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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Herausforderungen bei der Rekrutierung von Patient:innen und Angehörigen in der spezialisierten Palliativversorgung – Erfahrungen aus zwei multizentrischen Studien

Meeting Abstract

  • Anneke Ullrich - Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Holger Schulz - Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Corinna Bergelt - Institut und Poliklinik für Medizinische Psychologie, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland; Institut für Medizinische Psychologie, Universität Greifswald, Greifswald, Deutschland
  • Gabriella Marx - Klinik für Palliativmedizin, Universitätsmedizin Göttingen, Göttingen, Deutschland; Institut und Poliklinik für Allgemeinmedizin, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Carsten Bokemeyer - Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland
  • Karin Oechsle - Palliativmedizin, II. Medizinische Klinik und Poliklinik, Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf, Hamburg, Deutschland

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf559

doi: 10.3205/23dkvf559, urn:nbn:de:0183-23dkvf5593

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

© 2023 Ullrich et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Für eine evidenzbasierte Verbesserung der Palliativversorgung von schwerkranken Patient:innen und deren Angehörigen sind Studien unverzichtbar. Die Rekrutierung birgt jedoch spezifische Herausforderungen: die Natur einer fortgeschrittenen Erkrankung, ethische Bedenken, aber auch die Forschungsinfrastruktur und -erfahrung von Palliativversorgern. Vielen Studien gelingt es bisher nicht, die für die Studienziele notwendigen Stichprobengrößen zu erreichen.

Zielsetzung: Analyse kritischer Punkte in der Rekrutierung am Beispiel von zwei palliativmedizinischen Studien.

Methode: Für zwei multizentrische Beobachtungsstudien wurden erwachsene Patient:innen (Akronym: SAUSPV) bzw. erwachsene primäre Angehörige (Akronym: PalliANG) innerhalb von 72 Std. nach Erstaufnahme in die spezialisierte Palliativversorgung (SPV) konsekutiv rekrutiert. Die Rekrutierung erfolgte durch die Versorgungsteams selbst (SAUSPV) bzw. durch versorgungsexterne Forschende (PalliANG) und wurde systematisch dokumentiert. Die Rekrutierung wurde an drei kritischen Punkten im Forschungsprozess untersucht:

1.
Erfüllung der Einschlusskriterien?
2.
Erreichbarkeit für die Studienaufklärung?
3.
Einwilligung in die Teilnahme?

Ergebnisse: In SAUSPV wurden innerhalb von 12 Monaten 1.713 Patient:innen in 6 Einrichtungen aufgenommen. Davon wurden 912 (53%) als nicht geeignet identifiziert, meist aufgrund von Defiziten in Kognition/Vigilanz (481/912) und bei begonnener Sterbephase (188/912). Das Kriterium der Erreichbarkeit in ≤72 Std. erfüllten 78/801 (10%) nicht. Von 723 angesprochenen Patient:innen lehnten 280 (39%) eine Studienteilnahme ab. Insgesamt nahmen 26% (443/1713) der geprüften Patient:innen teil. In der ambulanten vs. stationären SPV fanden sich signifikante Unterschiede in den Rekrutierungsmustern, z.B. wurden mehr stationäre Patient:innen bei begonnener Sterbephase ausgeschlossen bzw. waren nicht in ≤72 Std. erreichbar. In PalliANG wurden in 12 Monaten 660 Angehörige onkologischer Patient:innen in 2 Einrichtungen der stationären SPV identifiziert: 101 (15%) Angehörige wurden aufgrund patientenbezogener Kriterien ausgeschlossen, am häufigsten bei begonnener Sterbephase (85/101), und 43 (7%) aufgrund angehörigenbezogener Kriterien, z.B. bei fehlenden Sprachkenntnissen (16/43). Trotz mind. 3 Kontaktversuchen waren 78/516 (15%) Angehörige nicht in ≤72 Std. erreichbar. Von 483 verbliebenen Angehörigen lehnten 151 (31%) eine Studienteilnahme ab, überwiegend aufgrund psychischer Überlastung (89/151). Insgesamt nahmen 43% (287/660) der geprüften Angehörigen teil.

Diskussion: Die systematischen Analysen ermöglichen wertvolle Einblicke, warum Patient:innen und Angehörige nicht in palliativmedizinische Studien rekrutiert werden können. Eine hoher Anteil von Patient:innen mit reduzierter Kognition/Vigilanz und ein rasches Versterben nach Aufnahme in die SPV sowie Ablehnungsraten von >30% in der hoch belasteten Situation stellen relevante Hürden dar.

Implikation für die Forschung: Die verschiedenen Rekrutierungshürden in Patient:innen- vs. Angehörigenstudien sowie in der ambulanten vs. stationären SPV sollten bei der Studienplanung beachtet werden.

Förderung: Einzelförderung (BMG, DRV, BMBF, DFG, etc); Deutsche Krebshilfe e.V. (SAUSPV): 70112144; Hamburger Krebsgesellschaft e.V. (PalliANG): not assigned