gms | German Medical Science

GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Die Einführung von SNOMED CT in Deutschland – Eine exemplarische Betrachtung aus institutionenökonomischer Sicht

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • H. Dewenter - Hochschule Niederrhein, Korschenbroich
  • S. Thun - Hochschule Niederrhein, Krefeld

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 154

doi: 10.3205/14gmds212, urn:nbn:de:0183-14gmds2124

Veröffentlicht: 4. September 2014

© 2014 Dewenter et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung: Innerhalb einer Gesellschaft sind die Existenz und die Anwendung gültiger Standards Grundvoraussetzungen für das funktionierende Zusammenwirken der einzelnen Akteure. Dies gilt insbesondere im Bereich des Gesundheitswesens und in der elektronischen Übertragung medizinischer Informationen. Ein syntaktischer Standard zum Datenaustausch (z. B. HL7/CDA) benötigt eine geeignete Terminologie als semantischen Partner. In diesem Zusammenhang wird der Einsatz von SNOMED CT als semantische Komponente international favorisiert [1]. Bis heute ist eine flächendeckende Anwendung der Terminologie in Deutschland aufgrund einer fehlenden Mitgliedschaft in der IHTSDO unmöglich. Ohne einen belegbaren Nutzen innerhalb spezieller use cases werden der Beitritt zur IHTSDO sowie eine nationale Implementierung von SNOMED CT kontrovers diskutiert. Darüber hinaus gestaltet sich die Quantifizierung des korrelierten Nutzens als schwierig.

Zu diesem Zeitpunkt erscheint eine exemplarische ökonomische Betrachtung zum Einsatz von SNOMED CT in Deutschland sinnvoll. Innerhalb der Neuen Institutionenökonomik (NIÖ) sind gesellschaftlich etablierte Regeln als Institutionen definiert. Nach den Prinzipien der NIÖ trägt die Anwendung allgemeingültiger Regeln oder Standards zum rationalen Umgang mit Unsicherheiten zwischen Akteuren bei. Dieser Umstand stiftet wiederum einen gesellschaftlichen Mehrwert [2]. Es soll an dieser Stelle überprüft werden, ob der nationale Einführung des terminologischen Standards SNOMED CT über ein relevantes Nutzenpotential aus institutionenökonomischer Perspektive verfügt.

Material und Methoden: Der Transaktionskostenansatz, der Property-Rights-Ansatz und der Principal-Agent-Ansatz sind Gegenstände der Neuen Institutionenökonomik. Die Einführung von SNOMED CT in Deutschland wird aus der Perspektive aller drei Ansätze analysiert.

Ergebnisse: Der Transaktionskostenansatz vereint jegliche Aufwendungen, die im Zusammenhang mit der Marktnutzung, der Bereitstellung und Übertragung von Institutionen entstehen. Aufgrund einer unvollständigen Rationalität der Transaktionsbeteiligten untereinander fallen Kosten für die gegenseitige Informationsbeschaffung im Rahmen der Geschäftsabwicklung an. Transaktionskosten sinken durch eine steigende Häufigkeit identischer Transaktionen [3]. Besteht im Zusammenhang mit dem Austausch medizinischer Informationen in Deutschland ein Konsens zur Verwendung einer hoch differenzierten Terminologie wie SNOMED CT, wird dadurch eine Vielzahl vergleichbarer Datenübertragungen ermöglicht. Dieser Umstand hat außer der Reduktion von Transaktionskosten weitere Vorteile.

Durch die Verwendung eines einheitlichen Terminologiestandards der detaillierte medizinische Sachverhalte präzise darstellt und eine reibungslosen Wissensaustausch gewährleistet, werden Informationsasymmetrien zwischen den Transaktionspartnern vermindert. Dies gilt insbesondere für die Kommunikationsebenen Arzt-Arzt oder Arzt-Patient wenn SNOMED CT beispielsweise im Rahmen der elektronischen Patientenakte genutzt wird. Die Sicherstellung eines möglichst einheitlichen Informationsniveaus unter den Transaktionspartnern gilt als optimaler Zustand im Sinne des Principal-Agent-Ansatzes der NIÖ. Die Grundannahme dieses Ansatzes setzt ungleich verteilte informationelle Ressourcen zwischen den einzelnen Transaktionspartnern voraus. Informationsasymmetrien bestehen typischerweise in Auftragsverhältnissen, wie zum Beispiel in der Arzt-Patient-Beziehung Zwischen dem Auftraggeber Patient (Prinzipal) und dem Auftragnehmer Arzt (Agent) besteht ein Zielkonflikt. Jeder Transaktionspartner strebt danach, seinen informationellen Nutzen maximieren. Die Motive zum Austausch von Informationen sind dabei jedoch nicht prinzipiell deckungsgleich. Ist die Nutzung der Institution SNOMED CT auf nationaler Ebene für alle Kommunikationspartner in gleicher Weise zugänglich, wird dadurch die Zurückhaltung komplexer medizinischer Sachverhalte reduziert. Dieser Sachverhalt ist allerdings an juristische Legitimationen gebunden.

