gms | German Medical Science

GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Einsatz der Tensorzerlegung für die Analyse von EEG- und Herzfrequenzdaten bei Kindern mit Temporallappenepilepsie

Meeting Abstract

  • D. Piper - Politehnica University of Bucharest, Department of Applied Electronics and Information Engineering, Bukarest; Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena
  • B. Pester - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena
  • K. Schiecke - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena
  • M. Feucht - Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien
  • F. Benninger - Universitätsklinik für Kinder- und Jugendheilkunde, Wien
  • H. Witte - Institut für Medizinische Statistik, Informatik und Dokumentation, Universitätsklinikum der Friedrich-Schiller-Universität Jena, Jena

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 191

doi: 10.3205/14gmds088, urn:nbn:de:0183-14gmds0881

Veröffentlicht: 4. September 2014

© 2014 Piper et al.
Dieser Artikel ist ein Open Access-Artikel und steht unter den Creative Commons Lizenzbedingungen (http://creativecommons.org/licenses/by-nc-nd/3.0/deed.de). Er darf vervielfältigt, verbreitet und öffentlich zugänglich gemacht werden, vorausgesetzt dass Autor und Quelle genannt werden.


Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung: Zeit-Frequenzdarstellungen der Spektral-, Konnektivitäts- und Kohärenzanalysen des EEG sind wegen ihrer hohen Dimensionalität nur begrenzt auswertbar. Für die zeitvariante Spektralanalyse wird für jede Elektrode n (mit n=1,…,N) ein Spektrogramm berechnet. Dies hat für die Auswertung, entsprechend der gewählten Zeit- und Frequenzraster, eine Dimension N·T·F zur Folge. Diese Analyseergebnisse lassen sich als Tensor 3. Ordnung (N,T,F) approximieren. Aus diesem Grund wird neuerdings die Tensorzerlegung für die verbesserte Auswertung von Spektrogrammen (Morlet-Wavelet-Transformation, MWT) in der EEG-Analyse häufig angewandt. Dagegen führt die Konnektivitätsanalyse mittels zeitvarianter, frequenzselektiver Methoden zu N(N-1) Zeit-Frequenzkarten, was einer Dimension N(N-1)·T·F entspricht. Da das EEG-Signal jeder Elektrode mit dem jeder anderen Elektrode in zwei Richtungen (Quelle und Senke) interagieren kann, ist eine Auswertung außerordentlich schwierig. Es ist deshalb naheliegend, systematische Untersuchungen zur Anwendbarkeit der Tensorzerlegung für Ergebnisse der zeitvarianten Konnektivitätsanalyse durchzuführen. Die Fragestellung der Studie besteht darin, ob und unter welchen Bedingungen die Tensorzerlegung zu Ergebnissen führt, die eine verbesserte Interpretation ermöglichen. Es sollen Tensoren 3. und 4. Ordnung (zusätzliche Erweiterung durch Patienten) in Komponenten mit den Moden Topographie (S – space), Zeit (T – time) und Frequenz (F – frequency) bzw. Patient (P – patient) zerlegt werden. Zusätzlich werden auch die Ergebnisse der zeitvarianten Kohärenzanalyse zwischen Herzfrequenzvariabilität (HFV) und EEG-Hüllkurven, die der Kennzeichnung der Interaktionen zwischen vegetativem Nervensystem und kortikalen Prozessen dienen, einer Tensorzerlegung zugeführt.

Material und Methoden: Es werden Mehrkanal-EEG-Registrierungen für N=20 Elektroden von 18 Kindern mit Temporallappenepilepsie (TLE) und die HFV (auf der Grundlage des EKG) ausgewertet. Je die Hälfte der Kinder haben den Anfallsherd in der linken bzw. rechten Hemisphäre. Das verwendete Analyseintervall beträgt 600 s, wobei der Anfall bei 300 s beginnt. Die EEG-EKG-Daten wurden während des prächirurgischen Epilepsie-Monitorings aufgezeichnet (Epilepsie-Monitoring-Unit, Medizinische Universität Wien, F.B., M.F.).

Die MWT-Tensoren des EEG wurden berechnet und mittels PARAFAC-Verfahren (Parallel Factor Analysis) zerlegt. Für die Konnektivitätsanalyse wurde die zeitvariante generalisierte Partial Directed Coherence (gPDC) auf der Grundlage eines von uns entwickelten Verfahrens eingesetzt [1]. Die EEG-gPDC-Tensoren (3. und 4. Ordnung) wurden ebenfalls einer Zerlegung mit dem PARAFAC-Verfahren unterzogen [2]. Im Vorfeld wurde die Machbarkeit dieser Vorgehensweise mittels simulierter Daten getestet (Netzwerk mit zeitlich variierender Konnektivitätsstruktur). Die zeitvariante Morlet-Kohärenz zwischen HRV und der Deltaband-Hüllkurve führt zu Kohärenz-Tensoren [3]. Die Hüllkurve wurde mittels Hilbert-Transformation gewonnen. Statistisch signifikante Kohärenzwerte wurden auf der Grundlage von surrogaten Daten ermittelt (Phasenrandomisierung). Als Clusteralgorithmus wurde das k-means-Verfahren eingesetzt.

