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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Personen nach ARDS (acute respiratory distress syndrom) und deren Angehörige nehmen Stellung zum Aufbau eines patientenbezogenen Registers für Überlebende eines ARDS: eine qualitative Interviewstudie

Meeting Abstract

  • Annette Weiss - Universität Regensburg, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Medizinische Soziologie, Regensburg
  • Susanne Brandstetter - Universität Regensburg, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Medizinische Soziologie, Regensburg
  • Christine Bernardi - Universität Regensburg, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Medizinische Soziologie, Regensburg
  • Sebastian Blecha - Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg
  • Thomas Bein - Universitätsklinikum Regensburg, Klinik für Anästhesiologie, Regensburg
  • Christian Apfelbacher - Universität Regensburg, Klinik für Frauenheilkunde und Geburtshilfe, Institut für Epidemiologie und Präventivmedizin, Medizinische Soziologie, Regensburg

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf362

doi: 10.3205/18dkvf362, urn:nbn:de:0183-18dkvf3627

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Weiss et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: ARDS (acute respiratory distress syndrom) ist eine lebensbedrohliche Erkrankung, die einer umfassenden interdisziplinären und spezialisierten intensivmedizinischen Behandlung bedarf. Je nach Krankheitsschwere liegt die Krankenhausmortalität zwischen 35% und 45%. Überlebende eines ARDS aus den USA berichteten von Einschränkungen der körperlichen Funktionsfähigkeit, der gesundheitsbezogenen Lebensqualität und während der Reintegration ins Berufsleben. Medizinische Leistungen wurden nach der Entlassung von der Intensivstation vermehrt in Anspruch genommen und auch die Angehörigen durchlebten eine belastende Zeit. Studien zur Langzeitbeobachtung von Überlebenden eines ARDS und deren Angehörigen sind selten, Erhebungen aus Deutschland gibt es kaum. Ein Register für Überlebende eines ARDS würde es ermöglichen, den Verlauf der Erkrankung, auftretende Langzeitfolgen und die Versorgungssituation dieser Personen in Deutschland besser zu verstehen.

Fragestellung: Wie schätzen Überlebende eines ARDS und ihre Angehörigen inhaltliche und praktische Aspekte eines patientenbezogenen ARDS-Registers ein?

Methode: Wir führten leitfadengestützte qualitative Interviews mit Überlebenden eines ARDS und deren Angehörigen durch, in welchen wir nach deren Vorstellungen von einem Register, möglichen Vor- und Nachteilen eines Registers und deren Motivation zur langfristigen Teilnahme fragten. Es folgten Fragen zu Studienprozeduren, zu wissenschaftlichen Fragestellungen des Registers und ob auch Angehörige im ARDS-Register aufgenommen werden sollten. Die Interviews wurden digital aufgezeichnet, wörtlich transkribiert und computergestützt inhaltsanalytisch ausgewertet.

Ergebnisse: Wir führten bisher 15 Interviews (8 männliche, 5 weibliche Betroffene; 3 männliche, 5 weibliche Angehörige). Das Alter der Teilnehmer reichte von 17-72 Jahre (Mittelwert 52 Jahre), die Liegedauer auf Intensivstation von 19-183 Tage (Mittelwert 51 Tage) und die Zeit seit Diagnose von 3-36 Monate (Mittelwert 24 Monate). Vorstellungen der Teilnehmer zu einem Register waren unterschiedlich: Manche Personen hatten keine Idee, andere beschrieben eine Datensammlung zur Erstellung von Handlungsempfehlungen, sprachen von einer Suchmaschine zur schnellen medizinische Auskunft oder beschrieben ein Forum, um Erfahrungen von ehemaligen Patienten nachlesen zu können. Genannte Vorteile eines Registers waren die Möglichkeit, Patienten direkt anzusprechen, die Generierung von neuen medizinischen Erkenntnissen oder die Erstellung eines Datenpools zur Beantwortung zukünftiger wissenschaftlicher Fragestellungen. Das Register wurde als Plattform zur Möglichkeit des Austauschs zwischen Patienten, Ärzten und Forschenden gesehen. Außerdem wurde genannt, dass das Register den Patienten die Teilnahme an der Forschung ermöglicht. Nachteilig wurde das Risiko des Datenmissbrauchs genannt, sowie die Problematik, dass unreflektierte medizinische Informationen aus dem Internet auch zu unnötiger Panik führen können. Um Patienten zu einer möglichst langfristigen Teilnahme an den Befragungen des Registers zu motivieren, wurde von den Teilnehmern vorgeschlagen, Patienten über Prozesse, Zielsetzungen und Ergebnisse des Registers zu informieren und den Patienten die Möglichkeit zu geben, nur an einzelnen Teilprojekten teilzunehmen. Als weiterer motivierender Faktor wurde die Verwendung einer intelligenten internetbasierten Befragung, bei welcher bereits gegebene Antworten einer vorherigen Befragung angezeigt werden, vorgeschlagen. Die Teilnehmer bevorzugten durchgängig, dass den Patienten das Register durch behandelnde Ärzte im Namen der jeweiligen Klinik und nicht durch die Krankenkassen vorgestellt wird. Vorgeschlagene wissenschaftliche Fragestellungen waren unter anderem die Erforschung von Ursachen des ARDS, der Rolle der Familie im Genesungsprozess, von Auswirkungen auf die Psyche und des Auftretens von Spätfolgen. Die Aufnahme von Angehörigen im Register wurde kontrovers bewertet.

Diskussion: Es zeigte sich, dass Überlebende eines ARDS und deren Angehörige den Aufbau eines ARDS-bezogenen Registers für die Versorgungsforschung befürworten. Aus Patientensicht wurden als Hauptziele genannt, die Versorgung der Patienten zu verbessern und eine Plattform zum Austausch für Betroffene zu schaffen. Aus den Interviews können wertvolle Hinweise zur langfristigen Teilnahme von Betroffenen an einem Register abgeleitet werden.

Praktische Implikationen: Die Perspektiven der Betroffenen und deren Angehörigen werden direkt bei der Entwicklung des Registers für Überlebende eines ARDS integriert.