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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Fallen rettungsdienstliche Hilfeleistungen vornehmlich außerhalb der gewöhnlichen Praxisöffnungszeiten der Hausärzte an?

Meeting Abstract

  • Marc S. Schehadat - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Frankfurt/Main
  • Guido Scherer - Kreisverwaltung Mainz-Bingen, Ingelheim am Rhein
  • David A. Groneberg - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Frankfurt/Main
  • Michael H.K. Bendels - Goethe-Universität Frankfurt am Main, Institut für Arbeits-, Sozial- und Umweltmedizin, Frankfurt/Main

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf417

doi: 10.3205/18dkvf417, urn:nbn:de:0183-18dkvf4172

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Schehadat et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Die seit einigen Jahren steigenden Einsatzzahlen des Rettungsdienstes (RD) führen zur Zunahme an nicht-transportpflichtigen Hilfeleistungen (HL). Ursächlich für die erhöhte Nachfrage scheint die Anspruchshaltung und demographische Entwicklung der Bevölkerung zu sein. Diese Entwicklung stellt den RD vor massive Herausforderungen in der Erbringung ihrer primären Aufgabe. Die HL stellen überwiegend fehlinduzierte Anforderungen von Rettungswagen (RTW) dar; diese Einsätze, die nur zu einer Behandlung und nicht zu einem Patiententransport führen, könnten besser gelenkt werden. Diese Arbeit soll aufzeigen, dass die Ressourcen der Notfallrettung abseits der Praxisöffnungszeiten zweckentfremdet werden.

Fragestellung: Im Rahmen einer medizinischen Dissertation wurde die Fragestellung untersucht, ob HL vornehmlich außerhalb der Praxisöffnungszeiten niedergelassener Ärzte im Einzugsgebiet der Integrierten Leitstelle Bad Kreuznach von 2007 bis 2016 angefallen sind.

Methoden: Es wurden N1=112.896 Einsätze des RD, die nicht zu einer Patientenbeförderung geführt haben, aus dem Einzugsgebiet der Integrierten Leitstelle Bad Kreuznach für den Zeitraum von 2007 bis 2016 retrospektiv ausgewertet. Die Datenerfassung erfolgte im Echtbetrieb durch Leitstellendisponenten mithilfe des Einsatzleitsystems Cobra 3 der Firma ISE GmbH. Die Erhebung der Einsätze wurde mithilfe einer SQL-Suchanfrage durchgeführt. Das Abfrageprotokoll wurde nach Parametern festgelegt, die sich an der Einsatzbearbeitungsmaske orientiert hat. Daraufhin wurden die Einsätze kategorisiert. Einsätze mit Transportanlass eines Krankenwagens wurden ausgeschlossen. Es wurden somit nur Einsätze mit der Mindestanforderung eines RTW berücksichtigt (N2=92.854).

Die zugrunde gelegten Öffnungszeiten von Praxen waren folgende: Montag, Dienstag, Donnerstag von 08:00-18:00 Uhr und Mittwoch, Freitag von 08:00-12:00 Uhr.

Ergebnisse: Seit 2007 verzeichnet die Notfallrettung außerhalb der Praxis-Öffnungszeiten einen jährlichen Anteil der rettungsdienstlichen HL von x ̅=69,9% ± 0,98%; im Betrachtungszeitraum stellt er sich stabil dar. Bei Untersuchung von Zeitintervallen lässt sich feststellen, dass insbesondere zu Tageszeiten der Anteil von HL des RD bei 61,7% in 2016 lag (08-20 Uhr). Diese Verteilung konnte für den Zeitraum von 2012 bis 2015 in ähnlicher Weise bestätigt werden.

Insbesondere am Wochenende (Freitag 12:00 Uhr bis Montag 08:00 Uhr) wurden in 2016 42% aller wöchentlichen, rettungsdienstlichen HL erbracht.

Diskussion: Die vorliegenden Ergebnisse zeigen auf, dass der Großteil der HL vermehrt in der Abwesenheitszeit des Hausarztes anfallen. Der Zeitraum der Nicht-Verfügbarkeit macht 77% der Wochenstundenzahl aus, sodass ein Anteil von 70% aller HL nicht signifikant erscheint. Jedoch muss an dieser Stelle erwähnt sein, dass in der Hausarztabwesenheitszeit der ärztliche Bereitschaftsdienst die ambulante Versorgung im Betrachtungsgebiet der ILS Bad Kreuznach vollständig übernimmt. Trotzdem ist die Versorgung der ambulanten Patientenfälle seit zehn Jahren auf hohem Niveau stabil.

Ein Erklärungsansatz könnte in der niedrigen Gesundheitskompetenz der Bevölkerung liegen; 54,3% der Deutschen weisen Defizite in der Health Literacy auf [1].

Besonderes Augenmerk sollte auf die fachärztlichen Bereitschaftsdienste gelegt werden; diese verhindern die Inanspruchnahme des RD, da HL mit der Indikation einer Augen- oder Zahnerkrankung/ -trauma äußerst selten sind. Möglicherweise wäre die Installation von Schwerpunktpraxen auch für andere Fachrichtungen zur Entlastung des RD sinnvoll. Bei zunehmender, falscher Inanspruchnahme des RD ist die Vorhaltung der Rettungsmittel in einigen Regionen zu gering, sodass die Einhaltung der Hilfsfrist gefährdet wird [2].

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse zeigen, dass rettungsdienstliche HL die Notfallversorgung in großem Maße negativ beeinflusst. Daher sollten einerseits Interventionen zur Förderung der Kenntnis über die 116117 und der Zuständigkeit ambulanter Leistungserbringer erfolgen und andererseits seitens der KV die Bedarfsplanung der Kassensitze und Besetzung des ÄBD überarbeitet werden. Zudem sollte auf Leitstellen die standardisierte Notrufabfrage zur Verbesserung der Triagierung installiert werden. Vonseiten der Politik und der Kostenträger wäre eine Erhöhung der Vorhaltung an Einsatzmitteln und die Einrichtung einer zentralen Anlaufstelle für Patienten wünschenswert.


Literatur

1.
Berens EM, Schaeffer D, Vogt D. Gesundheitskompetenz im Lebensverlauf und Nutzung des Gesundheitssystems. 16. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 04.-06.10.2017. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2017. DocV067 (V067). DOI: 10.3205/17dkvf065 Externer Link
2.
Schehadat MS, Groneberg DA, Bauer J, Bendels MHK. Hilfsfristen des Rettungsdienstes in den deutschen Bundesländern. Zbl Arbeitsmed. 2017;67:255. DOI: 10.1007/s40664-017-0203-3 Externer Link