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63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

02. - 06.09.2018, Osnabrück

Potenzial des Einsatzes mobiler Applikationen auf die Adhärenz von Patienten mit Multipler Sklerose

Meeting Abstract

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  • Stefanie Albrecht
  • Alexander Würfel - Hochschule Neu-Ulm, Neu-Ulm, Deutschland
  • Walter Swoboda - Hochschule Neu-Ulm, Neu-Ulm, Deutschland

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie. 63. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Osnabrück, 02.-06.09.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. DocAbstr. 184

doi: 10.3205/18gmds137, urn:nbn:de:0183-18gmds1377

Veröffentlicht: 27. August 2018

© 2018 Albrecht et al.
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Gliederung

Text

Einleitung: Adhärenz bezeichnet das Maß, in dem das Verhalten eines Patienten den in gemeinsamer Übereinstimmung mit dem Behandler oder Therapeuten getroffenen Empfehlungen entspricht ([1], S. 3). Die am häufigsten verwendete Methode zur Messung der Adhärenz ist die sogenannte „Medication Prosession Ratio“ (MPR), die ein Maß für die tatsächlich ausgestellten Rezepte im Vergleich zur Soll-Zahl gemäß Therapieplan in einem definierten Zeitraum darstellt ([2], S. 70, [3], S. 27). Eine von Hansen u. a. in Deutschland durchgeführte Studie mit über 50.000 Patienten ergab eine durchschnittliche MPR von 0,5498 über 24 Monate. Der Median der MPR betrug 0,624. Patienten mit einer MPR von mindestens 0,8 gelten dabei als adhärent, eine MPR darunter bedeutet Non-Adhärenz. Ausgehend von dieser Definition errechneten die Autoren, dass nach zwei Jahren nur noch 39,9 % der Patienten adhärent sind [4].

Methode: Im Rahmen einer Studie wurde die Adhärenz von MS-Patienten in einer großen Praxis der nervenfachärztlichen Versorgung* Jahr 2016 betrachtet. Basierend auf diesen Daten wurden die Kosten der Non-Adhärenz unter Bezugnahme auf die Arbeiten von Flachenecker und Karampampa [5], [6] hochgerechnet. Eingang in die Auswertung fanden alle Patienten des Jahres 2016. Die Daten wurden retrospektiv erhoben.

Ergebnisse: Es erwiesen sich 16,7% der Patienten als non-adhärent, einige Erkrankte verzeichneten mehrere Abbrüche. Als besonderer Abbruchgrund mit 30,3% wird Schwangerschaft oder Kinderwunsch festgestellt. Diese Abbrüche wurden in der Auswertung separiert. Ungeachtet des Abbruchgrundes ergibt sich damit für die Non-Adhärenz eine Quote von 16,70 %. Zählt man Schwangerschaften bzw. Kinderwunsch nicht hinzu, so kann eine Abbruchrate von 11,98 % errechnet werden. Wegen der fehlenden Angabe zur Wiederaufnahme einer Therapie ist auch die direkte Vergleichbarkeit mit der von Hansen u. a. angegebenen Abbruchquote von 50 % nach einem Jahr bzw. 70 % nach zwei Jahren nicht gegeben.

Bedingt durch eine EDSS-Verschlechterung ergeben sich volkswirtschaftliche Mehrkosten in Höhe von 603.297,00 Euro aus der mangelnden Adhärenz. Die Schubkosten für die Abbrecher beliefen sich auf 431.900,00 Euro. Es resultiert somit ein Mehraufwand von 1.035.197,00 Euro allein für die Patienten der betrachteten Praxis. Dies entspricht Kosten von 6.810,51 Euro pro MS-Patient. Lässt man Schwangerschaften als Abbruchgrund unberücksichtigt, so ergeben sich Kosten von 506.337,00 Euro in Folge der Progredienz und 315.904,00 Euro als direkte Schubkosten. Der zusätzliche Mehraufwand für jeden der Abbrecher beträgt somit 7.543,50 Euro. Unterschiedliche Studien verweisen darauf, dass mit über 50 % das einfache „Vergessen“ der Applikation der häufigste Grund für eine Non-Adhärenz ist (primäre Adhärenz). Darüber hinaus können injektionsbedingte Motive ermittelt werden, d.h. auch die Art der Applikation hat Einfluss auf die Therapietreue. Andere Patienten rechtfertigten ihre Non-Adhärenz unter anderem mit Fatigue (Erschöpfungssyndrom), Problemen bei der Dosierung oder Nebenwirkungen wie grippeartigen Symptomen und Kopfschmerzen [7], [8].

Diskussion: Ausgehend von den Ergebnissen kann angenommen werden, dass der Einsatz mobiler Applikationen in diesem Bereich die Adhärenz wesentlich verbessern könnte. Besonders die primären Abbruchgründe (Vergessen der Applikation) würden durch eine einfache Erinnerungsfunktion zum großen Teil vermieden werden können. Zudem können die ubiquitäre Erreichbarkeit von Patienten und die verbesserte Kommunikation erhebliche Potenziale bergen. Das damit verbundene ökonomische Potenzial wäre erheblich, wie die ökonomische Analyse nahelegt. Eine genauere Betrachtung ist im Rahmen einer Studie geplant. Es ist hier eine Zusammenarbeit mit der Systemhaus Ulm GmbH geplant, die eine entsprechende App als Basis entwickelt hat.

*Anmerkung: Die nervenfachärztliche Gemeinschaftspraxis Ulm bietet schwerpunktmäßig Leistungen rund um die Kernbereiche Neurologie und Psychiatrie an. Weitere Tätigkeitsfelder und Spezialisierungen bilden sich in den Bereichen Umwelt- und Verkehrsmedizin, Schmerztherapie, Geriatrie sowie dem Rehabilitationswesen. Weitere Besonderheit ist die Auszeichnung als zertifiziertes MS-Zentrum nach Vorgaben der DMSG (Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft Bundesverband e.V.).

Die Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.

Die Autoren geben an, dass kein Ethikvotum erforderlich ist.


Literatur

1.
World Health Organization. Adherence to long-term therapies: evidence for action. Geneva: World Health Organization; 2003.
2.
Kip M, Wiendl H. Therapie der Multiplen Sklerose. In: Kip M, Schönfelder T, Bleß HH, editors. Weißbuch Multiple Sklerose: Versorgungssituation in Deutschland. Springer: Berlin/Heidelberg; 2016. S. 55–93.
3.
Menzin J, et al. Narrative review of the literature on adherence to disease-modifying therapies among patients with multiple sclerosis. Journal of managed care pharmacy. 2013;19(1 Suppl A):24–40.
4.
Hansen K, et al. Adherence to Disease Modifying Drugs among Patients with Multiple Sclerosis in Germany: A Retrospective Cohort Study. PloS one. 2015;10(7):e0133279.
5.
Flachenecker P, et al. New insights into the burden and costs of multiple sclerosis in Europe: Results for Germany. Multiple Sclerosis Journal. 2017;23(Suppl 2):78–90.
6.
Karampampa K, et al. Treatment experience, burden and unmetneeds (TRIBUNE) in MS study: results from Germany. Multiple Sclerosis Journal. 2012;18(Suppl 2):23–7.
7.
Devonshire V, et al. The Global Adherence Project (GAP): a multicenter observational study on adherence to disease-modifying therapies in patients with relapsing-remitting multiple sclerosis. European Journal of Neurology. 2011;18(1):69–77
8.
Treadaway K, et al. Factors that influence adherence with disease-modifying therapy in MS. Journal of Neurology. 2009;256(4):568–76.