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GMDS 2014: 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e. V. (GMDS)

Deutsche Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie

07. - 10.09.2014, Göttingen

Soziale Netze zur Bewältigung von Krankheiten: Mobiles Facebook Gestationsdiabetes (mfg)

Meeting Abstract

  • M. Predeschly - Hochschule Ulm, Ulm
  • M. Schwarzkopf - Hochschule Ulm, Ulm
  • H. Rempfer - Hochschule Ulm, Ulm
  • B. Böhm - Nanyang Technological University, Singapur
  • S. Claudi-Böhm - Praxis Dr. S. Claudi-Böhm, Ulm
  • F. Reister - Universitätsklinikum Ulm, Ulm
  • E. Bauer - Universitätsklinikum Ulm, Ulm
  • J. Bernauer - Hochschule Ulm, Ulm

GMDS 2014. 59. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Medizinische Informatik, Biometrie und Epidemiologie e.V. (GMDS). Göttingen, 07.-10.09.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. DocAbstr. 108

doi: 10.3205/14gmds022, urn:nbn:de:0183-14gmds0222

Veröffentlicht: 4. September 2014

© 2014 Predeschly et al.
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Gliederung

Text

Einleitung und Fragestellung: Soziale Netze und in besonderem der Marktführer Facebook werden tagtäglich von vielen Millionen Menschen genutzt (in Deutschland ca. 26 Millionen). Im Projekt mfg (mobiles Facebook Gestationsdiabetes) soll untersucht werden, inwieweit soziale Netze bei der Bewältigung von Schwangerschaftsdiabetes unterstützen können. Die Diagnose Schwangerschaftsdiabetes betrifft 3-5% aller Schwangerschaften. Sie erfolgt unerwartet, zusätzlich zum ungewohnten Zustand der Schwangerschaft. Daraus resultiert ein hoher Informationsbedarf, welcher durch die potentielle Bedrohung für Patientin und Kind begründet ist. Viele Frauen sind dadurch überfordert, obwohl meist eine Umstellung der Ernährung, gesteigerte körperliche Aktivität und eventuell Insulin schon ausreichen, um der Krankheit wirksam zu begegnen. Die betroffenen Patientinnen sind meist jung, nutzen im Alltag Facebook und verfügen über ein Smartphone.

Die Unterstützung der Krankheitsbewältigung durch soziale Netzwerke, mittels Online-Intervention, wurde bereits mehrfach realisiert und untersucht [1], [2], [3]. Dabei liegt die Hauptwirkung in sozialer Unterstützung durch Kommentare und Ratschläge, die zu einer Linderung der Krankheit führen können [4], [3]. Ein weiterer Ansatz für das Selbstmanagement von Krankheit ist das Selbstmonitoring [2].

Dies wird durch ein Tagebuch, mit graphischer Aufbereitung der Daten, adressiert. Außerdem wurde beobachtet, dass soziale Unterstützung am besten in kleineren Gruppen funktioniert. Deshalb werden in mfg maximal 10 Freunde zur Unterstützung einer Patientin zugelassen.

Durch diese kleine Gruppe und die durch mfg erfolgenden Benachrichtigungen steht die Patientin im Mittelpunkt des Systems. Sie ist angehalten, Inhalte einzustellen und über ihren Zustand zu informieren. Dass diese Art von Interaktion zur Krankheitsbewältigung beitragen kann, wurde bereits bei einer Untersuchung japanischer Brustkrebs-Online Communities gezeigt [3]. Hier wurde festgestellt, dass die aktiv Beitragenden mehr von der Plattform profitieren, als Nutzer, welche nur konsumieren.

In mfg werden nicht nur Vitalparameter erfasst, sondern es erfolgen aufgrund der eingetragenen Werte, automatisiert Hinweise und Ratschläge. Die Benachrichtigung erfolgt dabei über Facebook in einer ausgewählten Untergruppe von Facebook-„Freunden“, der Patientin. Vorteil von Facebook ist hierbei die meist tägliche Präsenz der Freunde.

Ziel des mfg-Projekts war es, ein System mit folgenden Eigenschaften zu implementieren: Daten sollten mobil erfasst und visualisiert werden, Benachrichtigungen über Krankheitsverlauf und Hinweise zur Verbesserung kontextbezogen erfolgen. All dies sollte datenschutzkonform mit Facebook als Austauschplattform möglich gemacht werden.

Mit dem mfg-System sollten folgende Fragestellungen untersucht werden:

  • Welche Auswirkungen hat die Unterstützung der Patientin durch Kommunikation über Facebook?
  • Wie verhalten sich die Beteiligten bei der Erfassung von Patientendaten?
  • Wie werden bereitgestellte Lernmaterialien genutzt, um sich über die Krankheit zu informieren?

Material und Methoden: Das mfg-System besteht aus folgenden Komponenten:

