gms | German Medical Science

GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Einsatz eines Lerntagebuchs in der Lehre der Göttinger Medizininformatik (MI) – ein Erfahrungsbericht

Meeting Abstract

Suche in Medline nach

  • S. Rey - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Medizinische Informatik, Göttingen
  • P. Langer - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Medizinische Informatik, Göttingen
  • N. Umbach - Universitätsmedizin Göttingen, Institut für Medizinische Informatik, Göttingen

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 240

doi: 10.3205/14gmds109, urn:nbn:de:0183-14gmds1098

Veröffentlicht: 4. September 2014

© 2014 Rey et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung: Um StudentInnen der Medizinischen Informatik (MI) auf die Herausforderungen ihres späteren Berufsfeldes vorzubereiten, bedarf es kontinuierlicher didaktischer und methodischer Anpassungen in der Lehre. Es gilt sowohl informatische als auch medizinisches Fach- und Methodenkompetenzen sowie Verständnis über Strukturen und Prozesse der biomedizinischen Forschung zu vermitteln. Die Lehre in der MI ist ebenso gefordert, analytisches wie vernetztes Denken zu fördern.

StudentInnen müssen einerseits darauf vorbereitet sein, mit unterschiedlichen Akteurinnen ihres zukünftigen Berufsfeldes zusammenzuarbeiten und gegenseitiges Verständnis aufzubauen. Andererseits müssen sie bei der Dynamik in Wissenschaft und Praxis über die Kompetenz verfügen, sich mit fachfremden Inhalten bei wenig vorhandenem Vorwissen auseinanderzusetzen, sich neues Wissen anzueignen und dieses mit vorhandenem Wissen zu vernetzen.

Dieses impliziert, dass StudentInnen bereits im Studium kompetent sein müssen, den eigenen Lernprozess zu organisieren, zu reflektieren und hierfür geeignete Methoden zu verwenden. Erfahrungen aus dem Lehrgebiet Biomedizin zeigen jedoch, dass technologie-interessierten StudentInnen sowohl in der Aneignung der behandelten Themen als auch in der nachhaltigen Verfügbarkeit des Wissen noch mehr unterstützt werden müssen, damit sie dieses vernetzt bei Problemstellungen bereits im Studium anwenden können. Selbstregulierten Lernens (SLR) wird damit Ziel sowie Voraussetzung eines erfolgreichen Studiums der MI.

Das (elektronische) Portfolios/Lerntagebücher beim Lernen unterstützen können, davon wird allgemein ausgegangen. Verbreitung und Akzeptanz ist unabhängig vom Fachgebiet allerdings wenig untersucht. Im Projekt ‚Self Monitoring for Medicine Students‘ wurde daher ein Online-Lerntagebuch als Diagnosetool für DozentInnen und Unterstützungstool für Studierende konzipiert und im Medizinstudium evaluiert. Projektziel war die Entwicklung und Evaluation eines Self-Monitoring-Tagebuchs (SMT) zur Förderung SRL im Medizinstudium. Mit Hilfe des SMT sollte a) die Lernzielsetzung optimiert und b) das studentische Aufschiebeverhalten beim Lernen reduziert werden [1]. Der entwickelte Pilot wurde 2013 in der Göttinger Lehr-Lernumgebung StudIP implementiert [2].

Die Ergebnisse aus dem SMMS-Projekt bestärkten uns zur internen Erprobung in der MI, zunächst fokussiert auf die Lerntagebuchfunktion der Lernzieloptimierung (LTB). Leitende Fragestellungen für uns waren: Kann im MI-Curriculum das Lernverhalten mit Hilfe des LTB unterstützt werden? Welche Akzeptanzfaktoren wirken ein, um das LTB in der MI als methodisches Instrument des Lernens einzusetzen? Welche konkreten Mehrwerte liefert das LTB den DozentInnen in der MI? Welche Implikationen ergeben sich daraus für die Lehre der MI und weitere Forschung?

Material und Methoden: Im Göttinger Curriculum „Medizinische Informatik“ wurde das LTB erstmalig in der ersten Vorlesungsreihe aus dem gleichnamigen Modul „Grundlagen in der Biomedizin“ eingesetzt. Das Modul richtet sich als Wahlpflichtveranstaltung an Bachelor-StudentInnen der Fachrichtung Medizininformatik bzw. als Wahlveranstaltung an Medizin- und Zahnmedizin-StudentInnen ab dem dritten Semester. Das Modul ist in drei aufeinander aufbauende interdisziplinäre Veranstaltungen über jeweils ein Semester gegliedert. Im Mittelpunkt stehen molekulare sowie zelluläre Grundlagen und deren Einfluss bei der Entstehung von Krankheiten. Zudem werden diagnostische und therapeutische Methoden, biomedizinische Informationsverarbeitung und Herausforderungen an der Schnittstelle Biomedizin / Medizininformatik anhand aktueller Forschungsfelder aufgezeigt. Neben Faktenwissen wird in der Modulabschlussprüfung die Fähigkeit überprüft, vorhandenes Wissen zu verknüpfen.

Den teilnehmenden 10 StudentInnen der Fachrichtung MI wurden beim Lehrveranstaltungsbeginn im WS 2013/14 potenzielle Mehrwerte erläutert sowie Funktionsweise und Umgang mit dem LTB‘s praktisch demonstriert. Die Lernziele der insgesamt 12 Veranstaltungstermine wurden jeweils für eine Woche seitens der DozentInnen vordefiniert und global im LTB aufgenommen. Die StudentInnen konnten darüber hinaus individuelle Lernziele im LTB formulieren und die wöchentliche Lernzielerreichung dokumentieren, die ihnen grafisch zurückgespiegelt wurde. Zudem konnten sie mit den DozentInnen / anderen LTB-NutzerInnen über ihre Lernziele und Lernfortschritte kommunizieren. Da nicht alle StudentInnen das LTB verwendeten und nicht alle Nutzenden den Zugriff auf ihr persönliches LTB für DozentInnen freigegeben haben, wurden die StudentInnen bzgl. ihrer Lernstrategien und zur Akzeptanz des LTB befragt. Hierfür wurde ein Fragebogen eingesetzt.

