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GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Analyse von Einflussfaktoren auf das Outcome Frühgeborener: Ergebnisse des Niedersächsischen Frühgeborenen-Nachuntersuchungsprojekts

Meeting Abstract

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  • G. Damm - Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen, Einrichtung der Ärzte-kammer Niedersachsen
  • W. Voss - Sozialpädiatrisches Zentrum, AUF DER BULT, Zentrum für Kinder und Jugendliche, Hannover
  • K. Harms - Kinderzentrum, Klinikum Hildesheim, Hildesheim
  • B. Sens - Zentrum für Qualität und Management im Gesundheitswesen, Einrichtung der Ärzte-kammer Niedersachsen

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 370

doi: 10.3205/14gmds187, urn:nbn:de:0183-14gmds1877

Veröffentlicht: 4. September 2014

© 2014 Damm et al.
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Gliederung

Text

Fragestellung: Die Prognose extrem unreifer Frühgeborener hat sich durch den medizinischen Fortschritt deutlich verbessert. Mit einer zunehmenden Überlebensrate stellt sich allerdings die Frage, wie sich diese Kinder nach der Entlassung aus der Kinderklinik entwickeln. Es gibt Hinweise auf Entwicklungsdefizite überlebender kleiner Frühgeborener [1], [2]. In Deutschland sind prospektive Nachuntersuchungsstudien bis ins Schulkindalter bislang nur in einzelnen Kinderkliniken bzw. Sozialpädiatrischen Zentren durchgeführt worden [3]. Eine durchgängige Analyse, Ergebnisbewertung und systematische Steuerung der Versorgung findet sektorenübergreifend nicht statt [4]. Mit einer prospektiven Langzeituntersuchung werden daher die Versorgungssituation und die Inanspruchnahme von Versorgungsleistungen extrem unreifer Frühgeborener flächendeckend in Niedersachsen untersucht. Es werden Aussagen über die Entwicklung der Kinder bis zum Schulkindalter getroffen, die als Basis für die Optimierung der Versorgungsqualität und Patientenorientierung der Hochrisikogruppe genutzt werden.

Methoden: Alle seit 2004 in Niedersachsen geborenen Frühgeborenen mit einem Gestationsalter <28 Schwangerschaftswochen (SSW) werden zu definierten Entwicklungszeitpunkten (im Alter von sechs Monaten, zwei und fünf Jahren) mithilfe etablierter Entwicklungstests (Griffith-Scales, Bayley-II-Mental Scales, K-ABC, SET-K 3-5) nach einem standardisierten Konzept in Sozialpädiatrischen Zentren untersucht. Zudem werden anamnestische und sozialanamnestische Daten (Ausbildungsstand und Beruf der Eltern, Migrationshintergrund) erhoben. Die Ergebnisse der Nachuntersuchungen werden mit den Datensätzen der Qualitätssicherung Geburtshilfe und Neonatologie zusammengeführt. In einem offenen Benchmarking-Prozess werden Kinderkliniken mit den besten Langzeitergebnissen identifiziert und gezielt Maßnahmen entwickelt, um Behandlungsabläufe zu optimieren.

