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22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

04.10. - 06.10.2023, Berlin

Forschungs- versus Behördenrealität: Barrieren im Vorfeld der Implementierung neuer Versorgungsformen während des Projektlaufzeit

Meeting Abstract

  • Tim Ohnhäuser - Universität zu Köln/Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR)
  • Isabella Schwab - Universität zu Köln/Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR)
  • Till Dresbach - Universitätsklinikum Bonn, Neonatologie
  • Nadine Scholten - Universität zu Köln/Uniklinik Köln, Institut für Medizinsoziologie, Versorgungsforschung und Rehabilitationswissenschaft (IMVR)

22. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2023. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2023. Doc23dkvf238

doi: 10.3205/23dkvf238, urn:nbn:de:0183-23dkvf2388

Veröffentlicht: 2. Oktober 2023

© 2023 Ohnhäuser et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand der Forschung: Projekte mit dem Ziel der Implementierung einer neuen Versorgungsform stoßen auf Herausforderungen, die sich von den Barrieren etablierter Forschungsdesigns unterscheiden. So werden innovative Interventionen in bestehende Versorgungsstrukturen eingeführt – ob methodisch-inhaltlicher oder eher technischer Natur –, deren Einsatz zuvor wenige bis keine Beispiele im Versorgungsalltag kennen. Dies kann zu Problemen auf organisationaler Ebene führen, insbesondere wenn die Implementierung eines innovativen Konzeptes auf behördliche Genehmigungen angewiesen ist.

Fragestellung und Zielsetzung, Hypothese: Aus einem laufenden Innovationsfondsprojektes heraus sollen solche Herausforderungen an einem Erfahrungsbeispiel näher aufgezeigt und zugleich die gewählten Lösungswege vorgestellt werden.

Methode: Vor dem Einsatz von Humanmilchbanken in 15 Kliniken – als ein Teil der Intervention zur besseren Versorgung von Frühgeborenen mit Muttermilch oder Spenderinnenmilch – wurden umfangreiche Vorarbeiten durchgeführt. Neben einem juristischen Gutachten wurde ein hygienisch-infektiologischer Standard für den Betrieb der Humanmilchbanken erstellt. Zuvor war die internationale Studienlage und somit der aktuelle Stand zum Thema von medizinischen Expert*innen zusammengetragen worden. So ausgerüstet, sollen die Kliniken zusammen mit einem angepassten HACCP-Konzept standardisiert zur Sammlung und Abgabe von Humanmilch befähigt werden.

Ergebnisse: Da Humanmilch rechtlich als Lebensmittel einzuordnen ist, ist für jeden abgebenden Betrieb die Lebensmittelüberwachung auf Landesebene zuständig. Die oberste Überwachungs-behörde eines Bundeslandes hatte bestimmte Praktiken der Milchabgabe ausgeschlossen sowie eigene Grenzwerte gefordert. Beide Anforderungen bildeten zwar die gängige Behördenpraxis ab, widersprachen jedoch den aktuellsten Forschungserkenntnissen. Da behördenseitig kein Interesse an einer Berücksichtigung dieser Ergebnisse erkennbar war, schienen zwischenzeitlich Projektverlauf und Projektziele gefährdet. Erst durch die Einbindung des übergeordneten sowie eines weiteren Ministeriums gelang es im Rahmen eines Runden Tisches, die Interessen in Einklang zu bringen.

Diskussion: Die föderale Zuständigkeit in diesem Beispiel trägt mit Blick auf die Forschungskooperation gewisse Risiken einer – in der Wahrnehmung – willkürlichen Handhabung. Dabei wäre bloße Kritik an vermeintlich innovationsfeindlichen Behörden zu eindimensional. Vielmehr muss auch Forschenden bewusst sein, dass neueste Erkenntnisse nicht per se Einzug in Verwaltungshandeln finden, sondern neuartige Implementierungen nur im konstruktiven Austausch gelingen können.

Implikation für die Versorgung: Dass wissenschaftlich eindeutige, evidenzbasierte Handlungsanleitungen sich nicht ohne Weiteres in Verwaltungshandeln niederschlagen, muss bedacht werden – insbesondere, wenn vor dem Einsatz einer neuen Versorgungsform eine behördliche Begleitung oder Genehmigung erforderlich ist.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; 01NVF19027