Ergebnisse: Die Simulationsergebnisse zeigen, dass die Zerlegung des gPDC-Tensors zu einer verbesserten Interpretation führt und eine automatisierte Zustandserkennung möglich ist, wenn nachfolgend eine Clusterung der Zerlegungsergebnisse erfolgt. Die individuellen Anfallsdynamiken können hinsichtlich Lateralisierung (S), Anfallsbeginn (T) und Frequenzinhalten (F) mittels MWT-Tensorzerlegung (Tensor 3. Ordnung) für alle Patienten gezeigt werden. Bei Verwendung von Tensoren 4. Ordnung (S-T-F-P; zwei Gruppen, rechte bzw. linke Seite) sind die Zerlegungsergebnisse einer gruppenbezogenen Interpretation und Auswertung besser zugänglich. Die Ergebnisse der gPDC-Tensorzerlegung (Tensor 3. Ordnung) lassen den Schluss zu, dass die Konnektivitätsstruktur bereits 10–15 s vor dem Anfall verändert ist. Zusätzlich lassen sich bei gleicher Lateralisierung (S) zwei Anfallsphasen (T) unterscheiden (zwei Komponenten), die die gleichen S-F-Signaturen aufweisen. Die erste Phase erstreckt sich von 10 s vor bis 20 s nach dem Anfall und die zweite erstreckt sich von 20–50 s nach dem Anfall. Das klinische Anfallsgeschehen dauert aber länger als 50 s an. Die Zerlegung des Kohärenztensors zeigt eine deutliche Synchronisation zwischen HRV (0,08–0,12 Hz) und der Hüllkurve des Delta-Bandes (1,5–4 Hz) vor (150 s) und nach dem Anfall (>120 s). Die Effekte in der präiktalen Phase sind für die „rechts“-Untergruppe stärker und zeigen eine Lateralisierung zur Fokusseite.

Diskussion: Die Ergebnisse dieser methodischen Studie zeigen, dass eine Tensorzerlegung der Ergebnisse der zeitvarianten Konnektivitätsanalyse zu „kompakten“ sehr gut interpretierbaren Resultaten führt. Diese Strategie muss jedoch weiter ausgebaut werden. So muss eine Methode gewählt werden, die eine Objektivierung der Wahl der Anzahl der Komponenten für die gPDC-Tensorzerlegung ermöglicht. Weiterhin wird die Detektion von zeitlich abgrenzbaren Konnektivitätszuständen nur durch eine nachfolgende Klassifikation der Zerlegungsergebnisse (z.B. Clusterung) erreicht werden können. Ergänzend zur Zerlegung des gPDC-Tensors sollte die Zerlegung des MWT-Tensors vorgenommen werden, da die gPDC-Analyse eine schlechtere und nur in Grenzen steuerbare Zeit-Frequenzauflösung aufweist. Die MWT besitzt eine frequenzabhängige Zeit-Frequenzauflösung, die über die Wahl des Mutter-Wavelets gut steuerbar ist.

Die Ergebnisse der gPDC-Tensorzerlegung zeigen, dass vor dem Anfall eine Systematik der Konnektivitätsänderung feststellbar ist. Diese Veränderungen lassen sich aber nicht mittels statistisch signifikanter gPDC-Werte quantifizieren. Hierfür sind neue Verfahren der Quantifizierung der Netzwerktopographie notwendig. Die Synchronisationseffekte zwischen der tieffrequenten HRV-Komponente und der Hüllkurve der Delta-EEG-Aktivität weit vor dem Anfall zeigen, dass sich auch die Kopplung zwischen dem vegetativen und dem zentralen Nervensystem präiktal ändert. Die Dynamik dieser Kopplung kann mit den S-T-F-Signaturen der Komponenten der Tensorzerlegung „herausgearbeitet“ werden.


Literatur

1.
Milde T, Leistritz L, Astolfi L, Miltner WHR, Weiss T, Babiloni F, et al. A new Kalman filter approach for the estimation of high-dimensional time-variant multivariate AR models and its application in analysis of laser-evoked brain potentials. Neuroimage. 2010 Apr 15;50:960-9.
2.
Morup M, Hansen LK, Herrmann CS, Parnas J, Arnfred SM. Parallel Factor Analysis as an exploratory tool for wavelet transformed event-related EEG. Neuroimage. 2006 Feb 1;29:938-47.
3.
Piper D, Schiecke K, Leistritz L, Pester B, Benninger F, Feucht M, et al. A processing strategy to detect synchronization between heart rate variability and EEG activity before, during and after epileptic seizure. Biomedical Engineering/BMT. Forthcoming 2014.