verhindert und eine klarere Trennung zwischen gespielter Person und Schauspieler*in ermöglicht werden. Dabei kann es gerade bei sehr körperbetonten Simulationen, wie sie in der Physiotherapie vorkommen, ein didaktischer Vorteil sein, wenn die Pathologie auch physisch vorhanden ist. Mit dem vorgestellten Projekt sollte untersucht werden, ob ein Einsatz von Patient*innen als SP in der physiotherapeutischen Lehre grundsätzlich realisierbar ist.
Methoden: Im Bachelorstudiengang Physiotherapie an der HS Gesundheit in Bochum wurden in den Modulen „PHY 14 – Physiotherapeutische Akutversorgung“ des 3. Semesters und „PHY 19 – Komplexität in der Versorgung“ des 5. Semesters insgesamt 4 Patient*innen mit muskuloskelettalen und internistischen Erkrankungen als SP eingesetzt. Dafür wurden interessierte Patient*innen angesprochen und gecastet. Anschließend fand eine Schulung statt, wobei der Fokus darauf lag, die eigene Erkrankung mit einer fiktiven Rolle zusammenzubringen. Insgesamt 78 Studierende nahmen an den Veranstaltungen teil und es kam zu insgesamt 12 SP-Kontakten. Im Anschluss wurde das Konzept sowohl von Studierenden (quantitativ) als auch von SPs (qualitativ) evaluiert.
Ergebnisse: Die vorläufigen Evaluationsergebnisse der Studierenden (n=19, Likert-Skala 1-5) zeigen, dass sie mit dem Lehrformat zufrieden sind (mw=4,4/s=0,6), dass der Lernzuwachs als hoch eigeschätzt wird (mw=4,6/s=0,5) und insbesondere, dass das Format als regelmäßiges Angebot fortgeführt werden sollte (mw=5/s=0). Die SP (n=3) betonen in Ihren Rückmeldungen, dass die Situation für sie positiv war, allerdings auch einiges an Improvisation abverlangt hat. Ein eigener Leidensdruck wird nicht thematisiert und alle würden das Format auch anderen Betroffenen empfehlen. Die Evaluationen laufen aktuell noch und die finalen Ergebnisse werden auf dem Kongress präsentiert.
Interpretation: Der Pilotversuch zeigt, dass der Einsatz von echten Patient*innen als SP mit dem Fokus auf ihrer realen Erkrankung grundsätzlich möglich ist und von beiden Seiten akzeptiert und als gewinnbringend beurteilt wird. Gerade in der physiotherapeutischen Lehre, in der körperliche Beschwerden nicht oder nur mit großem Aufwand simuliert werden können, ermöglicht das Konzept den breiteren Einsatz von glaubwürdigen Simulationen. Eine intensive Vor- und Nachbereitung sind allerdings unerlässlich und jeder Einsatz muss ethisch abgewogen werden.
Literatur
- 1.
- Cleland JA, Abe K, Rethans JJ. The use of simulated patients in medical education: AMEE Guide No 42. Med Teach. 2009;31(6):477-486. DOI: 10.1080/01421590903002821
- 2.
- Pritchard SA, Blackstock FC, Nestel D, Keating JL. Simulated Patients in Physical Therapy Education: Systematic Review and Meta-Analysis. Phys Ther. 2016;96(9):1342-1353. DOI: 10.2522/ptj.20150500
- 3.
- Ehrenbrusthoff K, Handgraaf M. Der Einsatz von SPs in den praktischen Prüfungen des Studiengangs Physiotherapie. In: Peters T, Thrien C, editors. Simulationspatienten. Ein Handbuch für die Aus- und Weiterbildung in medizinischen und Gesundheitsberufen. Bern: Hogrefe; 2018. p.199-206.