1.
Datenerfassung: Es können von der Patientin verschiedene Vital-Parameter wie Blutzucker, Körpergewicht, Aktivität, Stimmung und Anzahl gerauchter Zigaretten in einem online-Tagebuch erfasst werden. Daten, deren Veröffentlichung möglichweise unangenehm ist, wie Körpergewicht und Rauchverhalten, können für die Freunde ausgeblendet werden.
2.
Belohnungen: Rezepte und lustige YouTube-Videos, sollen animieren, die Daten regelmäßig zu erfassen. Diese Belohnungen werden jeweils verfügbar, wenn eine gewisse Anzahl an Daten erfasst wurde.
3.
Graphische Aufbereitung: Daten können in graphischer Form der Patientin und ihren Freunden angezeigt werden. Beim Gewicht erfolgt dies beispielsweise in individualisierten Normgrenzen, abhängig vom BMI.
4.
Benachrichtigungssystem: In Facebook erfolgen Benachrichtigungen wenn sich Werte außerhalb (Warnung) oder längere Zeit innerhalb (Lob) der Normwerte befinden.
5.
Lerninhalte: Es werden Informationen zu gesunder Ernährung und Aufklärung über die Auswirkungen der Krankheit auf Schwangerschaft bzw. Kind geboten.
Alle Lerninhalte erscheinen sowohl im mfg-System, sowie in einer der Patientin zugeordneten Facebook-Gruppe, in welcher kommentiert und diskutiert werden kann.
6.
Push-Benachrichtigung: Über die offizielle Facebook-Applikation für Smartphones erfolgen Push-Benachrichtigungen über neue Inhalte, was schnelle und direkte Interaktion ermöglicht.
7.
Event-Condition-Action-Regel: Sie ermöglichen eine kontextabhängige Ereignissteuerung, welche Lerninhalte und Benachrichtigungen auslöst.
8.
Schnittstelle zu Facebook: Über die Facebook-API können die Studiendaten in maschinenlesbarer Form exportiert werden.

Nach Abschluss der Studie werden alle Daten der Facebook-Gruppe ausgelesen, anonymisiert und ausgewertet. Die einzelnen Beiträge bei Facebook werden dabei nach Beitragstypen klassifiziert und quantifiziert. Hierdurch lässt sich die Art der Unterstützung vergleichen.

Ebenso wird die Häufigkeit der Interaktion, wann und wie schnell diese erfolgte, beobachtet. Dies liefert Rückschlüsse über Akzeptanz und Effektivität des Systems. Darüber hinaus soll die Einschätzung des Systems durch die Patientinnen anhand von Fragebögen untersucht werden.

Ergebnisse: Das mfg-System wurde unter Berücksichtigung aller Anmerkungen durch Datenschutzbeauftragten und Ethikkommision als mobile Web-Anwendung implementiert.

Insgesamt wurden 51 Tipps in 5 Kategorien erstellt, sowie Erfahrungsberichte, weiterführende Links und Buchtipps bereitgestellt, welche der Patientin während der Studienteilnahme kontextabhängig angezeigt werden.

Über Event-Condition-Action-Regeln erfolgen Benachrichtigungen, wenn z.B. der Blutzuckerspiegel mehrmals über den erlaubten Werten liegt. Insgesamt wurden 42 verschiedene Events als mögliche Auslöser definiert, welche untereinander aber auch mit Zeitbedingungen kombiniert werden können.

Ein positives Ethikvotum der Universität Ulm liegt vor. Die Studie erfolgt im ersten Schritt als Machbarkeitsstudie mit 10 Patientinnen.

Diskussion: Facebook wurde ausgewählt, da angenommen werden kann, dass sowohl Patientinnen als auch deren Bezugspersonen mit dem System vertraut sind. Somit entstehen keine zusätzlichen Hürden durch die Einarbeitung in ein neues System. Die Anmeldung in einem separaten System wurde in anderen Studien als Problem identifiziert [1]. Außerdem bietet Facebook ein Unterstützungssystem in ein bestehendes soziales Netz, in welchem die sozialen Beziehungen der Betroffenen bereits verankert sind [4].

Um die Daten der Patientin innerhalb von Facebook zu schützen, sind Benachrichtigungen und Lerninhalte so gehalten, dass sie keine Rückschlüsse auf den Verlauf der Schwangerschaft zulassen. Alle generierten Informationen sind allein auf dem Server der Hochschule Ulm hinterlegt und können somit nicht von Facebook genutzt werden. Diese präsentierten Informationen dienen zur Aufklärung und Unterstützung der Patientin und deren Freunde.

Weitere Datenschutzaspekte, welche sich durch Nutzung eines sozialen Netzwerkes wie Facebook ergeben, wurden im Rahmen einer Technikfolgeabschätzung in Zusammenarbeit mit dem Datenschutzbeauftragten der Hochschule Ulm, detailliert beschrieben [5].

Es wird sich zeigen, inwieweit die Patientinnen und deren Freunde das täglich frequentierte Netzwerk Facebook auch für andere Anwendungen als den freundschaftlichen Austausch nutzen. Gerade durch die tägliche Anwesenheit im sozialen Netz, sowie der Unterstützung durch die mobilen Anwendungen und die damit einhergehende stetige Präsenz im Alltag ist zu erwarten, dass die Nutzerinteraktionen höher sein werden als in bisherigen Systemen.

Es wird interessant sein, zu beobachten, auf welche Weise sich die Interaktion mit der Patientin verändert, welche Angebote durch die Freunde erfolgen, und wie sich dies im Laufe der Schwangerschaft entwickelt.


Literatur

1.
Nordfeldt S, Hanberger L, Berterö C. Patient and Parent Viewson a Web 2.0 Diabetes Portalthe Management Tool, the Generator, and the Gatekeeper: Qualitative Study. J Med Internet Res. 2010;05.
2.
Lehto T, Oinas-Kukkonen H. Persuasive Features in Web-Based Alcohol and Smoking Interventions: A Systematic Review of the Literature. J Med Internet Res. 2011; 07.
3.
Setoyama Y, Yamazaki Y, Namayama K. Benefits of Peer Support in Online Japanese Breast Cancer Communities: Differences Between Lurkers and Posters. J Med Internet Res. 2011; 12.
4.
Poirier J, Cobb NK. Social Influence as a Driver of Engagement in a Web-Based Health Intervention. J Med Internet Res. 2012; 02.
5.
Predeschly M, Schäffter M. Datenschutzaspekte des Projektes mfg. http://mfgstudie.de/wp-content/uploads/2014/02/Technikfolgeabsch%C3%A4tzung.pdf Externer Link