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17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung

Deutsches Netzwerk Versorgungsforschung e. V.

10. - 12.10.2018, Berlin

AHOI 1 Machbarkeitsstudie 2017: Wahrnehmung und Erwartungshaltung bei Hygienemängeln – Eine Frage des Geschlechts?

Meeting Abstract

  • Tillmann Görig - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Greifswald
  • Kathleen Dittmann - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Greifswald
  • Claus-Dieter Heidecke - Universitätsmedizin Greifswald, Klinik und Poliklinik für Allgemeine Chirurgie, Viszeral-, Thorax- und Gefäßchirurgie, Greifswald
  • Axel Kramer - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Greifswald
  • Nils-Olaf Hübner - Universitätsmedizin Greifswald, Institut für Hygiene und Umweltmedizin, Greifswald

17. Deutscher Kongress für Versorgungsforschung (DKVF). Berlin, 10.-12.10.2018. Düsseldorf: German Medical Science GMS Publishing House; 2018. Doc18dkvf334

doi: 10.3205/18dkvf334, urn:nbn:de:0183-18dkvf3347

Veröffentlicht: 12. Oktober 2018

© 2018 Görig et al.
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Gliederung

Text

Hintergrund: Ziel von AHOI (Aktivierung der PatientInnen, Pflegebedürftigen und Pflegenden für eine hygienebewusste Partizipation an der Infektionsprävention) ist es, PatientInnen, Pflegebedürftige und Angehörige aktiv in den Infektionsschutz mit der Zielsetzung des besseren Selbstschutzes, mehr Bewegungsfreiheit der PatientInnen und Entlastung von Pflegekräften und Angehörigen einzubinden. Hierfür wurde ein multimodales Interventionsbündel entwickelt und einer Machbarkeitsstudie bei einem Maximalversorger unterzogen. Dabei war die Bewertung geschlechtsspezifischer Einflüsse eine wichtige Forschungsfrage.

Fragestellung: Welchen Einfluss hat das Geschlecht auf die Wahrnehmung und Erwartungshaltung bei Hygienemängeln?

Methode: Das AHOI-Interventionsbündel wurde auf zwei Normalstationen eines Maximalversorgers eingeführt und mittels zweistufiger Befragung mit jeweils 310 Fragebögen evaluiert. Die Befragung der PatientInnen sowie MitarbeiterInnen wurde im Frühjahr 2017 für 12 Wochen durchgeführt. Hierbei wurde die Bewertung der eigenen Hygienekompetenz, des Empowerments sowie der Compliance bzgl. des Hygieneverhaltens erhoben. Gleichzeitig wurde die Bewertung der entwickelten Interventionsmaterialien (Broschüre, Filme, Reminder, Mitarbeiterschulungen, etc.) erfasst. Von 132 stationären PatientInnen konnten Daten zu beiden Stufen erhoben werden. Die Zusammenführung und Auswertung der Daten erfolgte mittels IBM SPSS Statistics 22.

Ergebnisse: Bzgl. Wahrnehmung und Erwartungshaltung zum Thema Hygiene zeigen die Ergebnisse ein differenziertes Bild beider Geschlechter. Weibliche Befragte haben eine deutlich negativere Erwartungshaltung als männliche, wenn sie die Reaktion von Ärzten auf Hinweise auf Hygienemängel durch PatientInnen einschätzen sollen. Weiterhin wurde von den weiblichen Befragten ein Mangel von Desinfektionsmittelspendern im Eingangs- und Cafeteriabereich der Klinik verstärkt wahrgenommen. Schließlich sind Frauen deutlich unzufriedener mit der Sauberkeit des Sanitärbereichs.

Bei den genannten Punkten waren die Differenzen mindestens auf dem 95%-Konfidenzintervall signifikant.

Diskussion: Die Ergebnisse weisen einen spezifischen Unterschied in der Wahrnehmung des Empowerments und bei der Wahrnehmung von Hygiene zwischen den Geschlechtern auf. Das ist zum einen wahrscheinlich auf die Hierarchieordnung sowie der traditionellen Arbeitsverteilung der Geschlechterrollen, also der sozialen Identität, zum anderen auf biologische Prädispositionen zurückzuführen.

In der Forschung wird zwischen dem Geschlecht als „sex“ und als „gender“ unterschieden [1]. Beide Kategorien sind bedeutende Vorbedingungen für die Lebensweise und –wünsche eines Menschen. Das Geschlecht, sowohl biologisch als auch sozio-kulturell, ist eine fundamentale Prägung, die sich in einer Vielzahl von Bedingungen, Freiheiten und Veranlagungen manifestiert. Das „sex“-Geschlecht ist durch die Chromosomenpaare XX für weiblich und XY für männlich feststellbar. Das „gender“-Geschlecht wird als Identität sozial konstruiert. Diese Identität ist eine gesellschaftlich-geprägte Geschlechterrolle, die durch traditionelle, kulturelle Strukturen und soziale Ideen geprägt ist [2], [3], [4]. Allerdings sind die Einflüsse vom gender im humanmedizinischen Bereich bisher nur wenig erforscht [5]. Die Ergebnisse zeigen, dass das Geschlecht auf die Wahrnehmung und Erwartungshaltung bei Hygienemängeln einen statistisch signifikanten Einfluss hat und berücksichtigt werden muss.

Praktische Implikationen: Die Ergebnisse legen nahe, dass bei Interventionen zur Verbesserung des Hygieneverhaltens geschlechterspezifische Aspekte berücksichtigen werden müssen. Zum Beispiel besteht ein Bedarf an optischer und struktureller Optimierung bei der Installation von Desinfektionsmittelspendern. Des Weiteren könnte die Ausbildung der ÄrztInnen sowie Pflegekräfte bzgl. einer geschlechtsorientierten Verbesserung der Patientenkommunikation verändert werden. Die Ergebnisse liefern Hinweise auf eine gendergerechte und aktive Einbindung in den Infektionsschutz von PatientInnen, Angehörigen und MitarbeiterInnen.


Literatur

1.
Bale TL, Epperson CN. Sex as a Biological Variable: Who, What, When, Why, and How. Neuropsychopharmacology. 2017 01;42(2):386-396. DOI: 10.1038/npp.2016.215 Externer Link
2.
Rieder A, Lohff B. Einleitung: Gender Medizin - eine neue Disziplin? In: Rieder A, Lohff B, editors. Gender Medizin - Geschlechtsspezifische Aspekte für die klinische Praxis. Wien: Springer; 2008. p. 1-12.
3.
Warnke G. Debating Sex and Gender. New York: Oxford University Press; 2011.
4.
Becker JB, McClellan ML, Reed BG. Sex differences, gender and addiction. J Neurosci Res. 2017 Jan;95(1-2):136-147. DOI: 10.1002/jnr.23963 Externer Link
5.
Hornberg C, Pauli A, Wrede B. Medizin - Gesundheit - Geschlecht: Gesundheitswissenschaftliche und gendermedizinische Perspektiven. In: Hornberg C, Pauli A, Wrede B, editors. Medizin - Gesundheit - Geschlecht. Eine gesundheitswissenschaftliche Perspektive. Wiesbaden: Springer; 2016. (Geschlecht und Gesellschaft; 55). p. 1-21.