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Physiotherapie bei Schwindel und Gleichgewichtsstörungen: hausärztliche Verordnung und patientenseitige Inanspruchnahme (Ergebnisse aus der Kohortenstudie MobilE-TRA)
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Veröffentlicht: | 30. September 2022 |
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Hintergrund und Stand der Forschung: Schwindel und/oder Gleichgewichtsstörungen (vertigo, dizziness and balance disorders - VDB) zählen zu den häufigsten Beratungsanlässen in der Hausarztpraxis. Es sind komplexe Gesundheitsprobleme, welche die Alltagsaktivität, Teilhabe und Mobilität älterer Patient*innen stark einschränken. Aktuelle Behandlungsansätze umfassen Aufklärung, medikamentöse Therapie und Physiotherapie. Studien zeigen, dass Physiotherapie einen positiven Einfluss auf das Gleichgewicht und das Sturzrisiko bei vielen Patient*innen mit VDB haben kann. Während der Anteil hausärztlicher Physiotherapie-Verordnungen bei Schwindel zwischen 4,4% und 41,3% liegt, existieren für die tatsächliche Inanspruchnahme der Physiotherapie durch Patient*innen mit VDB bisher keine Daten.
Fragestellung: Wie hoch ist der Anteil hausärztlich verordneter Physiotherapie im Rahmen der Behandlung von Patient*innen mit VDB? Wie häufig wird diese von den Patient*innen in Anspruch genommen und liegen dabei patientenseitige Unterschiede vor?
Methode: In der fragebogenbasierten, multizentrischen Kohortenstudie Mobile-TRA wurden, am Beispiel von VDB die Verläufe in der Gesundheitsversorgung, die Determinanten der Inanspruchnahme und die Ergebnisse der Gesundheitsversorgung untersucht. Die Datenerhebung fand von September 2017 bis Oktober 2019 statt. Die Angaben zur Verordnung und Inanspruchnahme von Physiotherapie wurden mittels selbstentwickelter und validierter (bspw. FIMA - Fragebogen zur Inanspruchnahme medizinischer und nicht-medizinischer Versorgungsleistungen im Alter) Fragebögen erhoben. Die Beschreibung der Verordnung sowie Inanspruchnahme von Physiotherapie erfolgte mittels Häufigkeiten. Gruppenunterschiede wurden anhand des Chi-Quadrat-Tests in SPSS Version 28 überprüft.
Ergebnisse: Die Stichprobe umfasst 158 Patient*innen mit neu diagnostizierten VDB zwischen 65 und 94 Jahren aus Bayern und Sachsen. 16% der Patient*innen haben aufgrund ihrer Schwindelproblematik Physiotherapie von der Hausärztin bzw. dem Hausarzt verordnet bekommen. Ein Drittel (32%) dieser Patient*innen hat die verordnete Physiotherapie nicht in Anspruch genommen. Bei der Nicht-Inanspruchnahme durch die Patient*innen zeigte sich ein signifikanter Unterschied (c2 (N = 25) = 5,94; p = 0,030) zwischen den Studienstandorten Sachsen und Bayern, wobei in Bayern die Nicht-Inanspruchnahme höher war.
Diskussion und praktische Implikationen: Als mögliche Ursachen für die regionale Divergenz in der Inanspruchnahme von Physiotherapie bei VDB könnten u.a. die Verfügbarkeit von Physiotherapie in den Regionen (in Bayern etwas niedriger) oder auch Unterschiede in Bezug auf die Wahrnehmung von Physiotherapie vermutet werden. Um mehr über die tatsächlichen Gründe der Nicht-Inanspruchnahme und somit über die Ursache dieser regionalen Divergenz zu erfahren wäre ein qualitatives Vorgehen notwendig. Die dadurch gewonnenen Erkenntnisse, könnte dann Ansatzpunkte liefern, um der Einfluss regionaler Faktoren auf die Inanspruchnahme einer Therapie möglicherweise abzubauen, damit alle Patient*innen gleichermaßen von einer Therapie profitieren können.
Förderung: BMBF-Strukturförderung Versorgungsforschung