Ergebnisse: In Niedersachsen wurden in den ersten sechs Beobachtungsjahren 1452 Hochrisikokinder mit einem Gestationsalter <28 SSW geboren, von denen 24% noch in der Kinderklinik verstarben. Von den 1098 Überlebenden konnten 883 Kinder (80%) nach sechs Monaten nachuntersucht werden. Zudem konnten bislang fünf Jahrgänge der Zwei-Jahres-Nachuntersuchungen (n=690, 77% der Überlebenden) und drei Jahrgänge der Fünf-Jahres-Nachuntersuchung (n=336, 63% der Überlebenden) ausgewertet werden. Bei der Fünf-Jahres-Nachuntersuchung werden in der Gesamtbeurteilung 73% der extrem unreifen Frühgeborenen als beeinträchtigt eingestuft. Nur 27% der Kinder sind in allen untersuchten Bereichen (Motorik, Kognition, Sprache) unauffällig. Neben biologischen und medizinischen Faktoren (z.B. Reifealter, Geschlecht, Dauer der Beatmung, Hirnschädigung) haben soziale Faktoren (z.B. Bildungsniveau der Mütter) einen signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Frühgeborenen. Während Kinder von Müttern mit einem hohen Bildungsniveau zu 61% eine unauffällige kognitive Entwicklung zeigten, betrug die Rate bei Müttern mit einem niedrigeren Bildungsniveau nur 37%. Bei den untersuchten Kindern ist ein hoher Umfang an Therapie- und Fördermaßnahmen (96% erhalten/erhielten Therapien) feststellbar. Notwendige zusätzliche Fördermaßnahmen werden bei 31% der Frühgeborenen durch das Projekt erkannt. Eine prognostische Einschätzung der Entwicklung ist in der überwiegenden Zahl der Frühgeborenen mit zwei Jahren zu stellen. Bei etwa 30% der Kinder ist jedoch mit einer geänderten Beurteilung im Alter von fünf Jahren zu rechnen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit langfristiger Nachuntersuchungen.

Schlussfolgerung: Nachuntersuchungen sind flächendeckend durchführbar. Mithilfe des standardisierten Untersuchungskonzepts wird fundiertes Wissen zum Gesundheitsstatus der extrem unreifen Frühgeborenen generiert. Unter Verwendung von Werkzeugen der Versorgungsforschung gelingt es, Einflussfaktoren auf das Outcome des gesundheitsökonomisch relevanten Kollektivs zu analysieren [5]. Notwendige zusätzliche Fördermaßnahmen werden bei mehr als einem Viertel der Kinder durch das Projekt erkannt. Fehler (Über-, Unter-, Fehlversorgung) und Verbesserungsmöglichkeiten können erkannt und Therapiekonzepte weiterentwickelt werden. Aufgrund der Rückkopplung der Ergebnisse an alle an der Versorgung Frühgeborener Beteiligten gelingt es, best practice umzusetzen und Qualitätsverbesserungen zu realisieren [6]. Durch das Erkennen von Verbesserungspotentialen in der Versorgungspraxis können gezielt Optimierungsmaßnahmen abgeleitet und strukturierte Versorgungskonzepte erarbeitet werden. Diese Arbeitsweise bietet auch die Möglichkeit der zielgerichteten Rückkopplung der unter Alltagsbedingungen gesammelten Erkenntnisse in Richtung Versorgungsforschung (Wissenstransfer).


Literatur

1.
Hack M, Wilson-Costello D, Friedman H, Taylor GH, Schluchter M, Fanaroff AA. Neurodevelopment and predictors of outcomes of children with birth weights of less than 1000g: 1992-1995. Arch Pediatr Adolesc Med. 2000;154:725-31.
2.
Marlow N, Wolke D, Bracewell MA, Samara M. Neurologic and developmental disability at six years of age after extremely preterm birth. N Engl J Med. 352;(1):9-19.
3.
Voss W, Jungmann T, Wachtendorf M, Neubauer AP. Long-term cognitive outcomes of extremely low birth-weight infants: the influence of the maternal educational background. Acta Paediatrica. 2012 Jun;101(6):569-73. DOI: 10.1111/j.1651-2227.2012.02601.x Externer Link
4.
Damm G, Wenzlaff P, Voss W, Harms K, Sens B. Intersektorale Qualitätsanalysen: Optimierung der Versorgungsqualität Frühgeborener im Rahmen eines landesweiten Nachuntersuchungsprojekts. Forum der Medizin_Dokumentation und Medizin_Informatik. 2009;1:66.
5.
Damm G, Sens B, Harms K, Voss W, Wenzlaff P. Landesweite Nachuntersuchung extrem unreifer Frühgeborener: Ein Modell sektorübergreifender Qualitätsanalyse. Z Evid Fortb Qual Gesundhwes (ZEFQ). 2011;105:597-605.
6.
Damm G. Lernen von den Besten: Start des neuen Projektes „Benchmarking in der Frühgeborenenversorgung“. näb. 2012;12:23.