Durch einen Beitritt Deutschlands zur IHTSDO erfolgt eine Übertragung uneingeschränkter nationaler Verfügungsrechte – sogenannter property rights - für SNOMED CT. Der Property-Rights-Ansatz der NIÖ betrachte die Anreizwirkung durch ausformulierte Rechte an Gütern [4]. In einem nationalen Umfeld in dem Verfügungsrechte klar definiert sind, dürfen medizinische Inhalte in SNOMED CT kodiert und landesintern in Form elektronischer Dokumente übermittelt werden. Die breitgefächerte Nutzung liefert spezifische Erfahrungswerte und eine Steigerung der Sicherheit im Umgang mit der Terminologie. Darüber hinaus besteht der Vor-teil medizinische Informationen zwischen IHTSDO-Mitgliedsländern standardisiert und ohne rechtliche Beschränkungen auszutauschen. Von diesem Umstand profitieren insbesondere Patienten, die in nationalen Grenzregionen (z. B. Deutschland/Niederlande) ansässig sind und die Gesundheitseinrichtungen und -leistungen verschiedener Länder in Anspruch nehmen.

Diskussion: Das Nutzenpotential der Terminologie SNOMED CT im Bereich der Kommunikation klinischer Sachverhalte erweist sich insbesondere im routinemäßigen und alltäglichen Einsatz. Dabei ist es von besonderer Relevanz sicherzustellen, dass auf nationaler Ebene jeder Akteur des Gesundheitswesens SNOMED CT einsetzen darf und dabei keinerlei legale Beschränkungen bestehen. Bei Nicht-Mitgliedsstaaten der IHTSDO existieren verschiedene Optionen zur Übertragung einer kostenfreien oder kostenpflichtigen Nutzungslizenz. Innerhalb Deutschlands wird einer kostenfreien Lizenz für qualifizierte Forschung oder humanitäre Projekte gemäß der IHTSDO-Satzung zugestimmt. Kostenpflichte Unterlizenzen können z. B durch medizinische Wirtschaftsunternehmen erworben werden. Im Jahr 2014 beträgt der Jahresbetrag einer SNOMED CT Einzellizenz für ein deutsches Krankenhaus 1.688 US-Dollar [5]. Dieser monetäre Aufwand erscheint in Bezug auf den IHTSDO-Jahresbeitrag von ca. 1,4 Mio. € in 2013 für Deutschland als sehr gering. Die Problematik des Systems der Einzellizensierung besteht in rechtlichen Beschränkungen der Datenübertragung. Die Terminologie darf lediglich innerhalb der Unternehmens- oder Projektgrenzen eingesetzt werden. Der Austausch von SNOMED CT Codes ist nur zwischen autorisierten Lizenznehmern gestattet.

Gemäß der Ansätze der NIÖ ist ein gesellschaftlicher Nutzen der medizinischen Terminologie SNOMED CT in Deutschland an die Einführung der Institution im gesamten Bundesgebiet gebunden. Ein unbeschränkter Einsatz eines multifunktionellen semantischen Standards senkt Informationsasymmetrien und Transaktionskosten. Dieser Umstand setzt die Übertragung nationaler Verfügungsrechte voraus. Der Beitritt Deutschlands zur IHTSDO ist aus dieser Perspektive unumgänglich.

Die NIÖ liefert gewinnbringende Informationen über das Nutzenpotential einer nationalen Implementierung von SNOMED CT. Die Erkenntnisse wirken im Sinne einer allgemeinen politisch-gesellschaftlichen Handlungsempfehlung. Direkte monetäre Beträge im Rahmen einer klassischen Kosten-Nutzen-Analyse können, in Bezug auf spezielle use cases in denen SNOMED CT zur Anwendung kommt, kaum realistisch erhoben werden. An dieser Stelle sind konkrete Erhebungen aus dem Gebiet der Kosten-Nutzwert-Analyse zu empfehlen, die auf verschiedene Entscheidungsalternativen abzielen. In diesem Kontext ist ein Vergleich zweier Optionen, IHTSDO Beitritt oder die Beibehaltung der momentanen Einzellizensierung in Deutschland, möglich. Die konkrete Handlungsempfehlung kann über eine Parametrisierung und anschießende Nutzenauswertung beider Alternativen getroffen werden.


Literatur

1.
Ingenerf J. Terminologien oder Klassifikationen, was bringt die Zukunft? Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2007;50:107083.
2.
Voigt S. Institutionenkonomik. 2. Aufl. Paderborn: Wilhelm Fink GmbH & Co. Verlags-KG; 2009.
3.
Blum U, et al. Angewandte Institutionenkonomik. Theorien, Modelle, Evidenz. Wiesbaden: Betriebswirtschaftlicher Verlag Dr. Th. Gabler/GMV Fachverlage GmbH; 2005.
4.
Pappenheim R. Neue Institutionenkonomik und politische Institutionen. Frankfurt am Main: Peter Lang GmbH, Europischer Verlag der Wissenschaften; 2001.
5.
IHTSDO: IHTSDO Affiliate License Fees and Territory Bands 2014 [Internet]. 2014 [zitiert am 19.03.2014]. URL: http://www.ihtsdo.org/fileadmin/user_upload/Docs_01/License/Affiliate_Licence_Fees_2014.pdf Externer Link