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21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

05.10. - 07.10.2022, Potsdam

Prädiktoren der psychosozialen Situation von pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz

Meeting Abstract

  • Emre Özbulut - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Sektion für Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg, Deutschland
  • Alexandra Wuttke-Linnemann - Landeskrankenhaus (AöR), Zentrum für psychische Gesundheit im Alter (ZpGA), Mainz, Deutschland
  • Erik Farin-Glattacker - Universitätsklinikum Freiburg, Institut für Medizinische Biometrie und Statistik, Sektion für Versorgungsforschung und Rehabilitationsforschung (SEVERA), Freiburg, Deutschland

21. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Potsdam, 05.-07.10.2022. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2022. Doc22dkvf166

doi: 10.3205/22dkvf166, urn:nbn:de:0183-22dkvf1664

Veröffentlicht: 30. September 2022

© 2022 Özbulut et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund und Stand (inter)nationaler Forschung: Aufgrund der demographischen Entwicklung ist bis 2050 nahezu eine Verdreifachung der Prävalenz auf 139 Millionen Demenzerkrankte zu erwarten (World Health Organization 2021). Familienangehörige nehmen bei der Versorgung eine zentrale Rolle ein, was mit Auswirkungen auf ihre psychosoziale Situation verbunden ist (Conrad et al. 2018; Zwingman et al. 2019).

Fragestellung und Zielsetzung: Es soll untersucht werden, welches die Determinanten der psychosozialen Situation von pflegenden Angehörigen von Menschen mit Demenz sind.

Methode oder Hypothese: Basierend auf der erhobenen Stichprobe (n=159) werden lineare Regressionsmodellierungen durchgeführt. Die Daten wurden allesamt beim Angehörigen erfragt – die Lebensqualität des Patienten (QOL-AD) ist als Proxy-Einschätzung definiert. Die psychosoziale Situation wurde mit dem Berliner Inventar zur Angehörigenbelastung – Demenz Praxisversion (BIZA-D-PV) gemessen.

Ergebnisse: Mit höherer psychosozialer Belastung des Angehörigen sind assoziiert: geringere Lebensqualität des Patienten (p<0.001), höhere Multimorbidität des Angehörigen (p=0.009), Wohnen in einem Haushalt (p<0.001) und längere Pflegedauer (p=0.050). Bivariat korreliert (r=-0.207), aber in der Regressionsanalyse insignifikant ist das Geschlecht des Angehörigen (p=0.183). Kaum sind assoziiert: stärkere Einbeziehung in die Behandlung, Annahme von Unterstützungsangeboten, vorliegende Hospitalisierung, Geschlecht des Demenzkranken sowie Alter, Erwerbstätigkeit und Schulausbildung des Angehörigen. Insgesamt weist das Modell eine befriedigende Modellgüte auf (R² = 0.38, p<0.001).

Diskussion: Unsere Befunde stehen im Einklang mit jenen aus der Forschung, die negative Einflüsse der Lebensqualität des Patienten, Koresidenz, Pflegedauer sowie gesundheitlichen Einschränkungen des Pflegenden verzeichnen, aber keinen Effekt des Angehörigenalters finden. Die vorherrschende, aber nicht einhellige Annahme, dass männliche Angehörige eine geringere Belastung aufweisen, konnten wir weder verlässlich stützen noch verwerfen. Es scheint lohnenswert, geschlechterspezifische Diskrepanzen weiterhin zu erforschen. Im Gegensatz zu Literaturbefunden konnten wir keine Einflüsse von stationären Aufenthalten, des Involvierungsgrads in die Behandlung oder der schulischen Bildung des Angehörigen beobachten. Zu erwähnen bleibt, dass die relativ geringe Fallzahl insofern eine Limitation darstellt, als dass die Teststärke bei Prädiktoren mit schwächeren Einflüssen eher gering ist.

Praktische Implikationen: Die identifizierten Prädiktoren der psychosozialen Belastung von pflegenden Angehörigen können als Risikofaktoren angesehen werden, die bei der Beurteilung der Angehörigensituation eine erste Einschätzung erlauben und ggf. auf die Notwendigkeit einer vertieften Exploration verweisen.

Appell für die Praxis (Wissenschaft und/oder Versorgung) in einem Satz: Die Forschung und Praxis sollte im Zusammenhang mit Demenz einen noch stärkeren Fokus nicht nur auf die Patienten-, sondern auch auf die Angehörigenversorgung legen, da eine bestmögliche Versorgungsoptimierung nur im Geflecht zu erreichen ist.

Förderung: Innovationsfonds/Versorgungsforschung; Innovationsfond Versorgungsforschung – Innovationsausschuss des Gemeinsamen Bundesausschusses; Förderkennzeichen 01NVF18027