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Wie regionale Initiativen den Versorgungsmangel im ländlichen Raum überwinden können – Ergebnisse einer Multi-Case Interviewstudie mit Gesundheitsnetzen in Deutschland
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Veröffentlicht: | 10. September 2024 |
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Hintergrund: In der stark alternden deutschen Gesellschaft steigt der Bedarf medizinischer Leistungen bei gleichzeitig zunehmendem Mangel medizinischen und pflegerischen Fachpersonals. 35 Prozent der Hausärzte und 25 Prozent der Fachärzte werden bis 2030 in den Ruhestand gehen [1]. Es zeichnet sich ein Defizit von 180.000 Pflegefachkräften ab [2]. Der Mangel, den wir in einigen Regionen heute schon beklagen, steht uns deutschlandweit noch bevor. Zur Sicherung der Gesundheitsversorgung in strukturschwachen Regionen mit stark gealterter Bevölkerung wird durch den Aufbau regionaler Gesundheitsnetze versucht, die Kooperation und Koordination der verfügbaren Akteure im Gesundheitswesen und die Aktivierung regional verfügbarer Ressourcen in Medizin, Pflege und Prävention zu stärken.
Zielsetzung: Welche Faktoren unterstützen oder hemmen die erfolgreiche Entwicklung und Implementierung regionaler Gesundheitsnetze?
Methode: Es wurde eine Multi-Case Studie durchgeführt, die sieben exemplarisch ausgewählte Gesundheitsnetze unterschiedlicher Entwicklungsreife in Deutschland umfasst. Dazu wurden Tiefeninterviews mit den Netzvorständen geführt. Der strukturierte Interviewleitfaden umfasste Fragen zur Gründungsmotivation, Finanzierung, zu Erfolgsfaktoren und Barrieren, zum Betrieb und zu erfolgreichen Netzwerkelementen. Die Befragungen wurden um Literaturrecherchen ergänzt.
Ergebnisse: Gesundheitsnetze können die medizinische Versorgung in strukturschwachen Regionen sichern. Besonders erfolgreich sind sie, wenn sie die Koordination einer Managementgesellschaft übertragen, mit nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen arbeitsteilig kooperieren und über eine reibungslose digitale Infrastruktur verfügen. Bei den bestehenden rechtlichen und finanziellen Hürden verdanken sich Netzwerke meist dem großen persönlichen Engagement ihrer Gründer und drohen, ohne dieses auszulaufen. Fehlende tragfähige Refinanzierungsperspektiven sowohl für Kernaufgaben als auch für Querschnittsfunktionen und Infrastrukturinvestitionen eines Gesundheitsnetzes behindern seine Weiterentwicklung. Der Übergang von einer initialen Projektfinanzierung in eine regelfinanzierte Betriebsstruktur erweist sich als besonders herausfordernd. Darüber hinaus können menschliche Faktoren wie Vorurteile und Misstrauen bei den Netzwerkakteuren und potenziellen Partnern in der Region zu Widerständen, fehlender Beteiligung und letztlich mangelnder Kooperation im und mit dem Netzwerk führen.
Implikation für Forschung und/oder (Versorgungs-)Praxis: Die Ergebnisse bilden Lessons Learned der Entwicklung und Implementierung der untersuchten Gesundheitsnetze ab. Sie können regionalen Entscheidungsträgern als Handlungsoptionen zur Sicherung der Gesundheitsversorgung und -förderung vor Ort dienen. Weitere Forschung sollte die überregionale Übertragbarkeit erfolgreicher Gesundheitsnetze und ihrer Implementierungsprozesse untersuchen. Es zeigt sich, dass Gesundheitsnetze Versorgungslücken auf dem Land dauerhaft nur schließen können, wenn die lokalen Gesundheitsberufe entsprechende rechtliche und finanzielle Spielräume bekommen.
Literatur
- 1.
- KBV. Niedergelassene Ärztinnen und Ärzte werden immer älter. 2023. Verfügbar unter: https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16397.php
- 2.
- KBV. Regionale Verteilung der Ärztinnen und Ärzte in der vertragsärztlichen Versorgung. 2023. Verfügbar unter: https://gesundheitsdaten.kbv.de/cms/html/16402.php