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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Unabhängig im Alter: Ein systematischer Review zur funktionalen Gesundheit von selbständig lebenden Personen über 75 Jahre unter Verwendung der Internationalen Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF)

Meeting Abstract

  • Johanna Tomandl - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen
  • Susann Gotthardt - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Institut für Biomedizin des Alterns, Nürnberg
  • Stephanie Book - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, Erlangen
  • Stefan Heinmüller - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen
  • Thomas Kühlein - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen
  • Ellen Freiberger - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Institut für Biomedizin des Alterns, Nürnberg
  • Elmar Gräßel - Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU), Zentrum für Medizinische Versorgungsforschung, Erlangen
  • Stefanie Hoyer - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen
  • Susann Hueber - Universitätsklinikum Erlangen, Allgemeinmedizinisches Institut, Erlangen

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf412

doi: 10.3205/18dkvf412, urn:nbn:de:0183-18dkvf4124

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Tomandl et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Bei über 75-jährigen Patienten wird Überversorgung immer mehr zum Problem. Gründe sind unter anderem der demografische Wandel, zunehmender medizintechnischer Fortschritt und das Vorherrschen einer krankheitsorientierten Medizin. Eine Priorisierung medizinischer Maßnahmen wird unvermeidlich. Das Kriterium für die notwendige Unterscheidung zwischen nützlich und weniger nützlich könnte die jeweilige Effektstärke einzelner Maßnahmen für Erhalt oder Wiedergewinn der funktionalen Gesundheit sein. Ein geeignetes Instrument zur Beschreibung der funktionalen Gesundheit ist die Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit (ICF). Diese ist, aufgrund ihrer Komplexität, unter Hausärzten jedoch kaum verbreitet. Eine Lösung stellen ICF Core Sets (Listen mit ausgewählten Kategorien, die für bestimmte Patientengruppen relevant sind) dar. Im Rahmen des ICF Projekts des PRO PRICARE Netzwerks zur Vermeidung von Überversorgung soll ein Core Set für über 75-jährige, selbständig lebende Personen zum Einsatz in der Hausarztpraxis entwickelt werden. Als erstes der insgesamt vier Teilprojekte im Rahmen dieses Entwicklungsprozess wird ein systematischer Review zur Identifikation relevanter ICF-Kategorien aus Sicht der geriatrischen Forschung durchgeführt.

Fragestellung: Was sind, aus Sicht der Forschung, relevante ICF Kategorien zur Erfassung der funktionalen Gesundheit (Körperfunktionen, Aktivitäten, Partizipation und Umweltfaktoren) bei selbständig lebenden Personen, die 75 Jahre und älter sind?

Methode: In den Datenbanken PubMed, PsycINFO, EMBASE, CINAHL und Scopus wurde eine elektronische Suche durchgeführt, um Publikationen aus den Jahren 2007 bis 2017 zu identifizieren, die sich auf selbständig lebende Personen ohne Demenz fokussieren. Die gefundenen Publikationen wurden, basierend auf vorab definierten Ein- und Ausschlusskriterien, zuerst im Abstract auf Ihre Eignung geprüft. Aufgrund der großen Datenmenge wurde aus forschungspragmatischen Gründen für das Volltextscreening eine Stichprobenziehung vorgenommen. Aus den im Volltextscreening inkludierten Publikationen wurden relevante Konzepte zur funktionalen Gesundheit extrahiert und mit den ICF Kategorien verknüpft. Abschließend wurde eine Häufigkeitsanalyse durchgeführt und ausschließlich jene Kategorien, die in mindestens 5% aller Publikationen enthalten waren, in die Liste relevanter ICF Kategorien aufgenommen. Da es nicht Ziel dieses Reviews ist, die Effektstärke bestimmter Interventionen zu bestimmen oder Behandlungsempfehlungen zu geben, sondern systematisch forschungsrelevante Konzepte zur funktionalen Gesundheit zu identifizieren, wird keine Qualitätsbeurteilung der Studien benötigt. Allerdings werden ausschließlich Studien eingeschlossen, die in wissenschaftlichen Zeitschriften mit Peer-Review-Verfahren veröffentlicht und somit bereits einer Qualitätskontrolle unterzogen wurden.

Ergebnisse: Insgesamt wurden 10.043 Publikationen identifiziert, davon 5.060 Duplikate. Im Titel- und Abstractscreening wurden 4.379 Publikationen ausgeschlossen. Aus den verbliebenen 681 Publikationen wurden wiederholt Stichproben für das Volltextscreening gezogen, solange bis 100 Publikationen für die Datenextraktion eingeschlossen werden konnten. Die Datenextraktion und Verknüpfung mit den ICF Kategorien ist zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht abgeschlossen; die Ergebnisse werden bis Herbst 2018 erwartet.

Diskussion: Die Liste mit relevanten ICF Kategorien aus der Forscherperspektive, die im Zuge dieses systematischen Reviews entsteht, wird um die Ergebnissen der anderen drei Teilprojekte (qualitative Interviews (Patientenperspektive), quantitative Assessments (klinische Perspektive) und Expertenbefragung (Expertenperspektive)) ergänzt und zu einem umfassenden Core Set zusammengeführt. Die Anwendung dieses ICF Core Sets soll den Untersuchungsfokus in der Hausarztpraxis weg von der reinen Krankheitsbekämpfung hin zu der Förderung von Patientenressourcen verlagern und somit einen wichtigen Beitrag zur Reduktion von Über- beziehungsweise Fehlversorgung bei älteren Menschen leisten.

Praktische Implikationen: Dieses Core Set soll mittelfristig Anwendung in der Versorgungsforschung finden, um die Effektstärke medizinscher Maßnahmen für den Erhalt der funktionalen Gesundheit zu bestimmen und nützliche von weniger nützlichen Maßnahmen zu unterscheiden. Dadurch soll bestimmt werden, wie die Medizin dazu beitragen kann, die funktionale Gesundheit von hochbetagten Personen zu unterstützen. Langfristig soll das Core Set auch in der Hausarztpraxis als einfach zu handhabendes Erhebungsinstrument verwendet werden, um verschiedene Aspekte der funktionalen Gesundheit (z.B. Aktivitäten, Partizipation) der Patienten zu erfassen und medizinische Maßnahmen darauf abzustimmen.

Die Studie wird gefördert vom Bundeministerium für Bildung und Forschung, Förderkennzeichen 01GY1605.