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Prävention zwischen Evidenz und Eminenz
15. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin

Deutsches Netzwerk Evidenzbasierte Medizin e. V.

13.03. - 15.03.2014, Halle (Saale)

Der Zwang zum Erfolg? Successful Aging als präventionistische Umstellung von einer Gefährdung des Körpers durch Gefahren auf Krankheitsrisiken im Alter

Meeting Abstract

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Prävention zwischen Evidenz und Eminenz. 15. Jahrestagung des Deutschen Netzwerks Evidenzbasierte Medizin. Halle, 13.-15.03.2014. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2014. Doc14ebmP10b

doi: 10.3205/14ebm112, urn:nbn:de:0183-14ebm1127

Veröffentlicht: 10. März 2014

© 2014 Zimmermann.
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Gliederung

Text

Successful Aging kann im Sinne von Rowe und Kahn beschrieben werden als der Versuch eines neuen Anfangs, für den es nie zu spät ist. Krankheit ist vor allem was die Zivilisationskrankheiten betrifft zu einem kalkulierbaren Risiko geworden, dessen Eintreten statt göttlichem Willen oder Schicksalhaftigkeit immer deutlicher einem vorhergehenden Risikoverhalten zugeschrieben werden kann. Krankheitsereignisse im Lebenslauf werden somit immer weniger als Gefahr aus menschlicher Natur (dies gilt immer noch trotz des Einflusses der Genetik und ihrer prädiktorischen Zuschreibung von Gefahren aufgrund der genetischen Disposition) denn als Risiko gedeutet (Luhmann), vor allem wenn die Lebensführung als Varianz aufklärende Variabel verstanden wird. Dass die Möglichkeit der Konversion inzwischen vor Altersgrenzen nicht halt macht, ist einer Präventionsbewegung zu verdanken, die glaubt nachweisen zu können, dass auch die Veränderung der Lebensführung mit 70 Jahren noch darüber direkten Einfluss nehmen kann, ob die Räder mit denen man sich mit 85 Jahren bewegt, einem Fahrrad oder einem Rollstuhl gehören.

Die Intention des Beitrags ist es nicht, den Grundgedanken des „Successful Aging“ zu diskreditieren. An Studienergebnisse verschiedener kontrollierter Präventionsstudien aus de Bereich Diabetes wird verdeutlicht, dass die Eröffnung von Handlungsalternativen z.B. durch Wechsel des Lebensstils auf dem Weg zum Alter oder im Alter nicht nur häufig durch Erfolglosigkeit gekennzeichnet ist, sondern zusätzlich seltener einen Entscheidungsspielraum darstellt als vielmehr zu immer rigideren Handlungsanweisungen zu werden droht. Monokausale Erklärungsmuster finden sich bereits als Empirie in offiziellen Texten der betreffenden Ministerien vor, wenn es darum geht, drohende Krankheitslast durch die Zahl der immer älter werdenden Menschen zu bewältigen. Lebensführung als Erklärung nimmt dabei nicht nur die Betroffenen in die Verantwortung, sondern negiert dabei auch die Erkenntnisse systemischer Krankheitsmodelle. Somit ist die „neue“ Verantwortlichkeit nicht nur immer individuell, sondern auch individuenzentriert. Erfolg ist dann das Gelingen der einzelnen, sich fit und aktiv zu (er)halten oder mit den Erwartungen an chronischen Erkrankungen wie Diabetes zu copen, Misserfolg stattdessen ein individuelles Versagen, das durch die Solidargemeinschaft aufgefangen werden muss. Findet sich hier bereits der Horizont der Rationierung von Gesundheitsleistungen nach Bodymassindex und Haarprobe, in der am Ende die Gebrechlichkeit die Folge eines individuellen Fehlverhaltens ist?