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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Versorgungsprofile der Multiplen Sklerose im vertragsärztlichen Sektor

Meeting Abstract

  • Jakob Holstiege - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Versorgungsatlas, Berlin
  • Annika Steffen - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Versorgungsatlas, Berlin
  • Manas Akmatov - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Versorgungsatlas, Berlin
  • Jörg Bätzing - Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung in der Bundesrepublik Deutschland, Versorgungsatlas, Berlin

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf421

doi: 10.3205/18dkvf421, urn:nbn:de:0183-18dkvf4215

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Holstiege et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die Multiple Sklerose (MS) ist eine immunvermittelte chronisch neurologische Erkrankung die mit einem breiten Spektrum an schwerwiegenden Begleit- und Folgeerkrankungen einhergehen kann. Dazu zählen u. a. kognitive Einschränkungen, gesteigerte psychische und somatische Ermüdbarkeit, Depressionen, Sehstörungen, Hemmung der Mobilität durch Muskelschwäche und Spastiken als auch Störungen der Sexualität und der Blasen- sowie Darmfunktion. Die Notwendigkeit einer intensiven und interdisziplinären Betreuung der Betroffenen resultiert in hohen Anforderungen an eine bedarfsgerechte Ausgestaltung der medizinischen Versorgung.

Fragestellung: Welche erkrankungsspezifischen Inanspruchnahmemuster der medizinischen Versorgung zeigt die MS in Bezug auf diagnostizierte Komorbiditäten und auf zeitliche Trends der Betreuung durch unterschiedliche Fachdisziplinen der ambulanten vertragsärztlichen Leistungserbringung?

Methode: Die Studienpopulation bildeten Patienten mit gesicherter ambulanter MS-Diagnose im Jahr 2015 und mindestens einer weiteren MS-Diagnose in den individuellen drei Folgequartalen (N=223.838). MS-spezifische Komorbiditäten und Inanspruchnahmemuster der vertragsärztlichen Versorgung wurden im Rahmen einer Gegenüberstellung mit nach Alter, Geschlecht und KV-Bereich gematchten Vergleichspatienten (VP) ohne MS-Erkrankung untersucht. Als Kennzahl für die Ermittlung von Gruppenunterschieden wurde die Prävalenz-Ratio (PR) als Quotient aus der Prävalenz bei MS- und bei Vergleichspatienten bestimmt. In einem Subkollektiv (N=140.281) prävalenter MS-Patienten, das bereits im Jahr 2010 die Falldefinition erfüllte, erfolgte die Analyse zeitlicher Veränderungen bei vertragsärztlichen Kontakten über einen Gesamtzeitraum von 6 Jahren (2010-2015). Zeitliche Trends der fachgruppenspezifischen jährlichen Anteile an Patienten mit mindestens einem Kontakt wurden mittels Cochrane-Armitage-Test in einem Zeitfenster von sechs Jahren (2010 bis 2015) untersucht.

Ergebnisse: Insgesamt sieben von 11 gepoolten Fachgruppen wiesen im Jahr 2015 eine statistisch signifikant erhöhte Wahrscheinlichkeit von über 10 % für die Inanspruchnahme in mindestens einem Quartal durch MS-Patienten gegenüber Vergleichspatienten auf. Mit einem mehr als 6-fach höheren Anteilswert fanden sich die deutlichsten relativen Unterschiede in der Neurologie (einschließlich Nervenärzten, MS: 73 % vs. VP: 12 %) gefolgt von der Urologie (20 % vs. 8 %) und psychiatrisch oder psychotherapeutisch tätigen Leistungserbringern (13 % vs. 7 %). Die jährlichen Anteilswerte unter MS-Patienten mit mindestens einem ärztlichen Kontakt blieben über den 6-jährigen Untersuchungszeitraum in Bezug auf die überwiegende Mehrheit der Arztgruppen weitgehend stabil, wobei die Werte für Urologen (+21%, p < 0,0001) und fachärztlich-internistisch tätige Mediziner (+10 %, p < 0,0001) im Zeitverlauf die deutlichsten Zunahmen zeigten. MS-Patienten wiesen gegenüber Vergleichspatienten insbesondere erhöhte Wahrscheinlichkeiten für Lähmungen der Extremitäten (ICD: G82, PR: 48,91; 99%-Konfidenzintervall (KI): 44,19-54,14), für Erkrankungen der Harnblase (u. a. neuromuskuläre Dysfunktionen (ICD: N31) PR: 17,44; KI: 16,35-18,61) und für psychische Erkrankungen (u. a. Depressionen (F32) PR: 1,74; KI: 1,71-1,76) auf.

Diskussion: Dies ist die erste Studie in Deutschland zur ambulanten Versorgung von MS-Patienten unter Berücksichtigung der diagnostizierten Komorbiditäten, der beteiligten Arztgruppen und zeitlicher Veränderungen der Inanspruchnahmehäufigkeiten vertragsärztlicher Leistungen. Das hier beobachtete differenzierte und im Zeitverlauf weitgehend stabile Inanspruchnahmeprofil von MS-Erkrankten veranschaulicht einen dauerhaft erhöhten erkrankungstypischen multidisziplinären Versorgungsbedarf im vertragsärztlichen Sektor.

Praktische Implikationen: MS ist grundsätzlich durch einen hohen inter- bzw. multidisziplinären Versorgungsbedarf charakterisiert. Aktuelle Zahlen zu Intensität und Diversität der Inanspruchnahme der ambulanten Versorgung durch MS-Patienten und diesbezügliche Veränderungen im Zeit¬verlauf, können eine wichtige Grundlage für die informierte und bedarfsgerechte Ausgestaltung der kostenintensiven medizinischen Versorgung der Betroffenen spielen.