Artikel
Krankenhäuser als „primäre Weichensteller“ bei Arzneimittelverordnungen – qualitative Studie zum Verordnungsverhalten von bayerischen Hausärzt*innen an der Schnittstelle stationär-ambulant vor dem Hintergrund der Bayerischen Wirkstoffvereinbarung
Suche in Medline nach
Autoren
Veröffentlicht: | 30. September 2022 |
---|
Gliederung
Text
Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns hat 2014 als Ersatz zur Richtgrößenprüfung die Wirkstoffvereinbarung (WSV) eingeführt. Diese soll Arzneimittelausgaben im Rahmen des Wirtschaftlichkeitsgebots (§12 SGB V) transparent steuern. Das Projekt WirtMed – die Verordnung von Arzneimitteln: Prüfung und Steuerung von Wirtschaftlichkeit und Qualität gefördert vom Innovationsfonds des Gemeinsamen Bundesausschusses beleuchtet die unterschiedlichen Prüf- und Steuerverfahren von Arzneimittelverordnungen.
Fragestellung und Zielsetzung: Ein Teilprojekt untersucht, welche Erfahrungen bayerische Hausärzt*innen (HÄ) mit der WSV machen. Dabei wurde auch der hausärztliche Umgang mit der Entlassmedikation beleuchtet.
Methode: Im Zeitraum November 2019 bis März 2020 wurden mit HÄ (n=28) Einzelinterviews und Fokusgruppen geführt und qualitativ inhaltsanalytisch nach Mayring ausgewertet.
Ergebnisse: Die HÄ thematisieren den Umgang mit Entlassmedikation oftmals von sich und emotional gefärbt aus, dies hebt die Relevanz des Themas hervor. Die Wirtschaftlichkeit ist nur einer der Gründe, warum Medikamente beibehalten oder umgestellt werden; wichtiger sind oft:
- 1.
- Die patient*innenorientierte Versorgung,
- 2.
- die Berücksichtigung des Arbeitsaufwandes,
- 3.
- die eigenen Annahmen der HÄ.
Mit der Entlassmedikation ergeben sich wirtschaftliche Herausforderungen für die hausärztliche Praxis, besonders mit dem Leitsubstanzziel der oralen Antikoagulation. Es fehlt laut HÄ eine sektorenübergreifende Kostenverantwortung. Die HÄ berichten vereinzelt von einer Vormachtstellung der Klinikärzt*innen, die dem eigenen wirtschaftlichen Handeln entgegensteht. Insgesamt haben die Regresssorgen mit der Einführung der WSV abgenommen. Drei verschiedene Typen von HÄ im Verordnungsverhalten konnten abgeleitet werden: HÄ mit geringen Regresssorgen, HÄ mit größeren Regresssorgen sowie Resignierte. Je nach Typ zeigt sich ein unterschiedlicher Umgang mit der Entlassmedikation.
Diskussion: Die Einführung der WSV wird als positive Veränderung empfunden und Regresssorgen nahmen unter der WSV ab. Die Wirtschaftlichkeit ist für viele nicht der wichtigste Grund in der Entscheidung für und gegen die Fortführung der Entlassmedikation. Ein reibungsloser Schnittstellenübergang ist trotz § 39 Abs. 1a SGB V, § 4 Abs. 2. Rahmenvertrag Entlassmanagement und neuer ambulanter Steuerungssystematik noch nicht vorhanden.
Praktische Implikationen: Die WSV muss regelmäßig an sich verändernde Versorgungsrealitäten angepasst werden.
Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Für eine wirtschaftliche Arzneimittelversorgung bedarf es einer sektorenübergreifenden, aber auch länderübergreifenden politischen Diskussion zur Kostenverantwortung.
Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung