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64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

08. - 11.09.2019, Dortmund

Gibt es ein Adipositasparadox bei Menschen mit Diabetes? Eine Analyse der Daten der Heinz-Nixdorf Recall Studie

Meeting Abstract

  • Bernd Kowall - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Raimund Erbel - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Susanne Moebus - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Karl-Heinz Jöckel - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany
  • Andreas Stang - Institut für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie, Universitätsklinikum Essen, Essen, Germany

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 64. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Dortmund, 08.-11.09.2019. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2019. DocAbstr. 180

doi: 10.3205/19gmds013, urn:nbn:de:0183-19gmds0132

Veröffentlicht: 6. September 2019

© 2019 Kowall et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ob Diabetiker mit Übergewicht oder moderater Adipositas eine geringere Mortalität aufweisen als Diabetiker mit Normalgewicht, wird kontrovers diskutiert. Während einige Autoren ein solches Adipositasparadox bei Diabetikern für plausibel halten, vermuten andere methodische Fehler [1], [2]. Anhand von Daten der Heinz-Nixdorf Recall (HNR) Kohortenstudie werden derartige methodische Aspekte systematisch untersucht.

Methodik: Die HNR-Studie ist eine in den Städten Essen, Mülheim und Bochum durchgeführte, bevölkerungsbasierte Kohortenstudie (Studienbeginn 2000-2003, n=4814, Alter 45-74 Jahre). Bei 733 Personen wurde bei Studienbeginn das Vorliegen eines Diabetes nach folgenden Kriterien diagnostiziert: ein selbstberichteter Diabetes, der ärztlich festgestellt wurde; Nüchternglukose ≥ 126 mg/dl; Zufallsglukose ≥ 200 mg/dl, oder HbA1c ≥ 6,5%. Von diesen 733 Personen verstarben 228 (31,1%) bis September 2018. In adjustierten Cox-Regressionen wird das Hazard Ratio (HR) für die Gesamtmortalität für den Vergleich von BMI ≥ 27,5 versus < 27,5 kg/m2 geschätzt.

Es werden sukzessive Sensitivitätsanalysen durchgeführt (Ausschluss von Personen mit BMI < 18,5 kg/m2 und Typ-1 Diabetes, von Todesfällen während der ersten zwei Jahre des Follow-up sowie von Personen mit Krebs oder kardiovaskulären Erkrankungen in der Vergangenheit; Adjustierung für Diabetesdauer). Ferner wird eine auf Nichtraucher beschränkte Analyse durchgeführt. Sämtliche Analysen werden mit einem alternativen Cut-off für den BMI (≥ 30 versus < 30 kg/m2) sowie einer Kategorisierung der Diabetiker nach dem Bauchumfang (≥ 102 versus < 102 cm bei Männern; ≥ 88 versus < 88 cm bei Frauen) wiederholt.

Darüber hinaus wird untersucht, ob sich Diabetiker mit BMI ≥ 27,5 beziehungsweise < 27,5 kg/m2 hinsichtlich des Anteils der unbekannten Diabetiker, des Alters bei Diabetesdiagnose, der Diabetesdauer oder der Diabetestherapie unterscheiden.

Ergebnisse: In der adjustierten Cox-Regression mit allen 733 Diabetikern wird ein HR von 0,96 (95% KI: 0,73-1,28) geschätzt (Referenz: BMI < 27,5 kg/m2). Die genannten Sensitivitätsanalysen führen zu etwas größeren Effektschätzern bis maximal HR=1,08 (0,76-1,52), gehen aber wegen der kleiner werdenden Stichproben mit unpräziseren Effektschätzern einher.

Die folgenden Unterschiede zwischen Diabetikern mit BMI ≥ 27,5 beziehungsweise < 27,5 kg/m2 werden beobachtet: 50,3 versus 53,2% hinsichtlich des Anteils der unbekannten Diabetiker; 53,7 versus 51,5 Jahre beim Alter bei Diabetesdiagnose; 8,9 versus 11,4 Jahre bei der Diabetesdauer; 7,1 versus 6,8% für den HbA1c; 75,8 versus 68,7% für den Anteil der mit Tabletten oder Insulin behandelten Personen mit bereits bekanntem Diabetes.

Die Analysen mit 30 kg/m2 als Cut-off für den BMI sowie mit einer Kategorisierung nach dem Bauchumfang führen zu ähnlichen Ergebnissen wie die Analysen mit 27,5 kg/m2 als Cut-off für den BMI.

Schlussfolgerung: Die Sensitivitätsanalysen für potentielle methodische Fehler führen bei gestiegener statistischer Unsicherheit zu minimal erhöhten Mortalitätsrisiken für Personen mit einem erhöhten BMI. Die Hypothese, dass Diabetiker mit höherem BMI mehr Aufmerksamkeit von Ärzten bekommen und davon profitieren, dass ihr Diabetes früher entdeckt oder dass sie besser therapiert werden als Diabetiker mit einem geringeren BMI, kann mit den Daten der HNR-Studie nicht bestätigt werden. Die beschriebenen Analysen werden derzeit mit einer weiteren Kohorte von Diabetikern wiederholt, um die Stichprobe zu vergrößern.

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass ein positives Ethikvotum vorliegt.


Literatur

1.
Hainer V, Aldhoon-Hainerová I. Obesity paradox does exist. Diabetes care. 2013 Aug 1;36(Supplement 2):S276-81.
2.
Standl E, Erbach M, Schnell O. Defending the con side: obesity paradox does not exist. Diabetes care. 2013 Aug 1;36(Supplement 2):S282-6.