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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

Physiotherapeutische Versorgungssituation von Patienten*innen mit Kreuzschmerzen in Deutschland

Meeting Abstract

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  • Christian Kopkow - Hochschule für Gesundheit, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum
  • Carolin Bahns - Hochschule für Gesundheit, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum
  • Lisa Happe - Hochschule für Gesundheit, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum
  • Christian Thiel - Hochschule für Gesundheit, Department für Angewandte Gesundheitswissenschaften, Bochum

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf356

doi: 10.3205/18dkvf356, urn:nbn:de:0183-18dkvf3561

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Kopkow et al.
Dieser Artikel ist ein Open-Access-Artikel und steht unter den Lizenzbedingungen der Creative Commons Attribution 4.0 License (Namensnennung). Lizenz-Angaben siehe http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.


Gliederung

Text

Hintergrund: Kreuzschmerz zählt zu den häufigsten Beschwerdebildern in der deutschen Bevölkerung und bedeutet neben erheblichen gesundheitlichen Beeinträchtigungen für die Patienten*innen hohe Kosten für das Gesundheitssystem. Die Nationale Versorgungsleitlinie (NVL) "Nicht-spezifischer Kreuzschmerz" soll als praxisorientierte Entscheidungshilfe zur Verbesserung der Versorgungsqualität beitragen und richtet sich sowohl an Ärzte*innen als auch an nicht-medizinische Fachberufe. Im physiotherapeutischen Kontext stellen Rückenschmerzen die häufigste Diagnose für eine Behandlung dar. Inwieweit eine Anwendung von Leitlinienempfehlungen in der Versorgungspraxis von Physiotherapeuten in Deutschland bereits erfolgt, ist nicht bekannt.

Fragestellung: Ziel der Studie war die Erfassung der aktuellen Versorgungssituation im physiotherapeutischen Kontext von Patienten*innen mit Kreuzschmerzen in Deutschland bezüglich der Empfehlungen der NVL „Nicht-spezifischer Kreuzschmerz“.

Methode: Die Studie wurde a priori im Deutschen Register Klinischer Studien registriert (DRKS-ID: DRKS00012607). Ein positives Ethikvotum der Ethikkommission des Deutschen Verbandes für Physiotherapie liegt für diese Studie vor (Ethikkommissionsvorlagennummer: 2017-08).

Im Rahmen der Studie wurde eine deutschlandweite Online-Umfrage unter Physiotherapeuten*innen zu den Inhalten von Untersuchung und Behandlung in der Versorgung von Patienten*innen mit Kreuzschmerz durchgeführt. Die gestellten Fragen basierten dabei auf der NVL.

Um leitlinienkonformes Verhalten zu evaluieren, wurden physiotherapeutisch relevante Items der NVL identifiziert und mit der physiotherapeutischen Leitlinie für Kreuzschmerzen der niederländischen physiotherapeutischen Fachgesellschaft KNGF (Koninklijk Nederlands Genootschap voor Fysiotherapie) abgeglichen.

Eine deskriptive Datenauswertung wurde mithilfe der Statistiksoftware R durchgeführt. Durch uni- und multivariate Verfahren wurden Zusammenhänge zwischen demografischen Angaben und der Orientierung an den Leitlinienempfehlungen geprüft. Leitlinienkonformität wurde als Erreichen von mindestens 80 % der Gesamtpunktzahl im Bereich Untersuchung sowie mindestens 80 % der Gesamtpunktzahl im Bereich Behandlung definiert.

Ergebnisse: Daten von 1377 Physiotherapeuten*innen konnten in die Auswertung einbezogen werden. Es nahmen 520 Männer (37,8 %) und 850 Frauen (61,7 %) an der Umfrage teil. Die Befragten waren im Durchschnitt 40,5 Jahre (± 11,4) alt und verfügten über 15,8 Jahre (± 10,4) Berufserfahrung. Die berufliche Ausbildung absolvierten 83 % (n = 1143) der Teilnehmer*innen an einer Berufsfachschule, 8,9 % (n = 123) an einer Hochschule. Der Großteil der Befragten war zum Zeitpunkt der Befragung in einer freien Praxis (n = 1198, 89 %) tätig und mehr als die Hälfte der Therapeuten*innen war in einem Arbeitnehmerverhältnis beschäftigt (58,3 %). 98,8 % (n = 1360) der Befragten gaben an, Patienten*innen mit Kreuzschmerz zu behandeln. Die Befragten gaben an, pro Woche in etwa sechs (± 6,6) neu aufgenommene Patienten*innen mit nicht-spezifischen Kreuzschmerzen zu behandeln.

Die Leitlinienkonformität für den gesamten Versorgungsprozess lag bei 37,6 % und variierte in den Bereichen Untersuchung (49,2 %) und Behandlung (71,5 %). Einzig für die unabhängige Variable „Ausbildungsart“ wurden Hinweise für einen signifikanten Einfluss auf die Leitlinienkonformität in allen Teilbereichen gefunden. Akademisierte Physiotherapeuten*innen handelten stärker nach Leitlinienempfehlungen als ihre Kollegen*innen (p < 0,05).

Diskussion: Die Ergebnisse dieser Arbeit zeigen Defizite in der Leitlinienkonformität der Versorgung von Patienten*innen mit Kreuzschmerzen durch deutsche Physiotherapeuten*innen. Die vorliegenden Ergebnisse könnten durch systematische Observationen realer Versorgungssituationen ergänzt und differenziert sowie auf interdisziplinäre Kontexte bzw. die gesamte Versorgungskette ausgebaut werden. Auf Basis einer Analyse von Determinanten bzw. Förderfaktoren und Barrieren auf unterschiedlichen Versorgungsebenen könnten praktische Strategien zur Verbesserung der Leitlinienkonformität entwickelt werden.

Praktische Implikationen: Im Bereich der Physiotherapie besteht erhebliches Potenzial, die Versorgungsqualität durch bessere Berücksichtigung der nationalen Versorgungsleitlinie (NVL) "Nicht-spezifischer Kreuzschmerz" zu verbessern. Die Ergebnisse weisen auf eine mögliche wichtige Rolle der Akademisierung der Gesundheitsfachberufe für die Nutzung dieses Potenzials hin. Unabhängig davon scheinen verbesserte Implementierungsstrategien von Leitlinien in die physiotherapeutische Versorgungspraxis und der Abbau bestehender Barrieren in der Anwendung evidenzbasierter Praxis notwendig.