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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Inanspruchnahmeprofil universitärer Spezialsprechstunden für Craniomandibuläre Dysfunktionen: Erste Ergebnisse nach 1,5 Jahren

Meeting Abstract

  • Fabian Huettig - Universitätsklinikum Tübingen, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Tübingen
  • Lara Sommer - Uniklinikum Tübingen, Medizinische Fakultät, Tübingen
  • Jeremias Hey - Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, Medizinische Fakultät, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Halle/Saale
  • Steffani Janko - Universitätsklinikum Frankfurt, Carolinum, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Frankfurt am Main
  • Sabine Linsen - Universitätsklinikum Bonn, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffwissenschaften, Bonn
  • Birgit Marré - Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik, Dresden
  • Oliver Schierz - Universitätsklinikum Leipzig, Poliklinik für Zahnärztliche Prothetik und Werkstoffkunde, Leipzig
  • Daniel Weber - Philipps-Universität Marburg, Abteilung für Orofaziale Prothetik und Funktionslehre, Marburg
  • Anne Wolowski - Universitätsklinikum Münster, Poliklinik für Prothetische Zahnmedizin & Biomaterialien, Münster

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf399

doi: 10.3205/18dkvf399, urn:nbn:de:0183-18dkvf3992

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Huettig et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: An den Universitätskliniken für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde werden teils Spezialsprechstunden für Patienten mit schmerzhaften Funktionsstörungen des Kiefers sowie oro-fazialen Schmerzen angeboten. Da es sich bei diesem Angebot um ein Setting abseits der Primärversorgung handelt, ist anzunehmen, dass hier vornehmlich Patienten mit längerer Krankheitserfahrung vorstellig werden. Da es sich bei den sog. schmerzhaften craniomandibulären Dysfunktionen (sCMD) bei Schmerzpersistenz über 3 Monate bereits von einer Chronifizierung auszugehen ist, sind bei längeren Verläufen häufig neben frustrane Therapien auch komplexere Beschwerdebilder zu erwarten. Daten über die Patienten, welche in Hochschulsprechstunden versorgt werden, liegen derzeit nicht vor.

Fragestellung: Welche Patienten mit welchem Beschwerde- und Krankheitsverlauf nehmen universitäre Spezialsprechstunden in Anspruch? Gibt es hierbei Unterschiede zwischen den Standorten?

Methode: Im Rahmen des jährlichen Treffens der universitären Spezialsprechstunden (Bad Homburg) wurde die Vorbereitung einer Erhebung abgestimmt und im September 2016 an 4 Standorten (T,B,F,M) begonnen. Im Nachgang konnten vier weitere Zentren (L,M,H,D) rekrutiert werden. Die Erhebung erfolgte mittels Briefkarten, welche die in den Sprechstunden neu vorstelligen Patienten ausfüllten und unfrei an das Studienzentrum versenden. Die Briefkarten fragten folgende Daten ab: Durchschnittliche Schmerzen/Beschwerden im Laufe der letzten 6 Monate (NRS); Alter, Geschlecht, PLZ (3-stellig); Schmerzdauer " < 0,5; < 1; 1-2; 2-5; > 5 Jahre"; Therapieerfahrung (Schiene, Physiotherapie, Medikamente, Andere); besuchte Heilberufe; Schmerzregionen sowie Begleitsymptome.Die Auswertung der Daten erfolgte deskriptiv anhand von Mittelwerten und relativen Häufigkeiten. Mittelwertsvergleiche wurden statistisch nach Analyse der Varianz (ANOVA) und Testung auf Gleichverteilung mittels paarweiser t-tests durchgeführt. Die Einzugsgebiete der Standorte wurden mittels GIS-Software (QGIS) analysisert.

Ergebnisse: 556 Karten wurden bis zum 30.03.2018 registriert und 554 ausgewertet; allerdings H (N=6) und D (N=12) nicht als repräsentativ berücksichtigt. Die Patienten unterscheiden sich in der Geschlechts (75%w: 25%m) und Altersverteilung (median=45, SD=17) nicht signifikant zwischen den Standorten. Ebenso zeigt die Schmerzdauer keine signifikanten Unterschiede, wobei 50% der Patienten über 2 Jahre Schmerzen hatten. Allerdings bestehen Unterschiede in der Therapieerfahrung; die größten Differenzen bei verordneter Physiotherapie: T=86% vs. B=40% (MW=61%); gefolgt von Schienentherapie:T=78% vs. B=44% (MW=67%). Diese Differenzen sind bei der medikamentösen Therapie geringer F=42%, L,M=28% (MW=32%). Die Patienten haben vor ihrem dem Besuch durchschnittlich 3 (SD=2) Heilberufe besucht (86% ZA, 45% PT, 38% HA, 36% HNO, 35% KFO, 23% ORT, 20% NEU, 13% HP, 9% PSY, 9% AUG). Die Patienten beklagen am häufigsten Schmerzen im Kiefer (81%), gefolgt von Ohren (44%) sowie Zähnen und Rücken (je 43%). Mit zunehmender Schmerzdauer erhöhen sich die Anteile Kiefer-ferner Schmerzareale ( Knie: 5% auf 27%). Bei den Begleitsymptomen berichten die Patienten am häufigsten Müdigkeit (45%) und Schlafstörungen (38%) - Der Mittelwert der Anzahl benannter Begleitsymptome nimmt ebenfalls mit der Schmerzdauer zu (1 auf 2). Die Sprechstunden haben ein Einzuggebiet von zirka 50 km.

Diskussion: Die vorliegenden Daten ermöglichen erstmals einen groben Vergleich der Patienten, welche Hochschulsprechstunden für Funktionsstörungen der stomatognathen Systems aufsuchen. Der Befragungsmodus lässt Diagnosen unberücksichtigt und lässt derzeit noch keine Aussage zur Vollständigkeit (Rücklaufquote) zu. Es ist allerdings auffällig, dass die Hälfte der Patienten erst nach über zwei Jahren und nach Aufsuchen von durchschnittlich 3 Heilberufen, diese Versorgung in Anspruch nehmen und hierbei keine Unterschiede zwischen den Standorten bestehen. Dabei zeichnen sich bei den Patienten die bekannten Muster von Schmerzchronifizierung und Somatisierung ab. Auffällig ist allerdings auch, dass in der Versorgung mit Heilmitteln betroffener Patienten anscheinend deutschlandweit erhebliche Differenzen bestehen. Darüber hinaus scheint die Gabe von Medikamenten im Kontext des Schweregrades als gering.

Praktische Implikationen: Der Anteil chronifizierter Patienten in den Sprechstunden ist hoch und damit verbunden ein großer Anteil von Patienten mit wide-spread pain und aus dem psychosomatischen Formenkreis. Daraus lässt sich ableiten, dass diese Sprechstunden vorwiegend mit komplexen Fällen konfrontiert sind, für welche keine adäquaten zahnärztlichen Leistungen im Bewertungsmaßstab abgebildet sind. Ebenso benötigt die Versorgung in domo ein interdisziplinäres Backup und durch das Einzugsgebiet bedingt eine Anbindung in ein ambulantes, wohnort-nahes interdisziplinäres Therapiesetting. Dies erfordert die Kooperation von Zahn-, Haus- und Fachärzten.