Ergebnisse: Die Ergebnisse bekräftigen, dass StudentInnen der MI ihr Lernen aufschieben und Fachinhalte primär für die Klausur auswendig lernen. Dementsprechend und unabhängig von der LTB-Nutzung nahmen die StudentInnen die Vorformulierung von Lernzielen als positiv für das individuelle Lernen der Fachinhalte wahr.

Die Ergebnisse aus der Befragung bestärken in ähnlicher Weise wie bei der Evaluation im Medizincurriculum [3] einen positiven Effekt auf das Lernverhalten.

  • Die LTB-Nutzenden integrierten nicht nur die vordefinierten Lernziele, sondern formulierten außerdem persönliche Lernziele. Sie investierten mehr Zeit für das Lernen als die Nicht-Nutzenden.
  • Die Reflexion mit der Lernzielerreichung förderte aus der Wahrnehmung der StudentInnen die wiederholte Auseinandersetzung und Langzeiterinnerung an die in der Vorlesung behandelten Themen.
  • Ebenfalls wurde die persönliche Kommunikation außerhalb der Lehrveranstaltung über das LTB mit den DozentInnen positiv bewertet.
  • Hinsichtlich der Motivationsänderung ‚selbst zu lernen‘ waren die Aussagen zwar divergent, gleichzeitig schätzten die StudentInnen die eigenen Methoden des Lernens weniger effizient ein, als mit dem LTB.
  • Obwohl Nicht-NutzerInnen des LTB‘s ihre eigenen Lernstrategien und -methoden als wenig effizient einschätzten, setzten sie sich überwiegend keine individuellen Lernziele.

Als Grund für die Nicht-Nutzung wurde nicht der Zeitaufwand, sondern die Ansetzung der Modulabschlussprüfung nach 1½ Jahren herausgestellt, die als demotivierend für eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit den Lerninhalten wahrgenommen wurde. Gleichzeitig wurde die bewusste Reflektion über das eigene Lernverhalten und die LTB-Methodik als ungewohnt angesehen. Unter der Voraussetzung, dass Möglichkeiten des selbstständigen Lernens gegeben werden, wurde der LTB-Einsatz in allen MI-Lernveranstaltungen inkl. Informatik und Mathematik gewünscht.

Diskussion: Die Förderung von Wiederholungsstrategien für die Verfestigung von Wissen sowie von vernetztem Denken wird bisher im MI-Curriculum in nicht ausreichendem Maße erreicht. Potentiale des LTB können insbesondere bei Lehrveranstaltungen ausgeschöpft werden, die sich über ein Semester erstrecken mit Abschlussklausuren im direkten Anschluss. Die Kombination vordefinierter und Formulierung individueller Ziele mit unterstützenden Reflexionsprozessen über das LTB fördert offensichtlich die Anwendung von Wiederholungsstrategien, die Tiefenauseinandersetzung mit fachfremden Inhalten und wirkt positiv einem Aufschiebeverhalten entgegen.

Für Dozenten der MI ist das LTB als Diagnosetool geeignet. Es kann mehr Transparenz über mögliche Schwierigkeiten mit bzw. Interesse an inhaltlichen Themen liefern. Notwendiger Handlungsbedarf bzgl. der Diskreptanz zwischen angestrebter und realer Lernzielerreichung kann identifiziert werden.

Zusammenfassend haben unsere Erfahrungen gezeigt, dass die Einführung des LTB auch strukturelle Unterstützung erfordert. Für eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit eigenen Lernzielen, Lerninhalten sowie dem eigenen Lernverhalten ist zudem ein ganzheitlicher Ansatz erforderlich. Offensichtlich kann nur durch eine individuellere Betreuung und Interaktion das SRL der StudentInnen gefördert werden. So empfehlen wir den Einsatz, ggf. verpflichtende Nutzung sowie eine (Langzeit-)Evaluation des LTB in allen MI-Lehrveranstaltungen.

Förderkennzeichen des Gesamtprojektes: BMBF 01PH08031A (Freiburg) und 01PH08031B (Göttingen)- Verbund-Nr. 01074938.


Literatur

1.
Schmidt K, Allgaier A, Lachner A, et al. Diagnostik und Förderung selbstregulierten Lernens durch Self-Monitoring-Tagebücher. Zeitschrift für Hochschulentwicklung. 2011;6(3).
2.
Rey S, Frömmel C. Forschungsprojektschlussbericht, SMMS-Förderung effektiven Wissenserwerbs im Medizinstudium durch Verbesserung der Kompetenz zum selbstregulierten Lernen von Studierenden, Teilprojekt Göttingen: Entwicklung und Programmierung eines Self-Monitoring Tagebuchs, Konzeption und Durchführung von Trainings. Göttingen: Institut für Medizinische Informatik; 2013; verfügbar über die technologische Informationsbibliothek der Universität Hannover.
3.
Schmidt K, Nückles M. Forschungsprojektschlussbericht,SMMS-Förderung effektiven Wissenserwerbs im Medizinstudium durch Verbesserung der Kompetenz zum selbstregulierten Lernen von Studierenden, Teilprojekt Freiburg: Empirische Evaluation. Freiburg; 2013; verfügbar über die technologische Informationsbibliothek der Universität Hannover.